Wissend, dass es Alexa war, öffnete er die Tür ohne nachzufragen und schon kam die Brünette in den dunklen Raum.
Außer Atem warf sie ihre Tasche in eine beliebige Ecke und sprang auf einen der leeren Tische, um eine Verschnaufpause einzulegen.
„Tut mir leid. Ich musste den Laden noch schließen“, erklärte sie und griff zu einer Wasserflasche, die in Edvins Tasche lagerte, um einen Schluck zu nehmen.
„Also eigentlich alles wie immer“, murmelte Edvin, der Alexa ein kurzes Lächeln schenkte, ehe er sich wieder an seine Arbeit machte.
Alexa indes trank einen Schluck Wasser und betrachtete dabei Edvins neue Fotos, auch wenn sie bisher kaum etwas sehen konnte.
„Ist das nicht der Wald, der an diesen komischen See liegt? Den man eigentlich nicht betreten soll?“, fragte sie, weil sie auch schon einmal auf dem Hügel gestanden hatte, von wo aus Edvin die Fotos aufgenommen hatte.
Natürlich verschwieg sie diese Tatsache, dass sie bereits einige Male dort joggen gewesen war, doch genoss es ihren besten Freund tadelnd vorzuführen.
Edvin rollte die Augen und dreht sich zu ihr um.
„Die Sonnenuntergänge sind dort atemberaubend. Da kann ich schon mal die Gefahren eines Wildschweinangriff in Kauf nehmen“, gab dieser nur zurück und legte die nächsten Bilder in die Laugen.
„Uhh du bist ja richtig tapfer was?“, bemerkte sie und zuckte kurz die Augenbrauen, bevor sie anfing zu lachen.
Edvin, der keine Angst vor Wildscheinen, oder sonstigen Wildtieren hatte, musste schmunzeln, ließ sich aber von Alexa nicht weiter aufziehen.
„Hey, was ist denn das?“, wollte die junge Frau wissen und schob eine Strähne ihres Haares hinter ihr Ohr, während sie das Foto genauer studierte.
„Was denn?“, fragte Edvin und hielt kurz in seiner Arbeit inne, um sich zu Alexa zu gesellen und sich das Foto zu betrachten.
Alexa war inzwischen von dem Tisch gesprungen und nahm das Foto vorsichtig in die Hand, das langsam immer klarer wurde.
Eine verschwommene Silhouette schien in der Luft zu dicht über den Baumkronen.
„Sieht so aus als hättest du ein UFO gesehen“, erwiderte Alexa lachend, doch sie konnte ihren Blick nicht von dem Schatten abwenden, der nicht zu identifizieren war.
Edvin, der hinter sie getreten war und nun ebenfalls das Bild genauer musterte, zog es ihr letztlich schnell aus der Hand.
„So ein Quatsch. Vermutlich nur ein Vogel oder so“, stritt er ab und packte das Foto neben seine Tasche, um das Thema abzuschließen. Doch das ungute Gefühl in seiner Magengegend sagte etwas anderes.
UFO war völliger Blödsinn, aber er schloss ein anderes, fliegendes Objekt nicht aus und würde dem heute Abend nachgehen.
„Hey, das ist unfair“, beschwerte sich Alexa und zog einen Schmollmund. „Wenn du mir schon das Foto nicht geben willst, dann nimm mich wenigstens das nächste Mal mit“, sagte sie, entschied sich aber dafür heute Abend selbst auf den Hügel zu gehen und sich umzuschauen. Immerhin war sie nicht das erste Mal in diesem Wald.
„Ich sagte doch es ist nichts“, wiederholte er nun mit mehr Nachdruck und versuchte sich selbst zu zügeln. „Du musst doch morgen früh zu einer Vorlesung. Solltest du nicht langsam ins Bett?“, versuchte er beiläufig zu erwähnen, um Alexa los zu werden.
