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Terziel hob das Schwert und öffnete den Mund, um Worte der Beschwörung zu rufen. Doch Mirkanish war schneller. Seine Pranke fegte durch den Schutzschild hindurch, der ja nur das Feuer abhalten sollte, und schlug Terziel vor den entsetzten Augen seines Bruders zur Seite.
Mirkanish heulte auf und sprang zurück, die Pranke noch erhoben – seine weißen Schuppen warfen Blasen und Rauch stieg von der Drachenhaut auf.
»Terziel!«, schrie Abarax und erwachte wie aus einer Starre. Er lief zu der Stelle, wo der Engel leblos auf der Erde zum Liegen gekommen war. Federn trudelten durch die Luft und Blutflecken waren in der Schneise, die Terziel beim Fallen hinterlassen hatte.
Abarax achtete nicht auf das wütende Brüllen des Drachen. Für ihn zählte nur sein Bruder, die Angst, Terziel erneut zu verlieren, wog schwerer als seine Furcht vor dem Feuer.
Iljan konnte nur hilflos mit ansehen, wie Mirkanish das Maul öffnete und einen breiten Feuerstrahl direkt auf Abarax niedergehen ließ. Der Nachtmahr und auch der Engel verschwanden hinter loderndem Feuer.
»Auseinander!«, rief Cary noch warnend. Iljan riss sich gerade rechtzeitig zusammen, um zu sehen, wie der riesige Drache auf sie zu galoppiert kam.
Statt sich weiter im relativen Schutz des Schildes zu halten, eilten die vier in alle Richtungen davon. Iljan hielt auf die Stelle zu, wo Terziel und Abarax hinter dem Rauch immer noch nicht zu sehen waren.
Stella rannte, doch sie hörte schnell, wie der Drache jemand anderen verfolgte. Keuchend blieb sie stehen. Der Schreck saß ihr noch in den Gliedern, aber dies war nicht ihre erste Schlacht. Sie wusste, dass sie einen kühlen Kopf bewahren musste, und dank ihrer Ausbildung gelang es ihr auch.
Sie machte sich einen Überblick und sah, wie der Drache Cary verfolgte.
Die Elfe rannte, so schnell wie konnte. Stella galoppierte ihr entgegen, während sie neue Energie um sich sammelte. Blitze zuckten aus ihrem Fell.
Cary sah sie und schwenkte ab, doch in diesem Moment spie Mirkanish weiteres Feuer. Flammen und Rauch hüllten Cary ein.
Stella senkte den Kopf und wurde noch schneller.
Cary stolperte hustend aus der Rauchwolke. Gudruns Salbe hatte sie vor den Flammen beschützt, wenn auch nicht vor der unerträglichen Hitze und dem Qualm. Mit einem entsetzten Blick sah Cary Stella auf sich zu rasen und warf sich mit einer geschickten Rolle zur Seite. Stella rannte mitten in die Rauchwolke hinein, die ihr Sichtschutz vor dem Drachen bieten sollte.
Sie merkte schon bei den ersten Schritten, dass ihr Hitze und Rauch nichts ausmachten, obwohl sie ihre Feuergestalt nicht einmal nutzte. Offenbar besaßen die Umirawandlungen auch eine passive Wirkung.
Doch für solche Gedanken war hier keine Zeit. Schon verließ sie den Schutz der Rauchwolke und sah den Drachen über sich aufragten, der sich im vollen Lauf befand und nicht damit gerechnet hatte, sich plötzlich mit einem angreifenden Einhorn auseinandersetzen zu müssen.
Stella nutzte ihr Überraschungsmoment und stieß das Horn nach vorne, worauf ein wahrer Hagel von Blitzen gegen Mirkanish prasselte, mit solcher Macht, dass es den Drachen von den Pfoten nach hinten riss. Er landete auf dem Rücken, rutschte über die Erde und krachte in die ersten Bäume.
Iljan hatte inzwischen Terziel und Abarax erreicht. Der Nachtmahr kniete mit besorgter Miene über dem Engel.
»Terziel?«
Der Engel schlug die Augen auf und wälzte sich auf die Seite. Iljan hörte sein Stöhnen, ehe ihm auch schon der Geruch nach goldenem Blut in die Nase stieg.
»Bist du verletzt?«, fragte Abarax mit unterschwelliger Panik in der Stimme.
»Er blutet«, sagte Iljan und ließ sich neben dem Engel nieder. Ein kurzer Blick zum Waldrand zeigte ihm, dass ihnen die Zeit davon lief. Mirkanish stand soeben wieder auf und kündigte mit einem Brüllen an, schreckliche Rache zu nehmen.
Terziel tastete seine Rippen ab, dann verzog er das Gesicht. »Mein Flügel!«
Tatsächlich schien der Ursprung des Blutflusses, der langsam zunahm, in Terziels Rücken zu liegen.
Iljan streckte eine Hand aus. »Kannst du aufstehen?«
Terziel ergriff sein Handgelenk und ließ sich auf die Füße helfen. Er taumelte leicht.
