Kapitel 2
Laute Musik ließ mich hochschrecken. Da es das erste mal seit dem traumatischen Erlebnis in meiner Küche gewesen war, dass ich traumlos hatte schlafen können, sah ich mich verärgert nach der Lärmquelle um und erwartete, einen Halbstarken mit seinem Handy zu entdecken. Als ich richtig wach wurde, erkannte ich jedoch, dass die Musik aus großen Boxen direkt vom Pool kam, wo sich einige Leute in orangefarbenen T-Shirts versammelt hatten.
Mel, die immer für Aufregung zu haben war, setzte sich auf wie ein Hund, der eine Fährte aufgenommen hatte. „Die scheinen etwas aufführen zu wollen.“
Ich stöhnte. „Muss das sein? Ich fühle mich wie ein Party-Tourist.“
„Du klingst eher wie eine verbitterte alte Ziege.“ Ihr Grinsen entschärfte ihre Worte, doch ich wusste, dass sie meinte, was sie sagte.
Das tat sie immer, darum schätzte ich sie so sehr. Und das Schlimmste war – sie hatte meistens Recht. Zum Glück wurde es mir erspart, weiter darüber nachdenken zu müssen, denn in diesem Moment wurde Ed Sheerans „Shape of you“ gespielt und die Animateure begannen zu tanzen.
„Hier wird einem ja richtig was geboten.“, kommentierte Mel beifällig und ließ ihre Blicke ungeniert über die männlichen Animateure gleiten. Mit ihren Ende dreißig waren die meisten der Männer eigentlich zu jung für sie, doch ihre guten Gene ließen Mel nie im Stich, sodass wir als gleichaltrig durchgingen, obwohl ich gerade mal siebenundzwanzig war. Da ich mich in letzter Zeit jedoch wie eine Frau fühlte, die ihr Leben bereits hinter sich hatte, wirkte ich nach außen hin vielleicht auch nicht gerade jung und dynamisch.
„Mamma Mia!“, riss Mel mich aus meinen deprimierenden Gedanken.
Als mein Blick zum Pool wanderte war klar, was den Ausruf ausgelöst hatte. Die Animateure hatten ihre Shirts ausgezogen und ihre trainierten, schokoladenbraunen Körper entblößt. Es machte mich immer verlegen, Männer so anzustarren. Oft beschwerte ich mich, dass Mel über Männer redete, als wären sie ein Stück Fleisch. Doch da mein eigener Mann mit der Hälfte der Münchener Frauen vögelte, gönnte ich mir demonstrativ einen langen Blick auf einen der Männer, der mir besonders gefiel.
Als hätte er meinen Blick gespürt, fuhr er zu mir herum und musterte mich mit einem wohlwollenden Grinsen. Er tanzte nicht weit von uns und sah mir dabei mit einer Intensität in die Augen, die mir die Schamesröte in die Wangen trieb.
Schnell wandte ich den Blick wieder ab. Als ich vorsichtig wieder aufsah, starrte er mich noch immer an. Er hatte ein attraktives Gesicht und in seinen tiefen braunen Augen las ich eine stumme Herausforderung. Seine Haut erinnerte an Milchkaffee und sein lockiges schwarzes Haar glänzte in der Sonne.
Mel rammte mir den Ellbogen in die Seite. „Die Sahneschnitte hat ein Auge auf dich geworfen.“
Das war eine unleugbare Tatsache. Ich schob mir meine Sonnenbrille auf die Nase und erwiderte: „Dafür bin ich sicher nicht hier.“
„Und ob du das bist, Liebling.“, widersprach Mel. „Wenn du ihn dir nicht angelst, tu ich es, obwohl du mit deinen Killer-Beinen eindeutig die besseren Chancen bei ihm hättest.“
Sie war von jeher neidisch auf meine langen schlanken Beine, obwohl ich selbst fand, dass ich wie ein Storch damit wirkte. Ich hatte meine Haare bis knapp über den Po wachsen lassen und trug sie stets offen, um diesen Eindruck abzuschwächen.
„Da bin ich anderer Meinung.“, erwiderte ich. „Tu dir keinen Zwang an.“
Trotzdem konnte ich die Augen nicht von ihm lassen und beobachtete ihn ab und an. Sein Lächeln schien zu sagen, dass er mich ganz und gar durchschaute, selbst wenn er gar nicht zu mir sah. Sein kurzes lockiges Haar verlieh ihm trotz der muskulösen Statur etwas wild Romantisches. Sein Körper sah aus, als hätte Gott jeden Winkel davon genauestens bemessen.
Mamma Mia, dachte ich. Das trifft es wirklich.
Als die Vorstellung zuende war, nahmen einige der Animateure die umstehenden Kinder bei der Hand, um sie zum Fußballspielen in den Miniclub mitzunehmen.
Der Mann, der mich beobachtet hatte, baute die Musik ab und klemmte sich die Boxen unter die Arme. Als er an uns vorbeikam, warf er mir ein Grinsen zu, dass sicher jeder Frau die Kniee hätte weich werden lassen.
