„Kaden? Orion? Könnt ihr mich hören? Hallo?!“, ohne auf Likas Antwort gewartet zu haben, waren sie vermutlich in den Gang gegangen.
Hektisch drehte sie sich zu der Rothaarigen um. Sowohl das GPS, als auch die Funkgeräte hatten versagt. „Die Verbindung ist tot“, murmelte Lika und wusste nicht genau, wie sie jetzt reagieren sollte.
Sezuna fluchte laut und aufgebracht. „An welcher Stelle waren sie als letztes?“, wollte Sezuna wissen und Lika deutete auf einen Punkt auf der Karte. Sezuna betrachtete diese.
„Also, sie kamen von hier und gingen in diese Richtung. Das heißt, was auch immer sie erreichen, muss irgendwo hier in dieser Umgebung liegen“, damit kreiste Sezuna mit den Fingern ein Gebiet ein. „Schau nach, ob du irgendwas findest, was sich in diesem Gebiet unterirdisch befindet. Oder auch etwas seltsames Überirdisches“, erklärte Sezuna und versuchte ruhig zu bleiben.
Irgendwas musste dort sein, dass die Verbindung erst jetzt unterbrochen wurde.
Vermutlich zu dicke Wände, die selbst Likas Ausrüstung zum Abstürzen brachten.
Es ging ihnen gut... davon war sie jedenfalls überzeugt.
Eine Vampir und ein Werwolf... die konnte man nicht so leicht aus der Fassung bringen.
Wenn sie dabei allerdings an die Nacht im Wald dachte und die Tatsache, dass die beiden als Team nicht gut harmonierten, waren die Zweifel und Angst doch berechtigt.
Unbewusst schloss Sezuna die Finger um ihren Talisman in ihrer Tasche und versuchte sich zu beruhigen.
„Es scheint, als wäre der Empfang weg“, murmelte Orion und blickte zu Kaden. „Gehen wir weiter, oder drehen wir um?“, fragte er und Kaden sah ihn böse an.
„Alexa rennt die Zeit weg“, gab er knurrend von sich und er wollte den Mistkerl finden, der Sezuna so fertig gemacht hatte.
Der blonde Vampir drückte sich an Orion vorbei, während er sich das Mikro und die Kopfhörer abzog und sie einpackte. Sie störten bloß seinen Gehörsinn und er würde sie vorerst sowieso nicht mehr brauchen.
Orion tat es ihm gleich und folgte dem Vampir durch den dunklen Gang, der mit jedem Schritt immer sauberer ausgearbeitet wurde, bis es in eine flache Stahlwand überging.
Kaden blieb plötzlich stehen und deutete Orion an, dass auch dieser stehen bleiben sollte. Dann lauschte der Vampir und schoss sogar kurz seine braunen Augen.
Er konnte Geräusche wahrnehmen. Aber die Art der Geräusche störte ihn. Es klang wie schmerzhaftes Stöhnen.
Kaden warf Orion einen kurzen Blick zu, als sie einige Schritte weiter gingen und letztlich zu einer großen, schweren Tür kamen, die noch besser gesichert war, als die Luke in der Hütte.
„Scheiße“, zischte Kaden und fuhr sich durch das Haar, um besser denken zu können.
„Hast du noch eine von den Knöpfen?“, fragte Orion hoffnungsvoll, während er das Tor musterte.
„Der würde nichts bringen. Solange Lika keine Verbindung dazu herstellen kann, kann sie das Schloss so auch nicht öffnen“, meinte Kaden gedehnt und dachte nach. Wie sollten sie dieses Tor öffnen?
Wenn sie es einschlugen, was definitiv möglich war, dann würden sie die ganze Gegend auf sich aufmerksam machen und vielleicht die Geiseln gefährden. Wer wusste denn, ob es nicht noch mehr Frauen gab, die hier gefangen gehalten wurden. Niemand wusste, ob die Vermissten tot, oder lebendig waren.
