Während Mila noch beschäftigt war den letzten Feinschliff anzulegen, um ihr Haar zu richten, klopfte es an der Tür.
„Häschen, darf ich reinkommen", kam durch den Türrahmen, als sich die Tür nur einen Spalt weit öffnete. Die Stimme ihres Vaters wärmte ihr immer wieder aufs Neue das Herz.
„Natürlich, Papa", sagte sie und musste lächeln. Sie trug schon ihr Kleid für das Abendessen und somit würde ihr Vater nichts sehen, was er nicht sehen wollte. Und in ihrem Haaren fehlte auch nur noch die eine Spange, die ihr jedoch ein wenig Probleme machte.
Aber das war nicht das größte Problem, das sie hatte, denn ihr Hals kratzte etwas und sie wusste, dass es nur an dem Wetter liegen konnte.
Sie hoffte inständig, dass sie sich durch den plötzlichen Wetterwechsel nichts eingefangen hatte. Sie war schon immer anfällig für Erkältungen gewesen. Doch damals in New York hatte sie, durch ihre Hauslehrer, den Unterricht nachgeholt. Hier hatte sie ohnehin schon genügend nachzuholen, auch ohne dass sie im Unterricht fehlte.
„Wie gefällt es dir bisher?", fragte er und nahm mit gefalteten Händen auf Milas Himmelbett Platz.
„Es ist sehr entspannt. Die Schule ist recht einfach. Ich find es nur schade, dass ich nicht mehr schwimmen kann. Aber ansonsten scheinen die Leute hier sehr nett, auch wenn sie ein wenig ... eigenartig sind", versuchte sich Mila zu erklären und steckte die Haarspange fest, ehe sie eine Schublade ihres Schminktisches aufzog und eine Tablette herausholte, um sie zu nehmen. Gegen die Halsschmerzen, einfach um vorzubeugen.
„Eigenartig? Was meinst du damit?", fragte ihr Vater misstrauisch nach und beobachtete Milas Handgriffe besorgt, als er die Verpackung erkannte. Dennoch er sagte nichts... vorerst.
„Sie sind anders, als die Leute, mit denen ich es sonst zu tun hatte. Sie sind ... auf eine Art und Weise aufdringlicher und gleichzeitig freundlicher", erklärte sie und setzte sich zu ihrem Vater auf das Bett. „Ich scheine eine Rarität in ihrer Welt zu sein. Alle versuchen mich irgendwie abzufangen, um mit mir zu reden oder laden mich dazu ein, bei ihnen zu sitzen. Manchmal verstehe ich sie nicht ganz", erklärte sie nachdenklich.
Ihr Vater schmunzelte und konnte nicht anders als zu lachen.
„Du klingst wie deine Mutter", stellte er grinsend fest und zog Mila an seine Seite, damit sie ihren Kopf auf der Schulter ihres Vaters ablegen konnte. „Als ich so alt war wie du, war ich auch auf einer öffentlichen Schule", erklärte er, auch wenn Mila das nicht zum ersten Mal hörte.
„Ja, aber Mutter möchte das nicht", erklärte Mila das Offensichtliche. Es war ihr anzusehen, dass ihre Mutter lieber wollte, dass sie wieder auf eine Privatschule ging. So wie sie als Kind früher. Ihre Mutter kam aus reichem Hause, nicht wie ihr Vater, der sich selbst hochgearbeitet hatte. So gesehen war er sogar einflussreicher als seine Frau, auch wenn diese auf dieses gewisse Etwas achtete, das der Geldadel nun einmal besaß.
„Ich weiß Hase. Versuch trotzdem das Beste draus zu machen", versuchte ihr Vater sie aufzubauen und strich ihr aufmunternd über den Rücken. „Dein Freund ist unten, gehen wir lieber, bevor deine Mutter ihm an den Hals springt."
„Er ist ein Schulkamerad, nicht mein Freund", murmelte Mila, ehe sie sich erhob und nach dem Beutel griff, in dem sich Elons Sachen befanden. Er wollte sie immerhin zurückhaben. Was sie nicht ganz nachvollziehen konnte, da sie ihm sowieso nicht passten, aber sie wollte sie immerhin auch nicht. Auch wenn ihr der Pullover sehr gefallen hatte. Er war so schön bequem.
„Willst du die Sachen nicht waschen, bevor du ihm sie gibst? Immerhin hat er dich auf dem Regen geholt Mila", warf ihr Vater ein, da er ihr den Weg im Türrahmen versperrte. „Sie zu waschen wäre das mindeste."
Mila blickte ihn irritiert an. „Ich dachte das hätte Anna schon gemacht", meinte sie und runzelte dann nachdenklich die Stirn. „Zumindest hatte ich sie im Bad auf den Rand gelegt und sie lagen zusammengelegt in meinem Zimmer. Aber das wäre etwas schnell gegangen."
Ihr Vater legte den Kopf ein wenig schief, um Mila mit seinem väterlichen Blick zu mustern.
„Kann es sein, dass du die Sachen so schnell wie möglich zurückgeben willst, damit du nicht gezwungen bist mit ihm in Kontakt zu treten?", fragte ihr Vater geradezu vorwurfsvoll.
