Der Regen rauschte laut in ihren empfindlichen Ohren, als sie in die Straße einbog wo das Hotel lag. Es brannte kein Licht in der Lobby, wo sie heute erst den Besitzer getroffen hatten.
Aber wieso war sie hier?
Oder besser gesagt... was machte Kaden hier?
Sie zögerte kurz als sie mit dem Gedanken spielte, dass sie doch eine alte Spur von Kaden hierher geführt hatte. Doch der Geruch war stärker.
Der Regen war nicht unbedingt hilfreich, aber sie roch Kadens Geruch und als sie hinauf zu dem Fenster blickte, das zu dem Zimmer gehörte, in dem sie schon einmal gewesen waren, sah sie, wie sich etwas bewegte.
Sicherheitshalber trat sie einige Schritte zurück und tauchte im Schatten einer Laterne unter. Hier sollte Kaden sie nicht sehen können, wenn er es wirklich war.
Aus dem Augenwinkel erkannte sie seine Silhouette.
Ja er war es, kein Zweifel. Eine Silhouette die sie überall erkennen würde. Das Rauschen des Regens war zu laut, als das sie etwas hören konnte, aber dennoch hörte sie das aufprallen von Kadens Schuhen auf dem Asphalt.
Sezuna wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. War der Kerl doch tatsächlich aus dem Fenster gesprungen und kam auf sie zu.
Moment! Er kam auf sie zu? Dann hatte er sie erkannt?
Sezuna hätte sich ohrfeigen können. Natürlich. Wenn sie ihn riechen konnte, dann konnte auch er sie riechen. Mist.
Schnell drehte sie sich um und machte sich, in normaler, menschlicher Geschwindigkeit, auf den Weg in eine der Gassen.
„Sezuna?“, hörte sie Kaden eher suchend rufen.
Sie spielte mit dem Gedanken sich zu ihm umzudrehen oder ihm zu antworten.
Aber wozu?
Wieso war sie überhaupt hier her gekommen?
Sie wusste doch eigentlich, dass Kaden nichts passiert sein konnte. Ein Vampir unter Menschen... was sollte da schon geschehen?
Sie hörte plätschernde Schritte hinter sich... Scheiße! Vielleicht hätte sich doch hinter der Laterne bleiben sollen...
„Sezuna!“, rief er nun bestimmter und sie merkte wie er ihr immer näher kam.
Und sie konnte an seiner Stimme hören, dass er nicht sonderlich erfreut war.
Ähnlich wie Sezuna.
Sie war wütend, aber vorrangig auf sich selbst. Sie hätte wissen müssen, dass es Kaden gut ging. Sie hätte sich nicht so aufregen müssen. Und schon gar nicht hätte sie dem Drang nachgeben dürfen, ihn zu suchen. Das war dumm gewesen und sie hasste Dummheit. Vor allem an sich selbst.
Sezuna reagierte nicht auf sein Rufen, sondern bog ab und fand sich in einer Sackgasse wieder.
Verärgert wollte sie wieder umdrehen, doch Kaden war schon zu nah.
Die letzten paar Schritte rannte er in halbwegs menschlicher Geschwindigkeit auf sie zu.
Er merkte selbst nicht wie seine Wut immer mehr zunahm desto näher er zu Sezuna kam. Mit nicht einmal einem Meter Abstand kam er vor ihr zum Stillstand und sah sie wütend an.
„Was machst du hier? Kannst du mich nicht einmal in Ruhe lassen?“, rief er aufgebracht und schien sie sogar schon regelrecht anzubrüllen.
Er war bis auf die Haut durchnässt doch das schien ihn nichts auszumachen.
Das T-Shirt das er trug war komplett im Regen getränkt und lag an ihm wie eine zweite Haut. Auch wenn ein normaler Mensch vermutlich bereits erfroren wäre machte ihm die Kälte sichtlich wenig zu schaffen. Viel mehr heizte ihn seine Wut von innen heraus an.
Dazu kam auch noch Sezunas Wut, die sich dieser gar nicht bewusst war.
„Ich habe mir verdammt nochmal Sorgen gemacht“, rief sie zurück. „Aber das war ja unnötig. Dir scheint es ja prächtig zu gehen“, gab sie spitz zurück.
Wütend ballte Kaden seine Hände zu Fäusten und versuchte sich innerlich zusammenzureißen, doch die Worte und Tobsucht sprudelten nur so aus ihm heraus.
