Erst drei Tage später, erlaubte Clarice ihrer Tochter wieder zur Schule zu gehen, auch wenn sie es nur wiederwillig tat. Sie war der Meinung, dass diese Umgebung sie krank machte und hätte sie am liebsten zuhause gelassen. Doch die Sache mit dem Hauslehrer war noch immer nicht geregelt und solange das so war, konnte sie auch die Schule besuchen. Auch wenn sie den Stoff bereits kannte.
Mila freute sich darüber, war aber auch ein wenig nervös. Heute wollte sie mit Chris reden, um endlich Elons Auftrag zu erfüllen. Allerdings hatte sie davor ein wenig Angst. Wie würde so ein Date mit Chris wohl laufen?
Wieder in der Schule war alles wie gehabt. Einige starrten sie noch immer an, wenn sie vorbeilief, doch nicht so viele wie in der ersten Woche. Man gewöhnte sich an sie und sie sich an die Blicke.
Aber sie hatte sich auch an die Stimmung und die Leichtigkeit gewöhnt, mit der hier der Schulstoff vermittelt wurde. Es war entspannter und sie begann es zu mögen. Natürlich störte es sie immer noch, dass sie so den Wünschen ihrer Mutter nicht gerecht wurde, aber für sie war es viel schöner und angenehmer, als auf ihrer alten Schule, die sehr auf Leistung ausgelegt war.
Als Mila bereits den Klassenraum zur ersten Stunde betreten hatte, hatte Elon sie mit bösen Blicken durchlöchert. Noch dazu schien keine feste Sitzordnung zu existieren, weswegen sie immer woanders saßen. Das hieß es war wie russisches Roulette einen guten Platz zu bekommen.
Am Ende der Stunde waren Elon und Chris so schnell weg, dass Mila kaum gesehen hatte, wie sie den Raum verließen.
Wie sollte sie denn so die Möglichkeit haben Chris nach einem Date zu fragen? Verlangte Elon wirklich von ihr, dass sie ihm hinterherrannte? Dieser Blödmann!
Dennoch erhob sie sich und begab sich hinaus auf dem Schulhof zur Pause. Wenn sich die Möglichkeit ergab Chris abzufangen, würde sie diese nutzen, doch wenn nicht, dann würde sie noch warten. Das lief nicht weg.
Auch wenn sie noch immer ihre Vitamine nehmen musste, insbesondere Eisen diese Woche, war sie wieder bereit die frische Sommerluft zu genießen. Es war herrlich angenehm warm mit vereinzelten, seichten Böen. Merkwürdig, ein solches Wetter im Herbst zu haben, doch sie hatte immerhin auch keinen Schnee erwartet.
Sie erblickte Elon und Chris wieder an einem Tisch sitzend, wie Chris sein Essen auspackte und Elon die Hälfte reichte.
Mila fragte sich, ob sein Vater vielleicht nicht genug Geld für das Mittagessen hatte, weil sich Elon scheinbar etwas schnorren musste.
Ein wenig Gewissensbisse machten sich bei ihr breit und kurz überlegte sie, ob sie sich mit an den Tisch der beiden setzen sollte, doch da kam Mario ihr zuvor.
„Hey Mila", grüßte er sie und die Rothaarige drehte den Blick, ehe sie Mario anlächelte. „Setz dich doch mit zu uns", meinte dieser und deutete auf einen Tisch, wo bereits zwei junge Frauen und ein junger Mann Platz genommen hatten, die Mila insgeheim als Marios Anhängsel bezeichnete.
Sie waren stets in seiner Nähe anzutreffen. Die eine mit den knallrot gefärbten Haaren und die andere mit dem dunklen, kurzen Lockenkopf mehr, als der Junge, der nur seltener bei ihnen anzutreffen war. Doch auch bei ihnen stach Mario, mit seinen hellblonden Haaren und den hellen Augen, welche Mila nicht ganz einer Farbe zuordnen konnte, irgendwie heraus.
