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„Ich kann nicht fassen, dass wir wieder hier sind“, seufzte Merkanto.
Sie sahen auf das Land unter ihnen, das still und dunkel dalag. Der Wind war kühl.
Trommeln erklangen auf der anderen Seite, obwohl ihr Ursprung noch im Wald verborgen blieb. Sie hörten das Stampfen unzähliger Füße im Gleichschritt, wie ein langsamer, dumpfer Herzschlag. Jackie atmete aus und ihr Atem stieg als Wolke in den Himmel, weiß, einsam und verloren.
Iljan fasste den Griff des Degens fester. Die samtschwarze Uniform war ungewohnt, ebenso der Gürtel und natürlich auch der schlichte Griff der neuen Waffe. Ein kurzer Umhang wehte hinter ihm im Wind.
„Es braut sich ein Sturm zusammen, was?“, fragte Abarax, der gewaltige Drache, der ihnen ein wenig Windschutz bot.
„Ein furchtbarer Sturm“, bestätigte Merkanto.
„Wie sollen wir das überstehen?“, flüsterte Jackie.
„Fasst Mut“, sagte Caryellê. „Wir sind nicht allein.“
Terziel ließ den Blick über die Krieger wandern. Weiße Wächter, Sonnenstrahlen und sogar die Sonnengarde verteilten sich auf den Hügeln der Grenzlinie, die bläulichen Schimmer der Leish-Ebene im Rücken.
Ihr Heer wurde vervollständigt von bewaffneten Bauern: Hobbits mit Mistgabeln und Forken, Zentauren mit fein gearbeiteten Rüstungen, Piraten, die wild mit den Säbeln fuchtelten, Nymphen und Dryaden, Sonnenlanddrachen, sogar Riesen, Comori und Cereceri, zwei Armeen der Elfen und bewaffnete Luftschiffe, die dort schwebten, wo sich nicht die Katapulte, Ballisten und riesigen Kristalle der Magier erhoben.
„Was für ein Flickwerk“, murrte Merkanto. „Die Hälfte dieser Leute hat noch nie eine Waffe in den Händen gehalten. Von Schlachtordnungen ganz zu schweigend.“
„Ich denke, die Piraten halten sich absichtlich nicht in den Reihen“, warf Cary ein.
„Das sind diejenigen, die mir die wenigsten Sorgen machen“, sagte Merkanto. „Sie können kämpfen. Aber diese verweichlichten Völker aus dem tiefsten Sonnenland …“
Selbst die kleinsten waren angetreten, Wichtel und Gnome, Zwerge und Hobbits, Pixies und Feen.
„Wir brauchen jede Hand“, sagte Iljan leise.
„Wir brauchen selbst Frauen und Kinder“, schimpfte Merkanto. „Und fast hätte die Königin sogar die Kranken und die Toten verpflichtet! Doch selbst mit denen hätten wir keine Chance. Wir sind in der Unterzahl.“
„Deswegen hat sie das Kommando ja auch ihrem besten Taktiker übertragen“, warf Gudrun hämisch ein. „Einem, der selbst diese Situation wenden kann, weil er den Gegner kennt!“
Merkanto verstummte.
Die Trommeln wurden lauter. Hier und da konnten die Verteidiger die ersten Lichter durch das Blattwerk schimmern sehen. Es wurden immer mehr. Bald waren sie wie die Sterne am Himmel, bald unzählige mehr, dann ein Flammenmeer, wie ein Waldbrand, doch waren es lediglich Fackeln.
Stella tänzelte und warf den Kopf zurück. Feuer fauchte von ihrem Rücken in die Höhe.
„Wartet“, sagte Merkanto angespannt. Seine Augen suchten die gegnerischen Reihen ab, schnell, doch wachsam. Suchend.
Iljan trat leise zu Cary und ergriff ihre Hand. „Hör mal … wenn irgendwas geschieht …“
„Werde ich dich vergessen und mir einen anderen suchen. Du willst ja, dass ich glücklich bin“, sagte Cary lachend. Dann sah sie auf und das Lächeln wich unsäglichem Schmerz. „Iljan. Du … du weißt, dass ich dich liebe. Ich liebe dich so sehr, dass es wehtut. Es ist so anders als mit Adhairos, aber ich weiß, dass es Liebe ist.“
„Sch.“ Iljan zog sie an sich. Cary zitterte.
So vielen Kämpfen hatte sie furchtlos gegenübergestanden, doch nun hatte sie etwas zu verlieren.
Die Elfenkrieger in der Nähe zogen rasselnd ihre Waffen, mit fließenden Bewegungen, wie ein Mann.
Cary drückte sich an Iljan. „Pass auf dich auf, hörst du?“
„Das werde ich“, flüsterte Iljan.
Es kribbelte in ihren Hufen. Vielleicht war es der Sturm, der in der Luft lag. Vielleicht auch die Angst vor dem drohenden Tod.
Stella sah in den Himmel. Schwarze Wolken türmten sich dort auf.
