https://www.deviantart.com/ifritnox/art/786721155
Die letzte und vermutlich auch gefährlichste Etappe ihrer Reise begann. Iljan ertappte sich dabei, wie er nervös an seiner Kleidung herumzupfte, sich die Haare aus dem Gesicht strich oder sogar an den Fingernägeln kaute.
Lass das!, rief er sich selbst zur Ordnung. Er benahm sich schon wie ein Mädchen, würde sein Vater vorwurfsvoll sagen.
Also vergrub Iljan die Hände in den Taschen und warf einen Blick zu Cary und Merkanto, die über einer auf die Schnelle in die Erde gezeichneten Landkarte brüteten.
Die restlichen Kinder der Sonne warteten im Schutz eines kleinen Tals darauf, dass Merkanto ihnen die Weiterreise erlaubte. Als der alte Magier den Weg gesehen hatte, den sie von nun an wählen mussten, hatte er sich mit Händen und Füßen gewehrt.
Iljan konnte es nachvollziehen. Die breite Straße führte malerisch über die Hügel, fast ohne Unterbrechung durch weitläufiges, offenes Gebiet – über den Präsentierteller, gewissermaßen. Vielleicht war es nur der Schönheit der Landschaft geschuldet, Merkanto vermutete darin allerdings einen besonders klug durchdachten Verteidigungsmechanismus. Nichts konnte auf dieser Straße gesehen, ohne dass es von allen Seiten zu sehen wäre. Jeder Unfall, aber auch jeder Überfall und erst recht jede Gruppe verdächtiger Individuen, würde schon viele Meilen vor dem Schloss bemerkt werden.
„Zum letzten Mal, Merkanto, es gibt keinen anderen Weg. Wir würden uns nur verlaufen und das könnte uns Wochen kosten. Monate!“
Cary schien am Ende ihrer Geduld angelangt zu sein. Iljan konnte es ihr nicht verdenken.
Zu lange reisten sie nun schon. Die Anspannung und Angst wurde unerträglich. Er wollte keine einzige Sekunde mehr verlieren, keinen Atemzug mehr vergeuden.
Sie waren ihrem Ziel so nah!
Nach einem tiefen Durchatmen, um sich wenigstens etwas zu beruhigen, trat er zu Merkanto und legte dem weisen Zauberer einen Arm um die Schultern.
„Du bist auf ihrer Seite, richtig?“, schnaubte Merkanto wenig erfreut.
„Ja“, sagte Iljan. „Es gibt keinen anderen Weg.“
„Das ist Selbstmord!“, fauchte Merkanto.
Iljan sah seinem Mentor todernst in die Augen: „Ich weiß.“
Kraftlos ließ Merkanto die Arme sinken. „Es gäbe noch eine Chance … außen herum!“
Cary schüttelte vehement den Kopf. „Wenn es andere Wege gäbe, wären sie befestigt. Wir würden uns verirren, abstürzen, in unzugänglichen Orten festsitzen.“
„So werden wir alle abgeschlachtet“, warf Merkanto ein.
„Ich persönlich bin das Versteckspiel leid“, seufzte Iljan. „Beide Wege sind gefährlich. Vielleicht könnten wir uns wirklich durch die Wildnis schlagen, doch ich will es nicht. Ich will nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen. Die Steckbriefe mit unseren Bildern sind überall im Land. Sie wissen, dass wir kommen. Sie erwarten uns. Wir können genauso gut offiziell zum Weißen Schloss marschieren, statt uns wie Diebe hineinschleichen zu wollen. Immerhin … wollen wir nichts unrechtes.“
Er sah Cary und Merkanto an. Und bemerkte, dass auch die anderen zu ihrer provisorischen Karte getreten waren.
„Wir haben einen Traum“, fuhr er leise fort. „Wir wollen ihn offen einfordern. Vielleicht werden sie uns töten. Vielleicht nehmen sie uns auch nur gefangen und die Weiße Königin hört uns an.“ Er sah seine Freunde an. „Vertraut ihr mir?“
Alle nickten. Selbst Gudrun, die sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
„Es gibt kein Zurück mehr“, seufzte Merkanto und verwischte die Karte auf dem Boden mit dem Fuß. „Also gehen wir.“
Schicksalsergeben verließen die Kinder der Sonne ihr verborgenes Tal und begaben sich auf die Straße.
