Am liebsten hätte sie ihm dieselbe Frage gestellt. Denn auch in ihrem Kopf tummelten sich haufenweise Fragen, auf die sie eine Antwort suchte.
Als sie im Kerker gesessen hatte, so vollkommen ohne Licht und Natur, hatte sie geglaubt ewig dort unten verrotten zu müssen. Womöglich hätte er sie auch für schuldig befunden und sie hinrichten lassen. Doch er war hier und hatte sie aus der Dunkelheit ins Licht gezogen. Sie hatte seinen Geruch vernommen, doch gedacht es wäre bloß eine Einbildung. Ihr Verstand hatte ihr in den letzten Tagen oft Streiche gespielt.
Böse Streiche, die man ausgenutzt hatte. Man hatte ihr Schläge angedroht, wenn sie nicht gestand und ihr gleichzeitig weitere angedroht, wenn sie log.
Man hatte ihr erzählt was vorgefallen war und manchmal war sie soweit, dass sie sich ebenfalls die Schuld gab. Dass sie glaubte, Kadens Mutter war wegen ihr gestorben. Doch sie wusste, dass sie nicht das Gift ins Essen getan hatte.
Doch womöglich war es auch eine neue Fähigkeit, die sie entwickelt hatte... es war pflanzliches Gift gewesen, doch das musste noch nichts heißen. Sie wäre doch nicht selbst infiziert worden, wenn sie der Auslöser wäre.
„Ich werde dir etwas holen lassen", flüsterte er, ohne die Hand von ihrem Gesicht zu nehmen und hauchte ihr einen Kuss an die Schläfe.
Er würde sie auf keinen Fall alleine lassen, egal für wie lange oder für was. Eher würde er sie mitnehmen, als dass zuließ, dass ihr nochmal etwas Derartiges geschah!
Sezuna genoss den Kuss und hatte gleichzeitig Angst, dass sie vielleicht doch eine neue Gabe besaß und sie das Gift so an Kaden weiter gab. Sie wollte ihm nicht wehtun!
Langsam stand er auf und bewegte sich widerwillig zur Tür, um einen der Eunuchen zu sich zu rufen und ihm besagte Pflanze bringen zu lassen. Vorzugsweise jede, die sie fanden, falls es doch die Falsche war.
Mit einem Seufzen, welches irgendwie beruhigend sein sollte drehte er sich zurück zu Sezuna und musterte sie eingehend.
„Wann hast du zuletzt getrunken?", fragte er besorgt und nahm ihre Augen genauer ins Visier.
Sie waren von einem weißen Schleier bedeckt, der wohl mit dem Gift zusammenhing. Zumindest war ihm nicht bekannt, dass Mangelernährung so etwas auslöste.
„Ist noch Winter?", war die verstörende Antwort, die Kaden erhielt, nachdem Sezuna lange darüber nachgedacht hatte.
Ohne großartig zu zögern stieß er sich von der Tür ab, um ihr eine kleine Flasche rauszusuchen. Vorsichtig half er ihr, sich aufzusetzen und legte die Flasche an ihre Lippen.
„Trink. Ich werde dir etwas zu Essen bringen lassen."
Sezuna trank ohne Murren die gesamte Flasche leer, was zeigte, wie viel Durst sie hatte. Denn normalerweise begnügte sie sich mit recht wenig.
Und es half ein bisschen. Zumindest wirkte ihre Haut nicht mehr wie durchsichtiges Papier.
Ein wenig erleichtert schloss Kaden die Augen und lächelte schwach.
„Tut mir leid, dass ich so lange weg war", begann er leise, während er die Flasche in seiner Hand drehte und musterte. „Ich hätte hier bleiben sollen"
„Du hattest Verpflichtungen. Niemand dachte, dass so etwas passieren würde", murmelte Sezuna leise und tastete mit der Hand, bis sie Kadens Wärme fand. Als würde sie sich vergewissern wollen, dass er wirklich da war.
