Sezuna fühlte sich seltsam schwerelos und ihr Körper war schlaff und dennoch hatte sie das Gefühl zu fliegen.
Als wäre ihr Kopf vollkommen leer.
Es fühlte sich gut an, bis die Farben begannen sich vor ihren Augen aufzubauen.
Es waren stechende Farben, die in den Augen weh taten und eigentlich wollte sie den Blick nur abwenden.
Die Farbe Rot dominierte und Sezuna ahnte, was das bedeutete, doch bevor sie von ihrer Kindheit träumen konnte, wurde es plötzlich dunkel.
Nacht.
Ein leises Plätschern vermischte sich mit Windgeräuschen und beides wurde immer lauter und lauter.
Der Regen wurde zu einer Wand, die man kaum noch durchsehen konnte. Plötzlich stand Sezuna wieder im Regen und die Kälte fuhr ihr in die Knochen.
Eine unnatürliche Kälte, die ihren ganz Körper zum Zittern brachte.
Hysterisch drehte sie sich mehrmals um, in der Hoffnung etwas in der undurchdringlichen Umgebung zu erkennen.
Sie blinzelte mehrmals und machte große Augen, als sie nicht ihr altes Haus, sondern ihr altes Schulgebäude in der Dunkelheit erkannte.
Dasselbe Schulgebäude, das sie zuletzt auf ihrer Abschlussfeier gesehen hatte.
Schon instinktiv blickte sie an sich runter, als ihr auffiel, dass sie ihre alte Schuluniform trug.
Sie lief vorsichtig rückwärts, um sich ängstlich von dem Gebäude zu entfernen, als sie plötzlich gegen etwas stieß.
Unwillkürlich verspannte sie sich, denn sie spürte eine starke, warme Brust hinter sich.
Auch der Atem, der ihr in den Nacken geblasen wurde, machte das Ganze nicht besser.
Im Gegenteil.
Sie spürte nicht die friedliche, freundliche Atmosphäre, die dieses Gelände früher für sie bereitgehalten hatte, sondern eine Kälte, die immer stärker zu werden schien.
Wenn sie sich jetzt umdrehte, würde sie mit Sicherheit nichts Schönes erleben. Und dennoch zwang sie etwas dazu den Kopf leicht zu heben und dann nach hinten zu drehen.
Es war dunkel und der gewaltige Regen verschlechterte ihre Sicht, aber sie konnte dennoch alles erkennen.
Durchnässte, dunkelblonde Strähnen, die kreuz und quer in seinem Gesicht klebten. Tiefe dunkelbraune Augen, die in der Nacht beinahe schon schwarz aussahen. Dasselbe warme Gesicht, das sie über all die Jahre begleitet hatte... sie in einer Welt, die um sie herum zusammenbrach, gehalten hatte. Doch das war nicht das warme Gesicht, das sie glaubte zu kennen.
Vielmehr sah er gleichgültig auf sie herab.
Keuchend wich Sezuna einen Schritt zurück, als sie in der Bewegung auf dem nassen Gras ausrutschte.
Kaden ging langsam einen Schritt auf sie zu und eine ungemeine Furcht überkam sie, die zu ihr sprach: 'Renn!'
Panisch versuchte sie rückwärts weg zu krabbeln und sich auf den Rücken zu drehen, um aufzustehen. Doch Kaden war nach vorne gehastet und zog sie an ihren Beinen zurück.
Ein lauter Schrei entfuhr ihr, doch sie wusste, dass sie niemand hören würde.
Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie bekam kaum Luft, so groß war ihre Angst.
Kadens Lippen zierte ein grausames Lächeln. „Hat das kleine Kätzchen etwa Angst?“, fragte er in einer Stimme, die ihre Panik nur noch verstärkte.
Zappelnd versuchte sie ihr Bein aus seinem Griff zu lösen, doch es gelang ihr nicht. Stattdessen drückte Kaden zu und Sezuna schnappte nach Luft. Wenn er weiter so drückte, brach er ihr noch den Knöchel!
Verflucht, was war hier los?
Seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch und die Schmerzen schienen unerträglich sowohl psychisch als auch physisch.