„Wir könnten ja anklopfen“, nuschelte Kaden wütend mit einem sarkastischen Unterton.
„Gar nicht mal so abwegig, in Angesicht der Sackgasse in der wir uns befinden“, gab Orion schulterzuckend zu bedenken, worauf die beiden einen fragenden Blick austauschten.
Kaden zuckte schließlich die Schultern. Warum eigentlich nicht? Was sollte schon großartig passieren?
Der Vampir hob die Hand und klopfte drei Mal gegen die Tür, ehe er diese abwartend ansah.
Orion unterdes verspannte sich und wartete auf etwas, dass Gefahr anzeigte.
Wenig später vernahm Kaden Schritte hinter der Tür und gab Orion ein Zeichen, dass er sich vor die Tür stellen solle, damit er sich neben der Tür im Verborgenen halten konnte.
Schnell zog Orion die schwarze Kapuze über den Kopf, damit sein Gesicht nicht mehr zu erkennen war. Im selben Moment, in dem sich die Tür mit einem Zischen öffnete und ein Mann im Kittel raustrat, schnellte Kaden hervor, um ihn zuerst in den Schwitzkasten zu nehmen und ihn danach einen Kniff in die Schulter zu verpassen, worauf der Mann bewusstlos zusammensackte.
„Ging einfacher, als erwartet“, murmelte Orion und blickte vorsichtig ins Innere.
Hinter der Tür lag ein Gang, der nur spärlich beleuchtet war und die Wände bestanden aus altmodischen Gefängniszellen.
Stahlgitter, die teilweise sogar schon verrostet waren, sperrten unterschiedliche Menschen ein. Fast alle von ihnen hockten am Boden und sahen alles andere, als gut aus.
Kaden schnupperte in der Luft und zwang sich dazu, die Menschen zu ignorieren. Als erstes war Alexa an der Reihe.
„Ich gehe nicht davon aus, dass das hier der Haupteingang ist“, er blickte kurz hoch, um die zahlreichen Überwachungskameras zu mustern. „Am besten wir beeilen uns, bevor sie was merken“, gab Kaden zurück und durchstöberte eine Zelle nach der anderen, bis er Alexa bewusstlos in einer Zelle fand. Ihre Haut war mit blauen Flecken übersät und auch ihr Gesicht sah um einiges blasser aus, als sonst.
Kaden trat an die Gitterstäbe heran und musterte sie. Schien normaler Stahl zu sein.
Er griff danach und mit ein wenig Kraftaufwand bog er sie auseinander, so dass er hindurch schlüpfen konnte, um Alexa hoch zu nehmen.
Der Blonde war mit dieser gerade wieder aus der Zelle heraus getreten, als Schritte und Geschrei laut wurden.
„Doch nicht so leicht“, korrigierte Kaden Orions vorherige Bemerkung und sprintete gemeinsam mit Alexa auf den Armen zum Ausgang. Orion ließ den Vampir vor rennen, als plötzlich ein spitzer Knochen auf ihn zuflog, den er versuchte mit dem Arm abzublocken. Stattdessen durchbohrte er seinen rechten Unterarm und blieb darin stecken.
Orion unterdrückte einen Schmerzensschrei und folgte Kaden schnell zurück in die Minen.
Die Schritte waren nach wie vor hinter ihnen und immer wieder schossen mehrere Knochen nach ihnen, die sich in die Wände der Gänge bohrten, worauf diese begannen nach und nach zu bröckeln.
Orion traute seinen Augen nicht und musste die Annahme, dass Sezuna unter Drogen stand und daher fliegende Knochen gesehen hatte, wieder revidieren. Es gab doch fliegende Knochen! Aber wieso? Was war das für eine Fähigkeit?
„Gar nicht gut“, kam vom Kaden, der bereits einigen Steinen ausweichen musste, die sich von der Decke lösten.
