Beruhigt von der Annahme Lika in ihrem Zimmer zu wissen, zog sich auch Orion zurück. Kaden sah erwartungsvoll zu Havok, die bereits dazu ansetzte loszulaufen. Die beiden Vampire folgten ihr durch die Flure nach draußen.
„Und, wo genau kommt ihr eigentlich her?“, fragte sie und richtete erneut ihren Pony, der ihr immer wieder im Gesicht rumflog.
Kaden spürte die Unsicherheit von Sezuna, die ihm einen kurzen Blick zuwarf.
Sie hatten noch nicht die Gelegenheit gehabt, sich abzusprechen, aber mittlerweile musste Havok klar sein, dass sie sich irgendwie kannten.
„Aus einem kleinen Dorf in der Nähe von New York“, erklärte Sezuna, in der Hoffnung, dass die junge Frau nicht zu viel über diese Gegend wusste.
Die Rothaarige kannte sich mit der Geografie dieser Welt nicht allzu gut aus, was nicht hieß, dass das nicht noch werden würde. Nur war es in der magischen Welt schwer, Informationen über die Menschenwelt zu finden.
Havok runzelte die Stirn und musterte Sezuna kurz mit einem bestimmten Blick, ob sie das denn wirklich ernst gemeint hatte.
„Ein Dorf in New York ja? Wäre mir neu, dass es dort sowas wie Dörfer gibt“, entgegnete sie und ließ ihren bernsteinfarbenen Blick analytisch über Sezuna wandern.
Im nächsten Moment wurde diese jedoch von Kaden zur Seite geschubst, damit er Sezunas Platz neben Havok einnehmen konnte.
„Vergiss das was der Rotschopf gesagt hat“, lachte Kaden kurz auf und schenkte Havok ein charmantes Lächeln. „Sezuna hat ab und zu Blackouts, in denen sie sich andere Realitäten einbildet. Ich denke sie ist Schizophren“, flüsterte Kaden Havok zu, obwohl er genau wusste dass Sezuna ihn trotzdem hören konnte.
Sezuna verdrehte die Augen. „Waterloo ist ein Dorf in New York, in den Vereinigten Staaten. Es liegt in Seneca County“, erklärte die Rothaarige und verdrehte erneut die Augen. „Nur weil du so eine Geografieniete bist, heißt das nicht, dass es das Dorf, aus dem ich komme, nicht gibt“, erklärte sie und blickte dann mit einem Schulterzucken zu Havok. „Weißt du, er ist wirklich eine Null in Geografie und hat auch früher schon gerne behauptet, dass es meine Heimat nicht gibt. Keine Ahnung, warum er so ein Problem damit hat. Großstadtkind halt.“
„Was für ein Zufall ich bin in New Jersey aufgewachsen, lebe aber schon seit mehreren Jahren hier. Was natürlich nicht heißt, dass ich immer noch mit einigen Leuten dort Kontakt habe“, erklärte Havok und musste bei dieser Untertreibung ihrer Auslandskontakte, schmunzeln.
Sezuna öffnete leicht den Mund, doch sie zögerte. Sie durfte sich keine Fehler erlauben, besonders da sie noch für geraume Zeit mit dieser jungen Frau zusammenleben würde.
„Was kann ich denn bitte dafür, wenn du so eine schlechte Lehrerin bist?“, murmelte Kaden beleidigt, während sich die jungen Damen bereits weiter unterhielten, ohne ihm Beachtung zu schenken.
Ein wenig ärgerte sich Sezuna schon, dass Havok aus dieser Gegend kam, denn das machte es schwierig. Vor allem, wenn Havok anfing die Sprache dieses Landes zu sprechen und bemerkte, dass Sezuna sie zwar fließend konnte, aber nicht direkt dort aufgewachsen war. Aber vielleicht würde das nicht passieren. Dafür musste sich die Rothaarige noch eine Ausrede ausdenken.
Aber erst später. Jetzt blickte sie sich erst einmal in der Stadt um, während sie und Kaden Havok durch die Straßen folgten.
Die Straßen waren voll und viele Leute waren unterwegs. Einige lachten, andere schienen gerade Streitereien in der Öffentlichkeit auszutragen.
Kaden zog verwundert eine Augenbraue hoch, als er zwei Halbstarke dabei beobachtete, wie sie sich beschwipst versuchten die Schädel einzuschlagen.
*Das ist einfach nur traurig*, dachte sich der dunkelblonde Vampir und versuchte nicht auf die hundert verschiedenen Emotionen einzugehen, die von ihm Beachtung wollten.
„Da wären wir auch schon“, merkte Havok an und stieß eine schwarze Tür auf, hinter der laute Musik hervor drang.
Die drei betraten einen Gang, der in einem größeren Raum mündete.
Dort gab es eine Bar und jede Menge tanzwütiger Menschen.
Außerdem dröhnte die Musik aus den Lautsprechern, die man überall finden konnte.
Sezuna zuckte etwas. Wie konnte man nur so laut Musik hören? Das war ja grässlich. Aber sie würde sich wohl daran gewöhnen müssen.
„Ist doch fast schon wie früher meinst du nicht, Kätzchen?“, sagte Kaden in normaler Lautstärke, da er sich sicher war, dass Sezuna durch die Musik seine Stimme erkennen würde.
