Mehrere Male atmete Sezuna tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Wie versteinert stand sie vor der Tür in der sie ihre nächste Vorlesung hatte.
Doch viel schlimmer war die Tatsache, dass Kaden in derselben Klasse war. Sie wollte ihn nicht sehen... nicht mal an ihn denken und doch schien es unvermeidlich.
Verkrampft knoteten sich ihre Finger in den Riemen ihrer Tasche, der über ihrer Schulter hing.
Sollte Kaden wirklich schon drinnen sein, hatte er vermutlich bereits ihre Gefühle gespürt. Ein Gedanke, der Sezuna nur noch nervöser machte.
Vielleicht war er ja ausnahmsweise auch bereit sich zu entschuldigen. Ein kläglicher Gedanke, der nicht mehr als eine Illusion war. Schnell hakte sie diese Wahrscheinlichkeit ab, um sich keine falschen Hoffnungen zu machen.
Selbst wenn dem so wäre, würde sie diese vermutlich nicht annehmen.
Ja, der Gedanke machte ihr Mut.
Sie brauchte ihn nicht und saß am längeren Hebel. Sollte er doch zu ihr angekrochen kommen, dennoch würde sie sie bestimmt nicht nachgehen.
Aber sie vermisste ihn so sehr.
Sie vermisste den Freund und dieses Gefühl war schlimmer, als der eigentliche Streit.
Trotzdem musste sie es schaffen den Raum zu betreten.
Noch einmal atmete sie tief durch und öffnete schließlich die Tür.
Ihr Blick glitt nicht umher, wie sonst, sondern sie suchte einfach nur nach den ersten Reihen und fand dort auch sehr schnell in türnähe einen freien Platz.
Der Professor war zwar schon da, doch der Hörsaal schien noch nicht sonderlich gefüllt, denn es war noch verhältnismäßig ruhig.
Außerdem standen noch einige Studenten vorn und unterhielten sich mit dem Professor.
„Da bist du ja, ich dachte schon du kommst nicht“, erklang Likas Stimme und sie setzte sich um und rutschte in die Bankreihe neben Sezuna.
Diese hob den Blick und versuchte zu lächeln.
Als würde sie eine Vorlesung ausfallen lassen, auch wenn es keine Anwesenheitspflicht gab.
Auch wenn sie die blauhaarige Werwölfin mochte und es ihr leidtat, dass sie sich Sorgen um sie gemacht hatte, hoffte die Vampirin einfach, dass sie nicht nach der letzten Nacht fragen würde. Sie wollte nicht darüber reden, nachdenken oder daran erinnert werden. Jedes Mal wenn die Tür aufschwang musste sie unweigerlich aufblicken, aus Angst es könnte Kaden sein.
Sie wollte nicht hinsehen. Wollte, dass es ihr egal war. Doch sie konnte einfach nicht anders.
Das war auch der Grund, warum sie die ganze Vorlesung über damit beschäftigt war an nichts zu denken und nicht einmal wirklich zuhörte.
Ihr Gehirn würde es ihr schon wieder vorkauen, wenn sie es brauchte. Doch nicht jetzt.
Jetzt wollte sie einfach nichts denken, doch das gestaltete sich als schwierig und ihr Kopf begann zu pulsieren. Auf eine unangenehme und auch eher unbekannte Art und Weise.
Zudem war ihr unglaublich warm.
Sie hörte Likas Stimme etwas sagen, doch sie wusste um ehrlich zu sein nicht was. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt sich auf nichts zu konzentrieren und so gut wie möglich alles auszublenden.
„Sezuna? Bist du okay?“, wiederholte Lika mit einem sorgenvollen Blick und holte Sezuna zurück in die Realität.
Etwas für das sie Lika mit einem Knurren bedachte, welches die Blauhaarige dazu brachte ihre Worte zu bereuen.
Auch die Art und Weise, wie Sezunas goldene Augen funkelten, sorgte dafür, dass sie sich ein Stück von der Rothaarige weg lehnte.
Orion, der neben Lika saß, bemerkte dies und drehte seinen Blick zu Sezuna.
Auch wenn er versucht hatte sie weitgehend in Frieden zu lassen, so ging es dennoch zu weit wenn Lika darunter litt. Er deutete der Blauhaarigen mit ihm den Platz zu tauschen. Nur um sicherzugehen, dass Sezuna nicht doch noch wütend wurde.
„Sie kann nicht wissen was in deinem Kopf los ist“, flüsterte er kaum hörbar ohne den Blick von der Tafel zu richten.
Die Lesung hatte bereits begonnen wie Sezuna nun feststellen musste und Kaden Geruch nahm sie ebenso wenig wahr. Entweder er verspätete sich oder er schwänzte. Sie vermutete letzteres.
Obwohl sie nicht darüber nachdenken wollte, schien ihre Nase instinktiv nach ihm zu suchen.
Allerdings konnte sie ihn nicht riechen. Nur noch ganz leicht und das war mindestens zwei Tage her.
