Merin spürte das Entsetzen des Sturzes nur für einen Moment. Dann traf er auf kaltes Wasser auf und verschluckte sich. Er hustete und spuckte Salzwasser aus, dann hielt er sich mit ungeschickten Schwimmzügen über der Wasseroberfläche und sah sich um.
Über ihm spannte sich ein weiter, blauer Himmel. Zu allen Seiten erstreckten sich dunkelgrüne Wellen bis zum Horizont. Neben ihm tauchte Wildfangs Kopf aus dem Wasser auf, das Pferd wieherte panisch. Auf Merins anderer Seite erschienen Peki und Shajenna.
„Wo zum Nether sind wir?“, entfuhr es Peki.
„Ich weiß es nicht“, gab Merin zurück und spuckte neues Salzwasser aus. Er sah sich um, doch er konnte kein Land erkennen. Sollten sie einfach blindlings in irgendeine Richtung schwimmen?
Peki hatte sich ebenfalls umgesehen. „Wir sind echt vom Regen in die Traufe. Ist das hier … eine andere Welt?“
„Falls wir den Worten deines Vaters glauben können, ja“, sagte Merin kurzatmig. Er war kein guter Schwimmer und die Kälte zehrte zusätzlich an seinen Kräften.
Peki wurde still. „Du hast ihn erschossen.“
„Tut mir leid“, sagte Merin und meinte es ehrlich so. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich hätte das nicht tun dürfen. Auch Kainlin hätte ich nicht töten sollen. Ich war nur so wütend.“
Peki sah ihn an, dann drehte sie sich paddelnd im Kreis. „Hey, da vorne ist was! Es kommt auf uns zu!“
Merin hob den Kopf höher über die Wellen und sah in die angegebene Richtung. Tatsächlich kam etwas auf sie zu. Es waren zwei Menschen, deren Oberkörper halb aus dem Wasser ragten und die unwirklich schnell schwimmen konnten.
Peki streckte die Arme aus und winkte. „Hier! Hilfe! Helft uns!“
„Lass das!“, zischte Merin. „Das sind doch bestimmt Leute von diesem Garabath!“
„Na und? Willst du hier draußen ertrinken?“, fragte Peki zurück. „Sie sind unsere einzige Hoffnung.“
Die Menschen kamen nun näher heran und Merin konnte erkennen, dass sie auf irgendetwas saßen oder ritten, das sich unter Wasser befand. Die Menschen sahen nicht gefährlich aus. Einer war ein Junge mit fröhlichem Gesicht und rotblonden Haaren, seine Begleitung war ein Mädchen in einer vielfarbigen, stacheligen Rüstung und mit schwarzen Haaren.
Die Reittiere der beiden waren Delfine. Die beiden Menschen umkreisten Merin, Peki und die beiden strampelnden Pferde. Weitere, unberittene Delfine tauchten auf, schoben sich unter die panischen Pferde und ließen Peki und Merin aufsteigen.
Die Frau musterte sie scharf. „Das ist ja eine richtige Party heute. Wo kommt ihr her?“
„Aus Telion“, gab Merin vorsichtig zu.
„Nie gehört“, meinte die Frau. „Seid ihr auch durch ein Portal gefallen?“
Merin tauschte einen Blick mit Peki. „Auch? Ist Chirogan hier?“
„Ich weiß nicht“, sagte jetzt der fremde Junge. „Wir haben heute schon drei Fremde aus dem Wasser gefischt, aber sie sind verletzt und bewusstlos. Vielleicht sind es ja eure Freunde.“
Merin schwieg und klammerte sich stattdessen an seinen grauen Delfin. Chirogan, Jock Teador und vielleicht auch Porthas Kainlin, rechnete er stumm aus. Das Tier glitt durch das Wasser vorwärts, die seltsame Gruppe setzte sich in Bewegung. Es dauerte nicht lange, da kam am Horizont etwas in Sicht.
„Eine Insel!“, rief Peki begeistert, als sich vor ihnen bewachsene Berge und Bäume abzeichneten.
„Das ist die Insel Soregrat“, erklärte der kleine Junge, der sich zu ihnen herumgedreht hatte. „Ihr seid herzlich willkommen.“
Merin nickte abwesend. Nun, da er eine weitere Flucht überstanden hatte, wurde er mit einem Mal unendlich müde. Er schlief beinahe ein, bevor sie den weißen Strand erreichten, ein kleines Stück ebener Erde, bevor die steilen Berghänge begannen. Es gab eine kleine Hütte mit Strohdach neben einem kreisrunden See, der für seine Größe erstaunlich tief schien. Merin bemerkte mehrere Treppen aus Stein und Holz, die zu Brücken und Gebäuden an den Bergflanken führten. Auch einen kleinen Leuchtturm gab es. Doch die Fremden brachten sie direkt in die Hütte, wo sich bereits drei andere Personen auf dem Boden befanden.
Möbelstücke waren beiseite geschoben worden, um Platz für die ganzen Fremden zu schaffen.
Merin erkannte sofort, dass Chirogan nicht darunter war. Dazu waren die drei Menschen zu klein. Die Verzweiflung übermannte ihn und er wartete nur noch, bis man ihnen eine neue Decke auf den Boden gelegt hatte, dann rollte er sich zusammen und fiel in einen tiefen, melancholischen Traum, in dem er wieder und wieder Chirogans Gesicht zu malen versuchte, sich aber einfach nicht erinnern konnte, wie der König aussah.