Nervös, doch immer noch leicht verärgert fummelte Lika an ihrem Ärmel herum und versuchte das Bedürfnis, einfach zu gehen, zu unterdrücken. Es wäre fast schon ein Verbrechen, dem Hohen Rat den Rücken zu zukehren und sich deren Entscheidungen zu verweigern. Sie konnte sich nicht dagegen wehren und musste die nächsten Wochen, Monate, Jahre, wohl so hinnehmen, wie sie auf sie zukamen. Sie wusste nicht wie lange sie diesen Möchtegern-Bodyguard ertragen sollte, doch sie hoffte nur, dass Sie oder Er, nicht allzu tief in ihre Privatsphäre eindringen würde.
„Lika Samura, trete vor“, erklang plötzlich die tiefe Stimme von einem der fünf hohen Räte und die Blauäugige zuckte unweigerlich zusammen. Sie erhob sich und trat einige Schritte in die Mitte des Raumes, wo sie von mehreren Blicken ungeschützt, fast schon durchlöchert, wurde. Sie schluckte und versuchte ihrem trockenen Hals eine Stimme zu verleihen.
„Was wünscht der hohe Rat von mir?“, fragte sie und versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen. Ein älterer Mann erhob seine Stimme. „Als Teil deiner Ausbildung und als Teil seiner Ausbildung, wirst du ab sofort bei Orion in die Lehre gehen.“
Nicht sonderlich überrascht über diese Aussage, presste sie die Lippen aufeinander. Sie war schließlich nicht ohne Grund, am gestrigen Abend, aufgelöst aus dem Haus gerannt. Nachdem ihre Eltern ihr verständlich machten, dass ihr ein Begleiter vom Hohen Rat zugewiesen werden würde, hatten diese es ihr auch mehr als deutlich gemacht, dass sie das schwächste Glied in der Kette war.
Sie hielt den Blick starr gen Rat gerichtet und versuchte nicht wegzusehen. Sie war nicht schwach! Auch wenn sie jeder so sah, sowohl ihre Eltern und der Wolf von gestern, als auch der Hohe Rat.
Sie zuckte zusammen, als sie merkte wie ein grünes Paar Augen sie förmlich durchbohrten. Sie schielte nach links, wo sie den starren Blick spürte und es dauerte nicht lange, bis sie wusste wem die Augen gehörten. Sie runzelte die Stirn über den sonderbaren Mann mit dem dunkelbraunen Haar der seinen undurchschaubaren Blick auf sie gerichtet hatte. Er schien es auch nicht verbergen zu wollen, da er, obwohl sie zurückblickte, nicht nachgab.
„Orion Regiis, trete vor“, ertönte abermals die Stimme des alten Mannes und der Mann mit dem grünen Blick erhob sich und kam geradewegs auf Lika zu, ohne sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er trat neben sie und wendete erst dann den Blick zum Hohen Rat.
Lika runzelte kaum merkbar die Stirn. In dem Saal waren viele Leute anwesend und somit auch viele Eindrücke, die sie nicht zuordnen konnte, doch nun, da er unmittelbar neben ihr stand, keinen Meter entfernt, roch sie ihn. Dieser herbe Geruch nach verbranntem Holz... Sie kannte ihn...
Plötzlich wurde ihr schlagartig bewusst, woher sie diesen Geruch kannte... diese grünen Augen, die sie immer zu bis ins kleinste Detail zu beobachten schienen. Geschockt riss sie die Augen auf und konnte es gerade noch so verhindern, dass ihr Kiefer nach unten klappte. Sie richtete ihren Blick auf ihre Schuhe und hoffte, dass er sie nicht wiedererkennen würde.
„Ich werde Euch nicht enttäuschen“, entgegnete Orion mit einer kaum erkennbaren Verneigung.
Diese Stimme... er war es, zweifellos. Der Hohe Rat sprach weiter, doch alles, was Lika hören konnte, war das kaum hörbare Flüstern ihres vermeintlichen Nachbars.
„Enttäuscht mich mit einer Hose vorzufinden?“, flüsterte er kaum hörbar. Er schien sichergehen zu wollen, dass bloß die kleine Wölfin ihn hören konnte. Das war’s dann wohl mit der kläglichen Hoffnung, er würde sie nicht wiedererkennen. Sein Blick war jedoch nach wie vor auf das Podest des Rates gerichtet.
Lika wurde rot im Gesicht und hielt den Blick weiter zu Boden gerichtet, während sie versuchte etwas mitzubekommen. Doch es war leider nicht sehr viel.