„Das entschuldigt nicht, dass du jetzt verletzt bist", presste er wütend hervor, jedoch eher aus Wut auf sich selbst, als auf Sezuna. An seine Mutter wollte er erstmal lieber nicht denken.
„Ich glaube es war die Suppe", presste Sezuna mühsam hervor. Es fiel ihr etwas leichter zu reden, doch es war nicht angenehm. Aber Kadens Gegenwart stärkte sie.
„Du wirst schon wieder. Keine Sorge, ich werde dich nicht so einfach gehen lassen", flüsterte er ihr möglichst beruhigend zu und streichelte ihr wieder über das Haar.
Er hatte sie so vermisst und kaum eine Minute gehabt, in der er nicht an sie denken musste.
In den letzten Kilometern war es ihre Brosche und die Euphorie, die ihn angetrieben hatte, schneller zu reiten. Doch das hatte er nicht erwartet.
Ein leises, fast zögerliches Klopfen riss Kadens Aufmerksamkeit auf sich und er erhob sich, um zur Tür zu gehen. Solange Sezuna so angeschlagen war, würde er niemanden einlassen.
Vor ihm stand einer der Eunuchen. Er hielt eine Pflanze mit roten Blättern in der Hand. „Diese stand bei der Lady, als man sie fand. Ich hatte Angst Sergej würde sie verschwinden lassen."
Resigniert zuckten Kadens Finger, als er nach der Pflanze griff. Mit einem Nicken nahm er sie stumm entgegen.
„Bringt das heutige Abendmahl in meine Gemächer", befahl er.
Der Mann nickte und Kaden schloss die Tür. Hoffentlich war das die richtige Blume.
Er trat mit der Pflanze auf Sezuna zu und hob sanft ihre Hand. „Hier", murmelte er und Sezuna Finger berührten die Blätter. Dann wuchs die Pflanze um ihre Hand herum und Blätter wuchsen aus dem Strang. Diese blieben nicht rot, sondern wurden braun und fielen ab. Sezuna seufzte und entspannte sich etwas.
Erleichtert schloss sie die Augen und ließ sich in die Kissen sinken, während Kaden sie fasziniert beobachtete. Diese Frau war wirklich einzigartig. Das Gift musste sich in den Strang gesaugt haben und verließ so ihren Körper, damit sie sich regenerieren konnte.
Blinzelnd schlug Sezuna wieder die Augen auf und blickte an die Decke. Kaden konnte tatsächlich wieder den goldenen Schimmer in ihren Pupillen erkennen, jedoch nicht mit einem so intensiven Leuchten, wie er es von ihr inzwischen gewohnt war.
Dann richtete sie ihren Blick auf Kaden und musterte diesen, ehe sie lächelte. Ja richtig strahlte. „Du bist wirklich wieder da und unverletzt."
Mit einem erleichterten Keuchen lächelte er ungläubig und lehnte sich ein Stück weiter zu ihr runter, um sie in eine feste Umarmung zuziehen, als könnte sie ihm jede Sekunde wieder entrissen werden.
Sezuna schmiegte sich an ihn und schluchzte leise. „Als es hieß du bist verschwunden, habe ich das Gefühl gehabt mein Herz bricht", flüsterte sie heißer.
„Es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast", flüsterte er zurück und streichelte ihr mit regelmäßigen Berührungen sanft über den Rücken. „Ich werde nicht zulassen, dass dir nochmal etwas passiert."
Sezuna nickte schwach. „Glaubst du wir finden heraus wer das war?", fragte sie leise. Sie wollte unbedingt wissen wer schuld an dem Tod ihrer einzigen Freundin hier war.
Kaden schloss ein ergeben die Augen, als ihm erneut die Gedanken über seine Mutter in den Kopf schossen. Er fühlte sich sogar schuldig dafür, dass er zuerst zu Sezuna wollte anstatt zu seiner Mutter. Die Frau die ihm das Leben geschenkt hat und ihm all das hier in gewisser Weise vermacht hatte.
