Orion, der so etwas noch nie gehört hatte, runzelte die Stirn, bis Sezuna sich dazu entschloss, seine Verwirrung aufzulösen. „Sie ist so zu sagen die Chefin dieser Gegend. Also könnte man sie mit einem Ratsoberhaupt gleichsetzen“, erklärte die rothaarige Vampirin ruhig, während sie sich noch immer umsah.
Kaden blickte wieder zu Sezuna, als sie Orion aufklärte und musste wieder an ihren gemeinsamen Unterricht, in denen ihr ausgeprägtes Gedächtnis immer sehr hilfreich gewesen war, zurückdenken. Er würde nie die Zeiten vergessen in denen Sezuna ihm verzweifelt etwas aus dem Unterricht zu erklären versuchte, während er sich von jeder Kleinigkeit ablenken ließ.
Sie war immer die Schlaue von den beiden gewesen, dass wusste Kaden und schätze es auch an ihr, doch nun schien ihn ihre Weisheiten wie ein besserwisserischer Kommentar zu erscheinen.
„Du betreibst das Klugscheißern also immer noch als Hobby, ja?“, murmelte Kaden genervt, ohne es sich verkneifen zu können, doch er wusste dabei genau, dass Sezuna ihn trotzdem gehört hatte.
Sezuna schwieg, auch wenn es ihr unglaublich schwer fiel. Sie wollte keinen schlechten Eindruck machen und sie war sich fast sicher, dass Frau Grell Kaden gar nicht gehört hatte. Immerhin hörten Menschen schlechter als Vampire und Werwölfe.
Stattdessen nickte sie Orion zu und symbolisierte so, dass sie kein Problem damit hatte, wenn er das Wort übernahm. Sie selbst wollte sich nicht unbedingt mit Fremden unterhalten. Sie war zwar recht aufgeschlossen, doch nur, wenn sie unter Freunden war. So wie es jetzt gerade war, fühlte sie sich in ihrer neuen Umgebung eher unwohl. Was nicht hieß, das sie nicht die Initiative ergreifen würde, wenn sie es musste. Aber noch musste sie nicht!
Orion nickte ihr ebenfalls kurz entgegen und ignorierte geflissentlich Kadens Kommentar. Schließlich betraf ihn dieser auch nicht und im Gegensatz zu Lika war Sezuna nicht sein Schützling. Etwas, dass er sich wieder ins Gedächtnis rufen musste, nachdem er sie letzte Nacht gerettet hatte.
„Werden wir hier untergebracht? Der WeVa erzählte uns von Einbrüchen“, fragte Orion und wusste nicht genau, wie viel er erfahren durfte. Er kannte solche Situationen auch vom Hohen Rat, in denen manche Informationen absichtlich verschwiegen wurden, um die Zuständigen nicht zu verunsichern.
„Nein. Nun ja, wenn Sie mir bitte folgen würden, dann erkläre ich Ihnen die restlichen Einzelheiten.“ Frau Grell deutete mit einer Handbewegung auf die hinter ihr liegende Tür und lief voraus. Zögernd folgte ihr die kleine Gruppe und sah sich neugierig in den Gängen, die sich schon mehr von der magischen Welt unterschieden, um. Es wirkte alles viel kälter, als dürfte man nichts anfassen. „Es sind nicht nur die Einbrüche, die uns zu schaffen machen. Es gab auch einige andere Ereignisse, von denen Ihnen bestimmt bereits der WeVa erzählt hat“, erklärte die blonde, etwas ältere Frau, während sie weiterhin die Gruppe anführte. „Egal ob es nur kleine Verwüstungen waren, oder Serienmorde. Alles geschah in einem gewissen Umkreis und schien magischen Ursprungs zu sein.“
Kaden, der vor Lika und hinter Sezuna lief, drehte sich zu der Blauhaarigen um. Ihre Euphorie ergab so einen extremen Kontrast zu ihrer vorherigen Nervosität, dass er überhaupt nicht mehr auf Sezuna oder Frau Grell achten konnte.
„Wir sollen sie infiltrieren nehme ich an?“, ergriff Orion wieder das Wort, der direkt hinter der Bundeskanzlerin her lief.
