An der Grenze des Fürstentums Asinat, sechster Tebilavstag des fünften Lichttages des 11. Schattentages des Eraz’, MAE
Das Reiten aber ist eine der edelsten Tugenden, die ein Mann erlangen kann. Deshalb sollten Jungen schon früh in dieser Kunst unterrichtet werden. […] Den Mädchen aber lehre man die Pflichten einer Ehefrau, denn darauf sollen sie sich verstehen.
- Aus „Die guten Tugenden der Kindeserziehung“, niedergeschrieben von Priester Mifiras im 2. Schattentag des Dez’, ALF –
Fast hätte der Hengst sie abgeworfen. Im letzten Moment gelang es Mechan, sich mit den Schenkeln an den Flanken und mit den Händen in der Mähne festzuklammern.
Starr hatte Tikwar die Hufe in die Erde gerammt und weigerte sich, einen Schritt vorwärts zu gehen.
Beruhigend tätschelte sie dem Fuchs, während sie sich fragte, was ihn so aufgescheucht hatte. Sie mochte nicht die beste Reiterin sein, doch sie kannte ihren Bruder und wusste, dass er sie niemals auf einem störrischen und ungehorsamen Tier reiten lassen würde.
Zwei von Shurehms schlanken, gefleckten Jagdhunden erreichten sie und sprangen kläffend um das Pferd und den Esel herum, den sie an der Hand führte.
Wenig später rannte auch er selbst herbei, erklomm die kleine Erhöhung und blieb neben ihr stehen. Ihrem Bruder blieb nichts anderes übrig, als neben ihr herzurennen, wenn sie sich von der Gruppe entfernten, damit sie seine Pferde reiten konnte. Natürlich könnte er auch ihre Eselstute nehmen, aber Mechan konnte ihm seinen Widerwillen diesbezüglich kaum verübeln. Trotz des rasanten Laufes glitzerten nur wenige Schweißtropfen auf seiner Stirn und seine Atemzüge waren nur geringfügig schneller geworden. Shurehm war ein geübter Sportler und das sah man auch seiner Figur an. Wenn er im Sattel seines besten Hengstes durch die Straßen Asinats ritt, blickten die jungen Mädchen ihm seufzend und begehrend nach, während die Männer seines Alters ihn mit Neid musterten.
Er strich sich eine seiner schulterlangen, hellblonden Haarstränen aus dem Gesicht und blinzelte, als Oandaths Schein sein Gesicht für einen Moment in ein fast übernatürliches Licht tauchte. Erst als er kurz Tikwars Flanke getätschelt hatte, wandte er sich seiner Schwester zu.
„Gut, dass du angehalten hast. Wir sollten langsam zu den Anderen zurückkehren.“
„Ja“, antwortete sie nur.
Als sie jedoch keine Anstalten machte, vom Pferd zu steigen, hob er eine Augenbraue und meinte mürrisch: „Ich habe zugestimmt, dich das Reiten auf meinen Pferden zu lehren, wenn du mir in diesen Dingen gehorcht und keine Schwierigkeiten machst. Denk daran, was Vater hiervon halten würde?“
„Vater selbst würde es nicht stören“, entgegnete sie geistesabwesend, auch wenn dies nur die halbe Wahrheit war. Als Vater würde es ihn nicht stören, wenn seine Tochter der für ihr Geschlecht verbotenen Tätigkeit des Reitens von Pferden nachging, doch war er ebenfalls ein Fürst Eletaks. Und ein Fürst konnte es sich unmöglich leisten, die Treue seiner Adeligen und des Tempels zu verlieren und dies würde unweigerlich geschehen, wenn ihre Tätigkeit offenbar werden würde.
„Komm jetzt!“ Shurehm griff in die Zügel seines Hengstes und wollte ihr hinunter helfen, als sie den Arm hob und meinte: „Schau!“
Augenblicklich ließ er die Zügel los und blickte wie sie nach Süden.
Hier an der äußersten südlichen Grenze Asinats wichen die Berge zurück und schufen Platz für die unausweichliche Wüste, die den größten Teil des Landes Eletak beherrschte.
Gab es in den Bergen, die Mechans Heimatstadt umschlossen, selbst zur höchsten Sonnenstunde noch Schatten, bot die Wüste kaum Schutz vor dem tödlichen Sonnenlicht. Kaum einer ihres Volkes wagte sich in die Tiefen dieser lebensfeindlichen Umgebung. Es war das Volk der Tiakar, welches den Handel zwischen den einzelnen Städten aufrechterhielt. Sie allein vermochten es, dem tödlichen Blick des Sonnengottes Viandav für längere Zeit zu widerstehen, auch wenn niemand ihr Geheimnis kannte.
Die Staubwolke, die sich jedoch auf sie zu bewegte, war keineswegs Zeichen eines Sandsturmes wie sie anfangs vermutet hatte, dazu bewegte sie sich zu langsam und war zu klein. Außerdem bewegte sie sich parallel zum Gebirge, was mehr als ungewöhnlich war.