An ihrer Seite standen unzählige Wesen aus dem Sonnenland, Krieger genau wie einfaches Volk. Vor ihnen erhob sich der Tod.
Bäume krachten, als gewaltige Belagerungsmaschinen vorgeschoben wurden. Die Wesen, die sie schoben, waren ebenso furchteinflößend wie die Bollwerke aus Stahl und roten Spitzen selbst.
Trolle. Kräftige, schreckliche Trolle mit riesigen Hauern.
Die Sonnenland-Drachen brüllten und ihre Schattenreich-Vettern antworteten mit lautem Röhren. Ohrenbetäubend war der Donner, als sich die Drachen in die Luft erhoben.
„He, Bruderherz. Wir haben eine herrliche Aussicht, was?“, fragte Abarax.
Terziel schluckte. Die Kinder der Sonne standen auf dem vordersten Hügel, in der ersten Reihe. Alle Blicke, ob Freund oder Feind, ruhten auf ihnen.
„Eine herrliche Aussicht“, murmelte er bedrückt.
Der Drache stieß ihn sanft mit der Pranke an. „He, Terz. Ich passe auf dich auf. Diese Bastarde kriegen dich nicht.“
Terziel sah auf und bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. Er spannte die Flügel auf und bewegte sie sachte. „Die sollen mich erst einmal fangen!“
„Sind die denn schon geheilt?“, fragte Abarax spöttisch mit Blick auf die weißen Schwingen.
„Sieh nur zu, du Lästermaul!“, flüsterte Terziel grinsend. „Ich kann wieder fliegen wie ein junger Gott!“
„Eines muss du mir noch sagen – ein junger geschickter Gott, oder ein junger Gott der Tollpatschigkeit?“
Terziel schlug gegen die Brust des Drachen. Dann hielt er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand.
„Durch die Nase atmen und nicht dran denken“, riet Iljan. „Habe ich beim Kampf vor dem Thronsaal gemacht, als ich den Riegel durchschlagen habe.“
„Puh.“ Terziel stöhnte. „Au.“
Auf einen Schlag verstummten alle Geräusche von der Gegenseite. Die Armee des Sonnenlandes schluckte kollektiv.
Mit angehaltenem Atem sahen sie nach drüben, wo Feuerdrachen über dem Meer aus Fackeln kreisten.
„Alpe“, flüsterte Abarax. „Vampire und Werwölfe.“
„Oh, verflucht, es ist fast Vollmond!“ Jackie schreckte auf.
„Das heißt, sie sind stark.“ Merkanto rieb sich das Kinn. „Das war zu erwarten.“
„Nein, das heißt auch, dass ich mich verwandeln werde“, fluchte Jackie. „Tiefer im Sonnenland hatte der Mond nicht so eine Macht über mich, aber hier … deswegen fühle ich mich schon den ganzen Tag so komisch, es ist der Vollmond!“
Iljan legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Alles wird gut, Jackie.“
Sie schnaubte sehr leise. „Bestimmt.“
Beklommen sahen sie zur Grenze. Was heckten ihre Feinde dort aus?
Die Stille wurde so drückend wie eine schwüle Sommernacht. Einige der Krieger bewegten sich unruhig. Die Schattenland-Drachen kreisten über der Armee.
Dann teilten sich die Ränge. Eine hochgewachsene Gestalt bahnte sich ihren Weg zur vordersten Schlachtlinie. Langes, schneeweißes Haar wehte hinter dem Mann in schwarzer Kleidung. Seine Augen funkelten blutrot.
Gudruns Herz machte einen Satz. Sie konnte nicht verhindern, dass sie leise seufzte.
„Ich wusste es“, knurrte Iljan, dem das nicht entgangen war. „Es ist mein Vater.“
„Nepumuk!“, flüsterte Gudrun verliebt.
„Was tut er da?“
Vor ihren Augen stieg der Vampir auf den Rücken eines schwarzen Drachen und hob mit diesem ab. Sie flogen nach Osten.
„Dort … dort liegt die Pforte von Umira“, flüsterte Cary.
„Eine Unterredung?“ Merkanto sah zu Iljan.
„Sieht so aus“, meinte der Vampir. „Das gefällt mir nicht.“
„Mir ebenso wenig“, sagte Merkanto.
Sie organisierten sich rasch. Iljan würde auf Jackie reiten, Cary auf Dayr und Merkanto auf Stella.
Es tat gut, die Verwandlung über sich kommen zu lassen. Noch besser fühlte sich Jackie, als sie ihre Macht spürte.
Sie war groß. Tief im Sonnenland war sie selbst im Licht des Vollmondes nicht mehr gewesen als eine normale Wölfin.
Hier war sie ein Monstrum. Iljan kletterte auf ihren Rücken und hielt sich fest. Sie preschte los und überließ es dem Hirsch und dem Einhorn, sie einzuholen.