Orion blickte nach vorn und bemerkte, dass einige der Knochen einen Stützpfeiler zerschlagen hatten.
Er schielte kurz zurück, als die Schritte verklangen und nur noch das tiefe Rumoren der brechenden Felsen zu hören war, die hinter ihnen niederprasselten.
„Beeil dich!“, gab Orion zurück und beschleunigte seine Schritte.
„Denkst du, ich geh hier spazieren?“, keifte Kaden ihn an und versucht auch seine Schritte zu beschleunigen, doch durch das zusätzliche Gewicht der Studentin erreichte er nur dieselbe Geschwindigkeit wie Orion.
Außerdem wäre es zu gefährlich in Vampirgeschwindigkeit mit Alexa durch die Gänge zu fegen. Er konnte sie dabei irgendwo gegen schlagen und dann wäre sie nur noch Mus. Ähnlich, als würden die Steine sie zerquetschen.
Kaden machte einen Satz nach vorn, als hinter ihm ein Stein verdammt nah herunter fiel.
Keuchend rannten die beiden auf die versteckte Tür zu, die sie hoffentlich nach draußen bringen würde.
Er schnellte um die Ecke in den Anfangstunnel, doch er dachte nicht daran stehen zu bleiben.
Er konnte die frische Luft bereits wittern, was ihn noch mehr anspornte. Das Krachen der Steine entfernte sich etwas, verklang jedoch nicht. Orion kletterte an der Steinwand nach oben durch die Lücke und hievte Alexa nach oben, damit Kaden danach ebenfalls hochklettern konnte. Vollkommen geschafft zog sich der Vampir aus dem Schacht und blieb keuchend und nach Luft ringend auf dem Laub bedeckten Boden liegen.
„Lika... anrufen“, brachte er nur stoßweise hervor, da er mit atmen beschäftigt war.
Sofort stöpselte sich Orion das Funkgerät wieder ins Ohr und als endlich wieder eine Verbindung bestand, konnte er Likas erschrockenen Laut hören.
„Was habt ihr euch dabei gedacht?“, war Sezunas besorgte Stimme, die jedoch nach ihnen rief.
„Wir sind wohl auf und haben Alexa bei uns“, erklärte Orion kurz angebunden.
Sezuna atmete erleichtert aus. „Gott sei Dank.“
Kaden wollte etwas sagen, doch er musste immer noch nach Atem ringen. Er brauchte dringend Blut, um wieder auf die Beine zu kommen.
Orion musterte ihn kurz, während auch er wieder versuchte seinen Atem zu beruhigen.
„Wir kommen so schnell wie möglich zu euch. Es wäre praktisch, wenn ihr irgendwie dafür sorgen könntet, dass uns keiner, sieht wenn wir den Campus betreten.“
„Das wird nicht zu schwierig“, versicherte Lika. „Ich werde alle Kameras hacken und Leute sind sowieso nicht mehr so viele unterwegs. Ich weise euch den ruhigsten Weg“, erklärte die Blauhaarige, die beruhigt war, dass niemanden etwas passiert war.
Als wäre Sezuna selbst diesen Weg gerannt ließ sie sich zurückfallen, um sich zu beruhigen.
Es war geschafft, alles war gut.
Plötzlich vernahmen sie Kadens nuschelnde Stimme im Hintergrund.
„Fass mich nicht an!“, zischte Orion ins Mikro worauf Kaden ein quengelndes „Bitte!“, von sich gab.
Lika runzelte die Stirn.
„Alles okay bei euch?“, fragte diese unsicher.
Sezuna, die wohl mitbekommen hatte, was los war, seufzte und die Anspannung ergriff erneut von ihr Besitz. „Kaden, schaffst du es bis nach Hause?“, fragte sie und hoffte auf ein: ‚Ja.‘ Ansonsten musste sie sich etwas überlegen, wie sie ihn mit frischem Blut versorgen konnte. Er hatte seine Fähigkeiten zu lange benutzt und zwischendurch zu wenig getrunken. Ihr gemeinsamer Imbiss war schon wieder viel zu lange her.