„Gott! Hör auf immer die Heldin spielen zu wollen! Erst machst du es dir zur Aufgabe mir die Hölle auf Erden zu gestalten und dann tust du so als wäre alles wieder so wie früher! Sag mir endlich was du von mir willst! Los sag schon! Was willst du?!“, schrie Kaden zurück und gestikulierte wild mit den Händen rum während er immer weiter auf sie zu lief und sie in die Enge drängte.
Sezuna machte große Augen und Wut machte sich in ihr breit auch wenn sie wusste, wie gefährlich das in Kadens Gegenwart werden konnte.
„Heldin? Sag mal, spinnst du?“, rief sie ebenso laut zurück. „Du bist doch derjenige der nur scheiße baut. Auf dich muss man aufpassen wie auf ein Kind!“
Kaden schnellte in Vampigeschwindigkeit auf sie zu und stieß sie mit Schwung gegen die Wand.
„Ach ja?! Vielleicht verhalte ich mich ja wie ein Kind, weil du dich immer als meine Mutter aufspielen musst! Dabei solltest gerade du am besten wissen, dass ich schon mehr als genug davon habe!“, schrie Kaden zurück und boxte dabei einmal kräftig gegen die Wand neben Sezunas Kopf, wo sich seine Faust beachtlich in den Beton bohrte.
Sezuna zuckte, ließ sich davon aber nicht beirren.
„Wenn du dich nicht wie ein Kleinkind benehmen würdest müsste ich mich nicht aufführen wie deine Mutter“, giftige Sezuna zurück. Als würde sie sich einschüchtern lassen.
Soweit kam es noch.
Zornig riss der Dunkelblonde seine Faust aus der Wand und ging einige Schritte zurück, wobei er Sezuna den Rücken zuwandte. Immer wieder spreizte er seine Finger und formte eine Faust, als würde er seine Hände beschäftigen wollen.
„Scheiße!“, fluchte er laut und lief schwer atmend im Kreis. „Musst du mich immer so in den Wahnsinn treiben?!“
Adrenalin rauschte in seinen Adern, so, dass Kaden alles um sich herum vergaß.
Er vergaß den Auftrag.
Er vergaß, dass sie auf der Erde waren.
Er vergaß, dass Sezunas Gefühle ihn beeinflussten so in seiner Wut auszuarten.
„Ich dich? „, fauchte Sezuna sauer und hatte das Bedürfnis Kadens Arm zu schlagen doch sie hielt sich zurück. „Du bist doch der Idiot.“
Immer noch laufend vergrub Kaden seine Hände in seinem nassen Haar und schloss die Augen um einige tiefe Atemzüge zu nehmen. Doch nichts schien zu helfen.
Er knurrte einmal laut auf als er merkte das sich die Wut einfach nicht legen wollte.
„Das ist so typisch für dich!“, knurrte er gepresst und hob leicht den Blick zu ihr, doch blieb nicht stehen.
Sezuna, die das ewige hin und her einfach nicht abkonnte, griff nach Kadens Arm, um ihn fest zu halten. „Bleib endlich stehen“, befahl sie wütend. Er machte sie verrückt.
Die plötzliche Berührung von der Rothaarigen brachte ihn zum überkochen. Mit übermenschlich schnellen Handgriffen schlug er Sezunas Hand weg und schnellte mit ihr an die Wand, wo er sie nicht gerade sanft an der Kehle packte und gegen diese drückte.
„Fass mich nicht an!“, brüllte er im selben Sekundenbruchteil als er etwas zwischen ihrem Haar aufblitzen sah, während ihre Kapuze runterrutschte.
Verärgert drückte er zu, so dass Sezuna die Tränen in die Augen stiegen. Erst dann schien er den filigranen silbernen Schmetterling zwischen ihren Haaren zu erkennen.
Außerdem schwappte ein Gefühl zu ihm über, das er nur schwer deuten konnte. Sezuna war nervös, aber sie hatte keine Angst vor ihm. Obwohl er noch immer eine Hand an ihrer Kehle hatte.
Als wäre er in einem Tunnelblick gefangen, griff er mit seiner freien Hand an ihr Ohr um einige Strähnen zur Seite zu schieben und den Ohrring zu berühren.
Er sah genauso aus wie in seiner Erinnerung.
Ein schlichter silberner Schmetterling, für den die beiden mehrere Tage gebraucht hatten um ihn mit Magie herstellen zu können, als sie noch Kinder waren.
Doch die Wut in ihm nahm einfach nicht ab, dennoch zwang er sich den Griff von Sezunas Hals zu lösen und sich mehrere Meter von ihr zu entfernen ohne sie anzusehen.