Es war eine Menschenmasse, die den Sand im Schatten des Gebirges aufwirbelte. Doch es gab nur eine Situation, wo so eine große Menschenmenge am Rande der Wüste entlang zog und Mechan wünschte sich so sehr, dass es noch eine andere Erklärung gab.
„Was ist es?“, fragte sie ihren Bruder, als ob sie hoffte, dass er mit seinen Worten ihre zusammenbrechende Welt wieder heilen konnte.
„Ich war zehn, als ich so etwas zuletzt sah“, entgegnete er mit einem winzigen Zittern in der Stimme, das sie mehr erschreckte als alles andere „Damals zog die Wolke aus dem Norden hierher und sie war deutlich kleiner. Es war Fürst Antirehm mit seinen Soldaten, der gegen die Seekönige zog. Als die Wolke von uns weiter zog, war sie gewachsen, denn Vater ist mit ihnen geritten.“
„Aber gegen wen marschieren sie jetzt?“, fragte sie mit leiser Stimme und all die Stärke, die sie sonst immer als Maske auf ihr Gesicht legte, war nun verschwunden.
„Vater hat immer wieder gesagt, dass so etwas früher oder später geschehen wird“, antwortete Shurehm steinern.
Ohne ein weiteres Wort ließ die Fürstentochter sich aus dem Sattel gleiten und drückte die Zügel in die Hand ihres Bruders.
„Du musst reiten“, erklärte sie mit aller Stärke, die sie aufbringen konnte und von der sie sich jetzt schon frage, ob sie genügen würde, um die nächste Zeit zu überstehen, „Wir sind an der äußersten Grenze des Fürstentums. Die Festungen und Asinat müssen gewarnt werden, damit sie sich vorbereiten können. Wenn du schnell bist, kannst du Asinat in zwei Tagen erreichen. Alleine bist du schneller als in der Gruppe.“
Eindringlich sah sie ihn an.
Shurehm nickte und schwang sich elegant in Tikwars Sattel.
„Pass auf dich auf, Jael“, meinte er.
Sie musste schlucken, als sie ihren Spitznamen hörte. Er war der Einzige, der sie so nannte und es war etwas, was sie beide teilten.
Kurz drückte er mit seiner Hand ihre Schulter, dann presste er seinem Hengst die Schenkel in die Flanken und setzte sich in Bewegung. Mit lautem Hufgetrommel preschte ihr Bruder in Richtung Nordosten davon, während seine Schwester seine Hunde zurückhielt und ihm nachblickte.
Mechan schimpfte sich eine Närrin, weil es ihr nur mit Mühe gelang, ihre Tränen zurückzuhalten. Als Fürstentochter hatte sie über solchen jämmerlichen Emotionen zu stehen und Tränen zu vergießen, würde bedeuten, Unglück auf ihr Haus zu ziehen.
Für einen Moment dachte sie daran, dass die Ehe, die ihr Vater mit dem Erben Kantigarks für sie plante, nun nicht mehr zustande kommen würde. Doch im nächsten Augenblick schämte sie sich, dass sie über solche Belanglosigkeiten nachdenken konnte, wenn ihre Welt am Rande des Abgrundes stand.
Sie blicke erneut auf die Staubwolke, die sich mit einem bedrohlichen Schatten ihrer Heimat näherte. Nun war sie schon so nah, dass sie Metall in Oandaths Licht schimmern sah. Metall, welches das rote Licht der zweiten Mondgöttin reflektierte und die Ebene um sie herum in blutrote Farbe hüllte.
Abrupt wandte Mechan sich von diesem Anblick ab und stieg auf ihre Eselstute.
Das Tier verspürte jedoch nicht den geringsten Grund zur Eile, egal wie oft sie ihm die Fersen in die Flanken stieß. Wieder einmal verwünschte sie die Tatsache, dass sie als Frau geboren worden war und somit dazu verpflichtet war, dieses Tier zu reiten.
Erst als einer der beiden Hunde nach dem Esel schnappte, setzte sich die Stute in Bewegung und trottete durch die karge Landschaft.
Hier am Rande der Wüste gab es nur eine spärlich bewachsene Vegetation. Ein einzelner Sao-Baum stand inmitten ihres Weges und die flüssige Schicht, die im Sonnenlicht erhärtete und einen Schutzfilm bildete, glänzte rot in Oandaths Licht. In den Schattentagen würde er wunderschöne hellblaue Blüten bilden, die sich zu großen, weißen Früchten entwickeln würden. Mechan hatte nichts mehr geliebt, als in jenen Tagen, an denen die tödliche Sonne nicht aufging, mit ihren Brüdern hinaus zureiten, um sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen. Ob sie überhaupt noch lebte, wenn die Blüten das nächste Mal erscheinen würden? Wahrscheinlich hatte sie noch die größte Wahrscheinlichkeit zu überleben. Ihre Hand war immerhin etwas wert, während ihre Brüder und ihr Vater nur eine Gefahr waren.