Orion wiederholte die Frage für den Vampir der sein Funkgerät noch nicht wieder eingestöpselt hatte, doch Kaden schien wenig begeistert.
„Ja, alles in Ordnung, bleib wo du bist!“, versuchte er sie zu ermahnen, doch es kam nur ein murmelndes und atemloses Geräusch aus seinen Lungen.
Orion seufzte sichtlich genervt, was in einem wütenden Knurren unterging.
„Gott, wie ich dich hasse“, murmelte der Werwolf, worauf er Kaden seinen immer noch blutenden Arm entgegen hielt und versuchte ihn nicht zu beachten.
„Wir machen uns gleich auf den Weg. Wie lautet die Route?“, fragte Orion, um sich abzulenken.
Währenddessen blickte Kaden seinen Arm an und konnte das unausgesprochene Angebot nicht ablehnen.
Er näherte sich seinem Arm und schlug seine Fangzähne hinein.
Während Orion Lika zuhörte, die ihm den Weg beschrieb, spürte er kurz ein seltsames Zwicken, das jedoch nicht lange anhielt. Stattdessen schien es, als würde eine Art Energieschub durch seinen Körper gehen.
Nach einigen Sekunden bereits war Kaden gesättigt und er zog sich zurück, um sich über die blutigen Lippen zu wischen. Grinsend sah er mit leuchtenden Augen zu Orion.
„War es für dich genauso schön wie für mich?“, fragte er, während er Alexa wieder auf den Arm nahm. Orion rollte bloß die Augen und richtete sich auf.
„Okay, wir sind auf dem Weg“, gab Orion an Lika weiter und beide gingen los, um zurück zum Wohnheim zu gelangen.
Beide folgen den Weg, den Lika ihnen wies und sie stießen auf niemanden, der sie sehen konnte.
Was auch gut so war. Denn beide Männer waren mit Staub bedeckt, hatten zerrissene Kleidung an, bluteten und trugen eine bewusstlose junge Frau mit sich herum.
Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um nicht aufzufallen. Nach kurzem beschatten des Wohnheims, huschten die beiden Männer gemeinsam mit der bewusstlosen Alexa in das Haus und klopften an Orions Tür, die auch gleich darauf aufsprang.
Beide traten in die Wohnung und Sezuna schloss die Tür gleich wieder, ehe sie Kaden Alexa abnahm und sie aufs Sofa legte. Dann trat Lika an die bewusstlose Frau heran und untersuchte sie, während Sezuna besorgt zu Kaden zurück lief und sein Gesicht in beide Hände nahm, um zu schauen, ob bei ihm alles in Ordnung war.
Das Braun seiner Augen war unglaublich klar und tief, daher schlussfolgerte sie, dass er wohl gerade getrunken hatte. Was gut war. „Bist du verletzt?“, fragte sie trotzdem besorgt.
Auch wenn er es geschafft hatte, den Auftrag über nicht an die Briefe zu denken, so blitzten sie doch wieder schmerzhaft klar vor seinem inneren Auge auf, als er Sezunas Stimme hörte.
„Nein, mir geht's gut“, gab er leise zurück und ließ seinen Blick an Sezuna vorbei schweifen zu Lika, die gerade Orion und Alexa versorgte. „Können wir später reden?“, flüsterte er, als er seinen braunen Blick wieder auf Sezuna richtete.
Diese wirkte ein wenig irritiert und verunsichert. „Ja, natürlich“, sagte sie, klang aber nicht ganz überzeugt und trat von Kaden zurück.
Sie hatte irgendwie das Gefühl, dass er versuchte sie von sich zu stoßen, doch Sezuna wusste nicht, wie sie auf diese Idee kam. Aber seit gestern Abend wirkte er irgendwie komisch… Ob alles in Ordnung war?