Sie trug ihn noch. Den Schmetterling, der ihr Zeichen ihrer Freundschaft war. Auch Teile ihres Armbandes hatte er in ihrem Haar erkannt. Gut versteckt aber auch gut gesichert.
Warum? Er war der festen Überzeugung gewesen, dass sie ihr Freundschaftsband zerstört hatte.
So wie auch er vorhatte seines zu zerstören... seit Jahren. Doch er brachte es einfach nicht übers Herz. Auch kurz bevor Sezuna gekommen war und er sie gerochen hatte, den unverkennbaren Duft den er selbst auf einer Müllhalde noch wittern würde, hatte er genau mit diesem Gedanken gespielt.
Er blieb ruckartig stehen und verspannte sich sichtlich.
Sein kompletter Körper schien sich verkrampft zu haben bei dem Gedanken, dass sie es all die Jahre aufgehoben hatte.
Hatte sie wirklich gedacht, dass nach dem was sie getan hatte, ihre Freundschaft nochmal funktionieren würde?
Da sie ihn scheinbar als Idioten sah, vermutlich schon.
Doch er war kein Idiot... nicht mehr zumindest.
Er war nicht mehr so naiv wie früher.
Die Vertrauensbasis war zerstört, und mit ihr auch die Aussicht auf eine Rückkehr zu einer Zeit in der alles noch gut zwischen ihnen war.
„Wieso hast du es aufgehoben?“, fragte er gepresst und merkte wie er anfing zu zittern. Weniger vor Kälte, als vor der Wut die nach wie vor in ihm rumorte.
Sezuna hob die Hand und ihre Finger spielten sanft mit dem Schmetterling, wie sie es schon immer getan hatten, als sie diesen noch als Armband trug.
Ihr Blick war gen Boden gerichtet, dennoch erkannte Kaden wie dieser trüb wurde und durch die Wut drängte sich Sezunas eigene Traurigkeit.
„Vielleicht weil ich naiv genug war zu glauben, dass du es dir irgendwann anderes überlegst und es vielleicht doch noch Hoffnung gibt“, sagte sie mit rauer Stimme, die jedoch irgendwie so klang, als wäre sie kurz davor aufzugeben.
Eine Weile verharrte Kaden sprachlos im Regen und sah Sezuna nur an, die mit immer noch gesenktem Blick, einige Meter von ihm entfernt stand.
Ein Donnergrollen, gefolgt von einem Blitz, erhellte für einen Sekundenbruchteil die Straße.
Plötzlich entspannte sich der Vampir ein wenig und schien die angestaute Wut von sich und Sezuna zu verlieren. Stattdessen machte sich etwas anderes in seiner Gefühlsregung breit, sowohl von Sezuna als auch von ihm.
Eine Mischung aus Trauer und Bedauern.
Aber hauptsächlich war da eines... Leere.
Obwohl er noch immer schwer atmete von den Überresten der Wut die ihn erdrückt hatten, senkte er nun den Blick und seufzte schwer.
„Mach dir nichts draus“, rief er über den Donnerschlag hinweg zu Sezuna und griff in seine Hosentasche um das aus schwarzen Lederbänden, geflochtene Armband mit einem Blatt aus Metall daran raus zu holen. Kurz fuhr er den Fasern des Armbandes entlang und warf es Sezuna letztendlich vor die Füße damit sie es sehen konnte. „Ich war genauso naiv.“
Sezuna blickte nun genau auf das Armband, dass im Wasser lag und drohte vom Regen weggespült zu werden.
Langsam ging sie in die Hocke und sorgte so dafür, dass ihr Rock in der Dreckbrühe des Bürgersteigs landete, aber ihre Finger griffen vorsichtig nach dem Armband, um es aufzuheben.
Kaden hatte es weggeworfen?
Als sie es an den durchnässten Bändern fasste, lösten sich diese und das silberne Blatt fiel platschend zu Boden.
„Behalt es. Wirf es weg. Verbrenn es. Ganz egal, such dir was aus. Ich bin fertig damit“, brach er das Schweigen nach einigen Sekunden in denen Sezuna im Wasser kniete.
Er zögerte noch kurz bevor er sich aus dem Staub machte und in der Dunkelheit verschwand. Sezuna die den Blick immer noch auf das Blatt in ihrer Hand gerichtet hatte, roch seine Spur die durch den Regen, jetzt schon schwacher wurde.
Wegwerfen, oder verbrennen?
Sezunas Hand schloss sich um das Blatt und sie richtete sich auf, ehe sie ihren Kopf in den Regen hob in der Hoffnung er würde ihre Tränen wegwaschen, die sich unweigerlich einen Weg über ihre Wangen suchten.