Lika nippte an ihrem Getränk und seufzte.
Orion saß neben ihr in der Bar und fragte sich mal wieder warum.
Es war so laut und total überfüllt. Und das schlimmste war: Sie hatten keinerlei interessante Spuren gefunden.
Der Spuk im Hotel war vorbei und sie arbeitslos.
„Das wäre so viel einfacher, wenn Kaden nicht schon wieder über alle Berge wäre“, beschwerte sich die Blauhaarige grummelnd.
Sie hatte ihn weder in ihrer Wohnung, noch sonst wo gesehen. Und Orion schien auch nicht gerade begeistert von der Möglichkeit zu sein, ihn zu kontaktieren. Also waren sie, solange Sezuna noch weg war, auf sich allein gestellt.
Sie schielte zu dem Werwolf, der im Gedanken versunken gegen das Regal hinter der Bar starrte, auf dem die zahlreichen Alkoholflaschen zur Dekoration standen.
„Vergiss Kaden. Wir brauchen ihn nicht. Ich hätte eine Idee wo wir Informationen bekommen könnten, aber...“, er seufzte und rieb sich übers Gesicht. „Ich kann den Typ nicht leiden.“
Er dachte zurück an Reyes, dem sie noch immer einen Gefallen schuldeten und er wollte diese Schulden nicht noch erhöhen.
Vermutlich war er auch gerade jetzt hier irgendwo in der Bar und schlich herum.
Lika runzelte die Stirn. „Nein, ich denke das ist keine gute Idee. Vielleicht sollte ich es doch noch einmal mit meinem Computer zuhause versuchen“, murmelte Lika, als sie einen bekannten Geruch aufschnappte.
Sie hob den Kopf und blickte sich suchend um.
Ihr zweifarbiger Blick glitt durch die Menge, auf der Suche nach rotem Haar, denn sie war sich sicher Sezunas Geruch erschnüffelt zu haben. Doch als sie einen weiteren tiefen Atemzug nahm, bemerkte sie, dass sie sich geirrt hatte. Es war nur Kaden.
Warum rochen Vampire auch so gleich!
Er schien zielgenau auf sie beide zu zulaufen und, obwohl Orion ihn nicht gesehen hatte, begann dieser schon sich zu verspannen und knurrte leise. Er hatte ihn noch länger nicht gesehen als Lika, da er im Café geschlafen hatte. Die Blauhaarige hoffte nur, dass sie sich beide zusammenreißen würden. Sezuna hätte bestimmt gewusst was nun zu tun wäre, um die Situation zu entschärfen.
Bei ihnen angekommen setzte er sich neben Lika ohne etwas zu sagen, sondern knallte stattdessen einen aus Holz geschnitzten Käfer vor ihr auf den Tisch.
Sein brauner Blick schien alles und jedem auszuweichen und bevor Lika fragen k,nnte was das war, bestellte er sich auch schon drei Getränke auf einmal.
Lika schwieg eine Weile, doch als Kaden seinen zweiten Drink kippte, entschied sie sich den Mund auf zu machen. „Was ist das?“, fragte sie vorsichtig.
„Ein Glücksbringer“, erklärte Kaden kurz angebunden. „Möglicherweise etwas, womit wir uns beschäftigen sollten.“ Er war es wirklich nicht gewohnt Dinge zu erklären. Dafür war jemand anderes zuständig, doch daran wollte er jetzt lieber nicht denken.
„Ein Glücksbringer“, wiederholte Orion und fand eine gewisse Ironie in dem Wort wieder. „Kommt ein wenig zu spät meinst du nicht?“, murmelte er und musterte den alten aus Holz geschnitzten Talisman.
Kaden durchbohrte den Werwolf mit einem wütenden Blick, während er sein nächstes Glas leerte und den schwachen Alkohol verfluchte. Wieso bewirkte dieser nichts? Er wollte so viel trinken, bis er vergaß wo er überhaupt war. Doch da er sowieso schon pleite war und die Rechnung auf Orion schieben wollte würde die Menge wohl nicht viel bewirken.
„Er macht seinen Besitzer krank. Er gibt dir was aber nicht ohne was zu nehmen. Jedenfalls ist jeder der einen solchen Talisman besitzt unglaublich glücklich“, erklärte er und bestellte noch eine Runde. „Naja bis auf die die eben im Krankenhaus oder in der Psychiatrie sind. Oder im Leichenschauhaus“, ergänzte er den letzten Satz leise und griff nach den frisch gefüllten Gläsern.
