Takjin schlief unruhig in dieser Nacht. Er träumte in unzusammenhängenden Bildern, von Drachen und Kriegen und zerstörten Welten, in die langsam das Gift träufelte.
Wenn er aufwachte, so konnte er hören, wie der Wind draußen heulte und an dem Strohdach der Hütte zerrte. Regen klatschte gegen die Fensterscheiben, das Meer tobte und toste.
Der nächste Morgen brachte keine Linderung, stattdessen nahm der Sturm nur noch an Gewalt zu. Die Sonne blieb hinter schweren Regenwolken verborgen, über den Strand und die Berge liefen schmutzige Wasserfälle.
Takjin stand schließlich auf und trat an eines der hohen Fenster im Wohnzimmer. Das Wasser stand bestimmt eine Handspanne hoch auf dem Boden – wo das Land aufhörte und das Wasser des Teichs begann, konnte man nicht mehr sagen. Die Fensterscheibe zitterte in ihrem Rahmen.
„Was für ein Wetter“, murmelte Takjin zu sich selbst. „Als wäre das Ende der Welt gekommen.“
Im nächsten Moment biss er sich auf die Zunge. Nach allem, was Junea ihm über Gift und Regen und Welten erzählt hatte, konnte das durchaus der Wahrheit entsprechen.
Takjins merkte, dass er Herzklopfen bekam. Eilig zog er seinen Panzer an und schnappte sich sowohl sein Schwert als auch den Enderstab. Er musste Junea suchen! Die kleine Hütte beim Leuchtturm, wo sie zur Zeit wohnte, war schon nicht mehr zu sehen.
Er bekam die Tür kaum auf, denn der Wind presste sie immer wieder zurück. Als Takjin endlich ins Freie sprang, taumelte er. Die eisige Kälte schlug ihm ins Gesicht wie ein Faustschlag und der Regen prasselte heftig auf ihn ein. Doch er lief nicht direkt los, denn er erinnerte sich, wie wertvoll der Stab war. Sollte er ihn wirklich mitnehmen? Riskieren, dass er ihn verlor
Er ließ den großen Stock los und trat ohne ihn nach draußen, die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Tief gebückt eilte Takjin vorwärts und brüllte Juneas Namen in den Sturm. Er kam zu dem Fluss und lief am Ufer entlang, bis sich endlich die schmale Brücke aus dem strömenden Regen schälte, die auf die andere Seite und zu Juneas Häuschen führte. Doch als er an die Tür des Häuschens klopfte, reagierte niemand im Inneren.
„Junea!“, brüllte Takjin. Keine Antwort.
Er sah sich um, im Moment geschützt im Windschatten des Hauses. Dann stapfte er vornübergebeugt los.
Endlich erkannte er den langen Schatten des Leuchtturms über sich und kämpfte sich zu dessen Tür. Er hämmerte dagegen. „Junea! Bist du da?“
Die Tür wurde fast sofort aufgerissen und eine Hand zerrte Takjin ins Innere. Er stolperte und fiel auf einen harten Steinboden. Als er aufblickte, sah er Junea, die darum kämpfte, die Tür wieder zu schließen. Wind fegte in den kleinen Raum im Leuchtturm und blies Blätter und Regen hinein.
Takjin sprang auf und warf sich gemeinsam mit Junea gegen die Tür. Vereint konnten sie dem Wind trotzen und die Tür schließen.
„Was tust du hier?“, fragte Junea.
„Das gleiche könnte ich dich fragen“, gab Takjin zurück.
„Das Licht ist ausgegangen“, sagte Junea und deutete mit dem Daumen die Wendeltreppe hinauf, die zur Spitze des Leuchtturms führte. „Ich wollte es wieder anmachen, aber die Scheiben sind eingeschlagen und das Holz ist nass. Aber du solltest wieder ins Haus gehen!“
„Wir müssen uns um die Tiere kümmern!“, widersprach Takjin.
„Das schaffen wir heute nicht“, sagte Junea. „Sie werden sich in ihre Ställe retten.“ Dann seufzte sie. „Komm, wir gehen zu meiner Hütte, die ist näher in diesem Unwetter. Und dann versuchen wir beide, wieder trocken und warm zu werden.“
„Wir lassen die Tiere einfach allein?“
Junea nickte und ein trauriger Ausdruck trat in ihr Gesicht. „Bei dem Wetter kann Wellenstürmer nicht fliegen. Und jetzt über die Bergstraßen zu gehen, wäre Selbstmord. Aber keine Angst, Takjin: Sie werden es überleben. Bist du bereit?“
Sie lehnte an der Tür, bereit, nach draußen zu gehen.
Takjin nickte.
Sie stießen die Tür auf und kämpften dann darum, sie von der anderen Seite zu schließen – denn diese Tür ging nach Innen auf – dann kämpften sie sich zu der kleinen Hütte und atmeten tief durch, als sie darinnen waren, in einem einzigen, spärlich eingerichteten Räumchen.
„Ich habe noch nie so ein Unwetter erlebt“, murmelte Takjin andächtig. Durch ein kleines Fenster konnte er das aufgewühlte Meer sehen und die Wellen, die sich bis zum Himmel türmten.
