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Als Cary zu den Wächtern ging, war sie erfüllt von Zorn und Rachsucht. Solche Gefühle waren auf der hellen Seite verschmäht, selbst wenn sie sich gegen die Dunkelheit richteten. Der einzige Ort, wo man derartige Emotionen ausleben konnte, war in der Garde der Weißen Wächter.
Cary war keine Kriegerin. Sie war eine Waldelfe, die tief im Sonnenland gelebt und niemals einen Konflikt erfahren hatte. Aber sie war determiniert, zu lernen.
Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass ihr größter Feind kein Schattenwesen und keine körperliche Anstrengung war.
»He, Elfchen«, neckte sie einer der großen Zentaurenkrieger, als sie an ihm vorbei kam. »Zu den Blumenhainen geht es aber in die andere Richtung!«
Cary, die sich in der weißen Kluft der Rekruten ohnehin schon kaum bewegen konnte, drehte sich nicht um.
»Kämpferin?«, fragte ihr Prüfer entgeistert. Gerade hatte Cary gesagt, dass sie an der Front kämpfen wollte. »Die meisten Elfen stecken wir zu den Heilern. Willst du es nicht dort versuchen?«
Cary schüttelte den Kopf und schenkte ihm einen finsteren Blick aus dem Kragen heraus, der ihr bis zur Nasenspitze reichte.
»Elfen sind keine Krieger!«
»Geh doch zurück in deinen Wald!«
»Memme!«
»Hey, falls du mal einen echten Krieger in dir haben willst, komm einfach in mein Zelt, Süße!«
»He, Spitzohr! Leg das Schwert hier ab, wo willst du überhaupt damit hin?«
Tag für Tag. Immer wieder. Nicht durchgängig, nicht ständig – manchmal wurde sie in Frieden gelassen – aber die Kommentare hörten nicht auf und wurden auch nicht weniger. Wenn sie beim Training siegte oder Erfolg hatte, wurde sie ignoriert. Wenn sie dagegen versagte, so ließ man sie es wochenlang nicht vergessen.
Das führte dazu, dass sie niemals einen Fehler zweimal beging.
Cary aß allein, trainierte allein, lernte allein. Die Kommentare hörten nicht auf. Sie ignorierte sie – bis sie es nicht mehr konnte, bis zu diesem einen Kommentar …
»Solltest du nicht im Wald sein und eine kleine Armee Elfenkinder bekommen?«
Diesen Ruf hörte sie mitten auf dem matschigen Weg und er stammte von einem bekannten Zwergenrekruten, der wegen seiner Fähigkeiten eine Art Held geworden war.
Cary blieb stehen und drehte sich langsam um.
»Genau dich meine ich – du müsstest doch bei deinem Elfenfreund sein und mit ihm den ganzen Tag tanderadeien.«
Gelächter von den Umstehenden. Cary packte den Griff des schlanken Katanas. Die Wut kochte in ihr.
Die Klinge war nicht scharf. Ansonsten wäre der Zwerg tot gewesen. Das Gelächter verstummte abrupt, mehrere Zuschauer fanden sich unvermittelt auf dem Hosenboden wieder. Cary stand in einem Kreis entsetzter Wächter und Rekruten, der Platz um sie herum wuchs zusehens.
Ein Wesen floh nicht.
Ein weißes Einhorn sah sie an, blickte ihr direkt in die Augen. Cary atmete schwer, von dem Schwert tropfte Blut. Der Zwerg lag vor ihr am Boden und sie könnte es tun … könnte sich auf ihn stürzen, auf ihn einprügeln, bis er sich nicht mehr rührte.
»Lestes Dryas«, erklang die weiche Stimme des Einhorns.
Und dieser Klang berührte Cary wie ein Wiegenlied. Sie ließ die Waffe sinken und trat zurück. Der Zwerg rappelte sich auf und floh.
Das Einhorn trat vor sie und neigte den Kopf. Und Cary könnte schwören, dass das Tier lächelte.
»Ich bin Stella«, stellte sich das Einhorn vor. »Ich hab gesehen, dass du immer alleine isst – willst du nicht nächstes Mal zu mir kommen? Es ist vielleicht nicht gemütlich, weil ich im Stehen esse, aber die Gesellschaft ist ausgezeichnet.«