Lika horchte alarmiert auf. „Wie viele?“, wollte sie leise wissen.
Kaden zuckte die Schultern. „Nun. Eigentlich so gut wie jeder, der den Talisman einmal besessen hatte“, erklärte der Blonde und nahm einen großen Schluck. „Zumindest soweit meine Quellen reichen. Du solltest dir das Ganze genauer anschauen. Vielleicht findest du was“, damit schob er den Talisman zu Lika, als würde er den Auftrag an sie beide abgeben.
Obwohl das vielleicht eine Möglichkeit war seine Zeit mit etwas zu füllen, damit er nicht ständig nachdachte.
Wieder musste er an den entstellten Jungen im Krankenhaus denken, der ihm davon erzählte wie ihm eine ältere Dame auf dem Spielplatz statt Süßigkeiten dieses Holzspielzeug angedreht hatte, danach war sie einfach verschwunden, hatte er gesagt. Nicht weggerannt oder in den Büschen versteckt. Nein sie hatte sich einfach in Luft aufgelöst. Er konnte Kaden nicht mal erzählen wie sie ausgesehen hatte. 'Sie hatte kein Gesicht', sagte er nur und brach in einem blutigen Hustenanfall aus. Ähnliche Berichte hatte er von den anderen Patienten im Krankenhaus gehört. Eine Frau ohne Gesicht oder besser gesagt an deren Gesicht sie sich nicht erinnern können.
Die Insassen in der Psychiatrie dagegen sprachen so gut wie gar nicht. Sie hatten nur eine Zeichnung von dem Käfer gemalt und wild darauf rumgetippt und böse genuschelt.
Trotzdem hatten sie eines gemeinsam.
Sie waren krank, doch in den meisten Momenten ihres Lebens spürten sie eine innere Freude.
Selbst die Geisteskranken. Wenn sie einen ihrer Anfälle hatten, dann waren sie für Kaden, wie eine Mischung aus Gefühlen, die seinen Kopf zum Explodieren bringen wollten. Doch wenn diese Anfälle vorbei waren... Dann waren sie einfach glücklich.
Es fühlte sich so an, als würde der Talisman alle anderen Gefühle aufsaugen. Doch wo lag der Sinn darin?
Und wer war diese gesichtslose Frau? Gab es sie überhaupt, oder war es vielleicht ein Zauber, der eine Person tarnte?
Kaden war nicht so versiert in Zaubern. Er konnte sie nur selten spüren und entschlüsseln. Aber das hatte er bisher auch nie gebraucht.
Angestrengt fuhr er sich durch die Haare und sehnte sich nach ausgewogenen Schlaf.
„Wie dem auch sei. Ich hab euch eine Spur geliefert und ihr macht den Rest. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet? Ich hab Feierabend“, mit diesen Worten leerte er sein letztes Glas und verließ die Bar, ohne Blickkontakt aufzubauen oder zu bezahlen. Sollte sich doch der Köter damit rumschlagen.
Ein wenig perplex blieb Lika sitzen und sah Kaden noch eine Weile hinterher, ehe sie sich zu der feinen Schnitzerei umwandte. Es sah schon beinahe antik aus durch die teilweise abgedunkelten Spuren an den Schnittstellen.
Aber sie war keine Geschichtsexpertin. Nicht einmal ansatzweise.
„Ich wette Sezuna könnte mir sagen, wie alt das Teil ist und wo es her kommt“, murmelte sie nachdenklich.
„Und aus welchem Holz es geschnitzt ist, welche Technik verwendet wurde und wahrscheinlich auch, wo es das Ding zu kaufen gibt“, ergänzte Orion. Dieser hatte sich lange damit auseinandergesetzt, was Sezuna eigentlich konnte und war zu dem Schluss gekommen, dass er ihre Fähigkeiten einfach nicht verstanden hatte. Aber so langsam schien er zu ahnen, warum die Rothaarige bei ihnen gewesen war.
Lika seufzte. „Wahrscheinlich. Ich mach mich dran und suche am Computer nach Details.“
Orion nickte traurig und stand auf, um zum Bezahlen anzusetzen worauf er kopfschüttelnd Kaden Rechnung übernahm.
„Los komm. Ist vielleicht gar nicht so verkehrt wenn wir was zu tun haben“, entgegnete er und wartete bis Lika ihm aus der Bar folgte.