»Beeilt euch!«, schrie Abarax plötzlich. Ein Blick zum Waldrand bestätigte, dass Mirkanish sie entdeckt hatte und nun in ihre Richtung rannte.
Iljan schlang sich Terziels Arm um die Schultern und zerrte ihn mit sich, während er irritierend deutlich das warme Blut an seiner Hand spürte und der Duft fast seine ganze Welt einnahm.
»Wir sind nicht schnell genug!«, erkannte Abarax sofort.
In diesem Moment ertönte ein lautes, widerhallendes Wolfsgeheul.
Jackies Plan funktionierte noch besser, als sie selbst gehofft hatte. Der Drache hielt im Lauf inne und wirbelte herum, die Zähne gebleckt.
Dann stürmte Mirkanish auf sein neues Ziel zu: Sie.
Sie gestattete sich einen Moment, um vor Angst erstarrt stehen zu bleiben, ehe sie sich herum warf. Das Bild des gewaltigen Drachen, der im Rennen die Erde mit seinen Klauen aufriss, verblieb vor ihrem Inneren Auge, auch als sie panisch auf das freie Feld hinaus flüchtete.
Doch ihre Flucht dauerte nicht lange an – plötzlich sank ihre eine Pfote tief in den Boden ein, als sie in ein verborgenes Loch trat. Stechende Schmerzen durchfuhren ihre Schulter bei dem unerwarteten Absacken. Sie fiel, bekam die Vorderpfoten nicht rechtzeitig unter die Brust und überschlug sich.
Als sie zum Liegen kam, schmeckte sie Asche im Maul. Sie schüttelte den Kopf, um den Schwindel zu vertreiben und versuchte, aufzustehen.
Ihr Vorderbein knickte sofort unter ihrem Gewicht ein. Sie bleckte die Zähne vor Schmerz, als ein Gefühl wie eiskaltes Feuer durch ihr Vorderbein jagte. Sie wandte sich um: Mirkanish kam unaufhaltsam näher.
»Hier drüben!«, schrie Cary aus voller Kehle und sprang winkend auf uns ab, doch diesmal ließ sich der Drache nicht ablenken. Längst waren Jackie und Mirkanish an ihr vorbeigezogen, die Wölfin rechtzeitig zu erreichen, um sie zu retten, war unmöglich. Cary gab die Hüpferei auf, spannte einen Pfeil in den Boden und schoss wider besseres Wissen auf Mirkanish' gut gepanzerten Rücken. Wie erwartet prallte der Pfeil ab – das weiche Gesicht und die Bauchunterseite waren von ihr abgewandt.
Verzweifelt sah Cary sich um, doch es gab nichts, was sie tun könnte.
Dieser kurze Moment des Umsehens war alle Zeit, die Iljan brauchte. Als Cary wieder zu Jackie sah, stand der Vampir wie aus dem Nichts gewachsen zwischen ihr und dem Drachen. Und seien Gestalt verformte sich erneut, wurde dürr, großgewachsen und fleischig, die haarlose, unansehnliche Form einer riesigen Fledermaus.
»Halt!«, Iljans Stimme vibrierte über das ganze Feld und klingelte in Carys Ohren.
Mirkanish wurde tatsächlich langsamer.
Sie hielt automatisch den Atem an, als sie den Vampir wie einen Winzling vor dem rasenden Drachen sah.
Dann schnappte Mirkanish zu, schnell wie eine Schlange. Cary schrie unwillkürlich auf, als die Kiefer dort krachend aufeinander trafen, wo Iljan gerade noch gestanden hatte – doch der Vampir hatte sich mit einem Sprung auf Mirkanish' Schnauze gerettet und richtete nun tatsächlich den Degen gegen den Drachen. Bei jedem Schlag, den Iljan führte, konnte Cary das peitschende Geräusch der dünnen Klinge hören.
Mirkanish wich mit ungeschickten Schritten nach hinten, den Kopf weit in den Nacken gelegt, und warf den Schädel wild hin und her. Als kleiner Schatten fiel Iljan von dem Drachen herunter, unter einer Fontäne aus Blut kaum zu sehen.
»Iljan!«, Cary stürmte – viel zu spät, wie ihr jetzt klar wurde – los. Mirkanish merkte, dass er den Störenfried losgeworden war und fegte mit der Pranke über den Boden. Iljan wurde in die Luft gewirbelt, ehe er ausweichen konnte. Er schlug in einer Wolke aus Asche und Erde auf.
»Iljan!«, schrie Cary nochmals und wurde schneller. Ihr Herz raste, während sie sah, wie Mirkanish dazu ansetzte, mit seinem ganzen Gewicht auf Iljan zu springen.
Bevor es dazu kam, durchschnitt ein leuchtender Lichtstrahl die Luft und traf zielsicher Mirkanish' Auge. Jaulend fuhr der Drache herum.
