Das Jahr 11 des Eraz, MAE, im Heerlager vor Asinat
Schweige, wenn du einem Diener der Götter gegenübersteht, um kein Unheil aus dieser Begegnung zu erhalten.
Sprichwort unbekannter Herkunft
In dieser Situation reagierten alle Männer gleich. Ob es nun Eraz war, Kialrehm oder nun Asarak. Selbst Antirehm schwärmte gerne von seinem Zuchthengst.
„Ich habe dem Hohepriester von Eurer großen Leidenschaft für gute Pferde erzählt“, erklärte Anasah, „Und er war so großzügig, Euch einen seiner Hengste zu überlassen, da er überzeugt ist, dass er bei Euch die benötigte Aufmerksamkeit und Zeit erhält.“
„Richtet seiner höchsten Demütigkeit meinen Dank aus“, murmelte Asarak, die Augen nur auf den Hengst vor ihm gerichtet. „Es ist wahrlich ein prächtiges Tier.“ Mit langsamen Schrittet trat er auf den Fuchs zu und redete mit ruhigen Worten auf ihn ein. Dann hob er seine Hand und streichelte ihm über den sternförmigen, weißen Fleck zwischen den Augen. Der Hengst wieherte und wich zurück, soweit es ihm die von zwei Sklaven gehaltenen Stricke ermöglichten. Asarak versuchte weiterhin auf das Tier einzureden, doch wollte sich dieses nicht beruhigen lassen und stieg mit wirbelnden Vorderhufen.
Der neue Besitzer wich kopfschüttelnd zurück.
„Das Tier ist total verängstigt. Ist irgendetwas mit ihm geschehen?“
Anasah setzte eine sorgenvolle Miene auf.
„Vor dem Hohepriester gehörte er einem Gsnias, der es an seine höchste Demütigkeit verkaufen wollte. Bevor der Verkauf zustande kam, starb der Gsnias bei einem Ritt unter ungeklärten Umständen. Der Hohepriester kaufte das Tier daraufhin dem Sohn des Verunglückten ab, aber seitdem ist der Hengst verängstigt und nervös.“
„Nun gut“, entgegnete Antirehms Bastard, „Er muss eine ordentliche Ausbildung erhalten, aber ansonsten scheint es mir ein prachtvolles Tier zu sein. Hat er einen Namen?“
„Eraz hat ihm keinen gegeben und ich weiß nicht, wie der Gsnias ihn nannte.“
„In Ordnung, dann soll sein Name von heute Bareslavs Flamme sein.“
„Ein guter Name“, empfand die Hohepriesterin, „Möge er Bareslav in diesen Gefilden ein Zeichen setzen, auf dass alle Menschen die Größe des Gottes erkennen.“
„So soll es sein“, beschloss Asarak.
In diesem Moment eilte eine junge Suchende Priesterin namens Jisat auf sie zu und Anasah unterbrach das Gespräch abrupt. Mit einer entschuldigenden Geste in Richtung Asaraks, damit er das Gespräch nicht mithören konnte, ging sie der Frau entgegen.
„Was ist geschehen?“
Die Eandelath-Priesterin schluckte nervös. „Es tut mir leid. Der Hohepriester bat mich, Euch auszurichten, dass der Fürst von Kantigark das Lager verlassen hat.“
„Wohin?“
„In...Richtung Asinat“, stotterte Jisat.
Anasah erzitterte innerlich vor Zorn. Nicht über Antirehm, darüber freute sie sich, denn hatte sich der Fürst sein eigenes frühes Grab geschaufelt. Nein, vielmehr über die Tatsache, dass Eraz aus Furcht ihr unter die Augen zu treten, Anasah ihre Tochter schickte, damit sie über das Versagen ihres Vaters berichtete.
Mit einer raschen Handbewegung erlaubte die Hohepriesterin, Jisat abzutreten. Sie zwang sich ein Lächeln auf und trat zu Asarak, der nachdenklich sein neues Pferd musterte.
„Verzeiht, doch die Pflichten rufen nach mir. Ich hoffe, Ihr könnt meine Anwesenheit entbehren.“
Sie führte die Hand zum Abschiedsgruß und er entgegnete diesen mit einem wehmütigen Lächeln.
„Auf dass unsere Wege uns wieder zusammenführen, schönste aller Frauen.“
Anasah schenkte ihm ein letztes Lächeln, dann wandte sie sich – begleitet von ihren Wächtern - ab, um herauszufinden, was genau Eraz angestellt hatte.
Ohne sich von den Wachen ankündigen zu lassen, stürmte Anasah in das Zelt des Hohepriesters, der eben an seiner Mahlzeit saß. Als er sie erblickte, setzte er sich sichtbar beunruhigt grade hin und musterte sie.
„Hast du meine Nachricht erhalten?“, fragte er mit vollem Mund.
„Ja, das habe ich. Sag, warum schicktest du Jisat?“
„Ich dachte, dass du dich vielleicht freuen würdest, unsere Tochter zu sehen.“
Sie schnaubte.
„Du interessiert dich doch überhaupt nicht für das Mädchen, sondern nur für meine Reaktion. Also, was hast du getan?“
Eraz begann unruhig auf dem Teppich hin und her zu rutschen. „Ich…ich gab Antirehm die Erlaubnis, nach Asinat zu reiten und erst jetzt fiel mir auf, was für ein Fehler das war.“
Fassungslos starrte Anasah ihren Geliebten, den sie nicht liebte, an. Warum noch einmal hatte sie ihn nicht auf dem Himmelsfels zurücklassen wollen? Damit er sich nicht in den Ränken, die Mirvuh und Enisah spannten, verfing? Scheinbar schaffte er es auch unter ihrer Aufsicht, sich in unmöglichen Situationen zu verstricken.
Während sie noch um Beherrschung rang, fragte sie weiter: „Was genau hast du geschrieben?“
Als er ihr den genauen Wortlaut nannte, entspannte sie sich. Zwar war es eine weitreichende Erlaubnis, die er Antirehm gegeben hatte, doch war sie längst nicht unfehlbar.
„War jemand außer euch beiden in Hör – und Sichtweite?“
„Acht Soldaten von Antirehms Hohenwacht und zehn des Götterschildes, jedoch befanden sie sich in einem respektvollem Abstand, also außerhalb der Hörweite. Ansonsten war niemand in näherer Umgebung“, erklärte er, bestrebt ihren Fragen gerecht zu werden.