Morgen Nacht würde der Mond wirklich voll sein und ihr die allergrößte Kraft spenden: Die der Raserei. Doch auch jetzt genoss sie das Gefühl des Bodens, der unter ihr dahinflog, die erweiterten Sinne, die Ausdauer und Kraft.
Sie hatte es vermisst, ohne zu wissen, dass sie es vermisste.
Die Pforte von Umira kam viel zu schnell näher. Cary ließ den Blick wachsam über die Umgebung schweifen, doch nur Nepumuks schwarzer Drache war zu sehen. Es war noch nie geschehen, dass jemand in der Pforte von Umira angegriffen worden war, doch sie traute dem Vampirgrafen alles zu.
Die Pfote war ein kurzer Flur zwischen hohen Steinwänden. An vier Stellen spannten sich Bögen wir Brücken von einer Wand zur nächsten, so entstand ein Tunnel mit offenem Dach, wie ein unbespannter Planwagen, der von der hellen Seite der Welt zur dunklen führte.
Nepumuk stand, hoch und still, in der Schattenhälfte der Pforte.
„Was willst du?“, fragte Iljan feindselig.
„Ich habe ein Angebot für euch“, wisperte der Vampir. Seine Stimme schien sich auf den Wind zu legen und von allen Seiten zu kommen. Cary fröstelte.
So war das also, den Schwiegervater zu treffen. Iljan hatte erzählt, er würde sich vor Vailandamir fürchten. Cary war sich sicher, dass er übertrieb.
Merkanto musterte Nepumuk Taidoni. Lange Zeit waren sie enge … nun ja, nicht Freunde, denn Freundschaft gab es im Schattenreich nicht. Aber sie waren Verbündete gewesen. Gegenseitige Nutznießer. Gemeinsam hatten sie die Politik und die Kriege gelenkt.
Sie kannten einander gut. Zu gut, um nun gegeneinander zu kämpfen.
„Was für ein Angebot?“, fragte er deshalb. „Ich vermute, dass wir nur Nachteile daraus ziehen werden.“
„Ihr sicherlich“, sagte Nepumuk. Er lächelte seinen Sohn an, der den Blick wütend erwiderte. „Doch ihr könntet einigen helfen, die euch nahestehen. Doch zuerst … warum kommt ihr zu dritt? Nein, gar zu viert! Drei Krieger, eine Wölfin, Einhorn, Hirsch … Das kann man wohl kaum eine faire Unterredung nennen.“
„Ganz genau, und zwar, weil du einen verdammten Drachen dabeihast!“, fauchte Iljan. „Sag uns, was du willst, oder diese Besprechung ist vorbei!“
„Nun, ihr wollt sicherlich Tote vermeiden. Mir ist das egal, aber ein zahlreiches Volk ist ein glückliches Volk, ein Volk, das viele Verluste beklagt, neigt zu Aufständen, was ausgesprochen lästig -“
„Komm zur Sache!“, knurrte Iljan.
Nepumuk grinste und zeigte die spitzen Eckzähne. „Ein Handel. Du, mein Sohn, und deine kleine Gruppe Abtrünniger, ihr liefert euch aus. Dafür werde ich die Armee abziehen. Niemand muss kämpfen, niemand muss sterben. Fertig.“
„Wir? Uns dir ausliefern? Niemals!“, fauchte Iljan sofort.
„Ganz wie du willst. Eine Schande, ich hätte deine kleine Freundin gerne näher kennengelernt.“ Lüstern strich Nepumuks Blick über Caryellê. Iljan stellte sich instinktiv vor sie.
„Gehen wir“, sagte Merkanto grimmig. „Das war Zeitverschwendung.“
„Vielleicht“, sagte Nepumuk. „Vielleicht war es das, vielleicht war es das nicht. Womöglich hätten wir uns da eben viel Zeit sparen können, wenn ihr nur etwas mehr Opferbereitschaft gezeigt hättet.“
Der Vampir wandte sich zum Gehen. Iljan, Cary, Merkanto, Jackie, Stella und Dayr ebenso.
Als Nepumuk auf den Drachen stieg, rief er: „Ach, eines noch. Vielleicht ist es nicht mehr nur eure Entscheidung, was nun geschieht.“
Iljan erstarrte.
„Wie bitte?“, rief Merkanto.
Nepumuk lachte. „Über das Angebot, das ich euch unterbreitete, wurden auch gezielt einige andere Wesen in eurer wunderschönen, kleinen, neuen Heimat informiert. Gewisse … unentschiedene Elemente, Verteilerknoten, widerstrebende Verbündete … vielleicht nimmt euch jemand von ihnen die Entscheidung ab.“
Damit schwang sich der schwarze Drache in die Luft, und obwohl das Tier nur wenig größer als Askook war, warf der Wind, den seine Schwingen verursachten, die sechs Freunde ins Gras.
Gleichzeitig ertönte ein Hornsignal.
„Verdammte Scheiße!“ Merkanto sprang auf. „Dieser Bastard, er hat uns absichtlich weggelockt – die Schlacht beginnt!“
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!