Es war noch sehr früh am Morgen, als Orion durch ein Klopfen aus seinem Schlaf gerissen wurde.
Nicht sonderlich begeistert brauchte er ein paar Minuten, ehe er so wach war, dass er den Geruch von Kaden und Sezuna erkennen konnte.
Was wollten die beiden um diese Uhrzeit bei ihm?
Er schälte sich aus dem Bett und trat auf die Tür zu.
Er hatte sie noch nicht erreicht, als er auch Likas Geruch aufschnappte.
Das wurde ja wirklich immer besser.
Mit einem müden Seufzen öffnete er die Tür und ließ die Gruppe eintreten.
Direkt fiel sein Blick auf Sezuna, die niedergeschlagen aussah und sich beinahe schon hinter Kaden verkroch.
Alle nahmen sie am Küchentisch platzt und Orion blickte fragend zu Kaden, der eindeutig derjenige war, dem Orion ihr Auftauchen hier zu verdanken hatte.
„Es gibt noch eine Verschwundene“, erklärte er und Orion, sowie Lika horchten auf.
Er warf einen kurzen Blick zu Sezuna doch sie schien in Gedanken verloren zu sein.
„Wer auch immer es ist, er hat Alexa“, gab Kaden von sich und versuchte erneut in Gedanken den kompletten Wald nach Hinweisen abzusuchen, doch das war Sezunas Ding. Wäre sie nicht so durch den Wind, hätte sie bestimmt was gefunden oder bemerkt.
Sezuna... und schon wieder kamen ihm die Briefe wieder ins Gedächtnis.
Er wusste, dass er ehrlich zu ihr sein sollte, doch in ihrem jetzigen Zustand wäre das wohl herzlos.
„Und es handelt sich um ein magisches Wesen“, gab Sezuna leise von sich und ihre Hände, die sie in ihrem Schoß liegen hatte, spielten immer wieder mit ihren Fingern. „Er kann fliegen und er schießt mit Knochen, die ziemlich weh tun“, fügte sie hinzu, auch wenn sie wusste, dass Kaden sie schon für diese Erklärung schief angeschaut hatte.
Ja, sie hatte auch noch nicht davon gehört, dass es auf der Erde solche Wesen gab, aber man lernte nie aus. Gerade, wenn es um die verschiedenen Rassen ging.
Orion runzelte die Stirn.
„Woher... wisst ihr das?“, fragte er vorsichtig und hatte Angst vor der Antwort.
Sezuna blickte demonstrativ weg, als sie meinte: „Ich hab mich entführen lassen.“
Am Tisch breitete sich ein ungläubiges Schweigen aus.
Kaden senkte ebenfalls den Blick, als er Sezunas Gefühle aufschnappte.
Auch wenn sie äußerlich wirkte, als wäre sie unbeteiligt, wenn auch nicht sonderlich überzeugend. So spürte er dennoch das Chaos in ihr, das gerade mit sich und ihrer Angst kämpfte.
Die Wunde war noch zu frisch als dass sie jetzt schon darüber reden konnte.
„Sie waren im Wald und der Unbekannte hat gegen sie beide gekämpft, als würde er mit ihnen spielen. Wir waren in der Bar und Sezuna wurden Drogen verabreicht so dass sie bewusstlos wurde“, ergriff Kaden dann das Wort und hoffte, dass sie die Erzählungen nicht zu sehr an die gestrigen Ereignisse erinnerten. „Er hat Sezuna verloren als er sie, vermutlich versehentlich, von einer Klippe in einen reißenden Fluss gestürzt hatte. Alexa ist jedoch verschwunden, genau wie der Typ“, ergänzte Kaden noch. Doch die Anspannung im Raum nahm nicht ab.
Sezuna wurde mit jeder Sekunde, die verstrich unruhiger.
Ihr machten die Geschehnisse mehr zu schaffen, als sie bereit war zu zugeben. Es gab nur selten Momente im Leben, wo sie sich so hilflos gefühlt hatte. Normalerweise war sie als Vampirin stark und ihre Gabe half ihr oft genug aus brenzligen Situationen, doch durch die Drogen… Sie konnte sich kaum noch an ihre Umgebung erinnern. Weder an die Gerüche, noch an die Geräusche. Es war, als hätte jemand Teile ihres Gehirns gelöscht! Und das bereitete ihr mehr Unbehagen, als sich vielleicht jemand vorstellen konnte.
Mühsam hielt sie die Tränen zurück, die sich versuchten einen Weg aus ihren Augen zu bahnen.
„Spuren?“, brach Orion schließlich das Schweigen. Das wichtigste war nun Alexa zu finden und zurück zu holen, bevor es zu spät sein würde.
Auch wenn es ihm mehr zu schaffen machte, Sezuna so zu sehen, als er zugeben wollte, so hielt er sich dennoch zurück. Sie schien schließlich nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen zu sein.
Kein Wunder. Ihr Gespräch am Vortag war kritisch verlaufen, was Orion jedoch erst im Nachhinein bemerkt hatte.
Kaden schüttelte den Kopf, als er unauffällig nach Sezunas Hand unter dem Tisch griff, um sie zu beruhigen.
„Er legt falsche Fährten, um uns durcheinander zu bringen. Obwohl wir nicht wissen wer er ist, scheint er genau zu wissen mit wem oder... mit was er es zu tun hat“
Lika blickte Kaden fragend an. „Heißt das, er wusste, dass ihr beiden Vampire seid?“, wollte sie wissen und klang schon ungläubig. Sezuna nickte.
„Mit was auch immer er mich betäubt hat, es hat meine Kräfte komplett ausgeschaltet“, hier griff sie sich an den Kopf. „Selbst mein Gehirn. Ich kann mich an kaum etwas aus dieser Nacht erinnern“, gab sie nur wiederwillig von sich.
Langsam strich Kaden abwesend mit dem Daumen über ihre Knöchel, wie er es auch schon beim Riesenrad getan hatte.
Auch wenn es sich für ihn komisch anfühlte... er konnte einfach nicht aufhören an die Briefe zu denken.
„Kannst du uns den Mann beschreiben? Oder wenigstens irgendwie den Duft, oder etwas anderes auffälliges?“, wollte Lika wissen. „Dann könnten wir vielleicht beim Rat nachfragen, um was für ein Wesen es sich handeln könnte.“
Sezuna schüttelte den Kopf, entspannte sich aber ein klein wenig unter Kadens Berührungen. Sie taten ihr so gut.
„Würde der Rat ein solches Wesen archiviert haben würde Sezuna es ohnehin schon kennen. Ich denke nicht, dass sie uns da weiterhelfen können“, murmelte Kaden nachdenklich und drückte sanft Sezunas Hand. „Ich denke es wäre sinnvoller, wenn du dich in einige Überwachungssysteme von Parkplätzen oder sonst wo hackst. Vielleicht findest du etwas... irgendwas. Wir haben nicht viel Zeit, um sie zu finden, bevor es möglicherweise zu spät ist. Ich werde mich auch ein wenig umhören“, erklärte Kaden und fragte sich, ob Reyes wirklich etwas damit zu tun haben könnte... schließlich war er ihm von vornherein suspekt.
„Das ist keine schlechte Idee“, murmelte Lika zustimmend und erhob sich. „Ich fange gleich damit an. Sezuna, kannst du mir auf einer Landkarte zeigen, wo ihr in etwa wart?“, fragte sie und Sezuna nickte, ehe auch sie sich erhob. Dabei drückte sie Kadens Hand einmal kurz und schenkte ihm ein zittriges Lächeln.
„Passt auf euch auf“, erklärte sie und folgte dann Lika.