Ein bitteres Lachen bahnte sich in ihr an und kurz darauf schüttelte sie sich vor Lachen, getränkt mit Ungewissheit und Angst.
Ihre Eselstute blieb stehen und ihre langen Ohren zuckten verwirrt.
Erst als sie Reiter erblickte, beruhigte sie sich und setzte sich ordnungsgemäß auf.
„Mechan!“, hörte sie schon von Weiten die Stimmen ihrer Begleiter. Vor fünf Tagen war sie mit ihnen und ihrem älteren Bruder zur Jagd aus Asinat aufgebrochen, doch hatte sie sich von ihnen abgesetzt, um auf Shurehms Hengst zu reiten.
Liub war der Erste, der sie erreichte. Besorgt musterte der Anführer ihrer Eunuchen-Wache sie. Auch seine Haltung hatte sich verändert. War er zuvor zwar aufmerksam, jedoch entspannt gewesen, so lag seine Hand nun auf dem Knauf seines Säbels und sein ganzer Körper hatte sich mit dem Gefühl der Gefahr angespannt. In seinem Gesicht war jene Härte und Unerbittlichkeit aufgetaucht, mit denen er sich nie in den Zeiten des Friedens schmückte.
„Ist alles in Ordnung, Hoheit? Wo ist Euer Bruder?“, fragte er.
Sie war erstaunt wie ruhig ihre Stimme klang, als sie antwortete: „Aus dem Süden zieht ein Heer von Soldaten auf uns zu. Prinz Shurehm ist geritten, um meinen fürstlichen Vater und die Festungen zu warnen.“
Liub reagierte sofort, wofür sie ihm dankbar war. Aus der Gruppe, die sie soeben erreichte, rief er einen ihrer Soldaten und befahl ihm, ihre Beobachtung zu überprüfen. Weitere schickte er aus, um die unmittelbare Umgebung zu sichern.
„Was ist denn los?“, fragte Bareg, ein niederer Adeliger aus Asinat, der mit Shurehm befreundet war, sie verwirrt.
Mechan warf einen Blick über die Gruppe. Niedere Adelige und reiche Bürger, sowie weitere Männer vom Hof ihres Vaters, bildeten den Großteil der Gruppe. Zwei ihrer Mägde hatten sie als Anstandsdamen begleitet und standen nun erschrocken mit eingezogenen Köpfen neben einer Gruppe Soldaten. Mechan würdigte sie nur mit einem flüchtigen Blick, während sie den jungen Mann, der ein wenig abseits stand, genau musterte.
Djurehm. Obwohl ihr Bruder nur einen Schattentag weniger als sie zählte, war er deutlich unsicherer und es glich einem Wunder, dass er sie überhaupt begleitet hatte. Einem Wunder und ihrer Überzeugungsarbeit. Sie zwinkerte ihm zu, bevor sie Karassub zu sich winkte, der neben sie trat. Da es sich für gewöhnliche Frauen nicht ziemte und bei Hochadeligen ausdrücklich verboten war, mit Männern außerhalb ihrer Familie zu sprechen, gab ein Eunuch, der Ehrenmund, ihr Wort in Gesprächen weiter, um ihre Ehre zu wahren.
In raschen Worten erklärte sie mit Karassubs Hilfe die Situation. Entsetzen breitete sich auf den Gesichtern der Männer und beiden Frauen aus. Flüche und hastige Gebete ertönten, doch dann brach geschäftige Betriebsamkeit aus. Die Pferde wurden auf Verletzungen untersucht, das Gepäck kontrolliert und sicher auf den Packeseln festgezurrt.
Als die ausgesandten Soldaten zurückkehrten und ihre Beobachtungen bestätigten, war alles bereitet, um den Heimweg anzutreten.
Als der Zug sich in Bewegung setzte, fand Mechan sich an der Spitze neben ihrem Bruder wieder. Jetzt, wo Shurehm sie verlassen hatte, war es seine Pflicht, die Gruppe zu führen, denn als drittgeborener Fürstensohn Asinats war er der Ranghöchste.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn leise.
Mit einer Geste bedeutete sie den Reitern direkt hinter ihnen, den Abstand ein wenig zu vergrößern, damit sie ihr Gespräch nicht verstanden.
„Natürlich, ist alles in Ordnung“, entgegnete er mit beißendem Spott. Überrascht blickte Mechan ihn an, denn solche Gefühlsausbrüche war sie von ihrem jüngeren Bruder wahrlich nicht gewohnt. Allerdings hatte sich auch noch nie ein so großes Heer in Richtung ihres Fürstentums bewegt.
„Hinter uns reiten Soldaten, die wahrscheinlich alles zerstören wollen, was mir lieb und teuer ist und du fragst, ob es mir gut geht?“
In seinen Augen blitzte es verdächtig, so dass die Prinzessin sich nichts mehr wünschte, als ihren Bruder in den Arm zu nehmen und ihm die Angst zu nehmen. Doch es war etwas, was sie unmöglich tun konnte und so trieb sie ihre Eselsstute nur näher an seinen Wallach heran.