„Guten Morgen!“ Mit diesen euphorisch hervorgebrachten Worten, wurde Sezuna aus ihrem Schlaf gerissen und setzte sich ruckartig, fast hektisch und mit klopfendem Herzen in ihrem Bett auf, nur um auf Edith zu schauen, die ein Tablett mit Frühstück in der Hand hielt.
Hinter ihr stand Mae, die alles andere als erfreut war.
Sezuna blinzelte und bemerkte augenblicklich alles um sich herum.
Die Sonne schien und der Wind zog leicht durch die Tür. Der Geruch der Bäume kündigte baldigen Regen an und sie trug noch immer ihre Kleidung vom Vortag. Sie war also unbewusst eingeschlafen.
Außerdem sah sie Edith an, dass diese heute wohl schneller gekocht hatte, denn die Schürze saß nicht ganz so akkurat und das Tablett war auch nicht so voll beladen.
Zusätzlich bemerkte Sezuna, dass Mea ein wenig außer Atem war.
Edith war also auf den Weg hier her gewesen, um vor Mae bei ihr zu sein.
„Hey, mein Hirn arbeitete wieder“, stellte Sezuna mit einem zufriedenen Lächeln fest.
Mit einem leicht aggressiven Gesichtsausdruck schob Mae ihre Mutter zur Seite, nachdem diese das Tablett auf Sezunas Schoss abgestellt hatte.
„Danke Ma. Du kannst jetzt gehen“, presste sie hervor und schob die blonde Frau in Richtung Tür. „Warte, was?“, fragte sie plötzlich blinzelnd und schielte auf die Papiere in ihrer Hand auf denen die Ergebnisse von Sezunas Blutprobe standen.
Verwirrt blickte Mae auf Sezuna und runzelte die Stirn. „Deine Blutproben sind nicht gut. Ich habe eigentlich erwartet, dass du heute Morgen gar nicht wach zu bekommen bist“, gestand sie nachdenklich.
Sezuna legte den Kopf schief und hob die Hand. „Darf ich sehen?“, wollte sie neugierig wissen.
Mae runzelte die Stirn und zögerte, reichte ihr jedoch letztendlich die Papiere.
Auch wenn die Blutprobe bereits vor ungefähr drei Tagen genommen wurde, war es doch so gut wie unmöglich, dass sie jetzt schon wieder funktionsfähig war.
Sezuna betrachtete das Papier mit gerunzelter Stirn. Sie war keine Ärztin, aber sie kannte sich mit Chemie aus und deshalb natürlich auch mit Blutproben.
Sie betrachtete die Erreger, die sie im Blut hatte. Überlegte, ob die Medikamente in so kurzer Zeit so viel helfen konnten und verwarf diese Idee sofort wieder. Die Medikamente halfen, da war sie sich sicher, doch nicht so schnell.
Sezuna reichte Mae den Zettel wieder. „Zufall, oder hat da jemand seine Hände im Spiel?“, wollte sie wissen.
Es gab eine Form von Heilmagie, mit der man alle Krankheiten heilen konnte. Doch Magie gab immer etwas zurück. Bei diesen Magien oft die Krankheit an sich.
Mae schüttelte abwesend den Kopf und wusste nicht weiter.
„Die beste Medizin ist eben Liebe. Ich hab‘s dir doch gesagt Mae“, sagte nun Edith, die immer noch im Türrahmen stand.
Erschrocken wirbelte die Schwarzhaarige herum und funkelte ihre Mutter an.
„Du bist ja immer noch da! Geh jetzt!“ Beschwichtigend hob Edith die Hände und schloss die Tür hinter sich.
Auch wenn sie nicht daran glaubte, dass Liebe Krankheiten heilen konnte, doch sie kam nicht umhin an Kaden und ihre Träume zu denken.
Sie merkte wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, doch sie versuchte sich wieder auf das wesentliche zu konzentrieren.
„Es gibt Magie und es gibt Naturgesetze. Aber Liebe, die sowas bringt?“, fragte Sezuna und schüttelte den Kopf. „Ein Vampirbiss hätte das bewirken können“, setzte sie an und wurde von Mae böse angeschaut. „Diese Schmerzen ist nicht einmal eine Heilung wert“, zischte Mae zurück. Sie wusste, dass Vampirbisse unter Vampiren zu Wahnsinn führen konnten. Nicht zuletzt wegen der enormen Schmerzen, die manchmal Vampirgift mit sich brachte. Es gab nur selten kompatible Vampire, bei denen es möglich war.
Seufzend warf Sezuna die Blätter auf die Decke.