„Warum nicht", meinte sie, da es vielleicht an der Zeit war, sich noch ein paar andere Leute zu suchen, mit denen sie Zeit verbringen konnte. Vielleicht hatte ihre Mutter gegen diese weniger Einwände. Auch wenn Mila es kaum glaubte.
Für ihre Mutter war nie jemand gut genug für sie, nicht einmal die von ihrer alten Schule. Doch es gab auch Ausnahmen, von denen sie sich hatte einwickeln lassen.
Mila legte ihre Tasche neben dem anderen Jungen ab, um sich dazu zu setzen.
„Hallo, ich bin Janik", wurde sie von diesem begrüßt und er reichte ihr strahlend die Hand. Als Mila seine Hand nehmen wollte, zog er diese zurück und fuhr sich mit einem: „Zu langsam", durch sein hablanges, hellbraunes Haar. Eine der Frauen kicherte und Mila konnte ihn nur anstarren, ehe sie zu Mario blickte. Mit einem Ausdruck, der deutlich fragte, was das sollte.
Dieser schüttelte kurz den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Ignorier ihn einfach", meinte er, ehe er einen Müsliriegel nach Janik warf. „Benimm dich, hier ist eine Lady am Tisch", meinte Mario und warf ihm darauf noch einen eindringlichen Blick zu.
Mila seufzte. Hätte sie gewusst, dass einer so ein Idiot war, hätte sie sich nicht dazu entschieden hier zu sitzen.
„Hallo, ich bin Katja. Freu mich sehr." Mit diesen Worten beugte sich die Rothaarige über den Tisch und lächelte Mila breit an. Diese erwiderte zögerlich das Lächeln. „Möchtest du was von meinen Keksen? Die sind selbst gemacht", bot sie überschwänglich an.
„Ach, ich soll mich benehmen, aber Katja darf sie mit ihren Keksen vergiften?", fragte Janik und warf einen Müsliriegel zurück zu Mario, der diesem galant auswich, indem er den Kopf zur Seite legte.
„Hör auf Lügen zu erzählen! Meine Kekse sind köstlich oder Ellen?", fragte sie und blickte zu der Frau mit dem Lockenkopf, welche erst jetzt zum ersten Mal den Blick von ihrem Handy hob.
Desorientiert blickte sie sich um und blieb verblüfft bei Mila hängen, als hätte sie ihre Ankunft am Tisch verpasst. „Was ist los?", fragte diese und zog eine Grimasse.
„Janik behauptet meine Kekse wären schrecklich", beschwerte sich Katja, als wäre es das einzige wichtige Thema am Tisch.
Ellen seufzte hörbar und griff einen der Kekse, die auf einem Teller auf dem Tisch lagen. Dann schob sie ihn sich in den Mund. „Wenn sie die nicht wollen, bleibt mehr für uns", erklärte sie ohne darauf zu achten, dass sie vorher schluckte. Dann gab ihr Handy einen leisen Ton von sich und schon war sie wieder mit dem Gerät beschäftigt.
Mila musste schmunzeln. Mit diesen Leuten würde ihre Mutter sie sicher nicht gerne zusammen wissen, aber sie waren lustig.
„Du warst die letzten Tage krank, geht es dir denn inzwischen besser?", fragte Mario und nahm sich ebenfalls einen Keks.
„Ja, ich denke schon. Das Gewitter und der plötzliche Schnee haben mich ganz schön überrascht und mir zugesetzt", erklärte sie und holte ihr Essen hervor. Als sie das Sushi auf den Tisch stellte und sogar Stäbchen hervorzog, erhielt sie einen doch recht überraschen Blick von Katja.
„Ja, das Wetter ist für Neue in der Stadt noch recht ungewohnt. War bei jedem so, der neu herzieht", erklärte Mario.