Sie hasste es, dass sie zu ihm heraufschauen musste.
„Hör mir zu“, flüsterte sie eindringlich, „Spar dir deine Tränen. Sie schaden mehr, als dass sie nutzen und säen Unsicherheit bei den Männern, die dir folgen.“.
„Ich sehe doch, dass du auch geweint hast“, entgegnete Djurehm bissig.
„Das mag sein“, stimmte sie zu, „Doch in der Einsamkeit und nicht vor den Männern.“
Einen Moment hielt sie inne, dann meinte sie: „Erzähl mir lieber, was du herausgefunden hast.“
Natürlich war ihm bewusst, dass dies nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver ihrerseits war, doch konnte er sich der Bitte kaum verschließen.
„Du hattest Recht“, erzählte er mit Augen, die für einen winzigen, kostbaren Moment Begeisterung zeigten, „Hier in dieser Gegend gibt es tatsächlich ein größeres Vorkommen dieses seltsamen Rohstoffes. Ich weiß nur noch nicht, welcher Rohstoff es ist, bin mir jedoch sicher, dass er keinem unserer heimischen Schmiede bekannt sein wird.“
„Ich bin mir sicher, dass ich diese Steine schon einmal irgendwo gesehen habe“, murmelte Mechan nachdenklich.
„Sie sind Wasser abweisend“, fuhr Djurehm fort und riss sie aus ihren Gedanken.
„Wirklich?“, fragte sie überrascht.
„Ja, es perlt an ihnen ab und scheint überhaupt nicht oder kaum zu in ihrer Struktur zu versickern.“
„Interessant“, meinte sie, doch drifteten ihre Gedanken schon bald wieder ab, während ihr Bruder über den Einfluss des Sonnenlichts auf diese Steine weitererzählte.
Bald schon merkte er, dass sie ihm nicht mehr zuhörte und die Geschwister versanken in ihren eigenen, düsteren Gedanken.
Als Miandaths Licht sich dem Horizont zuneigte, zogen sie sich in dieselbe Höhle zurück, die sie auch schon auf dem Hinweg genutzt hatten. Mechan bedauerte die verlorene Zeit, die ihnen bis zum Sonnenaufgang noch blieb. Doch wäre es eine Dummheit auf den sicheren Schutz zu verzichten und ein Risiko einzugehen, das sie leicht mit dem Tod bezahlen konnten. Für einen einzelnen Reiter mochte es Spalten im Fels geben, die vor der tödlichen Sonne schützten, aber eine größere Gruppe wie die ihre musste jeden Schutz nehmen, den sie finden konnte.
Sie zogen sich so weit in das Innere des Berges zurück, wie es ihnen möglich war und schlugen dort das Nachtlager auf, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass keine gefährlichen Tiere in der Nähe waren.
Sie aßen kaltes Wild, das sie am vorigen Tag erlegt hatten, um kein Feuer zu entzünden und legten sich dann schlafen.
Mechans Träume waren erfüllt von Schrecken und Furcht. Ihre Heimatstadt Asinat, die lichterloh brannte. Ziellos rannte sie durch die Straßen, während Gebäude um sie einstürzten und Menschen panisch flüchteten und ihren wenigen, verbliebenen Besitz an sich rafften. Dann auf einmal war sie alleine, doch die Schreie gellten immer noch um sie herum und so sehr sie sich auch die Hände auf die Ohren presste, es war unmöglich, ihnen zu entkommen. Verzweifelt sank sie auf den Boden nieder, hielt sich die Ohren und wie zufällig streifte ihr Blick die Banner über der Mauer. Der goldene Kranz auf dunkelblauem Feld stand scheinbar unberührt über dem Chaos und vermittelte Mechan ein Gefühl zeitloser Sicherheit. Doch als ein Brandpfeil in das Stück Stoff einschlug, zerfiel auch diese letzte Sicherheit und ging in Flammen auf. Sie schrie wie ein verwundetes Tier, als sie das Zeichen ihres Hauses vernichtet werden sah und es gab nichts in ihr, was diesen tiefen Schmerz zu stillen vermochte.
Zitternd wachte sie auf und öffnete die Augen. In der Höhle war es dunkel, so dass sie kaum die Hand vor den Augen erkennen konnte.
Nachdem sie eine Zeit langsam ein- und ausgeatmet hatte, legte sich die Angst ein Stück weit. Neben ihr raschelte es.
„Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte Djurehm leise, um die anderen nicht zu stören. Sie erschrak, als sie seine Stimme vernahm und fragte sich, wie viel er von ihrem Albtraum mitbekommen hatte. Sie hasste nichts mehr als Schwäche. Selbst ihrem jüngsten Bruder gegenüber – vor allem ihn gegenüber – war es ihr unmöglich das zuzugeben. Und dennoch war in diesem Moment etwas da, was sie verband und die Grenzen, die Mechan sonst zog, unerheblich werden ließ. Es dauerte einen Moment, dann verstand sie, dass es dieselbe Furcht war, die sie teilten.