Sie nickte nur und fuhr fort: „Du hast unterschrieben, aber was ist mit deinem Siegel?“
Eraz zögerte kurz. „Ich…ich habe es nicht benutzt.“
„In Ordnung.“ Ein schwaches Lächeln zog sich über sein Gesicht, aber sie entgegnete es nicht. Ihre Gedanken rasten. Sollte sie es wagen? War jetzt die Zeit für Antirehms Sturz gekommen? Sie sah sein Gesicht vor sich, die Verachtung, mit welcher er sie strafte. Das große Wissen hinter seinen Augen, das ihr durchaus gefährlich werden konnte, wenn er überzeugende Beweise fand. Sie hörte die Überzeugungskraft in seiner Stimme, verspürte die Freude, die es ihr bereitete, wenn sie mit ihm diskutierte. Es mochte ein Spiel mit dem Feuer sein, aber bisher hatte sie sich nicht verbrannt.
Doch dann vermischte sich sein Gesicht auf einmal mit dem eines Anderen, dem Jungen aus ihrem Traum und sie bemerkte, dass es ähnliche Gesichtszüge waren, dieselben Augen und dieselbe Kopfhaltung. Nun wusste sie, was zu tun war.
Abrupt richtete sie sich auf.
„Hajad!“
Der Zelteingang wurde aufgeschlagen und der treue Anführer ihrer Wache trat herein.
„Die folgenden Worte sollen nicht an Männer außerhalb des Götterdienstes gelangen“, begann sie. Schweigend nahm Hajad ihre Anweisung zur Kenntnis.
„Reitet nach Asinat und stellt euch außerhalb der Stadt auf. Nimm so viele Männer mit wie du benötigst. Sobald er auftaucht, nehmt Fürst Antirehm von Kantigark in Gewahrsam und führt ihn zum Versammlungszelt. Verletzt ihn nicht und versucht auch seine Männer zu schonen. Behandelt ihn als Gast, nicht als Gefangenen. Wenn er in dieser Nacht nicht auftauchen sollte, sucht euch einen Unterschlupf und wartet solange, bis er erscheint.“
Mit unbewegter Miene entgegnete der Soldat: „Wie du befiehlst, höchste Demütige.“
„Weiterhin schickt Männer aus, welche die Fürsten zu einer sofortigen Versammlung einberufen. Keinem von ihnen ist es erlaubt zu fehlen. Und lasst die Geisel in unmittelbarer Nähe bewachen.“
Hajad führte die Hand zum Soldatengruß, dann schritt er auf ein Zeichen ihrerseits heraus und sie hörten ihn draußen Befehle rufen.
Anasah wandte sich zu Eraz um, der den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Auf ihren Blick hin schloss sie ihn wieder.
„Komm.“
Sie zogen sich nicht um, sondern gingen schmutzig wie sie waren, das würde überzeugender wirken.
Anasah trug ein Kleid in dunkelrot - der Farbe ihrer Göttin -, das mit dem Gelb Viandavs durchdrungen war. An den Schultern war ein kurzer Umhang aus roter Seide befestigt, gegen den sich ihre silbernen Haare abhoben. Als einzigen Schmuck trug sie an ihrem linken Arm einen Armreif aus purem Silber, in den ihr Siegel eingraviert war, sowie ihren Siegelring am zweiten Finger der linken Hand.
Eraz dagegen trug ein bodenlanges Gewand, das um die Hüfte mit einem vergoldeten Ledergürtel gegürtet war. Da er die einzige Person in ganz Eletak war, dem es erlaubt war, ein rein gelbes Gewand zu tragen, war er schon von weiten zu sehen. Eine schwere Kette aus einzelnen Goldplatten lag auf seiner Brust und eine weitere Platte mit einem dunkelblauem Edelstein in der Mitte war auf mit Hilfe eines Reifs auf seine Stirn gelegt.
Begleitet von einem Dutzend Wachen des Götterschildes schritten der Hohepriester des Viandav und die Hohepriesterin der Eandelath zum Versammlungszelt.
Anhand der Wachen erkannte Anasah, das Kialrehm und Liirehm bereits dort waren, während Osirehm und Hokrehm noch fehlten. Mit einer Handbewegung bedeutete die Hohepriesterin zwei der Wachen, ihr und Eraz in das Zelt zu folgen und dort Aufstellung zu nehmen, während die anderen draußen warteten.
Als sie eintraten, erhoben Kialrehm und Liirehm sich von ihren Plätzen und warteten, bis die höchsten Diener der Götter sich gegenüber des Eingangs niederließen, bevor sie sich selbst wieder setzten.
Liirehm bewegte sich so unruhig aus seinem Platz, dass jeder erkennen konnte, dass er etwas sagen wollte. Doch da der Rangordnung nach, Anasah oder Eraz zuerst ein Gespräch beginnen mussten, war ihm das nicht möglich.
Endlich - ohne, dass Anasah sich auch nur leicht gerührt hätte, trafen die beiden verbliebenen Fürsten ein. Hokrehm, nur in einfaches Wams und Hose gekleidet, sah aus, als hätte er zu dieser späten Stunde nicht mehr mit einer Versammlung gerechnet, während Osirehm selbst jetzt noch seine Rüstung trug.