„Buongiorno Signora.“, sagte er mit einer Stimme die perfekt zu seinem sinnlichen Aussehen passte.
„Buongiorno.“, erwiderte ich mit heißerer Stimme. Er nickte auch Mel zu und war dann ebenfalls verschwunden.
„Der legt dich flach, ehe die zweite Woche um ist.“, kommentierte Mel neben mir.
„Hör schon auf mit dem Unsinn.“, erwiderte ich wütend.
Wie zu erwarten, entlockte ihr dies nur ein breites Grinsen. „Als ob dir andere Gedanken durch den Kopf gegangen wären, als du ihn gerade gedanklich ausgezogen hast. Jetzt gib es doch wenigstens zu, wir sind unter uns, Maddi. Vor mir musst du nicht die Unnahbare spielen.“
„Schön!“, stieß ich hervor. „Ja, ich finde ihn attraktiv. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir miteinander im Bett landen werden.“
Sie legte sich wieder zurück, stützte ihren Arm auf und sah mich aufmerksam an. „Und wenn doch, wäre das so schlimm?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann jetzt einfach nicht über so etwas nachdenken.“
„Warum, um himmels willen?“, fragte sie fassungslos. „Jetzt ist der beste Zeitpunkt für dich, um über so etwas nachzudenken. Aber lass mich raten, du geißelst dich lieber weiter mit dem Gedanken daran, wie dein Mann dieses Flittchen vögelt, während du schön brav die Füße still hältst.“
„Wenn ich hier mit dem erstbesten ins Bett springe, bin ich nicht besser als er.“, fauchte ich. „Außerdem hast du doch gesagt, ich soll nicht mehr über Stefan nachdenken!“
„Als ob du das nicht schon die ganze Zeit auch ohne ein Wort von mir getan hättest.“, erwiderte sie besorgt. „Madleen, deine Situation hier kann man doch mit seiner gar nicht vergleichen. Du bist auf dem Weg zur Scheidung, es wäre also kein Ehebruch in dem Sinne.“
Ich schwieg und sah demonstrativ Richtung des großen Berges im Wasser und hoffte inständig, dass sie das Thema fallen ließe. Was sie natürlich nicht tat.
„Maddi? Das bist du doch, oder?“ Zweifel und Fassungslosigkeit ließen ihre Stimme höher klingen. Sie kannte die Antwort längst.
Ich brachte es nicht fertig, sie dabei anzusehen, weil ich mich in diesem Moment für mich selbst schämte. „Er bat mich mehrmals, mir Zeit zu nehmen und noch einmal über alles nachzudenken.“
„Sag mir nicht, dass du ihm das zugesichert hast.“, flüsterte sie wütend.
Mir war klar, dass sie nur so leise sprach, um sich selbst davon abzuhalten, mich anzuschreiben. Ich biss mir auf die Lippe, ehe ich beherrscht erwiderte: „Ich führe eine Ehe, Mel. Ich kann nicht beim kleinsten Streit aufgeben.“
Wie sollte sie es auch verstehen, sie hatte nie geheiratet. Nein, sie machte es sich leicht und suchte leichte Liebe auf Zeit, ohne jegliches Risiko. Ich war so wütend, dass ich ihr all dies ins Gesicht geschrieen hätte, hätte ich zuvor nicht in ihre Augen gesehen. In diese grünen Katzenaugen, in denen ich hinter der Sonnenbrille eine seltsame Art der Bewunderung lesen konnte.
„Ist deine Liebe denn so stark?“
In meiner Kehle stieg ein Kloß auf, den ich nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. „Sie war es auf jeden Fall ein mal. Darum ist sie mir so heilig. Ich möchte glauben, dass es die Sache wert ist zu kämpfen.“
Ich dachte an Stefans Augen voller Tränen und den Zwiespalt in seinem Gesicht. Er hatte es nicht nur dieses eine mal getan, hatte er mir gestanden. Sondern oft und mit verschiedenen Frauen. Fremden, Bekanntschaften aus Partynächten, in denen er mir gesagt hätte, er müsse länger arbeiten. Sogar mit Prostituierten. Er hatte das Leben erfahren, sich ausprobieren müssen, hatte er gemeint. Warum er das nicht mit mir zusammen hatte tun können, konnte er mir nicht erklären.
Meiner besten Freundin hatte ich nur von dieser einen Frau erzählt. Tat ich das, um ihn zu schützen oder eher mich selbst? Mich selbst und meine ausweglose Hoffnung und die Angst vor einem Neuanfang ohne den Mann, von dem ich bis vor vierzehn Tagen noch geglaubt hatte, dass er die Liebe meines Lebens war.
„Ich werde für dich da sein, egal, wofür du dich entscheidest.“ Mels Hand lag beruhigend auf meinem Arm. Ich wusste, was sie diese Worte kosten mussten.
„Danke.“, flüsterte ich. „Noch muss ich gar nichts entscheiden.“