„Nein“, flüsterte sie. Einen Moment zögerte sie, dann fügte sie hinzu: „Ich sah Asinat brennen und es gab kein Wasser, um diesen Brand zu löschen.“
Seine Hand umfasste ihr Handgelenk und hielt es fest. Seine Hände waren eiskalt und sie erzitterte unter seiner Berührung, auch wenn es nicht der Kälte wegen war. Sondern aufgrund der Kraft, mit der er ihr Handgelenk umklammerte. Unerbittlichkeit. Ein Charakterzug ihres Bruders, der ihr zuvor nicht bewusst gewesen war.
„Das wird nicht geschehen“, wisperte er eindringlich, „Vater wird es verhindern.“
„Das wird er“, erwiderte Mechan, um seine Hoffnung nicht zu zerstören. Ihr Vater mochte mächtig und klug sein, aber er konnte es nicht mit der ganzen Welt aufnehmen. In ihrer Kindheit mochte dies so erschienen sein, aber nun war sie erwachsen und verstand, dass ihr Vater viele Feinde hatte.
Er lockerte seinen Griff und sie spürte wie etwas in ihre Handfläche gelegt wurde. Instinktiv schloss sie die Finger um die glatte Oberfläche.
„Möchtest du es behalten? Du hast Steine schon immer lieber gesammelt als ich.“
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den Stein umfasste, mit dem sie ihn auf den Jagdausflug gelockt hatte.
Schon als Kind hatte sie Steine von jedem Ort mitgenommen, an dem sie gewesen war und hatte sie in den Innentaschen ihres Byeros aufbewahrt. Vor einigen Wochen war ihr dieser Stein wieder in die Hände gefallen und ihr war seine seltsame Struktur aufgefallen. Da ihr Bruder sich sehr für Wissenschaft und Forschung interessierte, war er mit ihr aufgebrochen, um den Fundort genauer zu untersuchen.
Einen Moment überlegte sie, was gewesen wäre, wenn dieser Stein nicht gewesen wäre…Wie früh wären die Feinde ohne den Jagdausflug bemerkt worden? Wenn dieser Stein sie auch nicht gerettet hatte, so hatte er ihnen doch benötigte Zeit verschafft.
Djurehm raschelte neben ihr.
„Schlaf gut, Jael.“
Mechan hielt mit der Veränderung ihrer Position, die sie soeben begonnen hatte, inne. Noch nie hatte Djurehm sie bei ihrem Spitznamen genannt. Ihr ältester Bruder Ifurehm hatte vor einigen Jahren mit dem Hinweis, dass sie zu alt für solche Kinderspiele war, aufgehört sie mit diesem Namen zu rufen. Doch ihr jüngster Bruder hatte, ohne ihr die Gründe zu nennen, sich geweigert, ihren Spitznamen zu nutzen. Und so war bis jetzt Shurehm der Einzige gewesen, der sie so nannte.
Obwohl sie nicht mehr als die Schemen von einander erkennen konnten, schien Djurehm ihre Verwirrung zu spüren.
„Irgendwann muss ich ja damit anfangen“, erklärte er leise, „Und wenn nicht jetzt, wann dann?“
Seine Worte riefen ihr einmal mehr die schreckliche Ungewissheit der eigenen Zukunft ins Gedächtnis.
Sie antwortete nicht.
Am dritten Hicurathstag des fünften Lichttages trafen sie in Asinat ein. Mechan war erleichtert, als sie erkannte, dass ihre Heimatstadt noch stand und das Banner ihrer Familie weiterhin über den Mauern der Stadt flatterte. Es war eine instinktive Furcht gewesen und auch wenn sie eigentlich wusste, dass kein Heer schneller als ihr kleiner Jagdtrupp sein konnte, hatte sie diese Angst doch nicht vertreiben können. Nur offen zeigen tat sie diese Erleichterung nicht.
Wie jedes Mal war sie beeindruckt von der Größe und der geschickten Bauweise, die ihre Erbauer optimal beherrscht hatten.
Die Stadt war in einer tiefen Schlucht gebaut, so dass die Sonne nur wenige Stunden wirklich tödlich war. Sie drängte sich zwischen Hänge und Felswände und war nach den Maßstäben anderer Städte Eletaks klein. Im Gegensatz dazu war sie sehr gut befestigt, was daran lag, dass sie nur von Westen überhaupt erreichbar war. Die anderen drei Himmelsrichtungen wurden von steilen und hohen Felswänden geschützt, die ein geschickter Kletterer zwar mit viel Mühe und Zeit überwinden mochte, aber kein Mann in Rüstung und Waffen.
Der westliche Stadtteil war deshalb von einer hohen und dicken Mauer aus hellem Stein umgeben. Über den Türmen wehte der goldene Kranz auf dunkelblauem Grund und verkündete jedem, unter wessen Herrschaft diese Stadt stand.
