Der Hof der Qualen roch nach Angst und Tod. Die weiße Stute riss an den Zügeln, als sie auf den Hof getrieben wurde. Sie legte die Ohren an, versuchte auszubrechen, stieg auf die Hinterhand.
Die Apfelschimmel-Stute hatte sichtlich Angst. Doch ihre Reiterin beruhigte das helle Tier mit wenigen Worten, wie ein Pferdeflüsterer. Der Stallbursche, der gerade den Eingang fegte, hob den Kopf, als das Pferd auf ihn zu trat.
„Ja?“, fragte er in nicht eben freundlichem Ton. Er konnte sich nicht vorstellen, was ein junges Mädchen hier zu suchen hatte. Und was für einen seltsamen Sattel sie hatte!
„Entschuldigung“, sagte das Mädchen. „Ich suche einen deiner Mitarbeiter. Er heißt Kyle.“
„Kyle?“, fragte der Bursche und stellte den Besen weg. „Und weiter?“
„Sein … seinen Nachnamen kenne ich nicht. Er heißt Kyle, er hat hier gearbeitet. Etwa so groß, dunkle Haare …“
„Ich kenne alle Leute, die hier arbeiten, Kleine“, knurrte der Bursche. „Einen Kyle gibt’s hier nicht. Da hat dir jemand einen Bären aufgebunden.“
„Aber …“, stotterte das Mädchen. Sogar die weiße Stute richtete die Ohren nach vorne, als würde sie das Gespräch verfolgen.
„Hier arbeite nur ich und meine Chefin“, der Ton des Mannes wurde versöhnlicher. „Schon seit Jahren. Wir haben ab und zu Aushilfen, wenn wir besonders viele Pferde haben. Aber das sind alles Jungen aus dem Dorf, und auch von denen heißt keiner Kyle. Einen Kai hätte ich anzubieten. Ist aber blond.“
Das Mädchen war blass geworden und schüttelte den Kopf.
„Sonst kommt keiner hierhin. Ich wunder mich schon, wie du hierher gefunden hast, Mädel“, sagte der Mann mit einer Stimme wie ein Reibeisen.
„Ich … danke“, sagte das Mädchen leise und wollte das Pferd wenden.
Aus dem Stall erklang ein laut anhaltendes, wildes Wiehern. Pferd und Reiterin zuckten zusammen.
„Was ist das denn?“
„Oh, unser Neuzugang“, brummte der Stallknecht und musterte das Mädchen immer noch mit ein wenig Misstrauen. „Hoffnungsloser Fall. Hat sich bei 'nem Sturz verletzt und lässt seitdem keinen an sich ran.“
Statt sich abzuwenden, blieben Pferd und Reiterin auf dem Hof, spähten in den dunklen Stall.
„Und der Besitzer?“
„War auch beim Sturz dabei. Sie sagen, er wird’s schaffen, aber nie wieder reiten“, der Stallbursche schüttelte den Kopf. „Und auf diesem Pferd da sowieso nicht. Das taugt nur noch zur Wurst, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher“, meinte Amelie und lächelte. „Da wäre ich mir wirklich nicht so sicher.“
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!