„Ich dachte ich lass sie ausfallen“, gab diese zurück, doch merkte schnell, dass er wohl nicht zum Spaßen aufgelegt war. „Ist ja schon gut. Ich verspreche, ich werde mich von den Aliens fern halten. Okay?“, beschwichtigte sie ihn und erwähnte dabei mit Absicht nicht den Wald. Sie glaubte gar nicht an Aliens.
„Es gibt keine Aliens. Das ist nur ein Vogel“, sagte Edvin noch einmal, schien aber schon aufgegeben zu haben, darüber mit Alexa zu diskutieren.
Die junge Frau war auch immer sehr stur, wenn sie glaubte, dass sie im Recht war.
Und sie wusste gar nicht, wie Recht sie in dieser Sache hatte. Zumindest, was das nicht normale daran betraf.
Edvin hängte die letzten Bilder auf und wandte sich dann an Alexa. „Wie wäre es, wenn wir jetzt essen“, sagte er, da das gemeinsame Abendessen an diesem Tag für beide so eine Art Tradition war.
Auch wenn sie sich eigentlich immer etwas beim Chinesen bestellten.
„Du bist wirklich grottig darin, ein Thema zu wechseln. Dein Glück, dass ich am Verhungern bin“, gab diese nachgiebig zurück und griff nach ihrem Handy, um sich das Menü zu bestellen, was sie jedes Mal aßen.
Edvin indes verließ den Raum, während Alexa ihm telefonierend folgte.
Die beiden kamen in die Küche und begannen damit den Tisch zu decken.
Dabei schweifte Alexas Blick über die Bilder, welche Edvins komplette Wohnung tapezierten.
Es gab Bilder von Gegenden, die sie kannte und Bilder, die so fantastisch aussahen, als wären sie gar nicht von dieser Welt.
Gefiel ihr ein Ort, den sie auf den Bildern sah, versprach er immer sie irgendwann dorthin mitzunehmen, und doch hatte er diese Versprechen nie eingelöst.
Sie hatte bereits aufgegeben, ihn danach zu fragen.
Immer fand er irgendeine Ausrede, doch er schaffte es immer sie so aufrichtig zu verkaufen, dass sie sogar Schuldgefühle bekam ihn gefragt zu haben.
„Wie lange bist du eigentlich noch geblieben als ich gegangen bin?“, fragte Edvin während er die Gläser verteilte.
Alexa musste grinsen, als sie an die vorletzte Nacht denken musste, in der Kaden sie mit Eiern beworfen hatte.
„Nicht lange“, beschwichtigte sie ihn ohne Augenkontakt aufzubauen.
Und sie hatte ihn ja auch nicht angelogen. Sie war nicht mehr lange in der Bar geblieben. Nur etwa eine halbe Stunde. Danach war sie mit Kaden wieder zurück ins Wohnheim gegangen.
Edvin stellte zwei Tassen Tee auf den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
„War wohl doch langweilig allein“, bemerkte er und hatte ein wenig Schuldgefühle sie allein gelassen zu haben.
„Es... war okay“, entgegnete sie mit einem Lächeln und ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl nieder, um nach ihrer Tasse zu greifen.
Edvin runzelte nachdenklich die Stirn.
„Was verheimlichst du mir?“, fragte er und musterte sie mit einem undurchdringlichen Blick.
Alexa wich seinen Blick aus. „Ich habe einen netten Jungen getroffen“, erklärte sie und versuchte es so schwammig wie möglich zu gestalten. „Er hat mit mir geflirtet. Allerdings war es ja schon spät und ich bin dann heimgegangen.“
Mehrere Minuten erwiderte er nichts und Stille lag im Raum, bis das erlösende Klingeln ertönte und Alexa erleichtert aufsprang. Sie lief zur Tür, um ihre Lieferung entgegen zu nehmen und dem Lieferanten ein Trinkgeld auf die Hand zu drücken.
„Trefft ihr euch wieder?“, fragte der Grauhaarige letztlich, als die Frau die Tüte auf dem Tisch ablegte. Alexa musste lachen und packte die Chinaboxen aus.