„Hast du denn eine Idee?“, fragte Sezuna fordernd, wobei ihr Blick auf das Tablett fiel. Augenblicklich drehte sich ihr der Magen um bei dem Gedanken etwas zu essen. Sie fühlte sich gut und auch Ediths Kochkünste waren hervorragend, doch sie hatte seit sie hier war so viel gegessen, dass sie nicht mal mehr Nahrung riechen wollte.
Mae zuckte die Schultern und schnappte sich eine Erdbeere von Sezunas Tablett.
„Vielleicht hast du einfach ein gutes Immunsystem“, riet sie ins Schwarze.
Sezuna schnaubte und entschied sich doch zu einer Erdbeere. Erdbeeren gingen immerhin immer.
„Glaubst du doch selbst nicht“, murmelte sie und biss in die Erdbeere hinein.
Es gab keine logische Erklärung für das, was hier los war. Nicht einmal direkt für die Krankheit an sich. Das ärgerte Sezuna. Vor allem, da normalerweise Magie immer die Logiklücken füllen konnte. Doch selbst die Gesetze der Magie fanden hier keine Anwendung.
Sezuna seufzte erneut. „Na ja, zumindest werde ich wieder fit und hoffe bald wieder auf die Erde zu können. Mir gefiel es da.“
Mae, die zwar ebenso verwirrt und ratlos war wie Sezuna, nickte langsam.
„Die Hauptsache ist, dass du gesund bist. Um alles andere machen wir uns später Sorgen“, erklärte sie lächelnd und beobachtete sicherheitshalber Sezunas Koordination die jedoch einwandfrei zu sein schien.
Ihre Augen wirkten auch wieder normal, genau wie ihre Hautfarbe.
„Lust auf einen kleinen Wissenstest?“, wollte Mae wissen und zog ein Büchlein aus ihrer Tasche.
Darin befanden sich Quizfragen und Rätsel, die Mae sich eigentlich für das Ende der Behandlung aufsparen wollte. Um sicher zu gehen, dass an Sezunas Gehirn kein Schaden angerichtet war.
„Ja gern“, murmelte Sezuna, die sich freute ihre Gedanken wieder auf etwas zu konzentrieren.
„Ludwig bezahlt gerne passend, aber möchte möglichst wenig Münzen mit sich herum tragen.
Wie viele Geldstücke muss er mindestens bei sich führen, damit er alle Beträge zwischen 0,01 € und 2,00 € genau passend zahlen kann?“, fragte Mae, die sich extra ein paar Fragen genommen hatte, die sich auf die Erde bezogen. Immerhin war das Währungssystem dort anderes, als bei ihnen.
„Neun Münzen: 1ct, 2ct, 2ct, 5ct, 10ct, 20ct, 20ct, 50ct und eine Ein-Euro-Münze“, kam wie aus der Pistole geschossen und Sezuna lächelte zufrieden. Sie liebte Zahlenrätsel.
Mae nickte.
„Du hast eine Wanduhr zuhause und möchtest diese stellen, weil sie stehengeblieben ist. Sie ist zu schwer um diese mit zu nehmen und du hast kein Geld, um dir eine neue zu kaufen. Aber du wanderst zum nächsten Dorf, um dir dort die Uhrzeit sagen zu lassen. Wie kannst du feststellen, dass du am Ende die richtige Uhrzeit hast?“, fragte Mae und Sezuna lächelte. „Erstmal würde ich mir wohl eine Sonnenuhr bauen, aber ich denke so geht das Rätsel nicht. Also: Ich stelle die Uhr auf, sagen wir 1 Uhr und gehe ins Dorf, frage und gehe wieder zurück. Die Uhr läuft, also habe ich die Zeit, die ich ins Dorf und wieder zurück gebraucht habe. Ich stelle die Wanduhr einfach auf die Zeit, die ich im Dorf bekommen habe und rechne die Hälfte meines Weges hinzu. Dazu muss aber gesagt werden, dass der Hin und Rückweg natürlich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zurückgelegt werden kann. Daher ist die Uhrzeit dennoch ungenau, weil nicht ausgeschlossen ist, dass ich für den Hinweg dieselbe Zeit wie für den Rückweg gebraucht habe.“
Mae die zwar wenig überrascht war, dass Sezuna die Aufgaben mit Bravour und darüber hinaus meistern konnte, war sich dennoch unsicher.
Das ging alles zu schnell.
Sie war krank... doch nun.
Mae schüttelte innerlich den Kopf. Darüber würde sie sich später Gedanken machen.
