Angespannt tippte Havok auf ihrem Handy rum um einigen Nachrichten zu beantworten, die sie während des Kartenspiels nicht bemerkt hatte.
Wo steckte sie nur? Sie war nun bereits länger als genug weg und bei dem Wetter und der Gegend war es nicht gerade die Beste Zeit um Spaziergänge zu unternehmen.
Seufzend legte die das Telefon zur Seite, wo ihr Blick automatisch auf Lika fiel die mehr als nervös war.
Havok überlegte, ob sie die Blauhaarige irgendwie aufmuntern konnte, aber ihr fielen nicht die richtigen Worte ein.
Was auch gar nicht nötig zu sein schien, denn Lika erhob sich. „Ich werde mich jetzt verabschieden. Es ist schon spät“, sagte sie und versuchte sich an einem Lächeln.
Ihr eigentlicher Plan sah vor, dass sie bei Orion nachfragt, ob er wüsste, wo Sezuna war. Sie machte sich Sorgen. Auch wenn sie das eigentlich nicht musste. Die Vampirin konnte auf sich selbst aufpassen. Menschen konnten ihr gar nichts.
Das Problem war nur, dass irgendwer nichtmenschliches die Stadt bedrohte. Und bisher hatten sie keine Ahnung, wer der Feind war und auf was sie sich vorbereiten mussten.
Denn dieser Feind konnte durchaus gefährlich werden!
Die Frau mit dem violetten Haaren sah die blinzelnd an.
„Bist du sicher?“, fragte sie unsicher. Sie war vermutlich nicht der empathievollste Mensch auf Erden, doch selbst sie konnte erkennen, dass Lika sichtlich aufgebracht schien.
Die Blauhaarige nickte wild und bewegte sich bereits in Richtung Tür.
„Vielen Dank für das Spiel, es hat Spaß gemacht“, verabschiedete sich Lika und als auch Havok sich letztendlich verabschiedete, schloss diese die Tür, wo sie sich im Flur wiederfand.
Lika atmete einmal tief durch, um sich selbst zu beruhigen und trat dann an Orions Tür.
Es kostete sie nicht viel Überwindung zu klopfen, doch sie war recht leise und hatte fast schon Angst, dass Orion sie nicht hören würde.
Die Wartezeit schien sich bis in die Unendlichkeit zu ziehen obwohl es höchstens eine Minute gewesen war. Obwohl Orions Haar zerzaust war und sein Aufzug danach aussah als würde er schlafen, so waren seine Augen dennoch hellwach und alarmiert.
„Was ist los?“, fragte er besorgt und ahnte das Schlimmste.
Lika schien erst mit den Augen den Boden abzusuchen, ehe sie vorsichtig meinte: „Was hast du vorhin mit Sezuna besprochen? Sie ist plötzlich los gerannt und noch nicht wieder zurück. Ich mache mir Sorgen“, erklärte Lika, die nicht genau wusste, wie sie es ausdrücken sollte.
Eigentlich ging es sie gar nichts an. Vielleicht hatte Orion sie auch zu einem Auftrag geschickt. Immerhin war der Werwolf ja der Anführer ihrer Truppe.
Seine grünen Augen weiteten sich.
„Sie ist alleine losgezogen?“, vergewisserte er sich in fluchte leise während er zu seiner Jacke griff die an der Tür hing. „Du gehst in dein Zimmer und rührst dich nicht vom Fleck. Wenn ich dir innerhalb der nächsten Stunde keine Nachricht schicke, meldest du dich beim WeVa und erzählst was passiert ist. Verstanden?“, noch während er seine Tür schloss und sich die Jacke umwarf redete er so schnell und hoffe das Lika sich alles merken konnte.
Diese nickte nur und das war für Orion das Zeichen, dass er gehen konnte.
Lika würde tun, was er ihr aufgetragen hatte. Jetzt galt es Sezuna in diesem strömenden Regen zu finden.
