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Der Lärm war ohrenbetäubend. Die Zwerge, etwa zwanzig an der Zahl, waren wie aus dem Nichts erschienen und hatten sich mit lautem Gebrüll auf die Kinder der Sonne gestürzt. Iljan konnte nur raten, was die Zwerge auf ihre Spur gebracht hatte – waren es die erhobenen Stimmen von Abarax und Terziel gewesen, die sich über ihre jeweils sehr eigene Vorstellung von dem Wert der Gerechtigkeit gestritten hatten? War es eine unbewusst verletzte Regel gewesen, etwa, dass die Kohlepfannen erst zu einer bestimmten Zeit entzündet wurden? War es ein Trick von Caryellê und Terziel gewesen, oder sogar von Stella Cantici und Gudrun? Oder war es reiner Zufall, dass die Zwergenarbeiter auf die Spuren von dunkle Wesen stießen?
Ohne Jackie, die sie warnen konnte, wurden die Kinder der Sonne von diesem Angriff überrascht. Es blieb nicht einmal genug Zeit, um sich zusammen zu drängen, oder um eine Warnung zu schreien. Die Zwerge erschienen einfach aus der Nacht und im nächsten Moment wimmelte er in der engen Höhle von Kämpfern.
Als der erste Zwerg auf ihn zu sprang, hatte sich Merkanto zur Flucht gewandt und war hinter das Kohlebecken in der Mitte der kleinen Kammer gesprungen. So völlig überrumpelt besaß er noch keinerlei Macht, keine Energie für Blitze, Schutzschilde oder auch nur einen müden Funken. Also sprang er in Deckung und stieß die Kohlepfanne um. Er verbrannte sich die Hände, und der Zwerg ging in einem Regen von Funken und heißen Steinen zu Boden. Merkanto sprang nach vorne und ergriff die kleine, schwere Waffe des Arbeiters, eine kurzstielige Spitzhacke mit einem breiten Rückblatt.
Wie die Zwerge eindrucksvoll bewiesen, eine gefährliche Waffe. Beinahe die Hälfte von ihnen hatte sich direkt auf Askook gestürzt. Der Drache brüllte gequält, so laut, dass kleine Steine von der Decke rieselten. Merkanto ließ die Spitzhacke einmal kreisen und stellte fest, dass sie einen weit nach vorne gelagerten Schwerpunkt hatte, wodurch sie trotz ihrer geringen Größe schwer und unhandlich wurde.
Dann sprang der Magier nach vorne und hieb die Spitzhacke auf den Schädel des vor ihm stehenden Zwergs. Das Metall ging glatt durch den Helm und der Zwerg sackte auf der Stelle in sich zusammen. Merkanto kämpfte damit, seine Waffe zu befreien, als er plötzlich ein Kribbeln im Nacken spürte. Er wirbelte herum und sah zwei Zwerge auf sich zu laufen. Einer hatte einen Spaten hoch erhoben, der andere fuchtelte mit einer Öllampe herum. Merkanto bekam die Spitzhacke nicht los und riss beide Arme hoch. Blitze züngelten um seine Handgelenke, doch sie waren möglicherweise nicht genug, um ihn zu schützen – ihm fehlte Zeit und Konzentration.
Da wuchs plötzlich ein Schatten an der Wand hinter den Zwergen empor. Ein pechschwarzer Schatten, der sich von dem festen Stein löste und eine Pranke mit langen, blutroten Krallen daran ausstreckte. Die Krallen waren so lang wie die Zwerge hoch waren. Den mit dem Spaten pflückte der Schatten aus der Luft. Der zappelnde Zwerg wurde empor gehoben, im Dunkel der Höhlendecke verschwand der bärtige Kopf, dann der Oberkörper, als letztes die zappelnden Füße. Dann klapperte der Spaten auf die Erde und blieb liegen.
Merkanto duckte sich unter der Öllampe hindurch, die nach ihm geschwungen wurde, fasste den Zwerg beim Arm und zwang ihn, seinem eigenen Schwung folgend weiter zu laufen. Der Zwerg stolperte über den bereits gefällten Kameraden und verlor seine Lampe. Merkanto vergeudete keine Zeit mit der Suche nach einer Waffe, sondern stürzte sich auf den Zwerg und schlug nach Gesicht und Körper. Er suchte ungeschützte Stellen und schlug sich trotzdem die Knöchel an metallenen Kanten auf. Der Zwerg versuchte, ihm zwischen die Beine zu treten, dann, in Merkantos Hand zu beißen. Merkanto riss den Zwerg am Bart, als dieser aufspringen und fliehen wollte, und ließ erst nach dem zweiten kräftigen Schlag ins Gesicht los. Er spuckte Blut und kam taumelnd auf die Beine. In seinem Kopf drehte sich alles.
