https://www.deviantart.com/ifritnox/art/760143399
Terziel kniete im Staub und konnte nichts weiter tun, als zu atmen. Der eine Flügel hing lahm an seiner Seite, erneut gebrochen. Die Schmerzen waren zu einem dumpfen Pochen verblasst.
Selbst seine Gedanken kamen schwerfällig. Als ob mit dem Flügel auch noch etwas anderes in ihm zerbrochen war. Seine Hoffnung vielleicht. Er fühlte sich, als ob er nie wieder fliegen können würde, dabei hatte er sich doch gerade erst wieder in den Himmel schwingen können.
Nur mit viel Mühe konnte er den Blick heben und den leblosen Drachen betrachten, der vor ihm ausgestreckt war. Der heilige Reinigungszauber hatte Mirkanish vernichtet und nur seine Hülle gelassen.
»Abarax … ?«
Die Worte kamen leise und krächzend. Terziel ließ sich nach vorne fallen. Zum Aufstehen fehlte ihm die Kraft, also krabbelte er.
Dann kroch er auf dem Bauch, bis er das halb geöffnete des Maul des Drachen erreicht hatte, und dessen einziges, geschlossenes Auge.
»Abarax.«
Cary hatte gesagt, dass er ihr vertrauen müsste. Sie hatte einen Befehl gegeben, also hatte er gehorcht.
Vorsichtig strich er über das Gesicht des Drachen und verschmierte Reste von Blut.
»Abarax … bitte.«
Zu seiner unendlichen Erleichterung blähten sich die Nüstern des Drachen und dann seufzte sein Atem über das Feld, wirbelte neue Asche auf. Das unversehrte Auge flackerte und öffnete sich.
Es war dunkel, so rot wie Blut.
»Du lebst!«, seufzte Terziel erleichtert.
Der Drache richtete den Blick müde auf ihn. »Ich … hasse dich.«
»Du weißt, dass mir keine Wahl blieb!«, protestierte Terziel. »Wenn ich nichts getan hätte, hätte Mirkanish dich vernichtet, es war die einzige Chance –«
Er brach ab, als sich ein erschöpftes, doch gehässiges Grinsen auf die Lippen des Drachen stahl.
»Ich weiß«, sagte Abarax mühsam.
»Mistkerl«, erwiderte Terziel. »Dann komm. Schaffen wir dich zurück in deinen Körper, und dann … «
»Nein!«, zischte Abarax heftig und wollte sich aufrichten, nur um zurück auf den Boden zu sinken. Das große Auge schloss sich wieder. »Nein, ich bleibe … hier. Drachen haben … keine Gicht! Ich bin nur … so müde.«
»Ist ja gut, ist ja gut«, beruhigend klopfte Terziel gegen die Schnauze des Drachen. »Schlaf, Alex. Ich passe auf dich auf.«
Nicht weit entfernt erreichte Stella den Haufen roten Fells, zu dem Jackie zusammengesunken war. Als das Einhorn stehen blieb, erschauderte die Werwölfin, ehe sie plötzlich zusammenschrumpfte und das Fell sich in ihre Hautporen zurückzog. Im nächsten Moment lag ein zitterndes, nacktes Mädchen vor Stellas Hufen.
Sie stieß Jackies Kopf sanft an, sodass sich ihr Gesicht nach oben drehte.
»Geht es dir gut, Aegis?«
Jackie stöhnte und schlang die Arme enger um den Oberkörper. »S-s-so k-k-k-kalt!«
Stella richtete sich auf und blickte zum Waldrand, wo sie ihr überflüssiges Gepäck zurückgelassen hatten. Dann zurück auf Jackie.
»Warte hier«, sie galoppierte los. Der Kampf hatte ihre Gruppe weit über das Aschefeld verteilt. Zum Glück hatte Mirkanish, als er in die Baumgruppen gefallen war, ihre Vorräte verfehlt. Es brauchte nicht lange, bis Stella eine grobe Decke entdeckt und mit den Zähnen aus dem Gepäck gezerrt hatte. Eilig trabte sie zurück.