Sie wanderten schweigend nebeneinander her. Das Versteckspiel hatten sie aufgegeben – für den Moment. Doch Iljan fühlte sich immer noch nicht erleichterter oder freier. Im Gegenteil, er fühlte sich noch bedrückter, als ob tausend Augen jeder ihrer Bewegung folgen würden.
Wie viele seiner Freunde, grübelte er, würden wohl den Abend noch erleben?
„Kannst du es glauben?“
Jackie hob den Blick und erkannte, dass Gudrun sich an ihre Seite gesellt hatte. Perplex starrte sie die Hexe an, statt etwas zu erwidern.
„Wir sind über zwei Monate durch das Sonnenreich gezogen!“ Gudrun stockte, zählte an den Fingern und gab die Rechnung dann aber scheinbar wieder auf. „Naja, lange Zeit auf jeden Fall. Und jetzt ist unser Ziel fast erreicht.“
„Unser Ziel“, wiederholte Jackie tonlos.
Dachte die Hexe, sie alle hätten vergessen, warum sie hier war?
„Das Weiße Schloss!“ Gudrun seufzte verträumt. „Und unsere Chance auf ein neues Leben!“
Gudrun schien sich ehrlich eine Begnadigung zu erhoffen.
„Denkst du, wir haben eine Chance?“, fragte Jackie.
Gudrun nickte. „Natürlich! Wir sind im Sonnenland! Das hier ist nicht das Schattenreich, wo erst getötet wird und danach die Fragen gestellt.“
„Na, ich weiß nicht.“ Jackie musste an die Zwerge und Wichtel denken, an Haryna und die verborgene Stadt im Wald.
„Du hast recht.“ Gudrun schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Wir haben wahrlich die dunkelsten Winkel dieses Landes kennengelernt. Aber Havinaires Adiaramat ist anders. Sie wird sich unsere Geschichte anhören.“
„Woher weißt du das?“, fragte Jackie überrascht.
Gudrun sah sie verdutzt an und strauchelte. Jackie streckte einen Arm aus und fing die Hexe ab.
„Danke“, sagte Gudrun und sah auf den Boden. „Oh, sieh nur: Das muss ein Schneemarmorit sein!“
„Ein Schneemarmorwas?“, fragte Jackie und betrachtete den Stein, den Gudrun aufhob.
„Man nennt ihn auch falscher Marmor. Oder Schneestein. Siehst du …?“
Gudrun hielt ihr den Stein auf einer klauenartigen Hand hin und Jackie betrachtete das Ding von allen Seiten.
Es sah tatsächlich aus wie ein Klumpen weichen Schnees, der Stein glänzte und glitzerte sogar wie Schnee. Sie berührte ihn und war überrascht: Der Stein war nicht kalt wie Schnee, sondern im Gegenteil fast unnatürlich warm.
Gudrun warf den Stein hoch, fing ihn wieder auf und lachte. „Ein echter Sonnenlandstein! Er speichert die Wärme der Sonne über Tage und Wochen! Die Sonnenlandhexen nutzen ihn zur Reinigung von Wasser, aber er macht sich auch gut zum Vorheizen von Betten und das Schneesteinpulver gilt als Potenzmittel!“ Gudrun zwinkerte Jackie gutgelaunt zu.
Die Werwölfin musste lächeln. „Du kennst dich ja gut aus!“
„Tja“, machte Gudrun unbestimmt. „Die Magie der dunklen Hexen unterscheidet sich nicht wesentlich von der der guten Hexen, nur wirkt sie anders und hat … einen höheren Preis.“
Jackie schwieg einen Moment. „Irgendwie scheint es keinen besonders großen Unterschied zwischen Gut und Böse zu geben.“
„Ich würde sagen, die Unterscheidung ist ein soziales Konstrukt.“ Gudrun zuckte unbestimmt die Schultern. „Und ich weiß es übrigens nicht.“
„Was?“, fragte Jackie überrumpelt.
