Keuchend erreichte, der bis auf die Haut durchnässte Werwolf, die Wasseroberfläche, wo das Eis bereits in mehrere Einzelteile zerbrochen war und begann zu schmelzen. Mühsam und mit einem weißen Atem, schob er zuerst Sezuna halbwegs aus dem Wasser und stieg erst dann selbst hinaus.
Ohne auch nur aufzustehen zog er sich und Sezuna ein Stück weg von dem vereisten See, bis sie beide wieder auf trockenem Graß saßen. Nach einigen Atemzügen regenerierte er seine Körperwärme wieder und zog Sezuna, die Kälter war als Trockeneis, an seine Brust um ihre Arme zu reiben, damit sie wieder warm wurde.
Die Rothaarige zeigte keine Reaktion. Wie eine Puppe lag sie in seinen Armen und ihr Körper zuckte nicht einmal. Er konnte nicht einmal sagen, ob sie noch atmete. Mussten Vampire atmen?
Konnten sie ersticken, oder erfrieren?
Orion war sich nicht sicher und rieb weiter ihre Arme, in der Hoffnung, sie würde etwas seiner Wärme aufnehmen.
Dann ging das Licht um sie herum an und Schritte wurden laut.
Kurz darauf kam Kaden um die Ecke.
Orion seufzte frustriert und knurrte wütend, da Sezuna nicht aufwachen wollte. Er roch den eingebildeten Vampir dessen Schritte immer näher kamen und schließlich einige Meter hinter Orions Rücken verstummten. Er hatte wirklich keine Lust sich mit diesem Idioten von einem Vampir rumschlagen zu müssen und versuchte ihn weitgehend zu ignorieren und sich auf Sezuna zu konzentrieren.
„Wow und du nennst mich also schwanzgesteuert ja? Ich wusste gar nicht, dass du auf schwanzwedelnde Hunde stehst“, kommentierte der dunkelblonde Vampir und verzog angewidert das Gesicht, als er Sezunas rote Haare auf Orions Schulter erblickte. Dieser drehte sich soweit es ihm möglich war zu Kaden und starrte ihn finster.
„Hol lieber Hilfe, anstatt unsinniges Zeug zu reden!“, knurrte Orion in Kadens Richtung dessen Gesichtsausdruck nun alles andere als amüsiert wirkte. Er riss die Augen weit auf und rannte zu den beiden rüber, um Sezuna aus Orions Armen zu reißen.
„Was in Gottes Namen hast du ihr angetan?!“, fuhr er den Werwolf an und hob Sezuna auf die Arme, um sie nach drinnen zu tragen. Orion blieb einige Minuten schweratmend am Boden sitzen. Einzelne Wassertropfen lösten sich aus seinen Haaren, als er letztendlich aufsprang und Kaden wieder zurück ins Schloss folgte. Dieser hatte in Höchstgeschwindigkeit Sezuna in sein Zimmer gebracht und sie in mehrere Decken eingewickelt. Als Orion ankam lief Kaden bereits ungeduldig auf und ab und schien laute Selbstgespräche zu führen.
Orion war es wohl bekannt, dass Vampire schneller waren als Werwölfe, doch diese Geschwindigkeit... das hätte er sich nicht gedacht. Vielleicht war der Vampir aber auch nur so schnell gewesen, weil er in Panik war.
„War ja mal wieder klar, dass sie sich in Gefahr begibt, um den nächst besten um den Hals zu fallen. Und der Scheiß mit dem aufräumen und reparieren bleibt mal wieder an mir hängen!“ Kaden verstummte und hielt inne, als er zu Orion in den Türrahmen blickte, der zur bewusstlosen Sezuna sah. „Was willst du denn noch hier? Du hast schon genug getan“, fuhr Kaden ihn mit einem feindseligen Unterton an.
In diesem Moment spuckte Sezuna einen Schwall Wasser und begann schwerfällig zu husten und nach Luft zu ringen.
Keine zwei Sekunden später war Kaden an ihrer Seite, hob sie hoch und verfrachtete sie vor den Kamin, indem das Feuer langsam begann sich auszubreiten.
Orion wunderte sich wirklich, wann Kaden dieses entzündet hatte. Er hatte es gar nicht bemerkt.
Sezuna hustete und spuckte weiter, ehe sie sich erschöpft an Kadens Brust fallen ließ, ohne wirklich zu wissen, dass es sich dabei um Kaden handelte.
Kälte war etwas, was jeden Vampir unschädlich machen konnte und Sezuna hatte das Gefühl, dass sich überall metallene Spitzen in ihren Körper bohrten und ihr Gehirn sich abgeschaltete hatte.