Zu allem Überfluss hatte es auch noch angefangen zu gewittern und die Blitze zuckten über den Nachthimmel.
Er beschleunigte seine Schritte, wenn auch nicht so schnell wie die eines Vampirs und versuchte irgendwo Sezunas Spur aufzunehmen. Vermutlich hatte sich nach Kaden gesucht, weil er ihr gesagt hätte er wüsste auch nicht wo er war.
Indirekt war es also seine Schuld, dass sich die Rothaarige bei diesem Wetter nach draußen verirrte und nun womöglich Gott weiß wo sein konnte. Bereits nach wenigen Minuten hatte er die Bar erreichet die er viel schneller erreichte als wenn er wie ein Mensch hingelaufen wäre. Keine Menschenseele war hier. Weder Sezuna noch Kaden.
Besorgt wandte er der Bar den Rücken zu und überlegte, ob es nicht doch sinnvoller wäre seine Wolfsgestalt anzunehmen in der seine Sinne ausgereifter waren, als in seiner menschlichen Gestalt.
Doch in Anbetracht der Tatsache dass Wölfe in der Stadt eher selten vorkamen könnte er dieses Risiko nicht eingehen.
Also musste er wohl oder übel so weiter suchen.
Vielleicht sollte er die Stellen absuchen, an denen sie schon einmal gewesen waren. So konnte er Glück haben und ihre Spur aufschnappen.
Auch sollte er überlegen, wo Kaden sein könnte. Denn wenn Sezuna nach ihm gesucht hatte, dann hatte sie ihn wahrscheinlich schon gefunden.
Der Werwolf war sich ziemlich sicher, dass die Rothaarige genau wusste, wo sie nach dem Vampir suchen musste.
So viele Möglichkeiten könnte es nicht geben... oder vielleicht doch?
Der dämliche Vampir könnte überall sein. Er rannte weiter die Straßen entlang und versuchte seine ganze Aufmerksamkeit seiner Nase zu widmen.
Ja... genauso hatte er sich einen Auftrag mit Vampiren vorgestellt. Sie sorgten nur für Ärger genau wie sein Vater immer sagte. Verbissen kniff er die Augen zu und schüttelte den Kopf.
Nein! Er war nicht sein Vater!
Auf einmal hielt er inne und reckte die Nase in die Luft. Eine feine Spur, womöglich schon ein paar Tage alt, doch es war alles was er hatte.
Eine Nadel im Heuhaufen.
Er bog in eine Straße ein und kam vor dem Hotel zum Stehen.
Das Hotel...?
Sein Blick glitt die Fassade des Hotels entlang und er blickte auf die Zimmer. Sie alle lagen in Dunkelheit gehüllt da und nirgendwo regte sich etwas. Auch sein Geruchssinn sagte ihm nicht, dass dort etwas war. Allerdings konnte er einen feinen Geruch wahrnehmen, der wie eine Mischung aus Sezuna und Kaden war.
Sie hatten sich hier wohl getroffen und waren dann ein Stück zusammen unterwegs.
Orion folgte dem Geruch und bog in eine Gasse ein.
Es dauerte nicht lange, da konnte er riechen, dass sich Kaden und Sezuna wieder trennten.
Verwundert runzelte er die Stirn. Was war passiert? Er blickte einige Male auf sein Handy um sicherzugehen das Lika ihm vielleicht nicht geschrieben hatte, dass Sezuna inzwischen doch wieder zu Hause war.
Doch nichts.
Er lief langsam weiter und merkte wie Kadens Spur letztendlich vollkommen verflogen war, im Gegensatz zu Sezunas die immer stärker wurde.
Sie schien sich auch noch in der Nähe zu befinden.
Orion bog um eine Ecke und bemerkte eine Gestalt, die auf einer Treppe eines verfallenen Hauses kauerte.
Zuerst dachte er, es wäre irgendein Penner, doch er nahm Sezunas Geruch wahr und sah auch die roten Haare, die durch den Regen an ihrer schwarzen Jacke klebten.
