~Haus der Schatten~
Der Aufseher des Schattenhauses hob die Hand an seine Stirn und massierte sich die Schläfen. Seine Haare waren von seinem Alter leicht ergraut und große Geheimratsecken zierten seinen Kopf.
Das Gesicht war leicht faltig und die Augen lagen tief in den Augenhöhlen. Dennoch täuschte dieses Bild nicht über seine Macht hinweg, die man deutlich spüren konnte.
„Eldril Lilaith Dämmerlicht, ich habe dir schon dutzend Mal gesagt, dass dies hier eine Schule und kein Bordell ist“, erklärte er mit knirschender Stimme.
Die Frau, die vor ihm stand, wirkte nicht im Geringsten eingeschüchtert. Ihr seidig schwarzes Haar fiel ihr offen über die Schulter und ihre schwarzen Augen lagen gelangweilt auf dem älteren Mann.
Ihr gut gerundeter Körper war in die Schuluniform gehüllt, die ihre Brüste nur noch mehr zur Geltung brachte. Die Korsage in dem dunklen Violett, die ihr Haus anzeigte, war perfekt, um ihre schmale Hüfte zu betonen. Auch der Rock, der nur bis kurz vor die Knie ging, war nicht weniger hilfreich, wenn es darum ging ihr Sexappeal zur Schau zu stellen.
Selbst die Stiefel, die sie bis über die Knie gezogen hatte und die ihre schmalen Beine zierten, gaben dem Ganzen einen gewissen Reiz. Eldril hatte sich schon oft gefragt wer diese Schuluniform entworfen hatte und was sein Hintergedanke dabei war, aber beschweren würde sie sich sicher nicht. Sie selbst mochte zwar noch freizügigere Kleidung, doch sie wusste, dass auch sie sich manchmal an die Regeln halten musste. Manchmal.
„Ich habe mich nicht dafür bezahlen lassen, also ist es kein Bordell“, erklärte sie unbeteiligt.
Entgeistert ließ der Mann die Schultern hängen und rieb sich angestrengt die Schläfen. Dieser Frau konnte man einfach nichts vorwerfen und wenn doch, wusste sie sich stets geschickte rauszureden. Es würde ihn nicht mal wundern, wenn sie es schaffen würde ihn selbst für ihr Vergehen schuldig zu machen.
„Nichtsdestotrotz hast du gegen die Hausordnung verstoßen und das wird eine Strafe nach sich ziehen“, widersprach der Aufseher, der Eldrils Masche schon beinahe auswendig konnte.
Die Schwarzhaarige rollte gelangweilt die Augen und überschlug galant die Beine.
„Zeigen Sie mir doch den Paragraphen der es mir angeblich untersagt meinen Spielchen nachzugehen... wenn das denn möglich ist.“
Erneut rieb sich der Mann die Schläfen. Diese Frau!
Allerdings kramte er aus seinem Schreibtisch, hinter dem er saß, einen Ordner mit den Schulregeln hervor und schlug ihn auf. Dann blätterte er kurz und drehte ihn zu Eldril herum.
„Hier steht, dass in den Räumen der Schule immer die Schulordnung zu wahren ist und diese besagt, dass das unsittliche Verhalten jeglicher Art, nicht geduldet wird.“
Eldril bewahrte ihre Haltung bei und ließ dabei ruhig ihre schwarzen Augen über das Papier wandern.
„Nun...“, setzte sie nachdenklich an und lehnte sich seufzend in ihrem Stuhl zurück. „Und was genau hat das mit mir zu tun? Ich habe nichts Unsittliches getrieben.“
Der Mann widerstand dem Drang seinen Kopf auf die Tischplatte zu schlagen. Diese Frau war immer wieder eine Anstrengung für sich.
„Dennoch wirst du Strafarbeit verrichten“, erklärte er knirschend und machte eine Handbewegung, die ihr deutete, dass sie gehen sollte. Es war mit ihr immer wieder dasselbe. Anfangs hatte er noch versucht sie einzuschüchtern, doch auch das hatte nichts gebracht. Also war er dazu über gegangen sie zu bestrafen, doch auch das schien nicht den gewünschten Effekt zu erzielen.
Sie lernte nie aus ihren Fehlern, da sie diese nicht als solche sah. Spiele nannte sie es was sie trieb. Dabei war es nichts anderes als eine verruchte Orgie hinter geblümten Vorhängen. Natürlich war es nach ihrem Ermessen nichts Unschickliches. Doch was hatte er auch anderes erwartet von der Tochter einer Mätresse.
Eldril lächelte ihr Lächeln, dass dem Aufseher zeigte, dass sie auch dieses Mal einen Weg finden würde, um die Strafarbeit herum zu kommen, doch er ließ sie gehen, als sie sich erhob. Er hatte einfach keine Lust mehr. Vielleicht musste er wirklich einmal mit dem Direktor reden.
Eldril hingegen verließ den Arbeitsraum und betrat die Flure der Schule. Es kamen ihr nur wenige Schüler entgegen, doch sie musterte diese intensiv. Dabei fiel ihr ein Mädchen auf, das sie schon öfter beobachtet hatte.