„Er war ja ganz nett, aber da läuft nichts.“
Edvin hob eine Augenbraue. „Sicher?“
„Vielleicht treffe ich ihn mal auf dem Campus. Er studiert. Was für ein Zufall“, meinte sie schon ein wenig sarkastisch, ironisch. Immerhin waren die meisten Leute, die in die Bar gingen Studenten des Campus.
„Werde ich ihn dann auch mal kennenlernen?“, fragte er und nahm sich eine Portion auf seinen Teller, ehe er einen Schluck Tee nahm.
„Ich weiß nicht. Ich dachte mir eher, dass ich und er in die Mongolei flüchten, um dort zu heiraten und eine Alpaka Farm zu gründen“, gab sie zurück und wandte ihren Blick ins Leere als würde sie es sich sehnsüchtig vorstellen.
Edvin musste lachen. „Alpaka? Aha. Keine Ziegen mehr? Oder nein warte, das letzte Mal waren es doch die Alpen und Schafe“, meinte er gut gelaunt und nutzte die Stäbchen, um ein paar Nudeln zu essen.
Alexa tat, als wäre sie getroffen und legte sich eine Hand aufs Herz. „Ach das. Das ist Schnee von gestern. Über den bin ich schon hinweg.“
Alexa konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen und griff schließlich auch zu ein paar Frühlingsrollen.
„Obwohl ich gestehen muss, dass ich mich gefreut hatte eine Tochter zu gebären und sie dann Heidi zu nennen. Hätte bestimmt für Patentkonflikte gesorgt“, ergänzte sie mit einem Kichern und leerte eine Box gebratenen Reis auf ihrem Teller aus, um sich hungrig darauf zu stürzen. Die Überstunden im Musikladen hatten sie wohl doch mehr Energie gekostet, als sie dachte.
„Kaust du dein Essen auch manchmal?“, fragte Edvin lachend, als er zu Alexa schielte, die das halbe Gesicht voll Reiskörner hatte.
„Ja“, murmelte sie zwischen zwei Bissen. „Manchmal“, ergänzte sie, ehe sie weiter aß.
Edvin hob eine Augenbraue. „Zu viel Sport gemacht? Du isst doch sonst nicht so viel“, stellte er fest und Alexa zuckte die Schultern.
„Kann schon sein“, murmelte sie und trank einen Schluck Tee.
Tatsächlich hatte sie vor die nächsten Tage ein wenig mehr ihrem Hobby nachzugehen wofür sie in letzter Zeit überraschend wenig Platz gefunden hatte.
„Wenn du dich traust, kannst du ja mal mitkommen. Dann mach ich dich fertig“, erklärte die Brünette angeberisch und fuhr sich einmal durch die kurzen Haare, damit diese nicht in ihrem Gesicht hingen.
Edvin musste lachen.
„Ist das eine Herausforderung?“, fragte er und stahl sich eine Frühlingsrolle von Alexas Teller, um sie zu provozieren.
„Es ist keine Herausforderung wenn du keine Chance hast“, neckte diese und stach ein Stäbchen in die Frühlingsrolle, um ihn daran zu hindern sie wegzunehmen.
„Ich bin Pazifist“, ergänzte er und riss die Hälfte der Rolle ab.
Augenrollen griff die Frau nach ihrem Löffel und schaufelte weiter Reis in sich rein.
„Dann mach eine Ausnahme“, nuschelte sie mit vollem Mund und kaute angestrengt als sie merkte, dass sie einen zu großen Löffel genommen hatte. „Oder hast du Angst?“
Edvin lächelte lediglich. „Nein, aber ich verspüre im Kampf, selbst in dieser Art Showkampf, keinen Reiz. Solange es dir gefällt, mach es. Es ist eine gute körperliche Betätigung, aber nichts für mich“, erklärte er und wusste, dass sie dieses Gespräch schon einmal geführt hatten. Oder zumindest so ähnlich.
Mit einem Murren sank Alexa tiefer in ihren Stuhl. Sie wusste, dass es aussichtslos war Edvin zu etwas zu überreden was er nicht leiden konnte.
„Wir werden sehen.“