„Ich habe eher Angst, dass Mutter sie in den Müll wirft, wie das Essen, das er uns am ersten Tag hier vorbeigebracht hat", erklärte Mila leise und wandte den Blick ab, um ihren Vater nicht ansehen zu müssen.
Dieser seufzte und schien nicht wirklich böse auf Mila. Das war er nie und doch schmerzte es immer wieder aufs Neue ihren Vater unglücklich zu wissen. „Ja, das ist deine Mutter. Aber du weißt, dass sie ein guter Mensch ist", beharrte ihr Vater und nahm Mila den Beutel aus der Hand, um ihn an ihren Stuhl zu hängen. „Gib ihm die Sachen nach dem Essen, das hat noch Zeit", erklärte er, als er merkte wie es seine Tochter traf und legte einen Arm um ihre Schultern, um mit ihr nach unten zu laufen.
„Ja", gab sie leise ihre Zustimmung und ließ sich von ihm hinab und in den Speiseraum führen. Küche und Speisezimmer waren nur durch eine kleine Durchreiche getrennt, auf der sich bereits ein wenig Essen sammelte. Anna würde es ihnen gleich auf den Tisch stellen. Es schien heute ein kleines Festmahl zu geben. Immerhin war ihr Vater wieder zurückgekehrt. Mila konnte Fisch und Kaviar erkennen. Auch der leichte Geruch von Rotwein lag in der Luft, es musste also auch noch Fleisch geben. Sie liebte diese Vielfalt an Essen. Es gab zwar immer von allem kleine Portionen, aber so, dass jeder etwas davon abbekam und von allem probieren konnte. Etwas, was ihre Mutter wohl von dem Besuch aus Japan mitgebracht hatte. In ihren Stunden hatte Mila gelernt, dass es in Japan üblich war, sehr viele kleine Gerichte zu kochen, die alle mit Reis gegessen wurden. Oft ein Gericht mehr, als es Esser am Tisch gab.
Elon saß im Vorraum auf einem Sessel gegenüber ihrer Mutter. Diese stille Szenerie brachte Milas Herz dazu einen Schlag auszusetzen. Sie hoffte nur inständig, dass Elon ihr nichts Falsches erzählt hatte. Zum Beispiel die Sache, dass sie am See war... das durfte nicht passieren! Schon schlimm genug, dass er zum Essen mit ihren Eltern in einer Jeans und einem Shirt kam, dass aussah, als würde er es als Pyjama benutzen.
Mila gab sich die größte Mühe nicht den Mut zu verlieren. Dieses Essen konnte eigentlich nur in einem Chaos enden. Was hatte sich ihr Vater nur dabei gedacht? Gab es überhaupt einen Weg, wie das hier nicht eskalieren sollte?
Mila biss sich auf die Lippen, als ihre Mutter sich erhob und auf ihren Vater zuging. „Jonathan, was hast du dir dabei gedacht?", fragte sie leise, aber auch ein wenig überfordert. Scheinbar wusste sie mit Elon nichts anzufangen.
Der einzige Gedanke, der schlimmer war, als dass er ihr etwas über Mila erzählt hatte, war dass sie sich die ganze Zeit nur angeschwiegen hatten. Das war ein einziges Desaster.
„Ich hätte ja Blumen mitgebracht, aber die Einladung kam so kurzfristig und der einzige Ort an dem ich Blumen gesehen hab war ihr Vorgarten also...", setzte Elon entschuldigend an und erhob sich von seinem Sessel. Am liebsten hätte Mila ihm mit ihrem linken Haken zurück in die Polster geboxt. Er hatte es immerhin verdient!
Zu sagen er hätte ihnen Blumen aus dem Vorgarten gestohlen als Akt der Höflichkeit war einfach nur schwarzer Humor im Auge ihrer Mutter.
Und schwarzer Humor kam bei ihr nicht gut an. Im Gegensatz zu ihrem Vater. Dieser lachte amüsiert. „Das wäre meiner Frau sicher aufgefallen, also gut, dass du es dir anders überlegt hast."
Elon, der sich durch das Lachen des Vaters anerkannt fühlte grinste und nickte zustimmend. „Eltern lieben mich nun mal. Es ist wie mein sechster Sinn", erklärte er amüsiert und schien sich mit Jonathan bestens zu verstehen.
Mila, die lediglich zwischen Elon, ihrem Vater und ihrer Mutter hin und her blickte wurde dagegen immer angespannter.
Das eskalierte ja viel schneller, als sie erwartet hatte. Wie sollte sie denn so das Abendessen genießen können?
Dennoch begaben sie sich ins Esszimmer und nahmen am Esstisch Platz. Mila fühlte sich mit jeder Sekunde, die verging unwohler, obwohl sich Elon scheinbar recht gut mit ihrem Vater verstand. Die beiden unterhielten sich auch, aber auf eine Art und Weise, die bei Clarice wohl bald die Hutschnur platzen lassen würde.