Mechan war stolz auf ihre Heimat. Das Fürstentum mochte klein und unbedeutend neben der mächtigen Nachtbarstadt Kantigark erscheinen, doch waren seine Bewohner stolz, verlässlich und wehrhaft. Sie würde ihre Heimat gegen keine andere tauschen wollen.
Das Stadttor war mit einem Gitter verschlossen wie Mechan zufrieden registrierte. Soldaten erschienen über der Mauer und ein Offizier führte zur Begrüßung die rechte Hand an die Stirn.
„Willkommen daheim, Prinz Djurehm und Prinzessin Mechan.“
Das Fallgitter wurde hinaufgezogen und wieder verschlossen, nachdem sie in die Stadt geritten waren.
Der Offizier stieg die Treppenstufen hinab, die zum Wehrgang hinaufführten und verneigte sich vor ihnen.
„Ihr Vater wünscht, dass Ihr nach Eurem Eintreffen sogleich zu ihm kommt, Prinz Djurehm.“
„Natürlich“, entgegnete ihr Bruder, während er versuchte sein Pferd zu beruhigen, das nervös auf der Stelle tänzelte.
„Dasselbe gilt für Eure Schwester.“
Er sprach zu Djurehm und nicht zu ihr, so wie es die Ehre gebot. Dennoch deutete Mechan ein Nicken an zum Zeichen, dass sie ihn gehört hatte.
Sie wartete bis Djurehm sein Pferd wieder beruhigt hatte und die Führung der Gruppe übernehmen konnte, dann trieb auch sie ihren Esel an.
Die zuckenden Ohren des Tieres verrieten die Aufmerksamkeit und Nervosität des sonst so störrischen Tieres, was in Mechans Augen jedoch durchaus verständlich war. Der plötzliche Gehorsam der Stute überraschte sie dennoch.
Die Stadt, von der sie immer als ihre Heimat gedacht hatte, war auf einmal so fremd, dass sie Asinat kaum wieder erkannte. So ähnlich musste es damals gewesen sein, kurz nach Mechans Geburt, als die Piraten von den Münzsteinen die Stadt belagert hatten.
Doch im Gegensatz zu damals waren ihre Gegner nun anscheinend ausgebildete Soldaten und keine Piraten, die hauptsächlich auf Überraschung und ihre schnellen Schiffe setzten. Zuvor war der Angriff nicht mehr als ein ferner Gedanke, eine unbestimmte, kaum in Worte zu fassende Furcht, aber jetzt wurde er durch die Belagerungsvorbereitungen Realität.
Mehr Soldaten als gewöhnlich patrouillierten durch die Straßen und Gassen, schweißüberströmte Arbeiter schleppten Steine zur Verstärkung der Mauern heran und wehrfähige Männer übten auf den öffentlichen Plätzen mit Bogen und Säbel. All die Waffen, die sonst zur Arbeit dienten, wurden nun zur Blutarbeit geschärft. Mechan sah Männer, kaum dem Kindesalter entwachsen, die Speisemesser in der Tür ihres Hauses schleiften. Die Schmiedefeuer am Rande der Stadt brannten unablässig und erhitzten nun den Stahl für Waffen anstatt für die geschmiedeten Kunstwerke, die Asinat in ganz Eletak bekannt machten. Kinder, die gewöhnlich die Straßen bevölkerten, waren verschwunden und wurden ängstlich von ihren Müttern zurückgehalten und beobachtet. Kundgebungen zur Information der Stadtbewohner wurden auf öffentlichen Plätzen von Offizieren und höherrangigen Verwaltungsdienern abgehalten.
Die Einzigen, die sich nicht an den Verteidigungsmaßnahmen beteiligten, waren die Priester. Egal welcher Gottheit sie dienten, vor jedem Tempel oder heiligen Stätte hatten sich verwirrte Priester versammelt, die laut in der Tempelsprache Daerai diskutierten. Dass Mechan verbotenerweise diese Sprache lesen und auch ganz gut verstehen konnte, wussten sie nicht und so schnappte sie einige Brocken auf. Als sie den obersten Viandav-Priester erblickte, der zornig auf einige Priester einredete und dabei immer wieder nach seinem rituellen Dolch griff, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war kaum verwunderlich, dass die Priester nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Die Piraten der Münzsteine waren Fremde gewesen, die nicht an ihre Religion glaubten, doch ihre Gegner nun waren Gläubige und vielleicht kamen sie auch auf Befehl des Hochtempels. Offiziell standen die Priester in internen Fürstenstreitigkeiten neutral, aber praktisch war das unmöglich. Nun wussten sie nicht wie sie sich gegenüber Fürst Dirasrehm und ihren Schutzbefohlenden verhalten sollten.
Mechan lächelte dennoch – sie hatte den Tempel schon immer gehasst.