Der Zwerg hielt die Öllampe schon wieder in der Hand und warf sie auf Merkanto. Im letzten Moment sprang der Magier beiseite und die Öllampe traf das Einhorn Stella, das hinter ihm gerade versuchte, dem Gemetzel zu entgehen.
Stella schrie lang anhaltend auf und warf sich auf den Boden, um die Flammen zu ersticken. Merkanto hob einen Stein auf, den er dem Zwerg an den Kopf warf, doch das Geschoss prallte nur mit einem metallischen Klirren vom Helm ab.
Der Zwerg rannte mit ausgebreiteten Armen auf Merkanto zu, rammte ihm seinen Helm in den Magen und riss den Magier von den Füßen. Sie landeten beinahe auf Stella. Merkanto zog den Kopf ein, doch zu spät: Stellas Hufe, mit denen sie panisch durch die Luft wirbelte, trafen ihn an der Schläfe und schickten ihn in eine tiefe Dunkelheit.
Iljan hatte endlich seinen Degen in die Hand bekommen und ließ die Klinge pfeifend unter seinen Feinden wüten. Es war zu spät, um die Zwerge schonen zu wollen, um sich zu ergeben. Todesopfer konnten nicht mehr vermieden werden. Später, das wusste Iljan bereits, würde er sich furchtbare Vorwürfe machen.
Im Moment blieb dazu keine Zeit.
Er entwaffnete einen Zwerg, indem er dessen Hand abschlug, tänzelte aus dem Angriff eines zweiten heraus und überwand die Schwerkraft, um sich auf einen unmöglich schmalen Felsgrat an der Höhlenwand zu retten. Von hier konnte er wenigstens den Kampf überblicken, doch was er sah, war nicht eben ermutigend. Najaxis und Merkanto lagen bereits auf dem Boden, Blutlachen breiteten sich um sie herum aus. Iljan hoffte das Beste und fürchtete das Schlimmste.
Stella Cantici stand in Flammen, wälzte sich auf dem Boden herum, schlug Zwerge nieder. Caryellê und Terziel hatten sich Waffen organisiert, doch anstatt in den Kampf einzugreifen, versuchten sie, die panische Stella zu löschen.
Askook war von den Zwergen in eine Ecke gedrängt worden und unter mehreren rasenden Arbeitern begraben, die mit verschiedensten Waffen auf den Drachen einschlugen. Askooks Maul hatten sie mit einem Draht umwickelt, was es dem Drachen unmöglich machte, Feuer zu speien. Obwohl der dicke Panzer Askook noch schützte, sah es auch für ihn nicht gut aus.
Nur Abarax war noch frei. Der Nachtmahr hatte seine Schattengestalt angenommen und huschte über die Wände, so schnell, dass Iljan vom Zusehen schwindelig wurde. Die Zwerge warfen mit Fackeln, Öllampen und manchmal auch Steinen gegen die Wände, um Abarax in eine Falle zu treiben.
Es sah nicht gut aus.
Iljan musste seinen Beobachtungspunkt verlassen, denn nun hatte einer der Zwerge eine Armbrust gespannt und zielte damit auf den Vampir. Iljan sprang mitten unter die Zwerge, der Degen pfiff und sauste durch die Luft, eine rote Linie von dem Feuer, das sich auf dem Metall spiegelte.
Er nutzte die einzige Taktik, die ihm noch geblieben war: Er wirbelte durch die Luft, tanzte im Kreis, sprang über die Zwerge hinweg wie ein Pegasus über die Wolken springen würde. Iljan blieb niemals lange genug an einer Stelle, um getroffen zu werden. Dadurch landete er selbst nur ab und zu einen Glückstreffer.
Plötzlich war Jackie neben ihm. Die Wölfin war wie aus dem Nichts aufgetaucht, ein roter Schemen, der zwischen den Beinen der Zwerge hindurch schlüpfte. Iljan gab seine sprunghafte Taktik auf und hielt sich so, dass er Jackie im Rücken hatte. Das Degen bildete ein schimmerndes Netz um ihn herum. Jackie knurrte, biss und kratzte.