Jackies Haut war von der Kälte gezeichnet, als sie zurückkehrte. Ihre Lippen waren blau und sie zitterte am ganzen Leib. Als Stella die Decke über sie warf, riss Jackie den Stoff an sich und verkroch sich zur Gänze darunter. Nur einige Locken lugten noch aus dem schützenden Kokon hervor.
Stella umrundete das Mädchen und ließ sich vorsichtig an ihrer Seite nieder, so nah, wie sie es wagen konnte, ohne Jackie womöglich zu verletzen. Sanft legte sie den Kopf über das zitternde Bündel und schloss die Augen.
Sie rief ihre Feuergestalt, doch nicht zur Gänze. Stattdessen hielt sie die Flammen in ihrem Inneren gefangen, ohne sie nach außen zu lassen. Wärme füllte ihren Bauch und strahlte nach Außen, doch nur hin und wieder züngelte eine kleine Flamme aus ihrer Mähne.
Nach einer Weile spürte sie, wie Jackie sich entspannte.
Regungslos und hoch konzentriert, um die richtige Temperatur zu halten, blickte sie über das Schlachtfeld.
Terziel war neben dem Drachen zusammengesunken, doch nach allem, was Stella sehen konnte, hatte Abarax offenbar überlebt. Auf der anderen Seite saß Cary bei Iljan. Auch die Elfe sah müde aus, doch nicht, als ob Iljan etwas zugestoßen wäre, obwohl der Vampir reglos im Staub lag.
»Und ich dachte, Engel sind nett und harmlos!«, murmelte Jackie dumpf unter der Decke hervor.
»Ihre Magie schadet nur dunklen Wesen«, antwortete Stella leise. »Das heilige Feuer verbrennt Hass, Missgunst oder Wut, aber Liebe und Freundschaft lässt es unberührt. Aber jene, die zu solchen Gefühlen nicht mehr fähig sind, können die goldenen Flammen nicht überleben.«
»Lebe ich noch?«
Iljans Augenlider flatterten.
Cary lächelte und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ja. Ja, du lebst.«
Iljan verzog das Gesicht, als er sich vorsichtig bewegte. »Ich war mir sicher, dass ich sterben würde.«
Er hielt in der Bewegung inne, vermutlich, weil er merkte, dass Cary seinen Kopf in ihren Schoß gebettet hatte. Seine Augen verengten sich leicht. »Du hast Terziel befohlen, seine Macht loszuschicken!«
»Es war der einzige Weg, Mirkanish noch aufzuhalten. Ganz, wie wir es geplant hatten.«
»Das hätte uns alle töten können!«, protestierte Iljan und setzte sich abrupt auf. »Abarax war direkt in der Schussbahn. Jackie hatte keine Deckung, ich muss –«
Er wollte aufstehen, stolperte und fiel wieder.
»Es geht ihnen gut«, sagte Cary ruhig. »Besser als dir.«
Iljan zuckte bei ihren Worten zusammen, was ihren Verdacht nur noch bestärkte. Es ging ihm wirklich schlecht.
»Du brauchst Blut«, fuhr sie fort, ohne Iljan aus den Augen zu lassen. »Du lebst zu lange schon auf zu geringen Vorräten. Deine Vampirmächte und der Schutz vor der Sonne und Terziels Zauber kosten dich zu viel Kraft.«
Iljan wandte ihr den Rücken zu. »Ich werde Jackie fragen. Das alles geht dich nichts an.«
»Hast du dir Jackie mal angesehen?«, widersprach Cary mit strengem Tonfall.
Iljan sah sie überrascht an und Cary seufzte. »Es ist dir nicht aufgefallen, wie? Sie wird immer blasser, Iljan. Du kannst nicht alleine von einer einzigen Person leben. Richtige Vampire saugen doch ständig ganze Lebewesen leer, habe ich nicht recht?«
»Schon«, Iljan senkte den Blick. »Aber solche Vampire trinken aus Vergnügen, nicht aus Bedarf. Ich kann verzichten, Cary. Vampire können nicht verdursten.«
»Aber verbrennen«, Cary rückte ein wenig näher zu Iljan. »Du brauchst Blut, um dich vor der Sonne zu schützen.«
Iljan sah sie an. Seine Augen wirkten blutunterlaufen und dunkle Schatten lauerten in seinen Wangenhöhlungen. Er sah wirklich furchtbar aus.