„So ähnlich. Wir wissen nicht wer sie sind. Im Zentrum des Umkreises steht eine Universität, die seit einigen Jahren nicht mehr dem Staat angehört. Jedoch können wir Ihnen nichts nachweisen. Wir wissen also nicht, ob sie etwas damit zu tun haben könnten, oder nicht. Wir haben sie alle dort angemeldet, damit sie sich dort unbemerkt unters Volk mischen können.“
Orion drehte sich zu Sezuna. „Was ist eine Universität?“, fragte er, da ihm der Begriff nicht geläufig war.
Sezuna runzelte nur kurz die Stirn. „Eine Schule nach der Schule. Dort werden bestimmte Bereiche spezialisiert. Man kann es mit einer weiterführenden Ausbildung vergleichen, nur dass es bei uns üblich ist, diese eher praktisch zu führen. Diese Dinge sind aber eher theoretisch und danach folgt oft noch eine praktische Ausbildung“, erklärte die Rothaarige.
„Warum macht man sowas?“, wollte Lika ein wenig irritiert wissen und Sezuna grinste sie an.
„Dir wird es wahrscheinlich gefallen. Soweit ich weiß, gibt es viele technische Fächer.“
Neugierig verengte Orion seine Augen. Woher wusste die Vampirin so viel von der Erde? Konnte man das alles wirklich nur aus Büchern erfahren? Dieser weit entfernte Planet, von dem ihn früher bloß Geschichten erzählt wurden, war ihm mehr als zuwider.
Bereits jetzt, desto weiter sie von dem Kern, der ihre Ankunftsstelle gewesen war, weggeführt wurden, konnte man viele Unterschiede zur magischen Welt feststellen.
Doch desto mehr Orions Begeisterung sank, umso mehr stieg die von Lika. Wenigstens konnte einer der beiden Werwölfe etwas mit diesem Ort anfangen.
Frau Grell führte sie schließlich durch mehrere Flure und aus dem Gebäude hinaus, auf einen großen Hof.
Dort blieben die vier magischen Wesen stehen und musterten die Gerätschaften, die sich überall fanden.
„So viele Autos“, murmelte Sezuna ein wenig erschlagen und Lika schien vor Begeisterung fast herum zu hüpfen.
Es gab Autos zwar auch in ihrer Welt, doch diese waren so rar und so wenig genutzt, dass sie sich lange Zeit nicht weiter entwickelt hatten. Die meisten magischen Wesen mochten es nicht, in solchen Geräten eingesperrt zu sein. Viel lieber nutzten sie Kutschen, oder Pferde, denn von dort aus, konnten sie ihre Magie ohne Einschränkung nutzen.
„Sie werden in einem Wohnheim, in der Nähe des Unigeländes, wohnen.“ Sie musterte kurz den großen Werwolf, der bereits skeptisch zu Sezuna schielte. „Eine Art Wohnanlage, wo mehrere Schüler der Universität wohnen“, erklärte Frau Grell knapp, worauf Orion ein kurzes Nicken von sich gab. „Wir werden Ihnen später noch einige Ausrüstungen mitgeben. Darunter befinden sich Waffen, Handys und noch weitere Sachen. Das wichtigste ist jedoch... Sie dürfen keinem Menschen von ihrer Herkunft erzählen. Sollten sie auf magische Wesen treffen, ist es auch von größter Wichtigkeit, dass sie diesen nichts von ihrem Auftrag erzählt. Weder, dass ihr für die Räte arbeitet, noch dass wir euch herbestellt haben. Haben Sie verstanden?“ Besorgt aber auch mit Nachdruck musterte sie jeden einzelnen noch einmal, bis alle ihr persönliches Einverständnis gaben.
„Gut.“ Frau Grell nickte und ein Mann in Anzug und Krawatte trat vor. „Das ist Giles. Er wird euch zu eurer Unterkunft fahren und euch auf den Weg dorthin, Fragen beantworten, die ihr vielleicht haben werdet. Zögert nicht, ihn auch später zu kontaktieren, solltet ihr Fragen zu unserer Kultur, oder dem Leben hier haben. Es ist wichtig, dass ihr euch so nahtlos wie möglich einfügt“, erklärte sie weiter und blickte dabei kurz zu Lika, um diese zu mustern.
Die Blauhaarige war am auffälligsten von ihnen, doch nichts, was wirklich für Aufsehen sorgen würde. Allgemein würde man wahrscheinlich glauben, dass ihre Haare gefärbt waren und sie Kontaktlinsen trug, oder einen Gendefekt hatte.