Die Rothaarige zuckte immer noch jedes Mal zusammen, wenn sie Kaden das Wort Kätzchen in den Mund nehmen hörte.
Allein schon dieses schiefe Grinsen von ihm, das sich über die Jahre kein bisschen geändert hatte, schien fast schon vor Ironie zu triefen.
„Als würde dir etwas an den alten Zeiten liegen“, murmelte Sezuna und beobachtete die Leute, ehe sie sich anpasste und mit schwingenden Schritt auf die Bar zu lief, an der sie sich ein Getränk bestellte.
Sie besaßen zum Glück ein wenig Geld, so dass sie nicht in Erklärungsnot gerieten, doch das würde auch bald zur Neige gehen.
Kaden verdrehte die Augen und folgte ihr an die Bar, an der sie bereits ein Glas in der Hand hielt.
„Autsch. Der ging jetzt aber unter die Gürtellinie, meinst du nicht?“ Sezuna gab ein genervtes Seufzen von sich, ehe sie sich Kadens schlecht geschauspielerten Darbietung annahm.
„Hör zu du Möchtegern. Zwischen uns beiden wird es nie wieder so sein wie früher. Also hör auf so zu tun, als könntest du mit mir immer noch so umgehen, wie früher, denn das ist Geschichte. Ich will das hier einfach nur hinter mich bringen.“
Im selben Moment trat Havok hinter der Bar hervor und stellte Sezuna eine kleine Schüssel mit Knabbereien vor die Nase.
Sezuna hob den Blick und lächelte die Frau mit den violetten Haaren an. „Danke“, sagte sie und klang wirklich begeistert.
Havok hob eine Augenbraue. „Sieh es als Willkommensgeste“, meinte sie schlicht.
Sezuna nickte und nippte an ihrem Trink, während sie sich an ihre Aufgabe machte.
Sie hatte sich nicht ganz grundlos dazu entschieden, in die Bar zu gehen. Wenn es auch so war, wie bei ihnen, dann war dieser Ort hier eine gute Möglichkeit, um an Informationen heranzukommen.
Daher hielt sie Augen und Ohren offen und es dauerte tatsächlich nicht lange, bis sie etwas Interessantes aufschnappte.
Die Rede war von einem Hotel, in dem angeblich Menschen auf mysteriöse Weise verschwanden.
Dieses hatte mittlerweile den dritten Inhaber und auch hier waren wieder Gäste verschwunden.
Etwas, was vielleicht mit magischen Wesen zusammenhängen konnte.
Trotz der lauten Musik konnte die Vampirin jedes Gespräch belauschen, wenn sie denn wollte.
Kaden hatte sich in der Zwischenzeit verabschiedet und geisterte irgendwo zwischen den Menschenmassen herum. Wieder spürte Sezuna einen Blick in ihrer rechten Seite, doch diesmal war er anders. Vorsichtig schielte ihr goldener Blick nach rechts, wo sie auch gleich den Ursprung entdeckte. Ein Mann, etwa in ihrem Alter, starrte sie förmlich an und schien sich nicht daran zu stören, dass sie ihn entdeckt hatte. Stattdessen lächelte er sie charmant an und wartete einfach ab.
Irgendwas war merkwürdig, oder war das normal unter Menschen? Sie konnte nur mutmaßen.
Was auch immer es war, es jagte Sezuna einen Schauer über den Rücken.
Was sollte sie jetzt tun?
Ihn ignorieren, oder zu ihm hin gehen?
Vielleicht sollte sie sich neben ihn setzen und fragen, warum er sie so anstarrte und ob das seine Art war, zu flirten. Denkbar war es immerhin.
Dennoch wanderte ihr Blick noch einmal durch die Menschenmassen und sie suchte unterbewusst nach Kaden.
Früher hätte sie ihm kurz zu verstehen gegeben, was sie vorhatte. Damit er sie rausholen konnte, falls es sich um irgendeinen Irren handelte. Das gab es unter magischen Wesen wirklich genug.
Aber hier war sie unter Menschen. Keiner von diesen konnte ihr wirklich gefährlich werden.
Eine Pistolenkugel, oder einen Messerangriff würde sie überleben. Wahrscheinlich nicht ganz unbeschadet, aber sie glaubte auch nicht, dass ein Mensch einen Feuerwerfer mit sich herum trug.
Was sollte sie tun?
Während sie angestrengt nachdachte, bemerkte sie auch schon seine Präsenz, die sich nun zu ihrer linken an die Bar lehnte.
„Einen schönen guten Abend, werte Dame. Ich habe sie noch nie hier gesehen.“ Es war derselbe Mann, der sie über die Bar hinweg angestarrt hatte. Sezuna drehte sich zu ihm und musterte ihn kurz. Rabenschwarzes Haar und graue Augen... merkwürdige Augen. Sie wusste nicht, was es war, doch irgendwas erschien ihr merkwürdig an diesem Mann.
Aber weil Sezuna nicht auffallen wollte, schenkte sie ihm ein Lächeln. „Ich bin gerade erst hier ins Wohnheim gezogen“, erklärte sie, als wäre es das normalste auf der Welt.
Das schien den Schwarzhaarigen doch ein wenig zu irritieren, aber auch zu beruhigen.
Er grinste, als würde er bereits auf eine Antwort warten, auf eine Frage die er noch nicht gestellt hatte.