Sezuna ging nicht auf Orions Kommentar ein und ignorierte auch Lika. Stattdessen versuchte sie wieder nichts zu denken und so die Kopfschmerzen ein wenig zu verdrängen.
Doch es wurde einfach nicht besser.
Und zu allen Überfluss verschwamm ihre Sicht auch noch, wenn sie an die Tafel blickte.
Das ärgerte sie, aber das war sie gewohnt. Wenn ihr Kopf eine Pause brauchte, dann machte er so oft auf sich aufmerksam.
Sie würde einfach nach dieser Vorlesung wieder nach Hause gehen und sich hinlegen.
Den Rest der Vorlesung nahm sie zum Glück nicht wirklich wahr.
Wie eine Untote schleifte sie sich aus dem Hörsaal und wollte einfach nur weg.
Weg von den Menschenmassen.
Weg von Lika und Orion.
Weg von... ihm.
Da war er und lief den Gang entlang, als ob nichts wäre. Sezuna blieb mitten im Flur stehen und wurde von vorbeilaufenden Studenten und Professoren angerempelt. Doch das nahm sie alles nicht wahr. Die Schmerzen in ihrem Kopf schienen unerträglich und ihre Körpertemperatur schien unnatürlich hoch, dass sie das Gefühl hatte, innerlich zu kochen.
Plötzlich blickte er auf und begegnete ihrem Blick. Schlagartig breitete sich Leere in seinem Blick aus, genau wie bei Sezuna. Es schien sich alles wie in Zeitlupe abzuspielen. Die Sekunde, in der Kaden kaum merklich inne hielt und sich wieder umdreht, um ihr den Rücken zuzuwenden.
Sezuna versuchte sich davon nicht fertig machen zu lassen und wollte ihren Weg fortsetzen, doch der Boden schien irgendwie nicht richtig zu sein. Alles begann sich zu drehen und die Umgebung wurde Zusehens unschärfer, ehe sie das Gefühl hatte in ein schwarzes Loch zu fallen.
Sie hörte noch, wie Lika ihren Namen rief, doch mehr nahm sie nicht wahr.
Lika hob die Hand, als sie bemerkte, dass es Sezuna nicht so gut ging, doch da war es schon zu spät.
Die Rothaarige klappte förmlich zusammen und landete mit einem dumpfen Aufprall am Boden und blieb einfach liegen.
Orion, der einige Schritte hinter den beiden Frauen gelaufen war, rannte alarmiert nach vorne zur Rothaarigen.
„Was ist mit ihr? Sie ist einfach zusammengeklappt!“, fragte Lika hysterisch in einer Schnelligkeit, dass sie fast ihre Zunge verschluckt hätte.
„Ich weiß es nicht!“, zischte Orion sichtlich gestresst zurück.
Gedämpft drangen die zahlreichen Stimmen an Sezunas Ohr. Sie spürte wie sie hochgehoben wurde, doch die Stimmen waren mittlerweile so weit entfernt, dass sie diese nicht mehr wahrnahm.
Eine Stille, die beinahe schon unheimlich friedlich war, breitete sich in der Schwärze aus.
Orion ignorierte die Rufe nach einem Krankenwagen. Was auch immer das sein sollte und entschied sich dazu Sezuna einfach in ihr Zimmer zu bringen.
Einige der Schüler, gerade die männlichen, die meinten, sie müssten sich aufspielen, stellten sich ihm in den Weg, damit er die Rothaarige hier ließ, während der Krankenwagen kam.
Lika, die scheinbar mehr als wütend war, auf die anderen Studenten, die meinten sie wüssten was das Beste für Sezuna wäre, schob diese mit Leichtigkeit zur Seite und machte somit den Weg für Orion und Sezuna frei.
Dass die kleine, zierliche Blauhaarige solche Kraft an den Tag legte, verwunderte die meisten Umstehenden so sehr, dass sie sich gar nicht bewegten und sich zur Seite schieben ließen.
So schaffte es Orion schließlich das Vorlesungsgebäude zu verlassen und Sezuna nach draußen zu bringen.
Die Frage war nur, wo sie diese hinbringen sollten.
Zu ihrer Mitbewohnerin, oder zu Orion ins Zimmer?
Es war besser, wenn jemand auf sie aufpassen konnte, doch ob ein Mensch dazu geeignet war? Orion wusste nicht, was mit Sezuna los war und es war vermutlich besser, keine Sterblichen mit hineinzuziehen.
Zielsicher machte sich dieser auf den Weg zu ihren Wohnheim, während Lika immer noch besorgt neben ihm herlief.
„Lika, du musst Kaden suchen. Er ist der einzige, der vielleicht weiß was mit Sezuna los ist. Sag ihm sie ist krank und braucht dringend Hilfe“, erklärte Orion und beschleunigte weiterhin seine Schritte. „Komm danach zu mir ins Zimmer. Ich werden solange sehen, was ich machen kann.“
Lika nickte, wandte jedoch keine Sekunde den Blick von der Rothaarigen, bevor sie sich von den beiden trennte.