„Dass die Königin uns nicht auf der Stelle töten wird – ich weiß es nicht“, erklärte Gudrun. „Aber sie ist die Königin des Sonnenlands. Sie verkörpert all das, wofür sich die Bewohner hier halten. Es würde keinen Sinn ergeben, wenn sie so verrückt wie Haryna oder so grausam wie Nejakai wäre.“
„Oder so stur wie die Zwerge“, brummte Jackie. „Oder so uneinsichtig und taub wie die Wichtel – bist du dir sicher, Gudrun?“
Die Hexe sah Jackie stechend an, ihre unterschiedlich gefärbten Augen blitzten. „Absolut sicher.“
Stella trabte genervt vorwärts. Während alle anderen die Wanderung durch die malerische Landschaft genossen, hatte Merkanto sie gebeten, in ihrer neuen Illusionsgestalt vorauszulaufen und nach Gefahren Ausschau zu halten.
Es störte sie nicht einmal besonders, dass sie nun die Patrouille übernahm, doch Merkanto hatte hinter Iljans Rücken gehandelt – weswegen er auch Stella und nicht Jackie gefragt hatte – und zwar gegen keinen direkten Befehl, aber gegen Iljans Willen verstoßen.
Sie wusste, dass Merkanto es nur gut meinte, trotzdem stieß ihr dieses Verhalten bitter auf. Bei den Weißen Wächtern hätte der Magier mindestens mit einem Tadel rechnen können, auf jeden Fall aber mit Schwierigkeiten.
In ihrer kleinen Gruppe war es anders. Trotzdem hatte Stella ein schlechtes Gewissen, das sich auch nicht so schnell beruhigen würde. Sie wusste, dass Merkanto mit seiner Vorsicht recht hatte, doch Iljan war ihr Anführer.
Sämtliche Überlegungen wurden allerdings verdrängt, als Stella tatsächlich auf Schwierigkeiten stieß. Nicht vor ihnen, wie angenommen … die Gefahr näherte sich aus ihrem Rücken. Stella entdeckte den seltsamen Zug, als sie auf einer Hügelkuppe stand und zurücksah.
Mehrere Holzkarren bogen gerade an der Kreuzung auf den Weg zum Schloss ein. Sie bewegten sich schnell und wurden offenbar von einem Vierergespann gezogen.
Stella riss die Augen auf. Wer immer das war, es konnte nichts Gutes bedeuten. Sie sah Reflexionen von Sonnenlicht auf Stahl – Krieger, Weiße Wächter oder sogar die Leibgarde der Königin selbst mussten auf dem Wagen sein.
Das Einhorn machte Kehrt und galoppierte den Hang wieder herunter. Sie flog nur so dahin und dankte dem Schicksal dafür, dass sie in ihrer neuen Gestalt für einen flüchtigen Blick absolut unsichtbar war. Es war höchst unwahrscheinlich, dass sie dabei beobachtet wurde, wie sie ihre Freunde warnte.
„Iljan!“, rief sie schon von Weitem. „Adamas!“
Der Vampir zuckte zusammen und sah sich suchend um. „Stella?“
Sie kam zur Besinnung und nahm ihre normale Gestalt an. Iljan, Jackie und Cary, die an der Spitze der kleinen Gruppe gelaufen waren, schrien auf, da Stella vermutlich wie aus dem Nichts vor ihnen erschienen war.
„Wächter!“, stammelte Stella. „Sie sind direkt hinter uns. Sie müssten bald hier sein!“
„Was sagst du?“ Merkanto drängte sich nach vorne.
Stella atmete durch, wie sie es damals in der Ausbildung gelernt hatten. „Es kommen drei Wagen. Offenbar gehören sie zu Bewaffneten. Ich habe sie von oben gesehen und bin sicher, dass sie uns bald eingeholt haben werden.“
Iljan wandte sich zu Merkanto um. „Nur ein bisschen die Hufe vertreten, was?“
„Du hast es mir doch sowieso nicht geglaubt“, brummte Merkanto.
Iljan schüttelte den Kopf, aber Stella sah, dass der Vampir lächelte, ehe er die Stirn in Falten legte. „Und du denkst, wir sollten ihnen besser aus dem Weg gehen, Stella? Sie könnten uns auch direkt zum Weißen Schloss bringen!“
Stella schüttelte den Kopf. „Ich denke … es ist nur ein Gefühl, aber ich will ihnen nicht begegnen.“
Sie fragte sich im gleichen Moment, ob dieses Gefühl nicht vielleicht antrainiert war, weil sie nun schon so lange reisten und sich versteckten. Iljan gab aber ohne Zögern den Befehl, dass sie sich ein Versteck suchen sollten.