Nachdem die beiden sich niedergelassen hatte, erklärte Anasah: „Nun gut. Mir tut es leid, dass ich euch schon wieder zu einer Versammlung gerufen habe, doch ließen die Umstände mir keine andere Entscheidung übrig.“
„Demütige?“, wagte Liirehm sie zu unterbrechen, „Wir sind noch nicht vollständig.“
Ein nachsichtiges Lächeln zierte die Mundwinkel der Hohepriesterin, als sie meinte: „Antirehms Fehlen in der Grund unserer Versammlung“
„Demütige!“, fuhr der Sohn des Fürsten von Lizarat entrüstet fort, „Wenn die Abwesenheit von Fürst Antirehm der Grund für diese eilige Versammlung ist, dann ist sie kaum zu dulden, denn entbehren Beschlüsse einer unvollständigen Versammlung jegliche Rechtskraft“
Anasah neigte den Kopf. „Ich leugne nicht, dass eben Antirehms Abwesenheit den Grund für diese Einberufung bildete, doch es wäre äußerst zuvorkommend, wenn ich die Angelegenheit nun schildern könnte.“
„Richtig“, unterstützte Hokrehm sie, „Viandavs Licht wird schon bald erscheinen.“
„Eure Umsicht ist äußerst zufrieden stellend, Fürst Hokrehm, doch befinden wir uns in einer Höhle und damit außerhalb seines leidenschaftlichen Blickes. Dementsprechend wird es für uns kein Problem darstellen, auch am Tag zu arbeiten.“
Anasah nickte ihrem ungeliebten Geliebten zu, der sich mit aller Würde seines Amtes erhob und mit ernster Stimme zu sprechen begann: „Fürst Antirehm ist ohne meine Erlaubnis oder die der verehrten Hohepriesterin, noch mit einem Beschluss des Rates, nach Asinat geritten.“
Auf einmal entlud sich die Stille in wildes Stimmengewirr. Die Fürsten von Hasuhar, Nisorat und Limisar saßen schon bald nicht mehr, sondern diskutierten laut und angeregt. Einzig Liirehm rührte sich nicht, sondern strich nur nachdenklich über seinen Bart.
„Ruhe“, befahl Anasah und obwohl sie leise sprach, verstummte die Diskussion so schnell wie sie begonnen hatte.
„Was wir benötigen, verehrte Fürsten, ist ein rasches Handeln. Fürst Antirehm mag erst am vorigen Tag angekommen sein, doch hatte er weitreichende Einblicke, in unsere Verteidigungsmaßnahmen, Logistik, Ausrüstung und Angriffsgruppen, sowie Taktiken. Wir können nicht ausschließen, dass Fürst Dirasrehm von Asinat bald mehr über uns weiß, als uns lieb ist.“
„Müssen deshalb sofort handeln!“, forderte Osirehm, der für seine kurze und knappe Sprache berüchtigt war, „Die Truppen müssen sofort zum Angriff vorbereitet werden!“
„Heute wird uns ein Angriff wohl kaum mehr möglich sein“, entgegnete Hokrehm pragmatisch, „Deshalb schlage ich vor, dass wir in Viandavs Licht das weitere Fortgehen besprechen, jedoch einen Teil der Truppen in Alarmbereitschaft versetzen und zusätzlich die Wachen um das Lager verstärken.“
Kialrehm, Osirehm und selbst Liirehm zeigten eine Geste des Einverständnisses an, womit sie den Vorschlag unterstützten und akzeptierten.
„Bis dahin haben ich und Eraz den Befehl erteilt, dass Fürst Antirehm zu uns geleitet werden soll, sobald er Asinat wieder verlässt.“ Als Liirehm schon zum aufgebrachten Protest aufsetzte, fügte sie hinzu: „Aufgrund der akuten Bedrohung war es mir leider nicht möglich, den Rat zu verständigen.“
„Dies ist verständlich. Ich danke euch für eure umsichtige Reaktion“, unterstützte Kialrehm sie,
„Dennoch fordere ich eine sofortige Bereitmachung des gesamten Heeres, da diese Situation nicht ungefährlich ist und wir einem Angriff Asinats unbedingt zuvorkommen müssen. Dieser ist nun, wo Antirehm dem Fürsten von Asinat sicherlich alles über unsere Verteidigungsmaßnahmen erzählt hat, umso mehr zu erwarten. Es ist Zeit, dass wir einen Angriff beginnen.“
Liirehm räusperte sich. „Ein Angriff kann nur befohlen werden, wenn alle Fürsten, die diesen Feldzug führen, anwesend sind, doch da dem nicht der Fall ist, können wir auch nicht angreifen.“
Mit einem Lächeln blickte Anasah den jungen Mann an.
„Was glaubt Ihr, Liirehm, ist Eurem Vater ein gesichertes Lager mit einer eroberten Stadt lieber, als ein zerstörtes Lager mit einer noch besser gerüsteten Stadt als zuvor? In seiner Abwesenheit hat Euer Vater Euch den Oberbefehl über die Truppen Lizarats gegeben, also ist es Eure Pflicht und Verantwortung, dies auch zu tun.“
„Wenn wir uns jedoch für einen Angriff entscheiden, muss es eine offizielle Kriegserklärung geben“, führte Liirehm weiter.
Er war mutig, das musste man ihm lassen.
„Selbstverständlich“, rief die Hohepriesterin im gespielten Erstaunen, „Und ich gedenke, ein eindrückliches Zeichen zu setzen.“
Mit klaren Worten gab sie einen Befehl nach draußen, der kurz darauf ausgeführt wurde. Ohne ein Wort der Begrüßung traten vier Soldaten des Götterschildes hinein und stießen den zweiten Sohn des Fürsten von Asinat in die Mitte der Fürstenversammlung. Shurehm wirkte nicht minder ruhig als am Morgen.
Liirehm war der Erste, der den unausgesprochenen Vorschlag, verstand.
„Nein“, rief er und sprang, jegliche Würde vergessend, auf. „das kannst du nicht machen!“
„Ich kann nicht?“, fragte Anasah mit gefährlich ruhiger Stimme und blickte den Sohn Beerehms an.
„Ich sag dir, was nicht geht: Das Fürsten, die sich unsere Verbündete nennen, unseren Glauben abschwören und jegliche Gedanken dessen wie Treue und Vertrauen loslassen und verachtend mit den Füßen treten.“
Mit bebenden Fingern deutete sie auf den Fürstensohn. „Das wäre nur konsequent. Er ist eine Gefahr für uns und den rechten Glauben, den auch du verteidigen solltest, Liirehm. Wenn du dich auf seine Seite stellen möchtest, dann steht es dir jetzt frei, diese Versammlung zu verlassen und zu Antirehm nach Asinat zu reiten.“
Mühelos entgegnete sie Liirehms zornigen Blick, doch schließlich war er es, der zuerst den Blick senkte und sich wieder setzte.
Nun wusste sie, dass er ihr keinen weiteren Widerstand leisten würde, wenn er seine Vertrauenswürdigkeit nicht endgültig verlieren wollte.