Immer wieder versuchte sie sich frei zu strampeln und von ihm wegzurutschen, doch mit nur einem Ruck von Kaden wurde der Schmerz größer und sie war wieder da, wo sie angefangen hatte.
Plötzlich verdrehte er ihre Knöchel mit einem kurzen Ruck der ein widerliches, ohrenbetäubendes Knacken von sich gab. Sie schrie auf und konnte Tränen und Regen nicht mehr voneinander unterscheiden. Er ließ von ihrem Bein ab, so, dass sie sich kurzzeitig den Knöchel hielt und in einer Fötus Stellung vor sich hin kauerte.
Doch dieser Moment war nicht von Dauer. Im nächsten Moment riss er sie schon wieder aus ihrer Abwehrhaltung gewaltsam heraus und drückte mit beiden Händen ihre Kehle zu.
Sezuna spürte den Druck und sah Kadens ausdruckloses Gesicht.
Sie wurde wieder zurück in die Regennacht gerissen, in der Kaden sie ebenfalls so gehalten hatte. Mit demselben Gesicht, nur waren sie da auf der Erde. Kurz bevor er ihr das Armband vor die Füße warf.
Der körperliche Schmerz wurde durch einen seelischen ersetzt, der fast noch schlimmer war.
Sie hatte einmal gewusst, dass Kaden ihr nichts tun würde. Dass er sie nicht töten würde. Doch dieses Wissen, dieses Vertrauen war zerbrochen. Jetzt hatte sie das Gefühl ihrem Tod in die Augen zu blicken und dass es ausgerechnet Kaden war, der sie umbringen sollte, machte es nicht besser.
Röchelnd versuchte sie nach Luft zu schnappen und gab letztlich auf sich mit Händen und Füßen zu wehren.
„Kaden-“, brachte sie mühsam hervor, als er seinen Griff noch mehr verstärkte und ihre Luftröhre zerquetschte.
Sie spürte wie sich ihr Herzschlag verlangsamte, doch der Schmerz war nichts im Gegensatz zu dem, was sie fühlte. Sie wusste nicht, ob es Verrat oder Enttäuschung war. Doch es spielte keine Rolle mehr. Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen und auch seine Stimme schien nur noch gedämpft an ihr Ohr zu dringen.
Sie war eine Vampirin und brauchte nur begrenzt Luft, aber ihre körperliche Verfassung war nicht die Beste.
Außerdem konnte sie nur sehr schwer ohnmächtig werden, so dass sie gezwungen war ihn weiterhin zu sehen. Wenn auch verschwommen und dunkel.
Auch hörte sie seine Stimme sehr genau: „Du bist nicht mal zum Vögeln gut“, sagte er mit einem diabolischen Grinsen und in Sezunas Kopf überlagerte sich das Bild mit einer Erinnerung.
Ihr Vater, der sie ebenfalls so hielt. Ähnliche Worte und ein lüsternes Grinsen.
Der Vergleich schien unausweichlich und so schien der Regen langsam abzunehmen und sowohl ihre Umgebung, als auch Kadens Gesicht änderte sich.
Nein... das war nicht Kaden. Es war jemand den sie gehofft hatte nie wieder sehen zu müssen. Und doch zeichnete er sich nun deutlich vor ihren Augen ab.
Die dunklen, immer irgendwie lüstern blickenden Augen ihres Vaters. Der karamellfarbene Ton seiner Haut und die kantigen Züge, die sein Gesicht zu einer Augenweide machten.
Sezuna konnte nicht bestreiten, dass ihr Vater ein gutaussehender Mann war, dem die Frauen nur so zu Füßen lagen.
Sein Alter hatte ihm eine gewisse Stärke verliehen, die Frauen generell als sehr anziehend empfanden. Dazu kam seine Fähigkeit die Gedanken zu manipulieren. Eine Fähigkeit, die Sezuna mehr als einmal an ihrem eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte.
Denn, obwohl er ihr Vater war, so war er doch nicht ihr Erzeuger. Etwas, für das er ihre Mutter zwar nicht verachtete, aber in Sezuna niemals das Kind gesehen hatte, das Schutz brauchte. Stattdessen hatte er in ihr ihre Mutter gesehen und schon sehr früh angefangen ihr nachzustellen.