Die Burg Asinats erhob sich mächtig und stolz hinter dem zweiten Mauerring. Sie stand erhöht auf einem Felsen inmitten der Stadt. Umgeben war sie von offenen Flächen, damit sich kein Feind unbemerkt nähern konnte. Ebenso wie die Stadt war sie klein, aber wehrfähig. Niemand musste mehr das genaue Datum ihrer Erbauung, auch wenn der Sage nach der Gründer ein geflohener Prinz aus Kantigark war. Und obwohl niemand die Wahrheit kannte, berief sich noch bis zum heutigen Tag ihre Familie auf sein Blut.
Das Fallgitter der äußeren Mauer und auch das der Vorburg war hochgezogen, doch rege Geschäftigkeit herrschte auch hier. Auf dem Hof der Vorburg ließ Mechan sich vom Rücken der Eselstute gleiten und übergab die Zügel einem Stallburschen, der das Tier zu den Stallungen an der Außenmauer führte.
Kurz sah sie ihm hinterher, dann wandte sie sich zu Djurehm um.
„Lass uns Vater suchen“, bat sie. Es war die einzige logische Schlussfolgerung. Wenn Mechan sich als Kind verletzt hatte, war sie sowohl zu ihrem Vater als auch ihrer Mutter gerannt. Die Reaktion war unterschiedlich gewesen, aber sie beide hatten ihre Liebe immer und allzu deutlich gezeigt. Ihre Mutter war seit acht Schattentagen tot und so war ihr Vater der Einzige, zu dem sie gehen konnte, damit er ihre Ängste zerstreute.
Ihr Bruder nickte nur und gefolgt von einigen Soldaten ihrer beiden Wachen überquerten sie den Hof, traten am Wirtschaftsgebäude vorbei in den inneren Burghof und gingen in Richtung Kemenate.
Mit großer Freude entdeckte Mechan ihre beiden ältesten Brüder auf dem Hof, die sich mit einigen Generälen und Ratgebern ihres Vaters unterhielten.
Als Shurehm sie erblickte, hob er die Hand zum Zeichen der Unterbrechung und ging eilig auf sie zu. Ifurehm folgte ihm wenig später.
„Du hast es geschafft“, stellte Mechan fest und musterte ihren Bruder. Er schien nicht verletzt zu sein, doch zierten Erschöpfung und Auszehrung sein Gesicht.
„Natürlich“, erwiderte er mit heiserer Stimme. „Alle Grafen und Festungen westlich und südlich von uns sind gewarnt und weitere Boten sind unterwegs, um die östlichen und nördlichen zu benachrichtigen.“
„Hat Nochrehm schon Nachricht geschickt?“, fragte sie. Nochrehm war der jüngere Bruder ihres Vaters und Befehlshaber über Adlersicht, eine strategisch wichtige Festung an der Küste.
„Nein“, mischte sich nun ihr ältester Bruder Ifurehm ein. „Shurehm ist schnell geritten, aber so schnell, dass die Boten Nochrehm schon erreichen konnten, ist auch das schnellste Pferd nicht.“
Der Schatten eines Lächelns strich über sein Gesicht, als er mit warmer Stimme meinte: „Du hast gute Augen, Schwester. Gut gemacht!“
Obwohl der Grund dieses Lobes ein trauriger war, konnte sie eine Erwiderung des Lächelns nicht verhindern. Shurehm lächelte oft, aber Ifurehms war eine Kostbarkeit, von denen sie kein Einziges verpassen wollte.
Einen Moment schwieg sie, dann meinte sie vorsichtig: „Es tut mir leid, Ifurehm. Du weißt schon…Denef.“
„Es ist selten, dass dir die Worte fehlen, Mechan. Doch du hast Recht, auch ich bedauere, dass ich Denef nicht wie geplant in den Stand meiner Ehefrau erheben kann. Sie ist ohne Zweifel eine gute und ehrenvolle Frau.“
Einen Moment fragte sie sich, ob er seine Anvertraute wohl geliebt hatte. Aber wie sollte das auch möglich sein, wo er Denef ihres Wissens nach erst vier Mal gesehen hatte?
Einen Moment wusste keiner genau, was er sagen sollte.
Shurehm brach das Schweigen, indem er sagte: „Vater erwartet euch an dem Ort“
Sie wusste sofort, was er meinte und mit einer Verabschiedungsgeste wandten sie und Djurehm sich von ihren Brüdern ab.
Sie fanden ihren Vater an dem genannten Ort in den geheimen Höhlen unterhalb der Burg. Hier wurde der größte Schatz ihres Vaters aufbewahrt: seine Bücher.
Außer der Familie kannte niemand den Zugang zu diesem Ort, denn Bücher waren ein Vorrecht des Tempels und verbotenerweise zu lesen, war eines der schlimmsten Verbrechen, die man begehen konnte.
Fürst Dirasrehm hatte sich um dieses Verbot nie sonderlich gekümmert und so fuhren seine Finger auch jetzt über die Zeilen eines Buches, während seine Augen eine Karte musterten, die an der Wand aufgehängt war. Ohne aufzusehen, meinte er: „Willkommen zurück, Djurehm und Mechan.“
Mit einer Geste bedeutete er ihnen, näher zu treten.