Gerade als Elon und Jonathan in Gelächter vertieft waren, räusperte sich die Mutter dezent, aber doch mit Wirkung. Sowohl Elon, als auch Milas Vater verstummten langsam, als eine Weile lediglich das Geräusch von Geschirr auf Porzellan mit leiser klassischer Musik im Hintergrund zu hören war.
„Nun... Elon...", setzte Clarice mit gepresster Stimme an und spielte kurz an ihrem kleinen Ohrring rum, welcher in Weißgold gebettet war und das blassrote Haar zum Strahlen brachte. „... was machen Ihre Eltern beruflich?", fragte sie mit einem so künstlichen Lächeln, das selbst Zahnärzte neidisch machte, während sie einen Schluck Weißwein nahm.
Elon, der noch auf einem Stück Fisch kaute schluckte kurz und legte das Besteck nieder, um einen Schluck Wasser zu nehmen.
„Mein Vater ist Mechaniker. Rund ums Auto kann er im Grunde alles machen, was das Herz begehrt. Besonders die neueren Autos, die mit Strom laufen sind seine Spezialität, auch wenn sie sehr teuer sind", erklärte Elon ohne Umschweife und trank weiter.
„Und Ihre Mutter?", fragte Clarice, der anzusehen war, dass es ihr nicht gefiel ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen. Dennoch hoffte sie, dass wenigstens seine Mutter einen ansehnlicheren Beruf ausübte.
Mila schüttelte bei dieser Frage ganz leicht den Kopf, denn sie wusste, dass dieses Thema Elon nicht gefiel, doch ihre Mutter konnte es nicht sehen.
„Ähm... keine Ahnung", gab Elon schulterzuckend zurück und griff wieder zu seinem Besteck. „Ich hab sie seit 14 Jahren oder so nicht mehr gesehen", antwortete Elon ehrlich und stach mit der Gabel in den Fisch. Dabei war Milas geringste Sorge, dass er eine Steakgabel dafür verwendete.
Aber wahrscheinlich wusste er nicht einmal, dass es für den Fisch anderes Besteck gab. Das brachte sie zu der Frage, was die Leute hier überhaupt wussten. Trotzdem kam sie nicht umhin ihn zu bedauern. Er hatte seine Mutter seit 14 Jahren nicht mehr gesehen? Das war sehr traurig.
„Alleinerziehend?", fragte ihre Mutter nach und Mila bekam bereits von dem Ton in der Stimme ihrer Mutter eine unangenehme Gänsehaut. Sie konnte das Missfallen sogar auf ihrer Haut spüren. Elon nickte schulterzuckend und schien sich nicht viel daraus zu machen.
„Ja, es waren immer nur ich und mein Vater", stimmte Elon zu, als wäre nichts dabei. Clarice dagegen schwenkte ihr Weinglas als Zeichen, dass sie nachgeschenkt haben wollte.
„Ein alleinerziehender Mechaniker... natürlich", murmelte sie seufzend und wich Elons Blicken aus.
Mila überlegte krampfhaft, wie sie das Gespräch in eine andere Richtung lenken konnte, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Ihr fiel es generell unglaublich schwer etwas zu tun, was ihre Mutter ärgern würde. Dabei wollte sie jetzt gerne Elon irgendwie in Schutz nehmen. Es war nie leicht im Zentrum von Clarice Aufmerksamkeit zu stehen.
„Dein Vater muss stolz auf so einen netten, hilfsbereiten, jungen Mann sein, wie dich", erklärte plötzlich Jonathan und trank ebenfalls einen Schluck Wein.
Elon hob den Blick zu dem älteren Herrn und schien jetzt erst zu merken, dass er das Zentrum der Aufmerksamkeit war. „Ähm... ja wir verstehen uns ganz gut", erwiderte Elon kauend und Mila könnte schwören, dass Clarice linkes Augenlid vor Missfallen unkontrolliert zuckte. Ganz im Gegenteil zu Elon, welcher sich nun der Aufmerksamkeit bewusst war und unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutschte. „Hab ich was zu befürchten in diesem Kreuzverhör?", fragte er misstrauisch und musterte die Nadasdys, welche alle am Tisch saßen.
Jonathan lachte. „Nein, nein. Meine Frau ist nur sehr genau, wenn es um den Umgang unserer Tochter mit anderen Leuten geht", erklärte er, ohne dabei böse zu klingen. Es war einfach ein Fakt, der nicht verriet, wie er zu der Sache mit Elon und seiner Frau stand. Dieser war, zumindest wenn man sie besser kannte, deutlich anzusehen, dass sie Elon nicht mochte und seine Manieren grauenhaft fand. Und Mila fühlte sich am Tisch einfach nur unwohl. Sie brachte kaum etwas zu essen hinunter.
„Natürlich... das erklärt auch die Sache mit dem See", stimmte Elon zu, in der Hoffnung die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Und es funktionierte.
Milas Vater, Jonathan, runzelte irritiert die Stirn und blickte seine Tochter an. „Was heißt das?"
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Wie findet ihr die Stimmung dieses Kapitels?
Findet ihr Elon hat sich richtig verhalten oder nicht?
Wie findet ihr die Reaktion der Mutter und des Vaters?
Hätte eurer Meinung nach Mila eingreifen sollen?