„Ich denke ein kleiner Gefallen ist das mindeste", bot Elon an und stellte die Tasse auf dem Couchtisch ab. „Ich will, dass du Chris um ein Date bittest. Aus mir unerklärlichen Gründen scheint er dich zu mögen", erklärte Elon und fuhr sich durch die noch immer nassen Haare.
Milas Mund klappte auf. „Ich bin doch keine Prostituierte. Warum sollte ich mit Kerlen ausgehen, die mich nicht interessieren?", wollte sie ziemlich geschockt wissen. Was dachte er sich denn dabei? Sie war nicht käuflich! Und außerdem: „Und warum sollte ich mit deinem Freund ausgehen?" Mila verstand es nicht. Immerhin waren die beiden doch zusammen oder etwa nicht? Wieso also sollte sie mit Chris ausgehen, wenn dieser doch Kaden gehörte. Oder war das eine Art Versuch der beiden, ihre Beziehung geheim zu halten? Mila konnte es nicht sagen und wollte ihn auch nicht darauf ansprechen.
Elon seufzte und ließ sich tiefer in die Polster sinken, um den Nacken auf die Lehne zu senken.
„Das sagte ich doch. Er mag dich oder so. Außerdem sagte ich ja nicht, dass du mit ihm schlafen sollst. Also beruhig dich wieder", versuchte er sie halbherzig zu besänftigen.
Mila schnaubte. „Weißt du, wie meine Mutter durchdrehen wird, wenn ich mit ihm zusammen gesehen werde? Geschweige denn von einem Date? Wie stellst du dir das bitte vor?", wollte sie wenig begeistert wissen.
„Du gehst auf ihn zu, klimperst mit deinen falschen Wimpern, lächelst ihn an, fragst ihn, ob er mit dir ausgehen will und wenn er zusagt, geht ihr ins Kino oder sowas", erklärte Elon langsam Schritt für Schritt, als wäre Mila geistig nicht zurechnungsfähig.
Mila seufzte. „Also erstmal: Meine Wimpern sind nicht falsch und bevor du fragst: Meine Brüste auch nicht. Außerdem weiß ich sehr wohl, wie man einen Jungen verführt. Aber ich sagte doch bereits, dass meine Mutter das niemals erlauben wird", erklärte sie noch einmal. War Elon nicht klar, wie schief das alles gehen konnte? Selbst wenn sie ihrer Mutter sagen würde, dass sie dieses ‚Date' gewollt hatte, würde diese Konsequenzen daraus ziehen. Und da ihre Mutter Anwältin war, wusste sie sehr gut, wie sie Leute dazu bringen konnte, nicht mehr in Milas Nähe zu kommen.
Elon lehnte sich ein Stück nach vorne, um Mila in die Augen sehen zu können.
„Dann sag ihr einfach nichts davon", flüsterte er, als wären sie nicht allein und würden das Geheimnis schlechthin teilen.
Mila schloss die Augen und seufzte. Na wunderbar. Aber sie war jemand, der seine Schulden beglich und Elon hatte irgendwo Recht, sie war ihm etwas schuldig.
„Ich wette das geht nicht gut aus, aber wie du willst. Aber erwarte nicht von mir, dass ich mit ihm ins Kino gehe. Da lad ich ihn lieber in ein gutes Restaurant ein, als mich mit knisternden, lauten Leuten in einen Raum zu setzen, um einen Film zu sehen."
Elon rollte überdramatisch die Augen und warf sich zurück in das für Milas Augen dreckige Sofa. „Solange du bezahlst", erwiderte er lediglich und zuckte die Schultern. „Mir kam zu Ohren, dass du bald die Schule wechseln willst", warf er beiläufig ein, doch Mila konnte sein gespieltes Desinteresse rausfiltern.
„Da er sich das wohl nicht leisten kann, werde ich wohl zahlen müssen. Mach dir da mal keine Sorgen", erklärte sie augenrollend. „Und ja, ich werde die Schule bald wieder wechseln, sobald meine Mutter es geschafft hat eine neue Wohnung für uns zu finden. Diese Schule entspricht einfach nicht dem, was uns versprochen wurde", erklärte Mila und rümpfte ein wenig die Nase.
„Chris ist nicht arm. Er wirft nur nicht gern mit Geld um sich. Etwas was du vielleicht noch lernen solltest", erwiderte Elon und erhob sich wieder, um kurz auf die weiße Landschaft des Waldes zu blicken und in einer kleinen Kommode rumzuwühlen. „Ich will nicht sagen, dass ich es genieße dich als Nachbarin zu haben, aber vielleicht solltest du dir das nochmal überlegen."
Mila schnaubte. „Ich weiß wie man mit Geld umgeht und ich habe sogar eigene Einnahmen aus Geldanlagen. Ich weiß also was ich mir leisten kann und was nicht. Aber warum sollte ich auf etwas, was mir gefällt verzichten, obwohl ich es mir leisten kann?", fragte sie schon fast provozierend. „Das was ich wirklich will, ist sowieso nicht käuflich", erklärte sie und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Und hier bleiben ist auch keine Option für mich. Das habe ich nicht zu entscheiden."