Fast schon fluchtartig verließen sie die Straße. Die nächste Deckung bot ihnen ein Hügel, hinter dem sie sich flach auf den Boden legten. Nur Stella, Abarax und Dayrquinêl blieben übrig. Abarax sah sich kurz um, schwang sich in den Himmel und hielt auf einen nahen Hain zu. Der Hirsch folgte, bremste aber nach wenigen Schritten ab: Ein tief eingeschnittenes Tal, das von der Straße noch gut einsehbar war, versperrte ihm und Stella den Weg.
„Stella – Illusionen!“, rief Merkanto. „Und Dayr, von dir wissen sie vermutlich noch nicht. Verhalte dich normal!“
Der Hirsch schien verstanden zu haben und senkte den majestätischen Kopf, um zu grasen. Stella schloss die Augen und konzentrierte sich.
Was für ein Glück, dass sie diese neuste Form erlangt hatte! Trotzdem fühlte sie sich wie auf dem Präsentierteller. Nervös erwartete sie die Wagen.
Es dauerte auch nicht lange, bis das Knirschen der Holzräder zu hören war. Stella zuckte nervös mit den Ohren, als ihr klar wurde, wie knapp sie einer möglicherweise unliebsamen Begegnung entkommen waren.
Drei Kutschen rumpelten über die Steinstraße, gezogen von jeweils vier kräftigen, weißen Stieren. Die Wagen hatten geschlossene Kabinen, trotzdem wirkten sie eher wie ärmliche Karren, die hastig zusammengezimmert worden waren.
Stellas Fell stellte sich auf, als sie einen Schriftzug an der Seite des vordersten Karren bemerkte.
Silbermöwe.
Sie starrte die Karren an. Ja, es wäre möglich, dass die drei Kutschen aus dem Holz eines zerlegten Schiffes bestanden. Ob es wirklich die Schaluppe von Baradas war? Das Schiff, das sie damals noch geflickt hatten, jetzt in Einzelteilen vorbeirollen zu sehen, ließ einen Schauer durch Stellas Fell fahren.
Die weißen Stiere schnaubten, der Leitbulle hob den Kopf und schnüffelte. Fast sofort hielten die Kutschen an und Stella kam dazu, ihre Aufmerksamkeit auf die Fahrer zu lenken. Die Gestalt auf dem vordersten Kutschbock war aufgestanden und sah sich nun aufmerksam um.
Unwillkürlich machte Stella drei Schritte nach hinten. Nejakai!
Die Magierin schien selbst zu schnüffeln, während ihr Blick das umliegende Land absuchte und wieder und wieder über Stella hinweg glitt.
„Was ist los?“, rief ein Mann vom hintersten Wagen.
Nejakai hob die Hand. „Ich weiß nicht. Irgendwas macht die Tiere nervös.“
„Denkt Ihr, es ist die Gruppe?“
Stella hörte, wie die im Verborgenen liegenden Kinder der Sonne nach Luft schnappten, als sie die Stimme ihrer Erzfeindin hörten.
„Möglich.“
Unter Nejakais stechendem Blick brach Stella der Schweiß aus. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die Kutschen sich wieder in Bewegung setzen würden. Denn je länger Nejakai zögerte und suchte, desto wahrscheinlicher wurde es, dass sie Stella trotz der neuen Gestalt entdecken würde.
Die Folgen wollte sich das Einhorn lieber nicht ausmalen.
„Können wir weiter?“, drängelte der mittlere Kutschenfahrer, als Nejakai sich auch nach einer ganzen Weile nicht von der Stelle gerührt hatte. Angst schwang in seiner Stimme mit. Während Stella sich auf die Magierin konzentriert hatte, war ihr entgangen, wie nervös sich deren Begleiter umsahen.
„Wenn es die Gruppe ist“, fügte der Fahrer der dritten Kutsche hinzu, „sollten wir doch besser den Gefangenen in Sicherheit bringen.“
„Still!“, fuhr Nejakai auf. „Wenn es wirklich die Dunkelbringer sind, müssen wir das wissen. Und redet nicht über den Gefangenen, wenn sie zuhören könnten, verflucht!“
Stella spitzte die Ohren. Ein Gefangener, von dem sie nichts wissen sollten?