Die Kleine war zierlich, aber trotzdem recht groß. Ihre blasse Haut war von Sommersprossen bedeckt und das wellige rote Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Außerdem blickte sie immer so nachdenklich und ein wenig unheimlich drein.
Eldril fand dies sehr interessant, doch da Cassandra nie sprach, war sie auch nicht unbedingt das, was Eldril wollte. Es war aber dennoch interessant sie im Auge zu behalten. Das Mädchen hatte eine Aura, die selbst Eldrils Interesse wecken konnte. Nur nicht im Moment. Jetzt wollte sie zurück in ihre Räume und weiter mit ihren Spielzeugen spielen.
Cassandra dagegen ließ sich nicht von dem Gefühl, von Eldril beobachtet zu werden, beirren. Es war nicht unüblich, dass diese Nymphomanin einen mit den schwarzen Augen verfolgte.
Stumm lief die Frau mit den roten, zusammengebundenen Haaren den Flur weiter und behielt die Augen teilnahmslos auf den Boden vor sich gerichtet. Immer wieder zuckte ihre Hand an ihren Wurfdolchen, welche an ihrer Hüfte befestigt waren. Auch wenn sie nicht vorhatte diese zu werfen, so war es fast schon eine Art Reflex danach zu greifen, wenn sie nervös, gelangweilt, nachdenklich oder sonst was war. Die kleinen scharfen Gegenstände, aus feinstem Metall gefertigt, waren einfach ihre Lieblinge.
Cassandra bog um eine Ecke und in einen weiteren Flur.
Die Flure der Schule waren alle aus schwarzem Stein gehauen und mit unzähligen Teppichen, Wandgemälden und Staturen verziert. Im Grunde wirkte es gemütlich, doch Cassandra interessierte sich nicht für die Gemütlichkeit, lediglich für die Möglichkeiten, die all diese Gegenstände boten.
Der Gang, dem sie folgte endete in einer großen Halle, welche als Eingangsbereich diente. Hier sammelten sich ein paar Schüler in den Sitzecken und unterhielten sich, oder lasen.
Die Rothaarige jedoch ignorierte alle und wollte nach draußen laufen, als ein junger Schüler auf sie zu getorkelt kam.
Mit einer eleganten Bewegung wich Cassandra aus und der Schüler stürzte zu Boden.
Ein Mann mit braunblondem Sidecut und einem hochnäsigem Lächeln kam auf den am Boden liegenden zu und knackte mit den Fingern.
Einige Schüler neben Cassandra kamen zum Stehen und blickten sich zu den beiden Schülern um. An sich war es der Rothaarigen eigentlich egal was los war. Sie kannte den Jungen mit dem Sidecut bereits, der sich Jason nannte und wusste auch so einiges über ihn. Auch wenn sie immer als „Die Schweigsame“ betitelt wurde, so wusste sie doch viel mehr, über jeden einzelnen Schüler, als sich so mancher vorstellen könnte.
Jason und seine Sippschaft von Gehirnamputierten Idioten boten dabei weitaus weniger Unterhaltung als so manch andere an dieser Schule. Trotzdem ließ sie die Neugierde inne halten und somit schob sie sich zwischen einige andere Schüler, um unbemerkt das Spektakel mit ansehen zu können. Dabei machte sie sich weniger Sorgen um den Jungen der am Boden lag, noch um Jason der wohl mal wieder Strafarbeiten verrichten würde, sobald ein Aufseher zur Stelle kam. Nein, das war ihr nun wirklich mehr als gleich. Was sie wirklich interessierte, war lediglich, wie lange es dauern würde, bis einer der Möchtegern-Helden in die Mitte treten würde und eine Predigt hielt, dass Gewalt falsch sei. Ein mehr als seltener Fall in dem Haus der Dunkelheit und dennoch gab es genügend die auch solche Charaktereigenschaften bargen.
Jason trat mit einem irren Grinsen auf den am Boden liegenden Jungen zu und knackte erneut die Finger. Er war wirklich gerade in Stimmung sich zu prügeln und dieser nervige, kleine Spinner kam ihm recht gelegen. Was kam er auch auf die Idee sich ihm in den Weg zu stellen? Das ging gar nicht. Mitten in der Tür stehen zu bleiben war generell eine dämliche Idee, aber Jason wollte sich nicht beschweren.
„Was denn? Schon jetzt fertig? Dabei habe ich doch noch gar nicht angefangen“, erklärte Jason fast schon enttäuscht.
Als hätte er aufgegeben und würde sich entschuldigen wollen, streckte er die Hand nach dem Jungen aus. Das Grinsen in seinem Gesicht hätte ihn allerdings warnen sollen, doch er griff danach und ließ sich aufziehen.
Als er stand wurde das Grinsen ein wenig düsterer und der Junge keuchte auf, als Jason ihm die Faust mit voller Wucht in den Magen rammte, statt wie zuvor ins Gesicht.