„Gut.“ Anasah setzte ein Lächeln auf und blickte in die Runde. „Wer stimmt meinem Vorschlag einer deutlichen Erklärung zu?“
Osirehm war der Erste, der die Hand hob, dicht gefolgt von Kialrehm und schließlich hob auch Hokrehm die Hand.
Immer noch rührte sich Shurehm nicht und Anasah wollte ihm das Lächeln vom Gesicht schneiden, das er noch immer trug, obwohl er doch soeben sein Todesurteil erhalten hatte. Es erinnerte sie zu sehr an Hesah und jeglicher Gedanke an Hesah brachte den Zorn in ihr zum Brodeln. Zorn ließ sie unkonzentriert und unkontrolliert werden und das konnte sie jetzt kaum gebrauchen.
Mit zitternder Hand winkte sie einen ihrer Soldaten, Rijar, heran, der bisher still an der Zeltwand gewartet hatte.
„Richtet Dirus-Ni aus, dass er alles für eine Hinrichtung vorbereiten soll, die im Morgengrauen stattfinden wird. Alle Männer bis auf die Wachhabenden sollen sich versammeln, ebenso sollen die Wachen verdoppelt werden.“
„Wie du wünscht, Demütige.“
Auf ein Zeichen ihrerseits verließ er das Zelt mit einer rückwärtigen Verbeugung.
Als Eandelaths weißes Licht den Horizont erfüllte, ritten die Fürsten hinter den Hohepriestern gemeinsam zum Hügel, auf welchem die Hinrichtung stattfinden sollte.
Anasah trug ein Seidenkleid in der Farbe ihrer Göttin, doch gerafft wurde es von einem breiten, hellgelben Gürtel, der Tod und Zorn symbolisierte. Es hatte einen weiten Ausschnitt, der einen Blick auf den Anasatz ihrer Brüste freiließ und den jede andere Frau außerhalb des Standes einer Priesterin niemals tragen würde. Auch ihre Arme waren nackt und wurden allein von den langen offenen Haaren bedeckt, die ihr bis zur Hüfte reichten. Es war ein Zeichen für Unverletzbarkeit.
Ein bodenlanger, roter Umhang, der Rolinke, mit dem Baum Oandaths, der bis auf die Höhe der Knie nach aktueller Mode zweigeteilt war, verdeutlichte die Autorität, die sie verkörperte. Ein Haarreif aus purem Gold lag auf ihrem Haar, verziert mit dem Edelstein Oandaths Tropfen, mit dem nur sie allein sich schmücken durfte.
Das Einzige, was sie störte, war, das die Fürsten und der Hohepriester auf sie hinab sahen. Schon immer hatte sie es gehasst, dass es ihr trotz ihres Standes als Hohepriesterin immer noch verboten war, auf einem Pferd zu sitzen. Und auch wenn die weiße Eselstute ein gutmütiges und gelassenes Tier war, besaß sie eben eine geringere Größe als die prächtigen Pferde der Männer, die somit auf sie herabsahen, was ein Zeichen von Schwäche war.
Auch Eraz neben ihr zeigte seinen Stand deutlich. Er trug ein dunkelgelbes, traditionelle Mindo, ein knielanges Hemd, das von der Hüfte an geschlitzt war und lange Ärmel hatte. Ein weiter mit Grün bestickter Ausschnitt offenbarte seine muskulöse Brust. Die braune, weite Pluderhose zeigte dagegen seine Volksnähe, denn war Brau die Farbe des Gewöhnlichen. Der Hohepriester trug keinen Schmuck im Haar, dafür aber einen vergoldeten Halsring, von dem ein goldenes Gitter abging, das den restlichen Hals, bis auf Höhe des Kinns, schmückte. Es war ein beeindruckendes Schmuckstück, das jedem den Reichtum des Hohepriesters offenbarte. Auch er trug den Rolinke, nur war seiner in Gelb und zeigte Viandavs Axt auf der Rückseite.
Die drei Fürsten und der Fürstensohn trugen nicht minder prächtige Gewänder, doch trugen sie im Gegensatz zu den Priestern einen Byeros über ihren Kleidern. Denn von Priestern nahm man an, dass sie durch ihre Weihe eine Haltung reinen Friedens eingenommen hatten und die Götter ihnen ihren Willen kundtaten, womit sie kein Kleidungsstück brauchten, das dies ausdrückte.
Wie auch Eraz trugen sie alle mehr oder wenige prächtige Mindos. Ihnen war es nicht erlaubt, ganze Kleidungsstücke in den vier wichtigsten Götterfarben Weiß, Silber, Gelb und Rot zu tragen, weshalb sich nur einzige Elemente dieser Farben dort fanden. Osirehm, Hokrehm und Kialrehm trugen Farben wie orange oder rosa, die zwar an die Götterfarben erinnerten und sie somit auch als Diener der Götter erschienen ließen, jedoch erlaubt waren. Einzig Liirehm fiel mit seinem dunkelblauem Gewand aus der Reihe und Anasah war sich sicher, dass dies eine Form des Protestes war, denn stand diese Farbe wie keine andere für Hoffnung und Träume. Sie entschloss sich es zu ignorieren, denn was ihr mehr Sorgen bereitete, war, dass sie immer noch keine Nachricht von Hajad erhalten hatte. Sie traute es Antirehm durchaus zu, dass er selbst den wachsamen Augen des Anführers ihrer Wache entging.
Unter den Augen von Tausenden Soldaten und Menschen des Trosses wie Schmiede, die Diener und Sklaven der Adeligen, Köche und Huren schritten sie zu dem Ort, wo gleich das Blut eines Verräters vergossen und eine Kriegserklärung ausgesprochen werden würde. Die Menschen standen still und hoben nur die Hände in stillen Gesten der Ehrehrbietung. Niemand wagte es diesen Moment zu unterbrechen und damit den Zorn der Götter und ihrer Vertreter auf sich zu ziehen. Einzig Schwerter klirrten, als die Soldaten sie zum Gruß an die Vorbeigehenden hoben und Stoff raschelte, wenn sie ihre Mäntel unter die Füße der höchsten und wichtigsten Menschen dieses Heerlagers warfen.
Erst als sie die Erhebung erreichten und die Hohepriester und Adeligen Aufstellung nahmen, rührten sie sich nicht mehr.