»Schön, das hat funktioniert«, stöhnte Abarax. »Und hast du auch einen Plan, wie es jetzt weiter geht?«
Er stand einen halben Schritt hinter seinem wahnsinnigen Bruder – Terziel konnte kaum aufrecht stehen und hatte nun trotzdem die Wut des Drachen direkt auf sich gelenkt. Während Mirkanish die Strecke zwischen ihnen mit wilden Sätzen überbrückte, außer Sicht vor Wut, dass er nun schon so lange von ihnen an der Schnauzenspitze herumgeführt wurde, suchte Abarax fieberhaft nach einer Möglichkeit, mit seinem Bruder gemeinsam zu fliehen, ehe Mirkanish sie in mundgerechte Häppchen zerteilt hatte. Eine Flucht war allerdings ausgeschlossen, nicht in dem Zustand, in dem Terziel sich befand. Da auch wenig Hoffnung bestand, sich als etwas vollkommen Unschmackhaftes zu tarnen, sah die Natur nur noch einen einzigen Ausweg vor: Den Kampf.
Abarax ließ seine neue, gichtfingrige Hülle sinken und stieg frei und ungebunden in die Höhe.
Sofort wurde die Welt zu nichts weiter als einem Gemisch aus verschiedenen Emotionen und dem Gefühl von Seelen. Terziels große, warme Seele war ihm inzwischen vertraut, auch wenn sich besorgniserregend viel Schmerz in ihren Schimmer mischte. Mirkanish war nichts weiter als eine Flutwelle aus Zorn, Verwirrung, Angst und Pein. Er rollte heran wie eine Naturkatastrophe.
Abarax schoss ihm direkt entgegen. Es zählte nur, den Drachen aufzuhalten, ehe er Terziel erreichte. Er spürte, wie Mirkanish nach ihm schnappte und sich im letzten Moment noch zurückhielt.
Die kleine Wolke kreiste wie wild um den Drachenkopf, ein Anblick, der unter anderen Umständen äußerst komisch gewesen wäre.
Terziel wusste allerdings, dass Abarax' Angriff eine Verzweiflungstat war. Er konnte dem Drachen in seiner momentanen Form nicht schaden, aber er erkaufte Terziel etwas Zeit, während Mirkanish sich wieder einmal irritieren ließ.
Vermutlich ging Abarax davon aus, dass Terziel die Ablenkung zur Flucht nutzen würde, doch diesen Gefallen konnte er seinem Bruder nicht tun. Stattdessen kniete er sich hin und betete.
Cary ließ einen weiteren Pfeil fliegen. Das Geschoss streifte lediglich Mirkanish' Schnauze, doch mehr konnte sie nicht ausrichten, ohne zu riskieren, dass sie auch Abarax traf.
Allerdings reichte der Streifschuss aus. Mirkanish öffnete überrascht das Maul, und ehe er sich besinnen konnte, war die schwarze Wolke in ihn hinein geschlüpft. Cary sah, wie das Auge des Drachen sich weiteten, dann legte sich ein grauer, wirbelnder Nebel über die Pupille, das einzige Anzeichen für den Sturm, der tobte. Sie konnte nur allzu genau sehen, wie Abarax' Dunkelheit mehr und mehr aus Mirkanish' Auge wich. Der Nachtmahr verlor den Kampf – er war zu geschwächt.
»Terziel!«, rief sie, so laut sie konnte, während sie erneut losrannte – allerdings nicht auf den Drachen zu. »Jetzt.«
Sie begegnete seinem Blick über das Schlachtfeld hinweg. Sein Schwert strahlte golden, aber er zögerte. »Abarax.«
Sie konnte ihn nicht hören, las den Namen aber von seinem Lippen ab. »Vertrau mir«, schrie sie ihm zu.
Terziel schloss die Augen fest und führte das Schwert durch die Luft, wo die Klinge zwei leuchtende Striche hinterließ, ein strahlendes Kreuz. Terziel stieß die Hand nach vorne, während er gleichzeitig einen Schwall fremdartiger Wörter brüllte.
Eine leuchtende Woge explodierte von dem Engel aus und verschlang das ganze Land in ihrem hellen Schein.
Nur kurz vor der Lichtlinie erreichte Cary Iljan und warf sich über den Vampir. Trotzdem hörte sie ihn nah an ihrem Ohr brüllen, als Terziels Zauber sie erreichte.
Noch schlimmer war allerdings der Schmerzensschrei von Mirkanish. Der Drache stieg auf die Hinterläufe und schlug mit den vorderen Pranken hilflos in die Luft, dann warf er sich nach hinten, wo sein Körper von unsichtbaren Mächten geschüttelt wurde, ehe er vollkommen reglos liegen blieb.
Terziels Licht verebbte. Dampf stieg von dem Drachenleib auf, bei dem sich kein Muskel mehr regte. Cary stand auf und stellte fest, dass Iljan bewusstlos auf dem Boden lag, die Hände noch tief in den Boden gekrallt und das Gesicht noch von seinem verklungenen Schrei gezeichnet. Jackie lag nicht weit entfernt auf der Erde, die Augen geschlossen und zusammengerollt wie ein Hündchen.
Terziel schwankte und fiel auf die Knie, eine Staubwolke wallte um seine helle Gestalt herum auf. Einzig Stella befand sich noch auf den Hufen und blickte verstört über das stille Ende ihres Kampfes.