Cary griff nach ihrem Dolch.
»Cary, nein!«, rief Iljan. »Tu es nicht.«
»Du brauchst Blut«, widersprach sie und setzte die Klinge an ihrem Handgelenk an. »Oder willst du das leugnen?«
Sie zog den Dolch über ihre Haut und Bluttropfen traten aus dem Schnitt aus. Iljan wich zurück, sie konnte sehen, wie sich seine Muskeln anspannten. Seine Hände zitterten mit einem Mal und er ballte sie zu Fäusten. »Geh … Cary, geh.«
»Ich werde nicht gehen«, sagte sie mit fester Stimme und streckte ihm das Handgelenk entgegen. »Deine Freunde brauchen dich, Iljan. Und ich muss … mich entschuldigen.«
Iljan bebte und sein Kiefer mahlte. Obwohl er das Gesicht abwandte, sah Cary, wie seine Fangzähne in die Länge wuchsen und seine Augen einen unheimlichen Rotton annahmen.
»Ich will das nicht tun«, knurrte er leise.
»Aber du musst«, sagte Cary sanft. »Es ist schon gut, Iljan. Ich gebe es dir freiwillig. Für unsere Gruppe.«
Er kam vorsichtig näher, wie ein scheues Tier. Als seine kalten Finger über ihre Handfläche strichen, erschauerte Cary unwillkürlich. Nicht wegen der Kälte, sondern weil ihr mit einem Mal so deutlich bewusst wurde, dass Iljan ein Vampir war – ein dämonisches, dunkles, untotes Wesen. Trotz dieser Dunkelheit in ihm fühlte sie sich zu ihm hingezogen – oder vielleicht war es gerade die Dunkelheit, die sie lockte, und nicht etwa Iljan selbst.
Sie wusste nicht, welche Tatsache ihr größere Angst machte.
Iljans Lippen trafen auf ihre Haut und das bedauern, ihn von sich gewiesen zu haben, überrollte sie wie eine salzige Flutwelle. Doch sie hatten zu unterschiedliche Vorstellungen. Er würde ihr Wesen niemals verstehen und sie könnte sich nie seiner Weltsicht unterordnen. Es würde nicht funktionieren, sie sollte es besser vergessen.
Es war kindisch, dass ihr das so schwer fiel.
Es dämmerte der nächste Morgen, als Abarax die Augen aufschlug.
Er versuchte, sich zu orientieren. Alles tat ihm weh. Ganz besonders die Seite seines Kopfes. Außerdem wirkte die Welt seltsam … flach.
Es brauchte einen Moment, ehe er sich erinnerte. Er stand auf und begutachtete den neuen Körper, den er gewonnen hatte. Mirkanish' ehemals weiße Schuppen waren bereits Anthrazitgrau, die Krallen glänzend schwarz. Von den zahlreichen Verletzungen des Drachen waren allenfalls Narben geblieben. Wie er nach kurzem Tasten erleichtert feststellte, hatte sich sogar das Loch im Schädel geschlossen, wenn sich auch das Auge nicht neu gebildet hatte. Der Heilungsprozess hatte ihn müde zurückgelassen.
Trotzdem fühlte Abarax sich gut. Er hatte noch nie den Körper eines Drachen besessen. Ihnen wohnte eine ganz eigene Kraft und Energie inne, die wohl auch für die schnelle Heilung verantwortlich war. Testweise öffnete er das riesige Maul und gähnte.
Ja, er fühlte sich gewaltig. Stark. So, als könnte ihn nichts mehr aufhalten.
»Abarax?«, erklang eine nervöse Stimme.