Ein in die Erde gerammter Holzpfahl stand in der Mitte des Hügels und links und rechts davon erhoben sich zwei Feuerstellen. Bestückt waren sie nicht etwa mit Flammsteinen, sondern mit echtem Holz. Holz, das aufgrund von Viandavs heißem Atem, so selten war, dass selbst Fürsten niemals auf die Idee kommen würden, es zu verbrennen. Stattdessen fertigten sie kostbare Möbel oder andere Gegenstände daraus, die ihren Stand und ihren Reichtum anzeigten. Keinen Thron aus Holz zu besitzen, galt schon als eine Beleidigung der Gastgeberpflichten und als Zeichen für Geiz. Andere Gegenstände, die beispielsweise mit Hilfe von Rankengewächsen, welche sich tagsüber in den schützenden Schoß der Erde zurückzogen oder sich mit einem schützenden Mantel aus Sekreten einhüllten, der in der Sonne erhärtete, gefertigt waren, kamen da schon häufiger vor. Bäume dagegen kamen nur in schattigen Tälern vor, zu welchen die Sonne kaum vordrang oder hatten so ausgeklügelte Schutzmechanismen entworfen, dass sie häufig für den menschlichen Gebrauch ungeeignet waren.
Dass nun Holz hier aufgeschichtet war, zeigte jedem, dass diese Hinrichtung mehr als außergewöhnlich war.
Anasah stieg von ihrer Eselstute ab und reichte die Zügel einem Diener, der sie an den Rand der Erhebung führte, wo wenig später auch die Pferde ihrer Begleiter hingebracht wurden.
Dann – plötzlich wie der Beginn der Schattentage – endete die Stille. Laute Rufe und zornige Schreie deuteten an, dass der Gefangene soeben herbeigeführt wurde.
Zufrieden beobachtete die Hohepriesterin wie die Menschen des Trosses, die keiner strikten Kleiderordnung unterworfen waren, ihre Schuhe auszogen und Shurehm die nackten Fußsohlen entgegenstreckten – das höchste Zeichen der Verachtung und Beleidigung, das es in Eletak gab.
Dennoch wirkte der Prinz von Asinat ebenso selbstsicher wie in jenem Moment, wo er den Knebel ausgespuckt hatte und meinte, sich auf jene Gesetze berufen zu müssen, die er an der Seite seines Vaters schon allzu oft gebrochen hatte.
Er trug frische Kleidung nach Asinater Mode mit keinem Ausschnitt und weit auslaufenden Ärmeln beim Mindo, das mit den goldenen Kränzen, die das Wappen Asinats bildeten, bestickt war. Seine dunkle Hose dagegen war eng anliegend und eindeutig nicht für Friedenszeiten gedacht, dazu ähnelte sie zu sehr der militärischen Uniform, welche die Soldaten Asinats und Kantigarks trugen.
Stolz und Unnachgiebigkeit schmückten dagegen sein Gesicht und seine ganze Körperhaltung ähnelte so sehr seinem Vater, das Anasah sich sicher war, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ein Überleben seinerseits hätte nur zu Problemen für die Durchsetzung der Tempelpolitik und dem Willen der Götter geführt.
„Bringt ihn auf seinen Platz“, befahl sie zwei Soldaten, die ihn daraufhin an dem Holzpflock festbanden.
Die Hände und Füße waren ihm gebunden, doch war er nicht geknebelt.
Und so erklärte er leise, als sie neben ihm stand: „Mein Tod wird nichts daran ändern, dass eines Tages ein Mensch meiner Heimat auf deinem Grab stehen wird und dir die Taten anrechnen wird, die du verdienst, Anasah.“
„Keine Sorgen. Deine Brüder und dein Vater werden sich bald zu dir gesellen“, entgegnete sie ebenso leise.
„Ich sprach nicht von meinen Brüdern und meinem Vater.“
Dann schwieg er und Anasah trat an den Rand des Hügels und rief: „Dieser Mann hat sich den Hochverrats schuldig gemacht, sowohl gegenüber den Gesetzen der Menschen als auch gegenüber denen der Götter. Sagt mir, was ist die gerechte Strafe dafür?“
„Tod!“, lautete die Antwort der Versammelten und laut schrieen sie dieses eine Wort, während sie zugleich mit den Füßen aufstampften.
„Und so soll es sein!“, erwiderte sie, nachdem die Menge unter einigen Handzeichen wieder verstummte.
Sie wandte den Kopf zur Seite und nickte den drei Fürsten und dem Fürstensohn zu.
Kialrehm war der Erste, der vortrat. Mit einer raschen Bewegung zog er seinen Byeros aus und schleuderte ihn auf den Holzstapel zur Linken Shurehms. Dann spiee er dem Sohn Dirasrehms ins Gesicht.
Osirehm und Hokrehm folgten seinem Beispiel. Nur Liirehm zögerte, doch wagte er es nicht, sich offen gegen den Beschluss des Rates zu stellen und entledigte sich ebenfalls des Zeichen des Friedens. Aber ins Gesicht spiee er Shurehm nicht.
Anasah und Eraz ließen sich von Sklaven zwei Fackeln reichen und hielten gleichzeitig das Feuer an den Stoff. Hungrig fraß es sich durch Holz und Stoff. Sie rührten sich erst wieder, als nur noch die Asche verblieben war. Auf ein Nicken hin traten die Sklaven herbei und sammelten die Asche in zwei Krüge, die sie jeweils Anasah und Eraz reichten. Diese traten gemeinsam vor, fassten sich dabei an den Händen, und streuten die Asche in einen Kreis um Shurehm.
Als sie fertig waren, traten sie zurück und Eraz bedeutete Kialrehm mit einer Handbewegung vorzutreten. Es war er, dem man die Ehre übertragen hatte, das Urteil zu vollstrecken. Von einem Sklaven ließ er sich einen Dolch reichen, denn gewährte man Shurehm – auch wenn es ein schneller Tod sein würde - nicht die Ehre eines ehrenhaften Todes durch den Säbel oder den Bogen.