Für jemanden, der es eigentlich gewohnt war, sein Gehirn rund um die Uhr, in vollem Einsatz zu wissen, war das ein wirklich unangenehmes Gefühl.
„Was ist passiert?“, fragte sie mit bibbernder und sehr leiser Stimme. Ihr ganzer Körper zitterte.
„Das würde ich gerne von dir wissen. Ich dachte immer Katzen hassen das Wasser“, entgegnete Kaden mürrisch, aber auch irgendwie beruhigt über die Annahme, dass sie wieder dazu in der Lage war zu sprechen. Langsam und in gleichmäßigen Bewegungen strich er Sezuna über den Kopf, über ihre feuchten roten Haare, die bereits anfingen sich zu kräuseln.
Er schien sehr darauf bedacht zu sein Sezuna nicht ins Gesicht zu sehen und blicke stattdessen wieder zu Orion, der nach wie vor mit leicht geöffnetem Mund in der Tür stand und nicht so recht wusste, was er sagen wollte.
„Du kannst jetzt gehen, sie baucht deine Hilfe nicht“, wiederholte Kaden mit einem wütenden Funkeln in den dunkeln Augen, worauf sich Orion zögernd abwand. Leise murmelte Sezuna irgendwas Unverständliches vor sich hin, was Kaden trotz seines guten Gehörs nicht entziffern konnte. Seufzend wandte er doch den Blick nach unten, um auf Sezunas eisiges Gesicht zu blicken. „Du magst vielleicht anders aussehen, aber du hast dich wirklich kein Stück verändert, Kätzchen“, flüsterte er, eher zu sich selbst und musste wieder an ihren Abschluss zurück denken.
„Hä? Ich glaube mein halbes Hirn ist noch eingefroren“, murmelte Sezuna und wirkte irgendwie völlig neben sich.
Kaden verdrehte die Augen. Selbst mit einem halben Hirn war sie noch immer schlauer als die meisten anderen. Ob ihr das bewusst war?
„Wo ist eine Katze?“, fragte sie irritiert. Für Kaden ein Zeichen, dass die Rothaarige noch nicht wieder ganz da war.
Seufzend ließ er sein Kinn auf Sezunas Scheitel sinken und schloss die Augen.
„Halt am besten einfach die Klappe und ruh dich aus“, murmelte Kaden leise.
Er konnte seine Gedanken nicht mehr von den schönen Erinnerungen abwenden, die sie beide früher geteilt hatten. Für einen kurzen Moment vergaß er sogar den jahrelangen, kalten Krieg, den sie beide geführt hatten und fühlte sich wieder wie damals in der Schule, wo er sie immer versucht hatte zu beschützen. Schweigend genoss er die Wärme und drohte sogar schon einzuschlafen, als Sezuna begann, sich in seinen Armen zu winden.
Auch wenn sie diese Zweisamkeit ebenfalls gern noch etwas genossen hätte, ihr Verstand machte ihr da einen Strich durch die Rechnung.
„Du kannst mich jetzt wieder los lassen, mein Hirn ist wieder komplett aufgetaut“, murmelte sie und versuchte sich aus den Decken zu winden, in denen sie eingewickelt war. Sie wollte sich bei Orion bedanken. Immerhin war es er, der sie gerettet hatte. „Ich muss mich bedanken.“
Genervt öffnete der Vampir seine Augen und erinnerte sich wieder an den Grund, weshalb er sich überhaupt mit Sezuna verstritten hatte. Mit einem wütenden Seufzen stand er plötzlich auf, worauf Sezuna beinahe umfiel, da sie sich körperlich noch nicht völlig gefasst hatte.
„Ja, geh zu deinem Köter und gib ihm sein Leckerli, damit er weiß, dass er was richtig gemacht hat. Ich werde dich nächstes Mal jedenfalls krepieren lassen“, entgegnete Kaden mit einem wütenden Unterton, ohne Sezuna auch nur einmal anzusehen. Vielleicht war es die Erinnerung, dass es zwischen ihnen nicht mehr so war wie früher, dass er so wütend war. Vielleicht war es aber auch einfach die Tatsache, dass sie nach Orion gefragt hatte, anstatt sich bei ihm zu bedanken.
Kaden setzte sich auf seine Bettkante und wühlte in seiner Nachttischschublade herum, ohne etwas Bestimmtes zu suchen, nur um Sezuna nicht ansehen zu müssen.
Diese wirkte ein wenig irritiert. Sie hatte sich immerhin auch bei ihm bedanken wollen, aber zuerst kam Orion.