„Wie sieht es aus?“, fragte sein jüngster Sohn, während er sich vor die Karte stellte und versuchte, die Zeichnungen auf die Realität zu übertragen.
„Schlecht“, entgegnete ihr Vater ernst, „Der Hochtempel hat den heiligen Krieg gegen mich erklärt und die Fürsten folgen ihnen nur allzu bereitwillig.“
„Woher weißt du, dass es der Hochtempel ist?“ Djurehm warf seiner Schwester einen raschen Blick zu und kreuzte seine Beine, wie immer, wenn er nervös oder verängstigt war, „Mechan hat nur Soldaten und keine Wappen gesehen.“
Mechan hatte ihren Vater aufmerksam beobachtet und so konnte sie die Antwort leicht von seinem Gesicht ablesen.
„Die hiesigen Tempel haben es ihm verraten“, erklärte sie ruhig.
Der Fürst nickte. „Richtig. Mir ist es gelungen, einige der Briefe des Hochtempels abzufangen. Die Nachrichten tragen Eraz’ Unterschrift, doch scheint mir die Sprache, eher Anasah zu entsprechen. Ich vermute, dass die Initiative von Anasah ausgeht, sie Eraz überzeugt hat und Enisah und Mirvuh sich nicht daran beteiligt haben.“
„Was wirst du jetzt tun?“, fragte Djurehm.
Mechans Finger strichen über die kostbaren Bucheinbände, die in nicht minder kostbaren Regalen aus Holz geordnet waren, und trieben sie fort von der Antwort ihres Vaters. Vor acht Schattentagen hatte er sie das erste Mal mit hinab genommen, kurz nach dem Tod ihrer Mutter. Hier hatte sie eine Zuflucht vor Trauer und Schmerz gefunden und hier hatte sie sich das Wissen angeeignet, was nun ihren Charakter formte.
Als sie wieder aufblickte, war ihr Bruder verschwunden und ihr Vater stand sie betrachtend inmitten des Raumes.
„Tränen seien keine Schande in der Trauer Zeiten“, meinte er sanft.
„Sireg“, nannte sie leise den Autor des Zitates. Es war leichter, über den Autor als über ihre Gefühle nachzudenken und diese gar auszusprechen.
„Du darfst weinen“, wiederholte er mit einer ruhigen Stimme, der jedes Zeichen von Furcht fehlte.
Und die Tränen flossen. All die Verzweiflung und Angst, die sich seit der unheilvollen Entdeckung in ihrem Inneren angestaut hatte, brach die Grenzen und floss hinaus.
Die Hand ihres Vaters strich beruhigend über ihren Rücken. „Ruhig.“
Er umfasste ihr Kinn und hob es an, bis sie sich direkt in die Augen blickten.
„Hör mir zu“, bat er, „Von all meinen Kindern bist du diejenige, die mir am ähnlichsten ist und deshalb bin ich mir sicher, dass du weißt, was du tun musst. Ich kann dir keine Worte der Sicherheit und Beruhigung geben, denn ist mir nicht bewusst, was geschehen wird. Ich weiß nicht, ob ich die nächsten Wochen überleben werde, denn ich habe dem Hochtempel getrotzt und das ist niemals ratsam. Doch habe ich nach unseren Worten gehandelt und ich möchte, dass du dasselbe tust.“
„Durch Wahrheit zu Ehre“, flüsterte sie unter Tränen.
„Ja, dies sind die Worte unseres Hauses und wenn du danach lebst und sie zum Teil deiner Identität werden lässt, wird sie dich verändern und stärken.“ Einen Moment stockte er und dann sah er ihr so tief in die Augen, wie sie es nie zuvor erfahren hatte. In diesem Augenblick schien es ihr, als könne sie das Herz ihres Vaters mit all seinen Leidenschaften und Fehlern erkennen.
„Wenn alles verloren scheint, wende dich nach Süden. In Sandele gibt es einen mächtigen König, der dir helfen wird. Folge dem Todesfeuer bis zu den toten Ebenen. Wo sie auf das Ratibar-Meer treffen, fange an zu suchen.“
Mechan bewahrte diese Worte in ihrem Herzen, denn ihr war bewusst wie wichtig dieser Rat war. Mochte Sandele auch als dunkles Land ohne Götter bekannt sein, so wusste sie umso mehr, dass sie ihrem Vater vertrauen konnte.
„Wie heißt er?“, fragte sie.
„Seinen Namen musst du selber herausfinden, denn ich kenne ihn nicht, aber vielleicht können die Tiakar dir helfen.“.
Er hauchte einen Kuss auf ihre Stirn, umfasste ein letztes Mal ihre Hände, dann stieg er die Treppen zur Kemenate hinauf.
Stumm sah sie ihm nach wie er seinen Pflichten entgegenging und instinktiv wusste sie, dass ihr Weg ein anderer sein würde.
Sie wusste nur nicht, wohin er sie führen würde.