Mit gezielten und kontrollierten Bewegungen legte der Fürst von Hasuhar den Stahl an Shurehms Hals und zog sie durch das weiche Fleisch. Blut drang aus der Wunde und tropfte auf die goldenen Kränze seines Mindos. Ein Gurgeln erklang, als Dirasrehms Sohn zu atmen versuchte. Doch bei der Verzweiflung in seinen Augen, verspürte Anasah nur Genugtuung. Ein feines Lächeln legte sich über ihr Gesicht, als sie den Todeskampf des Mannes beobachtete, der ebenso alt war wie ihr zweitgeborener Sohn. Dann erschlaffte der Körper des Prinzen von Asinats und Anasah war sich gewiss, dass seinem Geist der Eintritt in die Hallen der Götter verwehrt bleiben würde.
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich von dem Leichnam ab und verließ den Ort ihres Triumphes.
Die Menge verlief sich, auch wenn spätestens jetzt jedem bewusst war, dass es kein nun keinen Weg zurück mehr gab. Der Frieden mit Asinat war ohne jeden Zweifel endgültig beendet und Krieg unumgänglich geworden.
Als ihr die Nachricht von Antirehms Festnahme überbracht wurde, war die Hohepriesterin in einer Besprechung mit den obersten Verwaltern des Lagers, um die zur Verfügung stehende Logistik zu überprüfen.
„Das Problem sind die Wasservorräte“, erklärte einer von Osirehms Männern eben, „Sie sind nicht auf eine lange Belagerung ausgerichtet und bis auf drei unterirdische Quellen sind alle natürlichen Gewässer in unmittelbarer Nähe mit einem Gift vergiftet, für dass wir kein Gegengift kennen. Es ist nicht tödlich, doch wird es die Kampfesfähigkeit der Männer nicht eben stärken.“
„Wie lange reicht das Wasser?“
Ein älterer Offizier, der Erfahrung und Selbstsicherheit ausstrahlte, antwortete: „Wenn wir die Rationen nicht kürzen, in etwa drei Wochen.“
„In Ordnung“, entgegnete sie und trommelte mit den Fingern auf den Teppich.
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf andere natürliche Wasserquellen in näherer Entfernung Zugriff haben?“
Zwei Verwalter warfen sich einen unruhigen Blick zu und einer von ihnen ergriff das Wort: „Da wir die Gegend kaum kennen, würde dies eine lange Suche bedeuten und Kräfte binden, die vielleicht an anderen Stellen benötigt werden. Auch wissen wir nicht in welchem Umkreis, Dirasrehm die natürlichen Quellen hat vergiften lassen und wie viele es überhaupt von ihnen gibt. Ich würde jedoch raten, zumindest kleine Truppen loszuschicken.“
„Ich werde darüber nachdenken“, beschloss sie, „und es mit den Fürsten besprechen.“
In diesem Moment trat ein Soldat des Götterschildes ein, der so aussah, als ob er sehr schnell geritten war.
„Sprecht!“, befahl Anasah ihm.
„Demütige. Hajad bittet mich, auszurichten, dass er den Auftrag ausgeführt hat.“
„Wann wird er hier sein?“.
„Wenn es zu keinen Schwierigkeiten kommt, etwas weniger als eine Stunde.“
„Danke für deinen Dienst, Soldat.“
Mit einer Handbewegung erlaubte sie ihm abzutreten und wandte sich wieder ihrer Besprechung zu.
„Ich muss mich bei Euch entschuldigen und hoffe, dass auf Euer Verständnis, dass ich die Unterredung an dieser Stelle unterbreche.“
Sie erhob sich als Erste von dem Teppich des Versammlungszeltes, denn durften die anderen erst nach ihr aufstehen und geleitete sie unter leisen Worten der Anerkennung und Verabschiedung hinaus.
„Fiejad!“
„Demütige?“. Mit einer Verneigung trat Hajads Stellvertreter in ihrer Wache aus einem verborgenen Winkel auf sie zu.
„Lass die Versammlung erneut einberufen“, befahl sie.
„Wie du wünscht, Demütige.“
Sich verbeugend entfernte sich der noch vergleichsweise zu seiner hohen Stellung noch junge Mann aus ihrer Gegenwart.
Als Antirehm begleitet von vier Soldaten des Götterschildes in das Versammlungszelt kam, wusste Anasah, dass er sich ihr niemals beugen würde. Dazu war seine Körperhaltung zu aufrecht und selbstsicher. Seine Waffen hatte man dem Fürsten abgenommen, aber das war kaum ungewöhnlich, denn war dies ein Brauch und Ritus von bedeutenden Versammlungen. Auch trug er nicht wie Shurehm Fesseln und Knebel, doch allein die Art seiner Ankunft zeigte allen, wie sehr seine Ehre gesunken war. Obwohl er Fürst der bedeutendsten und reichsten Stadt Eletaks war, standen in diesem Moment alle über ihm, selbst Liirehm, der nur ein Prinz war. Doch Antirehm war niemand, der sich leicht aus der Ruhe bringen ließ und so erklärte er nur: „Die Art und Weise, wie man mich behandelt hat, entbehrt jegliche rechtliche Grundlage, sowohl die der Götter als auch die der Menschen.“.
Aufgrund dieser Worte konnte Anasah sich ein innerliches Schmunzeln nicht verkneifen, denn waren das fast dieselben Worte, die auch Shurehm zu seiner Verteidigung gebraucht hatte. Jeder konnte sehen, wohin ihn das geführt hatte.
Doch nun galt es sich zu fokussieren, denn es war ein anderer Tag und ein anderer Mann und noch war das letzte Wort nicht gesprochen.
Antirehm war es nicht erlaubt worden, sich auf seinen Platz zu begeben und so blieb er vor dem Eingang stehen, während die Soldaten sich in den Ecken postierten. Seinem Schwiegersohn war nun deutlich unbehaglich zumute, denn stand Antirehm hinter ihm und Kialrehm müsste sich umdrehen, um den Fürsten anzusehen, was einer Unterwerfungsgeste ähnelte.
Die Hohepriesterin ignorierte diese delikate Angelegenheit, nun musste Kialrehm eben nicht nur seine Fähigkeiten mit dem Säbel und Frauen unter Beweis stellen, sondern sich in Diplomatie beweisen.
„Fürst Antirehm,“, begann Eraz, „leugnet Ihr, dass Ihr heute in Asinat gewesen seid?“.
„Nein,“, entgegnete er gelassen, „doch glaube ich nicht, dass du es nötig hättest, diese Frage zu stellen, wo du es doch warst, Demütiger, der mir die Erlaubnis dazu gabst.“.