Jason lachte belustigt auf, bei dem entstellten Gesicht was der andere Junge nun trug. Die linke Gesichtshälfte war bereits angeschwollen und auch aus seiner Nase und von seiner Lippe tropfte bereits Blut.
„Na los. Willst du dich gar nicht wehren?“, lachte der Mann mit dem Sidecut und warf überdramatisiert die Arme in die Luft als Zeichen, dass er sich nicht wehren würde.
Der junge Mann ihm gegenüber schüttelte jedoch nur den Kopf und wirkte ängstlich, als er einen Schritt zurück machte.
Während Eldril dem Spektakel fast schon amüsiert zusah, verdrehte Cassandra die Augen und ließ ihre Hand, die sich kampfbereit an ihre Tasche mit den Dolchen gelegt hatte, sinken.
Das war nicht ihr Kampf und sie würde sich nicht einmischen. Am einfachsten war es, wenn sie einfach ihren Weg fortsetzte. Sollten die sich doch prügeln. Dafür bekamen sie eh nur Strafarbeit und die Rothaarige sah Jason schon, wie er im Garten die Hecken schneiden musste, oder die Seen säubern. Irgendwas ohne Magie würde es wieder werden. Erniedrigend und eigentlich sollte diese kurze Freude eines Kampfes diese Strafen nicht wert sein.
Cassandra drehte sich weg und hörte es erneut scheppern. Wahrscheinlich hatte Jason sein Opfer irgendwo gegen geschupst. Die Rothaarige ignorierte es und lief mit ihrem leicht schwebenden Gang von dannen. Sollten sie das doch unter sich ausmachen.
Eldril dagegen schien recht amüsiert und zwirbelte eine ihrer schwarzen Strähnen zwischen zwei Fingern herum.
Doch gerade als Jason seinen Gegenüber am goldenen Kragen packte, um erneut auszuholen ließ ihn ein lautes: „Was denkst du, was du da tust?“, inne halten und die Augen rollen. Er kannte diese Stimme bereits und allein der schnelle Klang der Schritte, die sich ihm näherten, veranlassten ihn dazu, entgeistert den Stoff loszulassen, worauf der blutende Junge zu Boden fiel.
„Nach was sieht’s denn aus? Ich kümmere mich um die benachteiligten Schüler“, stöhnte er genervt und drehte sich zu der jungen Frau um, die vor ihm zum Stehen kam und wütend die Hände in die Hüften stemmte.
„Kümmern? Wohl kaum. Viel eher machst du wohl unser ganzes Haus lächerlich, aufgrund deiner animalischen Handlungen! Das hier ist keine Arena und selbst wenn, ständest du nicht an einer Position in der du dir das leisten könntest“, erklärte die Frau namens Ketsueki mit fester Stimme und einem Blick aus ihren mandelförmigen, giftgrünen Augen, der Jason wohl ihre Dominanz als Schulsprecherin zeigen sollte. Doch dieser seufzte nur in einem unterschwelligen Knurren und strich sich mit der Hand die Haare zurück.
Ketsueki war nicht Schülersprecherin, weil sie es sein wollte, sondern weil sie ausgesucht wurden war. Dennoch nahm sie ihre Aufgabe sehr ernst und hatte die Lehrer auf ihrer Seite.
Jason grinste, griff nach dem Kragen des Jünglings und holte noch einmal aus, stoppte aber vor dem Gesicht des Jungen, der ihn mit panisch aufgerissenen Augen anstarrte. Der Mann mit den braun-blonden Haaren lachte laut auf bei dem Gesicht, das er zog und schupste ihn dann heftig von sich weg. Dann vergrub er die Hände in den Hosentaschen und lief auf die Ausgangstür zu. Gerade, als er das Gebäude verlassen wollte, drehte er sich noch einmal um. Ketsueki half den Jungen gerade auf, als sie aufblickte, weil Jason sprach: „Hast du ein Glück dass der Rotschopf gerade reingeschneit ist. Das nächste Mal bin ich nicht so gnädig.“
Mit einem letzten, abschätzigem Schnauben drehte sich Jason wieder weg und setzte dazu an seiner Wege zu schreiten, als plötzlich eine laute Stimme durch die Hallen schallte, welche durch eine Art magische Lautsprecher übertragen wurde. Sie wurden äußerst selten genutzt, da sie meist nur für Ankündigungen oder der gleichen verwendet wurde, darum war es umso fraglicher was nun der Anlass war. Jason hielt verwundert inne, als er die Worte der ernsten, männlichen Stimme vernahm.
„Alle Schüler werden gebeten sich unverzüglich im Saal zu versammeln. Anwesenheit ist Pflicht für jeden“, war alles was gesagt wurde, ehe das Echo verstummte und das skeptische und unwohle Getuschel unter den Schülern des Hauses der Schatten ertönte.
Der Dunkelblonde musste zugeben, dass auch ihn selbst diese Tatsache verunsicherte, selbst wenn er das nicht offen zugeben würde.
Was konnte denn immerhin so wichtig sein, dass alle Schüler gezwungen waren sich zu versammeln?