Da sie nicht von seinem Blut war, machte er sich damit auch nicht strafbar und er hatte sie nie angefasst, solange sie unter den Vampiren noch als Kind galt.
Erst später, kurz bevor sie zur Dark Knight gekommen war.
Sie spürte, dass sein Gewicht schwer auf ihr lastete und versuchte nichts wahrzunehmen. Nichts von all dem. Weder aus der Vergangenheit noch jetzt.
Sie versuchte es zu ignorieren und über sich ergehen zu lassen, so wie sie es schon früher gemacht hatte. Doch es fiel ihr schwerer als Gedacht.
Hände, kalt wie Eiszapfen, glitten ihre Kurven entlang und schienen sie in eine eingefrorene Skulptur zu verwandeln.
Stattdessen versuchte sie sich vorzustellen, wie es damals mit ihrem ersten Freund gewesen war.
Er war so sanft gewesen. So verständnisvoll und zurückhaltend.
Anfänglich hatte sie gedacht, sie würde niemals mit irgendwem intim werden können, doch mittlerweile verstand sie, dass es ihr Vater war, vor dem sie Angst hatte, nicht aber die Intimität zwischen zwei Liebenden.
Sezuna versuchte ihren Vater auszublenden und an etwas Schönes zu denken, doch da kam ihr Kaden wieder in den Sinn und wie es der Traum wollte, verwandelte sich ihr Vater in Kaden, der nun seinerseits ihre Rundungen mit vorsichtigen Fingern erkundete.
Seine Finger hinterließen ein wolliges Kribbeln auf ihrer Haut und Sezuna seufzte auf.
Wohlige Wärme breitete sich auf ihrem linken Arm aus und durchströmte ihren kompletten Körper, der sie entspannen ließ.
Sie schloss die goldenen Augen als sie ein wohliger Schauer überkam. Sie atmete tief durch und öffnete wieder ihre schweren Lieder, als sie Kadens Gesicht nur Zentimeter entfernt über ihrem sah.
Im Hintergrund sah sie nur helles, blendendes Licht, welchem sie jedoch keinerlei Beachtung schenkte.
Stattdessen verlor sie sich in Kadens dunkelbraunen Augen und genoss seinen Atem auf ihrer Haut.
Sie fühlte sich, als wäre sie im Himmel.
Vergessen waren die Schatten und die vergangenen Stunden, während sie das Gefühl hatte der Duft von Blumen vermischten sich mit Kadens und hüllten sie ein.
Kadens Lippen kamen ihren immer näher, bis sie diese sanft auf ihren spürte.
Doch anstatt sich zu wundern oder gar zu wehren, erwiderte sie den Kuss und sehnte sich nach mehr.
Sie wollte seine Nähe spüren und sich darin verlieren. Langsam lösten sich seine Lippen von ihren und er begann sanft ihren Hals zu liebkosen, während seine Hand ihr Haar zurückstrich.
Das war es, was sie wollte.
Sie wollte Kaden.
Dieses Wissen würde ihr später noch ein paar schlaflose Nächte bescheren, doch jetzt genoss sie einfach seine Nähe.
Sein Gewicht, das auf ihr lastete, jedoch nicht zu schwer. Seine zarten Streicheleinheiten, die ihr eine Gänsehaut verpassten. Und sein Flüstern an ihrem Ohr: „Es tut mir so leid, Kätzchen.“
Mit diesen Worten sah er ihr wieder in die Augen, als sich ihre Lippen endlich wieder fanden und mehrere Schmetterlinge in Sezunas Bauch begannen zu flattern.
Diesmal wurde der Kuss intensiver und die Rothaarige merkte wie seine Hand an ihrer Seite entlang glitt und sie dichter an sich zog.
Schließlich verschwamm das Bild und Sezuna musste blinzeln, bevor sie blaue Strähnen und zweifarbige, besorgte Augen erblickte.
„Kaden?“, fragte sie, auch wenn sie sich sicher war, dass es nicht Kaden war. Aber ihr Gehirn schien Mus zu sein und ihr Körper kochte.
Es fiel ihr unglaublich schwer auch nur ihre Augen offen zu halten.
„Oh, Gott sei Dank, du bist wach“, keuchte Lika, die ihre geflüsterten Worte verstanden hatte, aber nicht darauf eingehen wollte.