„Dann seid Ihr ein Lügner, Fürst, denn solch eine Erlaubnis sprach ich niemals aus.“.
Über das Gesicht des Fürsten zog sich nicht die geringste Veränderung.
„Dann kann ich dasselbe von dir behaupten.“.
Er schob die Hand unter seinen Byeros, was die Soldaten vorspringen ließ.
„Wir haben ihn auf Waffen gründlich durchsucht, Demütige.“, versicherte ihr einer, doch mit einer Handbewegung befahl sie ihnen, zurückzuweichen.
„Dieses Schriftstück führe ich als Beweis deiner Erlaubnis mit mir.“. Mit diesen Worten überreichte er Eraz eine kleine Schriftrolle und wagte es sogar, dies mit einer kleinen, spöttischen Verbeugung zu tun.
Sorgfältig ließ der höchste Mann Eletaks die Augen über die Worte schweifen, die er selbst Antirehm gegeben hatte. Stirnrunzelnd sah er auf und reichte das Schriftstück an Anasah weiter.
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sanft fragte; „Warum ist dieses Schreiben zwar mit dem Namen des Hohepriesters unterzeichnet, aber sein Siegel fehlt?“.
Zum ersten Mal sah sie so etwas wie Verunsicherung über seine Züge huschen und das ließ sie fast mehr triumphieren, als eine gewonnene Schlacht. Der Triumph verstärkte sich noch, als die Entrüstung der Fürsten losbrach. Jegliches Wort der Rechtfertigung, das Antirehm zu sprechen versuchte, verhallte ungehört in der Aufregung.
Doch als auch vor dem Zelteingang laute Rufe ertönten, war Anasah bewusst, dass Schwierigkeiten bevorstanden. Aber dann folgten die Hunde und die Hohepriesterin wusste, dass es in den Beratungen zukünftig nicht mehr ruhig zugehen würde.
Sie schallt sich selbst, dass sie die großen, feingliedrigen Hunde vergessen hatte, die Beerehm immer zu begleiten pflegten und jegliches Essen vorkosteten, da der Fürst von Lizarat sich wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht vor Vergiftungen fürchtete. Laut kläffend stürmten sie in die Versammlung und unterbrachen die hitzige Diskussion.
Die mächtigen Schädel und großen Zähne waren ohne Zweifel ein guter Unterbrechungsgrund. Zwar taten sie niemandem etwas, außer zu knurren, doch allein ihr Anblick war beunruhigend.
Erst auf das Wort des Mannes, der ihnen folgte, ließen sie sich still in der Mitte des Kreises nieder.
Fürst Beerehm war ein wahrlich beeindruckender Mann. Er war größer als jeder andere Mann, den Anasah kannte und seine Körperbreite zeigte, dass er, obwohl er mittlerweile auf die fünfzig zuging, nicht im Geringsten daran dachte, den Säbel ruhen zu lassen. Ein langer, gekräuselter Bart bedeckte sein Gesicht und eine ebenso dunkle, dicke Haarmasse reichte bis zu seinen Schultern. Mehr als eine Narbe zeichnete seinen Körper und in seinen Augen lag ein eigentümlicher Glanz, den nicht wenige als ein Zeichen des Irrsinns ansahen, den Beerehm eindeutig besaß.
Was seine Kleidung anbelangte, hatte er einen ähnlichen Geschmack wie sein ältester Sohn. Einfach, aber dennoch geschmackvoll.
Ein einfaches Mindo in einem dunklen Grün, auf welches das Wappen seines Hauses gestickt war, sowie eine dunkle Hose. Obwohl Schmuck ein Zeichen von Reichtum und Stärke war, kam der Fürst von Lizarat ohne welches außerhalb seines Siegelringes aus. Allein seine Ausstrahlung der Selbstsicherheit, gemischt mit Unnahbarkeit und Überheblichkeit, ließen ihn als Fürsten erkennen. Beerehm war ein Mensch, der sich von niemandem etwas sagen ließ und es trotzdem auf eine gewisse Art und Weise vermochte, seinen Willen durchzusetzen. Dennoch brach er keinerlei Gesetze oder Regeln, die es Anasah möglich machten, ihn abzusetzen und sie wäre niemals so dumm, einen Mörder zu schicken. Ebenfalls würde sie ihn nicht als Gefahr bezeichnen, vielleicht eine nervige Stimme im Hintergrund, doch nicht jene Bedrohung, die von Antirehm ausging. Denn war Antirehm der Fürst der größten Stadt Eletaks, die zudem über die ergiebigsten Salzminen des Landes verfügte und hatte somit eine große Menge an Ressourcen und Reichtum zur Verfügung. Im Gegensatz dazu war Lizarat eine winzige Stadt, die zwar über vergleichsweise große Ländereien verfügte, was aber mehr Kosten verursachte als Einnahmen brachte. Aufgrund der Tatsache, dass Beerehm einen großen Teil der Grenze nach Sandele bewachen musste, war er ständig darauf bedacht, sich gut mit dem Tempel zu stellen, um öffentliche Mittel zur Finanzierung der Grenzsicherung zu erhalten. Auch war er kein Mann, der es vermochte, Menschen zu begeistern und die Leidenschaft in ihnen zu erwecken. Seine Gefolgsleute mochten ihm aus Pflichtgefühl folgen, aber sicherlich verspürten sie keine große Liebe zu einem Herrn, den die Sänger immer häufiger als irrsinnig charakterisierten.
Nein, Ärger mochte er ihr bereiten, doch war er mehr von ihr abhängig als sie von ihm.
Ohne die Tatsache zu beachten, dass ihn alle überrascht ansahen, trat er hinter Osirehm und bedeutete diesem, mit einer Handbewegung zu weichen. Nur widerwillig stand der Fürst von Limisar auf, doch stand Beerehm dieser Platz neben Eraz als ältester Fürst zu.
„So, hier sind wir also versammelt!“, erklärte er und rieb sich fröhlich die Hände, während er den Blick über die Versammelten schweifen ließ.
„Antirehm, wie ich hört, benahmt Ihr Euch unjehörij?“, ließ er laut grinsend ertönen.
„Willkommen, Fürst Beerehm.“, begrüßte Eraz den Neuankömmling etwas zu steif.