Er drehte sich um und erblickte Terziel, der auf dem Boden saß und offenbar gerade neben einem höchst bedrohlichen Drachen aufgewacht war. Abarax schnaubte belustigt und spielte mit dem Gedanken, Terziel um der guten, alten Zeiten willen einen gehörigen Schreck einzujagen. Er entschied sich dagegen.
»Ich bin es.«
»Unglaublich«, vorsichtig stand Terziel auf und spreizte dabei den Flügel ungeschickt ab.
Abarax senkte den Kopf und fasste seinen Bruder mit den Zähnen am Kragen des schwarzen Fracks, den er anlässlich ihrer Verkleidungsbemühungen von Iljan erhalten hatte. Sanft setzte er den Engel auf seinen Rücken. ››Wo sind die anderen?«
»Da, wo sie gestern auch noch waren‹‹, meinte Terziel achselzuckend. Er sollte Recht behalten. Iljan und Cary lagen nebeneinander in einer Erdkuhle, wurden aber sofort wach, als Abarax sich näherte. Jackie war etwas schwieriger zu finden, weil sie zur Hälfte unter Stellas Mähne und zur anderen unter einer großen Decke verschwunden war. Nachdem Cary der Werwölfin etwas zum Anziehen geholt hatte, betrachtete Terziel ihren verletzten Arm.
»Das sieht gebrochen aus«, bekundete der Engel. »Was hast du getan?«
»Ach, ich bin gestolpert«, Jackie seufzte.
»Wir sollten das schienen. Ich könnte zwar versuchen, den Knochen zu heilen, aber das würde ich lieber nicht riskieren. Kannst du denn mit den Schmerzen leben?«
»Ja«, Jackie nickte. »Hatte schon Schlimmere.«
»Dann holt mir bitte zwei gerade Stöcke und etwas Stoff oder Seil«, wies Terziel die anderen an. »Wir bringen Jackie zu Gudrun.«
»Was sollen wir bezüglich deines Flügels machen?«, fragte Cary.
Terziel bewegte die verletzte Schwinge leicht und verzog das Gesicht. »Nichts. Es wird von selbst heilen. Irgendwann. Aber eine Schiene würde alles nur noch schlimmer machen.«
Schließlich waren sie fertig. Jackie war versorgt und sie hatten alle etwas von ihren kargen Vorräten gegessen. Ohne große Worte entschieden die Kinder der Sonne, dass es Zeit wurde, nach Eschenhügel zurückzukehren.
Abarax weigerte sich störrisch, seine neue Hülle zu verlassen, mit dem Hinweis, dass er jeden von ihnen fressen würde, der versuchte, ihn zurück in den Hobbitkörper zu zwingen.
»Machen wir einfach das Beste draus«, entschied Cary schließlich. »Immerhin haben wir wieder einen Drachen in der Gruppe!«
Da Abarax schon Terziel auf dem Rücken trug, wurde Jackie hinter dem Engel platziert, um ihren verletzten Arm zu schonen. Dann wickelte Cary den toten Hobbit in eine große Decke und reichte ihn Terziel hinauf.
»Wir nehmen ihn mit?!«, entfuhr es Jackie.
»Wir können ihn ja schlecht hier lassen«, sagte Cary lässig. »Und vielleicht freuen sich einige der Halblinge auch, ihn zurückzuhaben.«
Sie selbst und auch Iljan gingen zu Fuß. Auf dem Rückweg konnten sie sich etwas mehr Zeit lassen, wenn auch nicht viel mehr Zeit – es galt, die Geiseln zu befreien, indem sie Kalin Dachsbau den Beweis für ihren guten Willen erbrachten.
»Ich hoffe nur, Kalin hält sein Wort«, murmelte Cary, als sie und Iljan außer Hörweite der vier anderen waren.
»Das hoffe ich auch, denn ich werde nicht zulassen, dass er einem Kind der Sonne Schaden zufügt!«, sagte Iljan grimmig. So grimmig, dass Cary nicht daran zweifelte, dass sie Gudrun und Merkanto bald befreit haben würden – so oder so.