Sie hatte die Beine ran gezogen und den Kopf auf die Knie gelegt.
Orions naheliegender Gedanke war, dass sie angegriffen wurde. Doch hier sah es nicht nach einem Schlachtfeld aus und auch sein Wahnsinn meldete sich nicht. Langsam ging er zu ihr rüber um sie nicht zu erschrecken und zog seine Jacke aus um sie ihr über Kopf und Schultern zu legen.
Vollkommen außer Atem ließ er sich neben ihr in die Pfütze nieder und packte sein Handy aus, um Lika eine kurze Nachricht zu schicke das alles in Ordnung sei.
Er wartete kurz, doch er wusste ehrlich gesagt nicht wirklich was er sagen sollte. Einige Male hörte er ein kurzes ersticktes Schluchzen was ihm bis ins Mark ging.
Auch wenn er nicht wirklich wusste, was vorgefallen war so war er sich dennoch ziemlich sicher, dass Kaden an diesem Dilemma schuld war. Er legte der Rothaarigen einen Arm um die Schultern und zog sie an seine Brust.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“, flüsterte er sanft in ihr Ohr und lauschte dem auf prasselndem Regen.
Sezuna reagierte nicht.
Orion konnte nicht einmal sagen, ob sie ihn erkannt hatte, oder nicht.
„Du kannst nicht hier im Regen sitzen bleiben“, erklärte er, erhielt aber ebenfalls keine Antwort.
„Du wirst noch krank“, versuchte er es erneut, während er Sezuna wärmend an sich zog.
So langsam wurde es kalt.
„Vampire werden nicht krank“, kam die leise, raue Antwort, bei der sich Orion anstrengen musste, um sie zu hören. So rau und schwach war die Stimme der Rothaarigen. Und so verweint. Sie kam kaum gegen den tosenden Regen an, der drohte die ganze verdammte Stadt weg zu spülen.
Seufzend legte der Werwolf sein Kinn auf Sezunas Kopf ab und schloss kurz die Augen.
„Bist du verletzt?“, fragte er sicherheitshalber und wartete einige Sekunden, doch sie schien wieder dicht zu machen.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis er ein leises: „Nein“, vernahm. Da er nicht mehr mit einer Antwort auf seine Frage gerechnet hatte, dauerte es eine Weile, bis er verstand, dass sie damit meinte, dass sie nicht verletzt war.
Körperlich würde er ihr da zustimmen, aber seelisch sah sie alles andere, als unverletzt aus.
Während der Regen weiterhin niederprasselte, saßen die beiden einfach nur da, bis Orion spürte, dass Sezunas Atem ruhiger wurde. Sie schien so erschöpft zu sein, dass sie während des Weinens an seiner Schulter eingeschlafen war.
„Ok, das reicht“, flüsterte er, als hätte sein Neffe seine Bettzeit bereits überschritten. Vorsichtig schob er seine rechte Hand unter Sezunas Beine, um sie hochzuheben und machte sich auf den Weg zurück zum Wohnheim.
Dabei überlegte er bereits, wie er Kaden am besten in den Arsch treten könnte.
Wie hatte dieser Idiot Sezuna nur so verletzten können, dass sie sich entschied einfach mitten im Regen zu sitzen und zu weinen?
Im Grunde war das eine sehr dumme und emotionale Entscheidung, die er nicht so ganz mit Sezuna in Verbindung bringen konnte. Die Rothaarige hatte bisher nicht gewirkt, als würde sie unüberlegte Dinge tun.
Aber da hatte er sich wohl geirrt.
Als sie das Wohnheim betraten, tropften sie den gesamten Gang voll, doch das war Orion reichlich egal.
In dem Flur, in dem sein Zimmer lag, blickte er kurz auf Sezunas Tür, entschied sich dann aber dagegen. Er wollte Havok nicht wecken.