„Okay, okay! Ich versteh schon du bist funktionsfähig. Ich würde trotzdem noch gerne ein paar körperliche Trainingseinheiten mit dir machen“, erklärte Mae und schielte auf ihre Armbanduhr. „Ich werde Roar darum bitten mit dir joggen zu gehen, du musst dabei nur dieses Armband tragen. Ich würde selbst mit dir gehen, doch ich hab noch einen Patienten in der Krankenstation, der auf mich zählt. Ist das okay?“, fragte Mae, während sie bereits dabei war ihre Sachen zu packen und reichte Sezuna ein Armband mit einigen kleinen Platten daran, die sich an das Handgelenk schmiegten.
Sezuna betrachtete das Armband neugierig. „Ja, das ist in Ordnung. Aber was ist das?“, wollte sie wissen. Ihr Drang immer alles zu verstehen, was sie nicht kannte, war schon immer so schlimm gewesen, dass er sie teilweise auch in dumme und gefährliche Situationen brachte.
„Eine Art Überwachungssystem für deinen Puls und solche Sachen. Ich muss jetzt wirklich los, ich schicke Roar gleich zu dir, also mach dich schon mal fertig!“, rief sie den letzten Satz, als sie die Tür hinter sich schloss und verschwand. Nachdenklich betrachtete Sezuna das Armband mit den schimmernden Plaketten und streifte es sich über die Hand. Augenblicklich zog es sich fest um ihr Handgelenk und der mittlere Kreis glühte grün.
Sezuna stieß ein Knurren aus und Panik überkam sie. Sie wusste, dass Mae ihr nicht wehtun wollte damit, doch sie konnte sich einfach nicht dagegen wehren, dass es sich zu sehr nach dem Kontrollsystem anfühlte, dass ihre Eltern gerne für die Sklaven verwendeten. Und das brachte ihr Herz zum Rasen, genau wie ihren Puls.
Panik, die sie lähmte überschwemmte sie und sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.
Das Licht des Armbandes wechselte von orange zu einem stechenden rot. Es musste wohl ihren Puls messen oder ihre momentane Verfassung zusammenfassen.
Im nächsten Moment wurde auch schon die Tür aufgerissen und Mae kam hereingestürmt.
„Was ist los?“, fragte sie besorgt und rannte zu Sezuna hinüber, da sie dachte ihre Krankheit hätte sich doch wieder gemeldet.
Sezuna war blass geworden und bewegte sich noch immer kein Stück. „Mach es weg“, hauchte sie mit einer solch gebrochenen Stimme, dass Mae das Gefühl hatte, dass es ihr das Herz aus dem Leibe reisen würde.
Das war nicht die Sezuna, die sie kannte. Nicht einmal ansatzweise.
Ohne zu zögern löste sie das nicht vorhandene Schloss mit einem Zauber und versuchte ihre Freundin zu beruhigen.
„Sezuna. Bleib ganz ruhig. Ich bin bei dir“, erklärte sie langsam und hoffte, dass es Sezuna zurück in die Realität holen würde.
Dieser klappten die Beine weg und sie sank in Maes Arme, ehe sie hemmungslos zu weinen begann.
Ein wenig verloren setzte sie sich mit Sezuna auf den Boden und hielt sie fest.
Eins musste sie ihrer Mutter lassen, sie war wesentlich besser im Trösten, als der Rest ihrer Familie. Doch sie würde sie auf keinen Fall rufen, denn wenn sie einmal da war ging sie auch nicht mehr weg.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee Sezuna zurück zu ihrem Auftrag zu schicken.
Fieberhaft überlegte sie was Kaden an ihrer Stelle getan hätte. Er kannte sie besser als jeder andere, doch er war nicht hier und das kontaktieren schien auch zu lange zu dauern.
Also hielt sie Sezuna einfach nur und ließ sie weinen.
Roar, der mit Sezuna verabredet war, betrat den Raum und betrachtete die Situation nachdenklich.
Sein erster Impuls, den er hatte, war Sezuna ablenken. Hoch zu ziehen und mit ihr etwas zu machen, dass sie die Trauer vergessen ließ. Aber war das gut?
Er warf Mae einen fragenden Blick zu, doch diese schüttelte nur ratlos den Kopf.
Roar erinnerte sich nur an die Anfälle, die Sezuna manchmal gehabt hatte und Kaden stellte ihr immer eine blöde Frage. Er sagte immer sie bräuchte das manchmal, sich auf seinen IQ zu senken... natürlich war das ein Scherz und noch dazu eine andere Situation. Doch es war die einzige Idee die dem schwarzhaarigen einfiel.