Er hörte einen Schrei, der von Caryellê stammte. Die Elfe hatte sich ins Wasser zurückgezogen, neben ihr stand Terziel, hinter den beiden Stella mit rußschwarzem Fell. Das Einhorn wieherte und bäumte sich auf. Cary und Terziel verteidigten sich gegen mehrere Zwerge. Offenbar machten die Angreifer keinen Unterschied zwischen Feinden und Gefangenen.
Der Lärm in der Höhle lockte weitere Zwergenscharen herbei. Iljans Arm wurde langsam müde, der Blutgeruch vermochte nicht länger, ihn aufzuputschen. Sein Magen krampfte. Er hatte Durst, überwältigenden Durst. Seine Gedanken schweiften ab, drehten sich plötzlich um rote Tropfen statt um das eigene Leben.
Jackies Bewegungen neben ihm wurden langsamer, und immer mehr Zwerge stürmten auf sie ein.
Iljan reagierte zu langsam, als plötzlich ein Netz auf sie fiel. Es war ein Netz aus Stahl, wohl dazu gebraucht, Steine zu transportieren. Nun begrub es Iljan und Jackie unter seinem Gewicht und drückte sie eng an den Felsboden. Jackie knurrte und heulte. Die Zwerge stachen mit Hacken und Metallrohren auf sie ein. Iljan streckte eine Hand nach der Wölfin aus, riss sie grob am Fell zu sich herüber. Jackie jaulte. Er rollte sich ober sie und zog den Kopf zwischen die Schultern. Schläge prasselten auf ihn ein. Jackie zitterte unter ihm, hechelte und winselte.
Die Schläge ließen nach und Iljan konnte vorsichtig den Kopf heben. Er sah Abarax an der Wand kleben, ein schwarzer Tintenklecks, von hellem Licht eingekesselt. Widerstrebend löste sich der Nachtmahr aus der Wand und ging in die Gestalt eines kleinen, geflügelten Wasserspeiers über. Er versuchte die Flucht, doch er kam nicht weit. Der Zwerg mit der Armbrust erwischte ihn am Flügel.
Mit einem widerlichen Kreischen landete Abarax auf dem Boden, rollte über den Stein und wuchs dabei auf Menschenform an. Der dunkelhäutige Nachtmahr blieb auf dem Rücken liegen und leistete nicht einmal Widerstand, als ihm die Hände gefesselt wurden.
»Hört auf! Nicht, hört auf!«, rief Cary anderswo, die sich, Terziel und Stella gegen die anrückenden Zwerge verteidigte. »Wir sind keine Feinde! Wir sind Weiße Wächter!«
Die Zwerge ließen zögerlich von Elfe, Engel und Einhorn ab. Die drei ergaben sich und wurden in die Mitte der misstrauischen Wachen genommen.
Es kehrte Stille ein.
Askook konnte keinen Muskeln mehr rühren. Er lag auf dem Bauch, und jeder Atemzug stach ihn wie mit Schwertern in die Seite. Sein Maul war eng mit einem festen Draht umwickelt, die Flügel hatte man ihm zerschlagen und zerbrochen.
Wenn auch nur eine Krallenspitze über den Stein kratzte, erfuhr er neue Prügel. Die Zwerge ließen ihn nicht aus den Augen, richteten ihre Waffen auf ihn, piekten in den zersplitterten Panzer.
Askook schloss langsam die Augen. Er war müde. So unendlich müde. Durch seine geweiteten Nüstern drang nur muffige, verräucherte Luft. Er sehnte sich nach dem Wind, nach dem Himmel.
Sie waren alle gefangen, bis auf Gudrun, die schon vor dem Angriff feige die Flucht ergriffen hatte. Jetzt fesselten die Zwerge alle bis auf Cary, Terziel und Stella, die mehrfach schwören mussten, dass sie wirklich Weiße Wächter waren.
Jackie bekam in Wolfsform ein Halsband angelegt, das jegliche Verwandlungen unmöglich machte. Dann legte man ihr einen Maulkorb an. Als Iljan protestierte und wie üblich versuchte, die anderen in Schutz zu nehmen, legte man auch ihm einen Maulkorb an.
Der Vampir wurde ebenfalls gefesselt, dann bekam Abarax ein Halsband ähnlich dem von Jackie umgelegt. Najaxis und Merkanto, die sich immer noch nicht rührten, wurden in einer Schubkarre gestapelt. Ein Zwerg, den alle mit Kaymurk anredeten, überprüfte die Fesseln kritisch und sammelte alle Waffen sein, sogar die von Cary und Terziel.