Also wandte er sich seiner Tür um und versuchte diese irgendwie zu öffnen, ohne Sezuna dabei fallen zu lassen.
Dies erwies sich als weitaus schwieriger als es aussah, doch letztendlich schaffte er es die Tür aufzuschließen und mit seinem Fuß aufzustoßen.
Da er nach wie vor die Wohnung alleine bezog, brauchte er auch nicht großartig leise zu sein und brachte Sezuna in sein Zimmer um sie vorsichtig auf sein Bett abzulegen und sie behutsam zuzudecken.
Er blieb noch kurz stehen und beobachtete ihren gleichmäßigen Herzschlag während sie schlief. Kurz wandte er sich um, um sich seine durchnässten Klamotten anzuziehen und sich abzutrocknen. Da Sezuna sowieso schlief brauchte er sich keine Gedanken zu machen.
Allerdings überlegte er sich, ob es so gut war sie so pitschnass in seinem Bett zu lassen.
Nicht nur, dass das Bett danach wohl völlig durchnässt war, vielleicht erkältete sie sich.
Aber sie hatte gesagt, Vampire wurden nicht krank. Und sie musste es ja wissen.
Dennoch überlegte er kurz, ob er ihr die nassen Sachen ausziehen sollte.
Vermutlich wäre es die klügere Variante. Doch Orion zögerte dennoch. Schließlich kannte er Sezuna nun auch nicht so gut und wollte ihr nicht zu nahe treten. Er warf das Handtuch, mit dem er sich getrocknet hatte, auf die Bettkante und zog sich eine trockene Jogginghose an.
Ohne den Blick von Sezuna zu wenden ging er auf Ihr Seite des Bettes und legte vorsichtig eine Hand auf ihre Stirn.
Sie war eiskalt. Doch das war ja nichts Neues für Vampire.
Er konnte schlecht einschätzen, ob es sich um ihre natürliche Kälte handelte oder ob es doch von dem Regen kam.
Nun griff er doch zum Handtuch und begann wenigstens Sezunas Gesicht sanft zu trocknen um sie nicht aufzuwecken.
Dabei bemerkte er, dass Sezuna zwar atmete, sich aber sonst nicht regte.
War das ein gutes Zeichen, oder nicht?
Orion wollte eigentlich jemanden danach fragen, doch der einzige, der vielleicht Ahnung gehabt hätte, war Kaden und den wollte Orion nicht einmal sehen.
Also trocknete er Sezunas Gesicht und ihr Haar. Er würde warten müssen, bis sie aufwachte.
Was wohl vorgefallen war?
Was könnte so schlimm sein, dass Sezuna wie eine gebrochene Seele auf der Straße blieb als würde sie in nichts einen Sinn sehen?
Desto mehr Orion darüber nachdachte, desto mehr wuchs seine Wut auf Kaden. Dieser verhurte Blutegel stellte sich wohl doch nicht als hilfreicher raus als eine Zecke. Er kramte noch einen seiner Pullover aus seinem Kleiderschrank und zog ihn Sezuna behutsam über den Kopf.
Wenn er sie schon nicht umzog könnte er wenigstens dafür sorgen dass sie nicht erfror.
Er blieb eine Weil an der Bettkante sitzen als er merkte wie auch seine Augen langsam zufielen.
Müde von der aufreibenden Nacht zog er sich ins Wohnzimmer und legte sich auf das graue Sofa.
Er zwang sich zwar trotzdem dazu wach zu bleiben bis Sezuna aufwachen würde doch letztendlich gab er sich doch dem ersehnten Schlaf hin.
Ein Geräusch ließ ihn die Augen aufschlagen, doch er regte sich noch nicht. Stattdessen lauschte er.
Es klang, als würden Kleider rascheln.
Orion strengte sein Gehirn an, dass noch ein wenig langsam war, nach dem Aufwachen, doch schließlich fiel ihm wieder ein, was geschehen war.
Sezuna. Sie musste erwacht sein.