„Willkommen.“, begrüßte auch Anasah ihn, „Ich freue mich über Eure Ankunft, auch wenn Euer Sohn Euch sicherlich würdig vertreten hat.“.
Mit einer eindeutigen Geste bedeutete sie, Liirehm den Raum zu verlassen, da er jetzt, wo sein Vater eingetroffen war, nicht mehr von Nöten war.
„So nich!“, polterte Beerehm so laut, dass ihn sicherlich auch die Wachen draußen hörten, „mein Sohn bleib hier, weil er seine Aufgabe so jut jemeistert hat. Was für Entscheijungen verlangt Ihr, wenn ich die Jeschehnisse doch nich kenn?“.
Mit einem kurzen Zeichen gab Anasah ihm resignierend Recht. Es wäre ein unkluger Schritt, ihn von Anfang an gegen sich aufzubringen.
Also schilderte sie ihm in knappen, jedoch höflichen Worten die Situation und die bisherigen Ergebnisse.
„Was mit seinem Sohn?“, fragte Beerehm. „Wie alt ist Euer Sohn, Antirehm?“.
„Ich habe drei Söhne.“, erklärte dieser, eindeutig müde, „Der älteste zählt 21 Schattentage, doch ist er nicht erbberechtigt und trägt den Namen seiner Mutter. Meine jüngeren beiden Söhne wurden wir von Koratchan von Kinora aus dem Geschlecht Davinsa geboren. Nisirehm, mein Erbe, wird am zweiten Rasovstag von jetzt an volljährig. Lisarehm, mein Jüngster, ist sieben.“.
Niemand konnte Antirehms Fähigkeit, Sätze zu bilden, bestreiten. Nicht nur, dass er Asarak eindeutig und unbestreitbar aus der Erbfolge ausgeschlossen hatte, er hatte auch den hohen Stand seiner jüngeren Söhne als Kinder einer Fürstentochter hervorgehoben.
„Bis zum Rasovstag sinn dat – diesen nicht mit einjeschlossen – siebzehn Tage, zwei knappe Wochen. Nisirehm muss sen Vater uff den Thron foljen, sonst jibt dat jede Menje Blut.“, fasste Beerehm zusammen.
Natürlich stimmte das, auch wenn Anasah konnte unmöglich zulassen, dass der Junge, vor dem die Götter sie gewarnt hatten, das Erbe seines Vaters antrat. Doch darum würde sie sich später kümmern, vorerst wäre es sogar sinnvoll, Antirehm und ihre Kritiker im Sicheren zu wiegen. Erst der Vater, dann der Sohn.
„Dann gilt es seinen Sohn als Herrscher einzusetzen mit Beratern, die uns gewogen sind, denn ungeachtet der Tatsache, welches Urteil der Fürst von den Göttern erhält, müssen Volksunruhen vermieden werden.“, stellte Hokrehm ruhig fest.
Alle Fürsten gaben das Zeichen des Einverständnisses, denn war dies ein durchaus vernünftiger Vorschlag, so wie viele der Urteile, welche der Fürst von Nisorat sprach.
„Nur was soll mit dem Fürsten geschehen?“, fragte Kialrehm, ungeachtet der Tatsache, dass der Beschuldigte hinter ihm stand.
„Er hat Verhandlungen mit dem Feind geführt, die Unterschrift des höchsten Demütigen gefälscht und vermutlich auch geheime Pläne weitergegeben, dafür kann es nur eine Strafe geben und das ist der Tod.“, forderte Osirehm, „Wenn wir sein Verhalten dulden, öffnen wir Tür und Tor für weitere Missachtungen der göttlichen Gesetze. Niemand wird die Tempel mehr anerkennen, wenn sie nicht das göttliche Recht verteidigen und dieses kennt für solche Verbrechen nur den Tod.“.
Kialrehm zögerte, tauschte einen kurzen Blick mit Anasah, doch schließlich zeigte er die Geste des teilweisen Einverständnisses.
Nun machte sich eindeutig Entsetzen in Antirehms Gesicht breit. Sicherlich hatte er nicht erwartet, dass der Mann seiner Tochter und Vater seines Enkelsohnes sich so eindeutig gegen ihn stellte.
„Ich denke“, meinte Beerehm, bevor Hokrehm sich auch nur rühren konnte, „dass dat schwierij ist. Um die Einijkeit des Rates zu wahren, schlaje ich vor diese Anjelejenheit dem Hohen Jericht überlassen, damit dat Recht der Götter durchjesetzt wird, wie dat Fürst Osirehm will. Die höchste Vertretung des jöttlichen Rechts soll auch dat höchste Urteil fällen.“.
Auch wenn es Anasah missfiel, dass er ein Teil ihrer Aufgaben und Rechte auf das Hohe Gericht übertrug, war nicht zu übersehen, dass dieser für Beerehms Verhältnisse außerordentlich vernünftige und liberale Vorschlag breite Zustimmung fand. Es war ein vernünftiger Vorschlag, auch wenn er Anasah absolut nicht schmeckte. Natürlich würde sie auch beim Hohen Gericht ihre Meinung durchsetzen, nur würde es deutlich mehr Bestechungsgelder aus dem Tempelschatz fließen lassen, als für die Fürstenversammlung notwendig war. Auch brauchten Entscheidungen dort Lichttage, um getroffen zu werden, weshalb die Gefahr, die von Antirehm ausging, viel länger bestehen würde. Während es hier, fern von Mirvuh und all den anderen, die meinten den Willen der Götter anders auslegen zu müssen, als Anasah, war es wesentlich einfacher Entscheidungen zufrieden stellend und schnell zu treffen.
Doch wenn sie sich den Rat ansah, der bis auf Osirehm hinter diesem Vorschlag stand, wäre es höchst unklug, diesen offen anzukämpfen.
„Dann ist es beschlossen“, stellte sie fest, „Fürst Antirehm von Kantigark wird vor das Hohe Gericht geführt werden, damit sie über seine Verfehlungen im Namen der Götter urteilen und sein Sohn soll an seiner statt regieren.“.
Sie stand auf und blickte die Reihe der Fürsten an.
„Doch jetzt, edle Herren, ist es an uns, das Recht der Götter durchzusetzen und einen Krieg zu gewinnen.“.