Dieser hatte sich aus Kadens Zimmer zurückgezogen, lehnte aber noch neben der halb geschlossenen Tür. Als Sezuna diesen bemerkte, erhob sie sich und lief ein wenig wankend auf ihn zu. Ein leicht schiefes Grinsen im Gesicht.
„Danke, dass du mich rausgezogen hast. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich ertrunken, oder erfroren“, sagte sie leise und mit einer leicht rauen Stimme. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie sich komplett erholt hatte. Daher wollte sie auch am liebsten zurück in ihr Zimmer und sich hinlegen.
Der große Werwolf schielte mit verschränkten Armen auf die kleine Vampirin hinunter und musste feststellen, dass er im Gegensatz zu ihr, noch komplett nass war, wenn auch nicht mehr kalt. Er drehte kurz den Kopf zu Kadens Rücken, der die beiden wohl ignorierte und für den das Thema scheinbar abgeschlossen war.
Dieser verzog jedoch ohne das Wissen der beiden das Gesicht und rollte genervt seine dunklen Augen, beim Klang von Sezunas Stimme und ihren Worten. Sie sollte eigentlich genau wissen, dass er ihre Gefühle spüren konnte und was den Werwolf anging... wollte er gar nicht wissen, wie seine Gefühlslage im Moment war.
„Ich hätte dich ja schlecht sterben lassen können, bevor die Mission überhaupt angefangen hat“, antwortete Orion und bekam eine Gänsehaut, als ihm einzelne Tropfen von seinem Haare in den Nacken liefen.
„Oh Gott!“, seufzte Kaden laut und warf sich rückwärts in sein Bett. „Könnt ihr das bitte woanders fortführen. Das ist ja ekelhaft und ich will hier noch schlafen können!“
Sezuna lächelte ein wenig schief. Sie hatte es Orion versprochen und sie würde versuchen sich daran zu halten.
„Komm, wir gehen besser“, murmelte sie und trat mit Orion zusammen aus der Tür und schloss sie dann hinter sich, ehe sie ein Seufzen von sich gab.
„Kaden kann die Gefühle spüren“, erklärte sie schließlich leise. Es fühlte sich irgendwie wie Verrat an, es Orion zu erzählen und dabei sollte sie nicht so fühlen. Es war immerhin Kaden, der sie damals verraten hatte.
Verwirrt runzelte Orion die Stirn. Er konnte Gefühle spüren? An sich keine so abwegige Fähigkeit, nur hatte er die Personen, die eine solche Gabe besaßen... netter eingeschätzt.
„Wie kommt es dann, dass er sich trotzdem wie ein Idiot verhält? Sollte nicht gerade er sowas wie Mitgefühl besitzen?“, sprach Orion seine Gedanken laut aus und fragte sich, wieso er jetzt eigentlich gemeinsam mit einer Vampirin, mitten in der Nacht, die leeren Flure durchstreifte. Es war bereits spät und er wollte, sicherheitshalber, nochmal nach Lika sehen, bevor er sich zurückzog. Nur konnte er ihr auf keinen Fall, mit Sezuna an seiner Seite, gegenübertreten.
Das Problem war, dass Sezunas Zimmer wohl direkt neben Lika ihrem lag.
Kaden war wahrscheinlich sicherheitshalber weiter weg einquartiert wurden. Eine gute Entscheidung, da Orion sich sicher war, dass die Direktorin der Vampirschule wusste, was zwischen den beiden abging.
„Ich weiß nicht“, murmelte Sezuna. „Keine Ahnung, warum er diese Fähigkeit verloren hat. Ich erinnere mich, dass er sie einmal besaß.“
Auch wenn Orion nachgefragt hatte, so wollte er dennoch nicht mehr über Kaden reden oder nachdenken. Er wusste bereits jetzt, dass er diesen nicht leiden konnte. Diese Mission würde sich schwerer gestalten, als er erwartet hatte.
Nach einigen weiteren Metern kam Sezuna zum Stehen und Orion musste feststellen, dass sie bereits vor Sezunas Zimmertür standen. Vorsichtig schielte der Werwolf zu Likas Tür, die direkt daneben lag.
„Danke für alles“, erklärte Sezuna mit einem Lächeln und wollte gerade ihr Zimmer betreten, als sich die Tür von Likas Zimmer öffnete und die Blauhaarige heraus trat.
Ihr langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie sah nicht so aus, als wäre sie dabei sich schlafen zu legen. Eher, als würde sie einen Spaziergang machen wollen.
Ihr Blick streifte Orion und dann Sezuna.
„Guten Abend“, grüßte sie schüchtern an die Vampirin gerichtet, die ihr ein sanftes Lächeln schenkte und zurück grüßte.