Der dunkelblonde Vampir konnte deutlich die Unsicherheit der älteren Dame spüren.
Es ließ sich nicht leugnen, dass Frau Grell wohl etwas bessere Kandidaten erwartet hatte, sowohl oberflächlich, als auch mental. Doch sie hoffte einfach, dass der WeVa die richtige Entscheidung gefällt hatte. Viel mehr konnte nicht schief gehen. Dieses kleine Team war ihre letzte Hoffnung auf einen potenziellen Ausweg.
Nacheinander verabschiedete sich die Bundeskanzlerin von den vier Agenten.
„In ihren Telefonen sind bereits alle wichtigen Telefonnummern unserer Kontaktmänner gespeichert, falls Probleme auftreten sollten. Ansonsten werden wir vorerst den Kontakt zu Ihnen unterbinden, damit sie sich unauffällig einfinden können. Lediglich Giles wird ihnen zur Verfügung stehen. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen!“, waren die letzten Worte die Frau Grell der kleinen Gruppe entgegen brachte, bevor diese in ein großes, schwarzes Auto geführt wurden und die Tür ins Schloss fiel.
Lika nahm sofort das Handy heraus und betrachtete es aufgeregt. Es sah viel moderner aus, als die wenigen Telefone, die es bei ihnen gab. Mental zu kommunizieren war viel verbreiteter, doch nicht jedes magische Wesen beherrschte es. Und schon gar nicht auf eine größere Distanz. Daher gab es auch solche Gerätschaften, wie Handys. Nur schienen die der Erde keine Magie als Kern zu haben, sondern mit etwas anderem zu funktionieren.
Neugierig besah sich Lika das Handy weiter und bemerkte den Akku. So war es ihnen also gelungen, ohne Magie, die Energie für das Telefon zu speichern.
Wirklich interessant.
Sezuna setzte sich neben Lika, wirkte aber alles andere, als begeistert. Sie blickte durch die Fenster nach draußen und ihre Hand krallte sich in den Sitz. Sie mochte keine geschlossenen Dinge und auch, wenn sie einige größere Kutschen tolerieren konnte, so war dieses Auto doch viel zu klein und ihre Raumangst meldete sich.
Kaden, der ihre Angst mehr als deutlich kannte, und zudem noch spürte, musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er hatte sich früher darauf verstanden sie in solchen Stresssituationen zu beruhigen, jedoch zwang er sich, sie zu ignorieren.
Trotz allem konnte er es nicht vermeiden sie hin und wieder zu mustern, während das Auto losfuhr. Auch Kaden hasste es, in engen Räumen eingesperrt zu sein. Nur das es bei ihm mehr um den Platzmangel, als um einen abgeschlossenen Raum ging. Als Kind hatte er regelrecht Panikattacken und Heulkrämpfe bekommen, wenn er in einem engen Raum ohne Ausweg gefangen war.
Oft wurde er von Sezuna dafür ausgelacht und sie wetteten wer es am längsten in einem solchen Raum aushalten konnte. Kaden, der seine vermeintliche Männlichkeit als Kleinkind wieder herstellen musste, hatte gewonnen und seine Angst überwunden. Sezuna nicht so ganz.
Er schüttelte stur den Kopf, als ihm wieder klar wurde, dass er zu viel in Erinnerungen schwelgte. Er schielte unauffällig zu seiner ehemaligen Freundin. Ob sie wohl auch manchmal daran zurückdachte?
*Nein! Das ist Vergangenheit... schließ endlich damit ab, verdammt!*, zwang sich Kaden in Gedanken den Blick abzuwenden.
Sezuna bemerkte die ständigen Blicke und fühlte sich dadurch beunruhigt, doch es lenkte sie auch gleichzeitig ein wenig von dem Platzproblem ab.
Ihre Angst hatte sich im Laufe der Zeit noch verstärkt, doch davon konnte Kaden nichts wissen, auch wenn sich die Rothaarige sicher war, dass er ihre Angst spüren konnte.
Sie wünschte sich, er würde wieder mit ihr albern, so wie früher, doch das war vorbei. Das wusste sie. Aber daran war er selbst schuld, nur dass sie jetzt die Konsequenzen tragen musste.
So ein Dreck.