Mehrere schmerzhafte Stiche mit einem Rohr zwangen Askook auf die Beine. Der Drache musste voran gehen, direkt hinter ihm folgte der Zwerg mit der Armbrust, dann Kaymurk, der ihr Anführer zu sein schien. Askook schleppte sich erschöpft vorwärts. Seine Beine zitterten. Blut lief über seine roten Schuppen. Er bekam den Weg kaum mit, dem sie folgten.
Er ging auf den Haupttunnel, dann bogen sie irgendwann ab. Eine lange, gewundene Spirale führte in die Tiefe, weiter und weiter hinab, die Luft wurde immer wärmer und muffiger. Bald stolperten die ersten von Askooks Gefährten vor Erschöpfung und Hitze. Jackie stand kurz vor einem Zusammenbruch, und Terziel ging es ähnlich.
Als Askook schon glaubte, er müsse mitten auf dem Weg zusammenbrechen, öffnete sich vor ihnen ein breiter Torbogen.
Sie traten hindurch in eine von feurigem Orange erhellte Halle. Der Boden war schwarz und von goldenen Feueradern durchzogen, dazwischen lagen kleinere und größere Seen aus blubbernder Lava. Es wimmelte von Zwergen, die den Einzug der Gefangenen beobachteten. Die meisten hatten Spitzhacken und Eimer als Ausrüstung, hielten Schubkarren voller Edelsteine. Sie waren mit schwarzem Staub bedeckt, in den der Schweiß feine Linien gezeichnet hatte.
Andere trugen Holzbretter, um die unzähligen Gänge, die von der großen Höhle abzweigten, abzustützen. Galerien aus Holz zogen sich auch in die Höhe, bildeten Brücken und Plattformen, die die Höhle wie ein seltsames Gewächs durchzogen.
Dann gab es noch Zwerge mit Schmiedewerkzeugen, die an den Lavaseen hockten, Schwerter und Äxte polierten, Spitzhacken zurecht zimmerten. Es war laut und selbst für Askook unerträglich heiß in der riesigen Kaverne. Es schien keinen einzigen Tropfen Wasser zu geben, trotzdem arbeiteten die Zwerge stetig, und bis zur Ankunft der dunklen Wesen hatten sie sogar dabei gesungen, ein rhythmisches, kriegerisches Lied.
Jetzt starrten alle die Gefangenen an, wie sie durch die Höhle geführt wurden, über gefährliche Steinbrücken taumelten, bis hin zu mehreren großen Käfigen aus dunklem Eisen.
Jeder Käfig war groß genug, als dass Askook seine Schwingen darin hätte entfalten können. Die Zwerge verteilten sie auf zwei Käfige, warfen Merkanto und Najaxis zu Askook, sperrten Iljan, Jackie und Abarax in den Nebenraum. Stella, Caryellê und Terziel wurden etwas sanfter in einen dritten Käfig geführt. Die Weißen Wächter erhielten Stühle und etwas Wasser, aber auch nicht mehr Vertrauen als die restlichen Gefangenen.
Askook sah, dass der Engel Terziel leichenblass geworden war.
»Das ist die Hölle!«, flüsterte der Engel wieder und wieder. »Wir sind in die Hölle gekommen!«
Stella lag auf dem Boden. Das Einhorn hatte schwere Verletzungen davon getragen. Cary kniete neben ihr, versuchte, das Fell des Einhorns mit etwas Wasser zu säubern, doch sie gab den Versuch bald auf.
Die Arbeit der Zwerge ging weiter, doch einer schritt von einem erhöhten Punkt der Platform herunter. Dieser Zwerg war groß für seine Rasse, überragte die anderen um beinahe eine Kopflänge. Er hatte einen schneeweißen, langen Bart und trug Kleidung, die mit Edelsteinen besetzt war.
»Aufseher Kanmack!«, sagte der Zwerg namens Kaymurk und machte eine militärisch anmutende Geste: Er warf sich die Faust vor die Brust und neigte ein winziges Stück den Kopf.
»Kaymurk, Torkan – was bringt ihr beiden mir da?«, fragte Aufseher Kanmack den schwarzbärtigen Kaymurk und den jung wirkenden Zwerg mit der Armbrust.
»Gefangene«, erklärte Kaymurk. »Sie könnten unserem Projekt von Nutzen sein.«