Elon wirkte ein wenig verwirrt. Diese Frau war ihm ein Rätsel. Vielleicht nicht so sehr wie andere, aber dennoch für ihn nicht ganz nachvollziehbar.
„Was ist es denn was du wirklich willst?", fragte er stattdessen.
Mila zuckte die Schultern. „Meine Mutter glücklich machen und Zeit mit meinem Vater verbringen", erklärte sie, als wäre es logisch, dass jeder so etwas wollte. Nur war beides nicht so einfach. Ihr Vater war so gut wie nie zuhause und ihre Mutter war sehr schwer glücklich zu machen.
Verständnislos zog Elon die Augenbrauen zusammen und kramte einen Pullover hervor.
„Du sagst zwar, dass du das möchtest, aber du kommst in diesen Wünschen nicht mal vor", erwiderte er verwirrt und verstand nicht recht was Mila damit meinte.
Mila legte den Kopf schief. „Ich bin glücklich, wenn mein Vater da ist und meine Mutter lächelt. Es macht mir Freude anderen Leuten eine Freude zu bereiten. Ist das wirklich so seltsam für dich?", wollte sie wissen und wirkte ebenfalls verwirrt und verständnislos.
„Welch Gut-Mensch du doch bist. Aber bei diesen ganzen Stunden, die du da nimmst, von denen du gesprochen hast, was davon machst du, weil du es gerne möchtest?", fragte er und zog sich die nasse Jacke aus, um sie über einen Stuhl zu legen und das T-Shirt hinterher. Dabei griff er nach einem trockenen Handtuch, um sich abzutrocknen.
„Ich mache sehr gern Japanisch und ich schwimme sehr gern", erklärte sie und überlegte, was von den anderen Stunden sie gerne machte. „Klavier spielen macht mir auch Spaß, aber ich spiele ja immer nur vorgegebene Stücke, die mir meistens nicht gefallen", erklärte sie, ehe sie einmal heftig niesen musste.
„Nun, da du ja anscheinend nicht mehr schwimmen darfst fällt das weg, ebenso wie Klavier spielen. Wo nimmst du denn deine Chinesisch-Stunden?", fragte er und griff nach dem Pullover, um sich diesen anzuziehen, als er trocken war.
„Japanisch", korrigierte Mila. „Die nehme ich bei einem Privatlehrer nach der Schule und dem Geigenunterricht", erklärte sie und beobachtete Elon. Ihr war kalt.
„Klingt nach Spaß", entgegnete dieser nüchtern, während seine Stimme vor Ironie nur so triefte. „Willst du dich umziehen?", fragte er murmelnd, als er ihre Haltung bemerkte.
Sie hatte die Arme um sich geschlungen und versuchte sich zu wärmen. „Ich habe nichts zum Umziehen dabei", erklärte sie leise und mit zittriger Stimme.
„Du kannst dir was von mir leihen. Da sind teilweise Sachen drin, die mir gar nicht mehr passen", bot Elon so beiläufig wie möglich an und deutete auf die Kommode, an der er stand. „Oder du erfrierst. Aber gib mir nicht die Schuld, wenn du durch den Schnee nach Hause laufen musst und dich erkältest."
Mila biss sich auf die Lippen, aber wie er schon sagte, ihre Wahl war begrenzt. „Danke", murmelte sie und erhob sich, um aus der Kommode ein paar passende Sachen zu nehmen. Ein Rollkragenpullover, der aussah, als könnte er ihr passen und eine Hose, die hoffentlich nicht rutschte.
Als sie etwas hatte trat sie von der Kommode zurück und zog sich ungerührt das Oberteil über den Kopf. Es war komplett nass, weshalb sie sich das Handtuch nehmen musste, um sich wenigstens ein bisschen trocken zu reiben.
„Warte, warte! Was soll das?", fragte Elon und hob die Hände, als wolle er Mila besänftigen. „Wie wär's mit ein wenig Privatsphäre?", meinte er und deutete auf eine kleine schmale Tür, in welche sich ein kleines Bad versteckte, in der sich nur das nötigste befand.
„Entschuldige, mir war zu kalt, um erst das Bad zu suchen", erklärte Mila leise und ließ sich kaum von Elon stören, sondern trocknete sich zu Ende ab und zog sich den Pullover über, ehe sie auch den BH unter dem Pullover hervorzog und erst einmal weglegte. Auch er war nass.
Zum Glück war der Pullover so lang, dass er fast als Kleid durchging und so zog sie auch ihren Rock aus, um die Hose anzuziehen. Alles, ohne sich wegzubewegen.
Elon rollte mit einer überdramatischen Drehung die Augen und hob eine kuschlige Wolldecke, von der Couch auf, um sie Mila entgegen zu werfen.