„Wieso sind Pinguine überhaupt als Vögel bekannt wenn sie nicht fliegen können?“, fragte er unsicher, weil es das Nächstbeste war, was ihm einfiel. Mae sah ihn irritiert an und schüttelte fragend den Kopf was zur Hölle das werden sollte.
Sezunas Schniefen wurde leiser. „Pinguine fliegen unter Wasser, nicht in der Luft“, korrigierte sie zwischen zwei schnapphaften Atemzügen. „Sie sind ansonsten aber genau aufgebaut wie andere Vögel, haben das Fliegen nur verlernt.“
Es schien wirklich zu helfen, dass sie sich auf andere Dinge konzentrierte, doch ihr Körper zuckte noch immer und die Tränen schienen kaum nach zu lassen. Es war einfach zu viel Panik in ihr vorhanden, als dass diese einfache Frage sie genug belastete, um an andere Dinge zu denken. Vor allem, weil sie sich mit Pinguinen nicht sonderlich gut auskannte. Eine Wissenslücke, die sie füllen konnte.
Hilflos tauschte Roar einen Blick mit seiner Schwester aus, doch diese gab ihm nur einen Tu-endlich-was-Blick und strich Sezuna weiter über den Rücken.
Zögernd sah sich Roar in dem Zimmer um, als er die Übungsblätter von Mae auf dem Bett entdeckt und sich diese zusammen mit einem Stift griff.
„Hey Sezuna, Ruvik hat Probleme mit seinen Hausaufgaben. Kannst du sie für ihn Vorarbeiten damit er sich was darunter vorstellen kann?“, fragte er als er vor ihr in die Hocke ging und das Blatt in ihrer Gesichtshöhe vor ihr festhielt.
Sezuna hieb schniefend den Blick und ein wenig Neugier schien in ihren Augen zu schimmern, als sie sich die Übungsblätter ansah. „Ich bin aus dem Alter raus, wo ich anderen die Hausaufgaben mache“, murmelte sie mit rauer Stimme, ehe sie schluckte, damit sie ordentlich sprechen konnte. „Aber ich helfe ihm, wenn er Fragen hat“, erklärte sie und versuchte sich zu bemühen wieder normal zu reden und zu atmen. Sie hatte schon lange keine Panikattacke mehr gehabt und jetzt, da sie Maes und Roars Blicke bemerkte, tat es ihr auch unendlich leid, dass sie so reagiert hatte. Aber sie war wirklich froh, dass sie niemanden geschlagen hatte. Bei ihrer letzten Panikattacke in der Schule hatte sie einen Schüler verprügelt. Und zwar heftig. Damals hatte Kaden die Schuld auf sich genommen, aus Gründen, die Sezuna heute noch unklar waren.
Roar nickte verständnisvoll und war schon am Überlegen, ob er Ruvik holen sollte, damit ihm Sezuna etwas beibringen konnte, was eigentlich nicht nötig war, doch sie schien schon ruhiger zu werden.
„Schon in Ordnung. So wichtig ist das nicht“, er sah kurz zu Mae und dann wieder zu der Rothaarigen. „Komm wir gehen laufen“, sagte er schließlich, während er sich aufrichtete und Sezuna eine helfende Hand anbot.
Diese nahm sie an und ließ sich auf helfen. „Es tut mir leid, ich wollte euch nicht beunruhigen“, murmelte Sezuna leise und starrte auf ihre nackten Füße, während ihre Hände mit dem Kleid spielten, das sie noch immer trug.
„Was meinst du? Ist doch alles in Ordnung“, lächelte Roar sie an und tat so, als wäre nichts gewesen. Er nickte Mae kurz zu als Zeichen das sie gehen konnte. „Zieh dich um, ich warte solange draußen“, mit diesen Worten verließ er gemeinsam mit Mae Kadens Zimmer, damit sich die Rothaarige umziehen konnte.
Diese atmete tief durch, und rieb mit ihrer Hand ihr Handgelenk. Sie wusste, dass Mae es nur gut gemeint hatte, indem sie ihren Puls mit diesem Gerät beobachtete, doch für Sezuna hatte das einen ganz bitteren Nachgeschmack. Denn jetzt musste sie sich gegen Erinnerungen wappnen, die sie womöglich wieder völlig runterziehen konnten.
Dennoch tapste sie in das kleine Bad, um sich fertig zu machen.