Sie würde ab sofort bei Orion in die Lehre gehen. Eine Lehre in was auch immer. Sie hatte keinerlei Ahnung, was Orion machte, oder ihr beibringen sollte.
Das würden ein paar lange Jahre werden...
~Einige Jahre später~
Lika fühlte sich nicht wohl, obwohl sie es gewohnt war, mit einer Kutsche zu fahren. Dennoch war ihr der großgewachsene Mann mit den dunkelgrünen Augen und den dunkelbraunem Haar, der nun schon seit einigen Jahren ihr Mentor war, noch immer ein wenig unheimlich. Vor allem, wenn er so nachdenklich drein schaute, wie gerade eben.
In den letzten Jahren hatten sie und Orion eine recht gute Partnerschaft aufgebaut und es störte sie nicht mehr so sehr in seiner Nähe zu sein.
Doch in dieser Kutsche fühlte sie sich eingesperrt und sein scheinbar böser Blick, machte das Ganze nicht leichter.
Beide hätten als Wölfe an ihr Ziel gelangen können, doch Orion hatte Lika zu verstehen gegeben, dass sie diese Strecke nicht schaffen würde.
Das hatte Lika gekränkt, aber sie hatte es akzeptiert. Also hatten sie eine Kutsche genommen.
Etwas, worin sich Werwölfe generell nicht wohl fühlten. Kein Tier mochte es, wenn es eingesperrt war. Auch wenn es nur auf absehbare Zeit war.
„Bist du nervös?“, brach Orion die Stille zwischen den beiden. Inzwischen war Lika es gewohnt, dass Orion einen Drang dazu hatte längere Zeit zu schweigen und dann wie aus dem Nichts doch begann zu sprechen. Sie seufzte und ließ ihren Blick aus dem Fenster wandern, um die Landschaft zu begutachten.
„Ich glaube ich neige zu klaustrophobischen Verhalten“, erklärte Lika ein wenig geknickt. Noch eine Schwäche, die sie sich eingestehen musste. War die Liste davon nicht schon lang genug? Außerdem war sie nicht sehr zuversichtlich, was dieses Treffen anbelangte.
Warum wurden sie vom WeVa eingeladen? Was wollte diese seltsame Organisation von ihnen.
„Konzentrier dich nicht auf deine Schwächen, sondern auf deine Stärken, Lika“, entgegnete Orions tiefe Stimme und er sah sie an. Lika schluckte kurz und nickte dann zuversichtlich. Es gab selten Momente in denen Orion etwas Nettes zu der Werwölfin sagte, geschweige denn sie für etwas lobte. Allerdings war er immer sehr darauf bedacht ihr bestes zu fordern. Angespannt kaute Lika auf ihrer Unterlippe und dachte über ihre vermeintlichen Stärken nach, die sie selbst überhaupt nicht wahrnahm. Sie schielte kurz zur Seite und merkte, dass Orion sie immer noch musterte. Mit den zusammengezogenen Augenbrauen und dem grübelndem Gesicht, das er immer auflegte, wenn er versuchte ihre Gedanken zu lesen, soweit es ihre Mimik zuließ.
Unbehaglich rutschte sie unter seinem Blick auf ihrem Sitz hin und her.
„Hat dein Vater wenigstens erwähnt, wer dieser mysteriöse Auftraggeber ist?“ Ihre leise Stimme war nicht mehr als ein heißeres Flüstern und Orion wendete sich wieder seinem Fenster zu.
„Nein, nur dass die anderen vom Rat einen wichtigen Auftrag für uns haben.“
„Ich könnte nachvollziehen, warum der Hohe Rat uns zu sehen wünscht. Aber der WeVa. Eine Vereinigung aus Werwölfen und Vampiren ist mir doch unheimlich“, erklärte die junge Frau und strich sich eine ihrer blauen Strähnen hinter das Ohr.
Das lange Haar trug sie meist sehr praktisch zu einem Zopf geflochten, doch ständig rutschten ihr Strähnen wieder hinaus. Daher hatte sie sich angewöhnt mit diesen zu spielen, wenn sie nervös war.
Was auch der Grund war, warum ihre Hände schon die ganze Zeit unruhig immer wieder eine Strähne um den Finger wickelte, oder kleine Zöpfchen flocht.
