„Also gut, wir machen das alles ganz langsam“, sagte Kyle.
Sakura trottete fröhlich neben dem Jungen her. Auf seiner anderen Seite befand sich Amelie, immer noch in dem seltsamen Ding, das über den Boden rollte. Hinter dem Ding ging Amelies Mutter, die Sakura noch gut kannte. Seltsamerweise war die einst so freundliche Frau jetzt kühl und nervös. Sakura verstand nicht, wie sich ein Mensch so schnell ändern konnte.
„Wenn du Angst hast, Schatz, dann brechen wir sofort ab“, sagte Amelies Mutter gerade zu dem Mädchen.
„Ja, Mama“, sagte Amelie.
Sakuras Reiterin klang genervt, aber auch ängstlich. Sakura versuchte, aus den ganzen widersprüchlichen Signalen schlau zu werden, doch es war eindeutig, dass hier etwas vor sich ging, das Sakura nicht verstehen konnte. Also begnügte sie sich damit, Kyle zu vertrauen. Er war ein guter Reiter. Andererseits gehörte sie Amelie – sollte sie dann eher ihrer Reiterin gehorchen?
Kyle hatte Sakura wieder gesattelt. Es war ein fremder Sattel, und die Trense war etwas zu eng. Sakura kaute unschlüssig auf dem Metall herum. Der Sattel machte sie nervös, aber Kyle hatte ihr versprochen, dass alles gut gehen würde.
Amelie war die ganze Zeit dabei gewesen. Sakura hatte sich sehr danach gesehnt, ihre Reiterin zu berühren, von ihr gestreichelt und gestriegelt zu werden, doch Amelie war nicht einmal aus dem seltsamen Ding aufgestanden, das ihre Mutter jetzt schob. Sakuras Ohren zuckten nervös, denn Amelies Mutter warf ihr giftige Blicke zu. Lag es an dem, was passiert war? Aber Amelie ging es doch wieder gut!
Sie wurde dadurch abgelenkt, dass Kyle sie auf einen sandigen Platz führte. Amelie und ihre Mutter warteten am Rand des Platzes, während Kyle Sakura ein wenig im Kreis führte. Sie war nicht einmal besonders nervös wegen des Sattels. Stattdessen sah sie sich ständig nach Amelie um. Warum kam ihre Reiterin nicht mit?
„So, Sakura. Zeigen wir ihnen, was du drauf hast“, meinte Kyle schließlich und saß auf. Sakura zuckte zusammen und blieb stehen, aber Kyle strahlte eine solche Ruhe aus, dass ihre Panik wieder schwand. Als er sie leicht antrieb, gehorchte sie ihm brav. Mit Kyles Führung drehte sie ein paar Runden, dann wechselten sie die Richtung und trabten eine Weile.
Schließlich – endlich! – ließ Kyle sie zum Gatter gehen, wo Amelie wartete.
Amelie saß immer noch in dem Metallding. Sakura schnupperte. Plötzlich roch Amelie nach Traurigkeit. Was war hier nur los?
„Willst du eine Runde reiten?“, fragte Kyle Amelie.
„Bist du blind?“, fragte Amelies Mutter mit unangenehm schriller Stimme. Sakura legte die Ohren ein wenig nach hinten. „Sie wird auf keinen Fall auf dieses … dieses Tier steigen!“
„Lassen Sie ihre Tochter selbst entscheiden?“, fragte Kyle ebenso liebenswürdig wie zuvor.
Die Mutter seufzte und sah Amelie an. Auch Sakura sah Amelie gespannt an. Bitte, flehte sie ihre Reiterin wortlos an. Bitte.
Amelie seufzte. „Ich kann nicht.“
„Ich habe nicht gefragt, ob du kannst“, sagte Kyle, „sondern ob du willst.“
Amelie gab ein seltsames Geräusch von sich, ein zittriges, keuchendes Atemholen, so elend, dass Sakura ihr tröstend die Hand lecken wollte. Nur konnte sie Amelie nicht erreichen.
„Ich habe Angst“, sagte Amelie jetzt leise.
Doch Kyle stieg ab. „Ich reite mit dir. Dir wird nichts passieren, das verspreche ich dir.“
Er streckte Amelie eine Hand hin, und die ergriff sie. Dann beobachtete Sakura etwas Seltsames: Kyle griff sich Amelie und hob sie hoch, so ähnlich, wie Menschen manchmal ihre Fohlen auf den Arm nahmen, oder ein kleines Tier wie eine Katze. Er trug Amelie zu Sakura und Amelie kletterte so ungeschickt auf ihren Rücken, als wäre sie nie in ihrem Leben geritten. Ihr Gewicht zerrte an Sakuras Sattel. Sakura stemmte alle Hufe in den Boden, um nicht zu stolpern und stand still wie ein Fels.
Mit Kyles Hilfe gelangte Amelie endlich auf Sakuras Rücken. Doch sie saß ganz, ganz anders als früher. Amelies sicherer Sitz war verschwunden. Ihre Füße schlackerten um Sakuras Flanken und machten sie ganz nervös. Und Amelie zitterte, ein Zittern, dass durch den Sattel in Sakura überging.
Sie legte die Ohren zurück und riss die Augen auf. Wie ein Kribbeln lief die Angst durch ihren Körper, in die Hufe und zum Nüstern. Sie schlug mit dem Schweif und witterte. Was machte Amelie solche Angst? Wenn es einem Menschen Angst machte, dann war es für eine Stute etwas Entsetzliches. Sakura begann, sich umzusehen. Nervös drehte sie sich im Kreis und Amelie gab einen Entsetzensschrei von sich.
Kyle griff in Sakuras Halfter, doch da durchschnitt eine schrille Stimme die Luft.
„Es reicht!“
Das war Amelies Mutter. Sie stürzte nach vorne und fing Amelie auf, die aus dem Sattel fiel wie ein Kind. Sakura tänzelte zurück. Was ging hier vor? Was hatte sie jetzt getan?
Amelie weinte.
„Ich will nicht, Mama!“
„Ist ja gut“, die Mutter setzte Amelie zurück in das Metallding. Sakura schnaufte. War dieses Ding Amelie etwa lieber als ein Pferd? Lag es daran?
Wütend machte sie ein paar Schritte auf das rollende Ding zu, da zog die Mutter das Ding und Amelie bereits außer Reichweite, und Kyle hielt sie fest.
„Dieses Vieh ist verrückt“, rief die Mutter noch, dann waren sie und eine schluchzende Amelie bereits verschwunden.
Kyle stand schweigend neben Sakura und klopfte langsam ihren Hals. Sakura merkte, dass er sie zwar lobte, aber nicht gerade glücklich war. Sie war vollkommen verwirrt. Was war denn nur los? Warum war Amelie schon wieder weg – ohne einen Apfel oder auch nur ein nettes Wort für ihre Stute?
„Es tut mir leid“, murmelte Kyle leise und zog Sakura zurück zu dem Stall, der nach Tod und Krankheit roch.