„Und du denkst wir sind Hinterwäldler", schnaubte Elon und nahm auf der Couch Platz, während er mit offensichtlichem Blick ihrer Erscheinung auswich.
„Das war lediglich ein Test, ob du mich anstarrst, oder nicht", meinte die Rothaarige mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Dass Elon sie nicht angestarrt hatte, sagte ihr mehr über seinen Charakter, als dieser dachte. Er war nicht so unzivilisiert, wie viele andere, die sie kannte. Selbst ihre alten Freunde hätten die Chance genutzt und gelinst.
„Natürlich", gab Elon mit sarkastischem Ton zurück, während er das Wort zusätzlich in die Länge zog. „Spar dir deine Verführungsversuche für Chris auf."
„Ich dachte, euch interessiert ein Frauenkörper überhaupt nicht", murmelte Mila und fragte sich wirklich, warum Chris unbedingt mit ihr ausgehen wollte. Das ergab für sie kaum Sinn.
Elon wirkte ehrlich irritiert, schüttelte jedoch den Kopf und ignorierte ihre Worte.
„Jedenfalls wäre ich dir dankbar, wenn du die nächsten Male deine Kleidung anbehältst", sprach er einfach weiter, ohne ihren Kommentar zu beachten.
Mila hob die Hand und lachte sehr leise. Ein ungewohntes Geräusch für Elon. „Du bist lustig", bemerkte sie leise und wirkte ruhiger als zuvor.
„Und du bist merkwürdig", erwiderte Elon mit monotoner Stimme leise, während er noch immer auf die geschlossene Holztür blickte, und wartete, dass Mila fertig wurde.
„So, fertig", meinte diese plötzlich und zupfte ein wenig den Pullover zurecht. Ihre Haare waren noch nass, weshalb sie den Zopf öffnete, damit sie besser trocknen konnte.
Erleichtert schloss Elon die Augen und blickte dann zurück zu Mila.
Er nahm sie ausgiebig in Augenschein, wie sie in Klamotten dastand, die er seit drei Jahren nicht mehr getragen hatte. Zumindest die Hose, welche sogar noch einige Flicken aufwies. Doch als er den Pulli so an ihr sah, erstarrte er für einen kurzen Moment und musterte sie lediglich stumm. Erst nach mehreren Sekunden räusperte er sich und zwang sich den Blick wieder abzuwenden.
„Ein neuer Haarschnitt und du kannst als Scout aus ‚Wer die Nachtigall stört ' durchgehen", scherzte Elon stattdessen und griff wieder nach seiner Tasse, um diese nervös in seinen Händen zu drehen.
„Nein, ich denke nicht, dass ich ihr ähnlichsehe", war die schlichte Reaktion, ehe Mila wieder auf den Tisch zu ging und dort noch einen Schluck Kakao nahm, um sich dann zurück auf den Teppich zusetzte. Dieser war zwar schon verschlissen, doch sie mochte es am Boden zu sitzen.
„Habt ihr sowas wie Humor in New York oder besteht da alles nur aus Dollarbeträgen und Markenklamotten?", fragte Elon sarkastisch und stellte sich unwissend. Wie schaffte diese Frau es nur immer wieder ihn zu provozieren?
„Markenklamotten und Dollarbeträge, fürchte ich", war ihre nüchterne Antwort, als ihre kleine Handtasche plötzlich ein leises Summen von sich gab. Schnell fischte die Rothaarige nach dem Handy, das es zum Glück überlebt hatte. Die Nummer, die sie anrief kannte sie. „Papa", grüßte sie strahlend und hörte die Stimme am anderen Ende. „Ja, mir geht es gut. Ein Schulkamerad hat mir geholfen", erklärte sie ihrem Vater, der besorgt zu sein schien. „Ja, ich bin im Trocknen und er hat mir Sachen von sich geliehen. Mir geht es gut, wirklich", versicherte sie noch einmal. „Es ist unser Nachbar", erklärte sie und ihr war anzusehen, wie erfreut sie über den Anruf war. Schließlich hielt sie kurz eine Hand vor das Telefon und drehte sich fragend zu Elon. „Mein Vater will uns abholen, wohin muss er fahren, damit wir nicht so weit durch den Schnee stapfen müssen?", wollte sie wissen, denn draußen hatte es nicht aufgehört zu schneien und es wurde immer mehr.
„Am besten fährt er zum See. Näher wird er ohne weiteres nicht an die Hütte kommen", erklärte Elon und legte sich längs auf die Couch, um die Arme hinter den nassen Haaren zu verschränken. „Wenn er überhaupt in den Wald kommt", murmelte er hinterher und überließ Mila sich selbst.
Mila erklärte ihrem Vater, wie dieser fahren konnte und legte dann mit einem: „Ich hab dich lieb", auf, ehe sie sich an Elon richtete: „Er wird in dreißig Minuten hier sein."