„Tja bedank dich bei-", weiter kam Janik nicht, denn er erhielt einen so festen Schlag auf den Oberarm von Ellen, dass ihm die Luft wegblieb.
„Idiot", nuschelte sie und blickte wieder auf ihr Handy.
„Na ja, jedenfalls ist das Wetter hier noch ein Punkt, der meine Mutter dazu bewegt, dass wir hier schleunigst wieder wegziehen", erklärte Mila seufzend und nahm ein Stück Sushi auf das Stäbchen. „Ich bin sehr wetteranfällig und vertrage das leider überhaupt nicht", fügte sie hinzu, ehe sie das Stück Sushi verspeiste.
„Verstehe", machte Janik und verzog ein wenig das Gesicht, als Mila aß, worauf er noch einen Schlag seitens Ellen bekam, diesmal sogar ohne vom Handy aufzublicken.
„Möchtet ihr probieren?", wollte Mila wissen und stellte das Sushi auf den Tisch, damit sich jeder bei Bedarf ein Stück nehmen konnte.
„Ähm... nein danke. Ich mag mein Essen eigentlich lieber gegrillt... und mit einem Steak", erklärte Janik und wich auch diesmal noch rechtzeitig dem Schlag von Ellen aus, auf den er diesmal wohl vorbereitet war.
„Muss ja nicht jeder mögen", meinte Mila gut gelaunt und zog ihr Sushi wieder zu sich, um weiter zu essen. Die Pause war immerhin auch bald vorbei.
Dabei glitt ihr Blick wieder zu Chris und Elon. Wann sie den Jungen wohl erwischen würde? Wahrscheinlich nicht demnächst.
„Jedenfalls...", lenkte Mario großzügig vom Thema ab und blickte Mila an. „Da du letztes Wochenende diesen Ball hattest, dachte ich, ich lade dich auf meine Party morgen ein", bot er plötzlich an und blickte Mila mit einem breiten Lächeln an.
„Party?", fragte Mila überrascht und überlegte, ob ihre Mutter ihr erlauben würde, hinzugehen. Aber soweit sie sich erinnern konnte, war sie gar nicht zuhause, weil sie über das Wochenende einige Termine außerhalb hatte. „Was für eine Party?"
Mario lächelte charmant und lehnte sich ein kleines Stück über den Tisch, auf Mila zu.
„Ich schmeiße ab und an gerne mal eine kleine Feier nach Motto. Du bist gerne eingeladen", erklärte er und Mila musste gestehen, dass er eine außerordentlich ästhetische Stimme hatte. Eine Stimme, die sich anfühlte wie Salbe für die Ohren.
„Du musst auf eine von Marios Partys gewesen sein, bevor du gehst. Er ist berühmt dafür", zwinkerte Janik grinsend und schien gespannt auf Milas Antwort.
„Und was ist dieses Mal das Motto?", fragte sie und schlug die Augen auf, um ein wenig mit ihm zu flirten. Einfach, um es einmal zu versuchen, denn sie wollte wissen, wie sie auf andere wirkte. Das war gut zu wissen, wenn sie Chris zu einem Date einladen wollte. „Ich habe das Wochenende vielleicht Zeit."
Marios Lächeln wandelte sich zu einem Grinsen, während er den Kopf minimal schief legte.
„Carneval, wenn auch nicht im ganz so großen Stil", erklärte er und verengte die undefinierbaren Augen, die Mila nicht so recht zu entschlüsseln wusste.
„Ich denke, dafür habe ich passende Sachen da", erklärte sie und lächelte. „Wo muss ich hin?", wollte sie wissen und Mario schrieb ihr die Adresse auf ein Stück seines Schulblockes.
„Ich freue mich dich anzutreffen", lächelte Mario, was seinen Augen einen ganz besonderen Glanz verlieh. Kurz darauf läutete auch schon die Schulglocke, welche das Pausenende verkündete.