Die anderen Pferde blieben hinter Sakura zurück. Sie flog über das Gras, noch beflügelt von der Angst um ihre geliebte Reiterin Amelie.
Aber nun zeigte sich auch endlich, was Kyle ihnen in langen Wochen beigebracht hatte: Er hatte ihnen den Willen zum Kampf gegeben, sein Training hatte ihnen Fähigkeiten verliehen, die weit über das gewöhnliche Miteinander von Pferd und Reiter hinaus gingen.
Sie waren eins, und das machte ihnen das Siegen so leicht. Während die anderen Reiter gegen ihre Pferde ankämpfen mussten, oder die Pferde gegen die Reiter, so ritten Amelie und Sakura im Einklang.
Nur Rocket war noch vor ihnen. Rocket, der Araberhengst, ein Rennpferd, nur für das Rennen gezüchtet. Sakuras Vorteil war die Wildnis, die Hindernisse machten Rocket zu schaffen, aber Echo hatte ihr beigebracht, über Steine zu galoppieren, ohne sich zu fürchten.
Amelie hatte sich auf ihrem Rücken vorgebeugt, sie stieß den Atem durch die Zähne aus, bei jedem Galoppsprung ihrer Stute. Sakura fühlte den Wind in der Mähne, den Boden unter ihren Hufen. Schweiß lief durch ihr Fell, aber sie wusste, dass sie noch weit rennen konnte.
Sie kannte ihre Grenzen, und diese Grenzen waren noch weit.
Den Kopf hoch erhoben stürmte sie durch einen Fluss, vor dem Rocket wenig zuvor noch gezögert hatte. Amelie ruckte leise am Zügel und Sakura wandte bereitwillig den Kopf. Statt auf geradem Wege führte die Rennstrecke über einen Hügel. Sakura nahm die Steigung und donnerte auf der anderen Seite herunter, dann brach sie durch einen Busch hindurch.
Amelies Atem wurde langsamer, hinkte Sakuras Hufen hinterher. Sofort ging sie darauf ein und verlangsamte den wilden Ritt, dabei war Rocket doch so nah vor ihnen!
Doch der Weg führte in den Wald. Sakura tauchte in das blitzende Halbdunkel unter dem Blätterdach ein.
Sie rannte blind, noch geblendet von der hellen Sonne, plötzlich huschten die Schatten über sie hinweg. Jetzt war es gut, dass Amelie sie ausgebremst hatte. Sakura galoppierte blind weiter, richtete die Ohren nach hinten. Amelie atmete noch etwas langsamer, und Sakura gehorchte. Dann zog Amelie an den Zügeln, mal sanft, mal heftiger.
Sakura gehorchte jedem Ruck. Bald hörte sie Hufschlag vor sich, ein Pferd im Trab. Rocket war mit der Veränderung des Lichts nicht so gut zurecht gekommen. Sakura rannte weiter, vertraute Amelie willenlos. Sie hörte, wie Viktoria ihren Hengst mit einem Schrei antrieb, wie Rocket in neuerlichen Galopp fiel.
Dann brach auch Sakura aus dem Wald heraus und kehrte ins Licht zurück. Amelie ließ die Zügel peitschen und Sakura stieß sich vom Boden ab, rannte so wild und schnell wie selten zuvor, ohne Rücksicht, weil sie wusste, dass Amelie schon Rücksicht nehmen würde.
Endlich gewöhnten sich ihre Augen wieder ans Licht. Rocket war jetzt viel näher, er hatte den Blick auf den Boden gerichtet, fürchtete sich wohl vor einem Sturz.
Er hob den Blick erst, als Sakura neben ihm rannte. Sie hatte den Hals durchgestreckt und sah nur das Ziel vor sich, das Ende des Rennens, hinter einigen letzten Sprunghindernissen.
Dann ließ sie es sich doch nicht nehmen, Rocket einen Blick zuzuwerfen. Er wirkte entsetzt darüber, dass ein anderes Pferd es mit ihm aufnehmen konnte.
Sakura und Rocket galoppierten Seite an Seite. Die Hindernisse kamen näher. Sakura hörte, wie Amelie anders atmete. Sie verfiel in einen langsameren Galopp, setzte die Sprünge deutlicher voneinander ab. Rocket überholte, dann, kurz vor dem ersten Hindernis, geriet er aus dem Tritt, musste die Hufe sortieren.
Sakura dagegen gelangte perfekt ans Hindernis und konnte direkt aus dem Galopp springen. Denn Amelie kannte Sakuras Schrittlänge und hatte die Entfernung ausgerechnet.
Sakura landete auf der anderen Seite der Barrikade, dann rannte sie weiter. Sie setzte über einen Baumstamm hinweg. Ein langes Stück freier Wiese schloss sich an, und Rocket, angetrieben von Viktoria, holte wieder auf.
Erneut zog er vorbei. Da war nur noch ein Hindernis, ein einziger Baumstamm, zwischen ihnen und dem Ziel.
Sakura drängte vorwärts. Rocket würde gewinnen! Sein Vorsprung war zu gewaltig!
Ein Ziehen am Zügel: Amelie zwang sie zu einem langsameren Rennen. Kurz vor dem Sprung gab sie ein seltsames Signal. Es bedeutete ihr, weiter zu springen, als sie es vorgehabt hatte.
Sakura sah Rocket springen, dann, mitten im Flug, zuckte der dunkle Hengst zusammen. Er kam ungeschickt auf dem Boden auf, stauchelte, verfiel in den Trab.
Jetzt sprang Sakura, segelte durch die Luft.
Hinter dem Hindernis war ein Teich, den Sakura nicht gesehen hatte. Aber Amelie hatte ihn gesehen. Sakura landete nicht im Wasser, erschrak nicht, sondern flog an Rocket vorbei, rauschte über die Wiese, während der Hengst noch seine Hufe sortierte.
Dann war ein Band vor ihr und Sakura stürmte hindurch. Das Band riss.
Ohrenbetäubender Lärm.