„Ich bin auch nicht sonderlich begeistert von dieser Allianz, falls dich das beruhigt“, merkte er zögerlich an, da er wahrnahm, dass die junge Frau angespannter zu sein schien, als sonst. Die ersten Aufträge waren eine große Herausforderung für die beiden als Team zu fungieren, doch nach den letzten Jahren hatte Lika sich zumindest schon ein halbwegs stabiles Selbstbewusstsein angeeignet. Orion legte Lika eine Hand beruhigend auf die Schulter, in der Hoffnung, dass sie das womöglich besänftigen könnte. Auch wenn der, sonst so ernste Begleiter, an ihrer Seite selten etwas an Emotionen zeigte, hoffte er dennoch, dass diese Geste sie entspannen würde. Jedoch erntete er bloß einen verwirrten, blauen Blick zu seiner linken.
„Du solltest... Mach...“, angestrengt suchte er nach den richtigen Worten, da ihn solche Silben nur schwer über die Lippen kamen. Er seufzte letztendlich und zog seine Hand wieder zurück „Versuch einfach keinen Scheiß zu bauen.“ Lika hob verwirrt eine Augenbraue.
*Das ist ja noch gruseliger, als wenn er nichts von sich gibt*, dachte sie sich nur und hoffte das er dieses gespielte Einfühlungsvermögen nie wieder aus seinem Repertoire packen würde, als im selben Moment die Kutsche zum Stehen kam.
Das verursachte Lika ein flaues Gefühl im Magen, aber es war nicht so schlimm, wie Orions Beruhigungsversuch gerade. Also hatte es im Grunde doch etwas gebracht.
Ganz Gentlemen, ließ Orion Lika zuerst aussteigen, auch wenn diese leicht zitterte.
Sie war unglaublich nervös und als ihr der Geruch von Vampiren in die Nase stieg, wurde es nur noch schlimmer.
„Herzlich willkommen“, grüßte eine junge Vampirin, die einen Smoking trug und irgendwie, wie ein Butler wirkte.
Orion ignorierte die Dame und ging geradewegs an ihr vorbei, voll beladen mit dem Gepäck der beiden Reisenden. Obwohl mehrere Vampire ihm entgegen kamen und ihm anboten, das Gepäck abzunehmen, bevorzugte er wohl dennoch es lieber selbst zu tragen.
Verwirrt und eilig grüßte Lika die freundliche Vampirin und folgte Orion auf Schritt und Tritt. Sie wusste bereits, dass er der Rasse nicht sonderlich offen gegenüberstand, doch sie hatte ihn dennoch nie im Umgang mit solchen erlebt. Kein Wunder sie waren ja auch nur für die Werwölfe zuständig. Was die Vampire in ihrem Gebiet anstellten gehörte nicht zu ihren Angelegenheiten.
Das Gebäude, auf das er sich zu bewegte, war eine riesige, mittelalterliche Burg, mit hohen, dicken Mauern und einem riesigen Eingangstor, das sie in eine Art Hof führte.
Von dort aus waren mehrere Gebäude zu erreichen. Darunter auch das Gebäude, welches dem Tor gegenüber lag und ein kleineres Tor besaß, indem eine Tür eingelassen war.
Orion steuerte genau darauf zu und Lika beeilte sich, um Schritt zu halten.
Das musste das Hauptgebäude sein.
Die gigantische, hölzerne Doppeltür schwang langsam auf und gab den Blick auf den inneren Eingangsbereich, des Schlosses, frei. Auch wenn Orion Vampiren nicht wirklich zugeneigt
war, musste er sich doch eingestehen, dass diese ein Talent besaßen in künstlerischen Gestaltungen, von Schlössern. Er musste sich förmlich zwingen, den Blick von der detailliert ausgearbeiteten Decke zu wenden, die wohl einen Moment einfing, kurz bevor zwei mutmaßlich fremde Clans aufeinander losstürmten. Der Augenblick, kurz bevor das Blutvergießen begann, und bereits alle kampfbereit in den Sprint ansetzen. Er schüttelte kaum merklich den Kopf und betrat die große Halle, während der Marmorboden seine Schritte, in dem beinahe leeren Raum, wiederhallen ließ.
„Wow“, hörte er leise von Lika, ignorierte es aber weitgehend. Stattdessen hielt er auf einen Mann zu, der eindeutig ein Werwolf war. Von ihm erhoffte er sich Auskunft, denn mit den Vampiren wollte er nicht sprechen.
„Ah, ihr seid endlich angekommen. Wenn ihr mir bitte folgen würdet. Ich werde euch eure Zimmer zeigen“, erklärte er und Orion nickte, ehe beide dem fremden Mann folgten. Ähnlich wie die Vampire, war auch er ein Bediensteter des WeVa.