„Du hast noch nie am Meer gelebt“, erwiderte Junea. Sie hatte ihre regenschwere Rüstung ausgezogen und stellte beides in eine Ecke. Dann warf sie Takjin eine Decke zu. „Hier, trockne dich ab, bevor du noch krank wirst.“
„Danke“, murmelte Takjin und kämpfte sich nun ebenfalls aus seiner durchtränkten Rüstung, während Junea eine zweite Decke über ein in der Mitte der Hütte gespanntes Seil warf und hinter diesen provisorischen Vorhang trat. Als sie wieder auftauchte, trug sie ein sehr knappes Oberteil und einen langen Rock aus drei großen, blattförmigen Flächen, die sich überlappten, jedoch breite Schlitze offenließen, durch die man Juneas Beine bis zu ihren Knien sehen konnte.
Takjin ließ mit offenem Mund sein Handtuch sinken. Bisher hatte er Junea nur in ihrer Rüstung oder in der blauen Kleidung, die sie darunter trug, gesehen. Beides war nicht besonders weiblich gewesen.
„Mach den Mund zu, es zieht“, spottete Junea und warf Takjin noch etwas zu, was sich als ein weißes Hemd und eine braune Lederhose entpuppte. „Zieh dich um.“
Gehorsam betrat nun Takjin den Platz hinter dem Vorhang. Er konnte Junea hören, die mit einem Kessel und Wasser am Ofen der Hütte hantierte. Nachdem er sich umgezogen hatte, breitete sich langsam Wärme in dem kleinen Raum aus. Junea zog den improvisierten Vorhang wieder ab und hängte stattdessen ihre durchnässte Kleidung auf. Der Ofen wurde kräftig befeuert und im Inneren des Häuschens wurde es mehr und mehr zu einer Sauna. Takjin bekam einen Becher mit heißem, würzigen Wasser in die Hand gedrückt, jenes Wasser, dass er auch bei seinem ersten Tag hier getrunken hatte. Inzwischen wusste er, dass es ein schwacher Met war, der mit Honig und Bergkräutern verfeinert wurde.
Junea setzte sich auf die einzige schmale Holzbank und Takjin hockte sich neben sie, wobei er sich alle Mühe gab, Junea nicht anzustarren.
„Wie fühlst du dich so, als neuer Herr von Soregrat?“, fragte Junea.
Takjin antwortete ehrlich: „Verloren. Ich meine … warum hat Dokarestmus ausgerechnet mich ausgewählt? Du wärst bestimmt eine bessere Wahl gewesen.“
„Ich weiß es auch nicht“, murmelte Junea in ihren Met. „Er wird seine Gründe haben, denke ich. Vielleicht hat er etwas in dir gesehen – deinen Mut. Vielleicht hat er dich aus einem Grund gewählt, den wir beide noch nicht verstehen können.“
„Es ist seltsam“, gestand Takjin und starrte nun ebenfalls in sein Getränk, dessen würzige Wärme langsam die letzte Kälte vertrieb.
Als es Abend wurde, legte sich auch der Sturm. Jedenfalls hörte der Regen auf, doch der Wind heulte weiter wie ein verwundetes Tier. Takjin konnte seine inzwischen getrocknete Kleidung wieder anziehen und schickte sich an, zu gehen. Junea begleitete ihn zur Tür, auch sie trug wieder ihre normale, blaue Kleidung, die nur die Arme und den Kopf unbedeckt ließ. Takjin fühlte sich damit viel wohler.
„Ich mag den Geruch der Welt nach einem Regenfall“, sagte Junea, als sie in der Tür der Hütte stand. „Alles riecht sauber und neu!“
Takjin atmete tief durch. Doch er konnte sich nicht auf den Regen konzentrieren, denn nun hörte er etwas anderes: Keckernde Rufe erklangen vom Strand her.
„Die Delfine sind sicherlich hungrig“, murmelte er mit schlechtem Gewissen.
„Nein.“ Juneas Stimme war ernst und ihr Gesicht gefurcht. „Das ist ihr Notsignal – etwas stimmt nicht!“
Sie eilte an Takjin vorbei über die Brücke und zum Strand. Er folgte ihr, so schnell seine Füße ihn trugen.
Am Meeresufer sahen sie, dass mehrere Delfine im Wasser trieben und ihre Schreie ausstießen.
„Keiner verletzt“, rief Junea zu Takjin. „Aber sie sind aufgeregt.“
Als sie ein paar Schritte ins Wasser tat, schossen die Delfine plötzlich davon. Dann kehrten die großen Tiere wieder und keckerten von Neuem.
„Wollen sie … dass wir ihnen folgen?“, fragte Takjin. Er schluckte. Junea hatte ihm zwar gezeigt, wie man schwamm, aber wirklich gut war er noch nicht.
„Ich glaube es. Komm.“
Damit sprang sie auf den Rücken eines großen, blauen Delfins. Takjin sprang hinterher und in die See hinein, ein grün-blauer Delfin schob sich zwischen seinen Beinen hindurch und schoss dann vorwärts – Takjin packte die Rückenflosse und hielt sich daran fest.