Nejakai erhob sich. „Ich werde einen Suchzauber wirken. Wenn der nichts findet, fahren wir weiter, so schnell wir können.“
Ihre Begleiter murrten leise, widersetzten sich jedoch nicht. Stella schloss die Augen und hoffte auf ein Wunder. Soweit sie wusste, würde ein Suchzauber die Energien der Umgebung zum Vorschein bringen – Energien, die jedes lebende Wesen ausströmte, egal, in welcher Gestalt.
Plötzlich hörte sie Hufschlag an ihrer Seite.
Als sie die Augen öffnete, trottete Dayrquinêl soeben vor sie und warf den drei Kutschen einen freundlichen Blick zu, ehe er den Kopf senkte und mit den Lippen das junge Gras abzupfte.
Sie hörte, wie die zwei Fahrer aufatmeten.
„Nur ein Hirsch!“
Nejakai verengte die Augen und warf Dayr, sowie dem Wiesenstück, einen misstrauischen Blick zu, ehe sie mit den Zügeln schnalzte und die Stiere wieder antrieb.
Stella hielt den Atem an, bis die Kutschen hinter der nächsten Biegung verschwunden waren.
„Habt ihr das gehört?“, stieß Iljan aus, als die Wagen fort waren und die Kinder der Sonne gerade erleichtert aufatmeten.
Der Vampir starrte den Karren nach.
„Iljan …“, begann Merkanto, dem Böses schwante.
Der Vampir funkelte ihn an und erstickte Merkantos Argumente im Keim. „Sie hat einen Gefangenen genommen. Jeder, der unter dieser Bestie leidet, hat unsere Hilfe verdient!“
Merkanto seufzte und wandte sich mit einem Kopfschütteln ab. Es war ihm schon schwer genug gefallen, auf Heimlichkeit und Vorsicht zu verzichten – und mit seiner Sorge hatte er recht gehabt! Nun würde Iljan mit Sicherheit einen Angriff auf das Kutschentrio wagen. Das war das genaue Gegenteil von dem, was sie jetzt brauchten. Ganz zu schweigen davon, dass sie Nejakais Macht niemals gewachsen wären.
„Ich glaube, ich habe das Holz der Kutschen erkannt“, meldete sich Stella zu Wort. „Es … es sah aus, als wären sie aus dem Rumpf der Silbermöwe zusammengezimmert.“
Die Gruppe tauschte entsetzte Blicke.
„Baradas!“, flüsterte Merkanto und wandte sich wieder den Übrigen zu.
„Verflucht, färbt unser Pech nun etwa auch auf die ab, die uns helfen?“, schimpfte Iljan.
„Natürlich“, antwortete Merkanto. „Wir sind im Krieg. Jeder, der uns hilft, ist für Nejakai ein Hochverräter.“
Ein lautes Rauchen erklang, als Abarax sich der Gruppe näherte. Der Nachtmahr-Drache flog dicht am Boden, um nicht von den Karren aus gesehen zu werden, was seine kräftige Gestalt nur noch massiver erscheinen ließ. Es war ein Wunder, wie sich dieses gewaltige Wesen im Himmel halten konnte.
Er landete und bemerkte die besorgten Gesichter. „Was habe ich verpasst?“
„Nejakai“, sagte Terziel und brachte seinen Bruder mit knappen Worten auf den neusten Stand. Abarax‘ Augen weiteten sich.
„Na, worauf warten wir noch? Bringen wir diese Hexe um!“, knurrte er, als Terziel fertig war.
„Nein!“, fuhr Iljan auf. „Nein, kein weiteres Blutvergießen. Wir … wir müssen …“
Cary verdrehte die Augen. „Sag bloß, du willst Nejakai freundlich bitten!“
Iljan warf der Elfe einen hilflosen Blick zu.
„Iljan!“, fauchte sie ihn an. „Das ist nicht dein Ernst!“
„Wir können sie auch nicht töten“, gab der Vampir gereizt zurück. „Ich will nicht einmal gegen sie kämpfen. Alle halten uns für Monster. Wenn wir jemanden töten, auch nur verletzen, verlieren wir vielleicht die letzten Chancen, die wir noch hatten!“
„Meine Güte, Iljan, du klingst ja schon fast wie ich!“, brummte Merkanto. „Beruhigt euch erst einmal. Atmet tief durch. Und dann schmiegen wir einen Plan!“