Nein. Jetzt war nicht die richtige Zeit, um sich in Melancholie zu suhlen. Sezuna brauchte ihn und er musste für sie da sein!
„Das werde ich, keine Angst. Doch du solltest dich erstmal ausruhen, du brauchst viel Erholung. Ich werde dich aufwecken sobald das Essen da ist", erklärte er leise und zwang sich die Umarmung ein wenig zu lockern und ihr Gesicht in seine Hände zu nehmen. Zärtlich strich er mit dem Daumen über ihre weiche Wange und legte seine Stirn an die ihre, um sanft ihre Nasenspitze mit seiner an zu stupsen.
Es verging nicht viel Zeit, als Sezuna auch schon seiner Bitte nachkam und sich dem Schlaf hingab. Sie war so unendlich müde, doch ihr Körper sehnte sich unnatürlich stark nach Kadens Anwesenheit. Sie war froh, dass er keine Sekunde von ihrer Seite wich. Auch wenn sie sich Schuldgefühle machte, dass er ihretwegen seine Pflichten vernachlässigte.
Es war zwar egoistisch, doch sie genoss einfach die Nähe, die er ihr bot.
Tief atmete Sezuna durch, als sie zum ersten Mal seit langem Kadens frischen herben Duft einatmete, als sie erwachte. Seine Wärme hielt sie fest und ihr Körper fühlte sich so entspannt an, wie schon lange nicht mehr.
Murmelnd rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und blinzelte hoch zum Highlord an dessen Seite sie lag. Überrascht stellte sie fest, dass er wohl nicht geschlafen hatte, denn seine Augen blickten starr gegen die Decke und auch sein Atem ging regelmäßig wie es bei einem wachen Vampir der Fall war.
„Danke, dass du mich gehalten hast", begrüßte sie ihn und Kaden blickte zu ihr. Sie hatte die unnatürliche Blässe fast vollständig verloren und auch ihre Augen hatten wieder einen leichten Glanz, was Kaden beruhigte.
Ein warmes Lächeln breitete sich, bei dem Anblick der Rothaarigen, den er so lange missen musste, auf seinen Lippen aus. „Wie fühlst du dich?", fragte er leise und strich ihr die zerzausten Strähnen aus dem Gesicht. Jedoch eher, um sie berühren zu können, als mit der simplen Absicht ihr Gesicht von Störenfrieden zu befreien.
„Besser", sagte sie und streckte sich ein wenig, allerdings immer noch ungelenkig und Kaden besah sich ihre recht abgemagerten Arme. Dabei bemerkte er noch etwas und griff nach ihrem Arm, ehe er diesen sehr skeptisch musterte. „Das kommt aber nicht von der Pflanze", bemerkte er nicht sehr erfreut, als er die roten Striemen betrachtete, die ihre Arme zierten.
Sezuna senkte ein wenig betrübt den Blick. Sollte sie ihm von der Peitsche erzählen? Wohl besser nicht.
„Sezuna", presste er ungeduldig hervor und wartete auf eine Antwort, als er wieder von Kaden zum Highlord wurde. „Woher kommen die?", wiederholte er seine Aufforderung in anderer Form und fuhr mit den Fingern über die Wunden.
Statt etwas zu sagen, drehte sich Sezuna nur ein Stück und Kaden konnte ihren Rücken erkennen. Das Kleid, was sie getragen hatte war zerfetzt gewesen und Kaden hatte es ihr ausgezogen und sie erst einmal unter die Decke gesteckt, damit sie sich etwas aufwärmen konnte. Doch jetzt erkannte er, dass es noch andere Probleme gab. Ihr gesamter Rücken war von offenen Wunden und Dreck geziert. Fast so stark verkrustete von Blut, Schorf und Dreck, dass man kaum sagen konnte, wie schlimm es wirklich war.
Kadens Atem stockte und seine Augen weiteten sich. Am liebsten wäre er sogleich aufgesprungen und hätte denjenigen, der ihr das angetan hat zur Rechenschaft gezogen. Doch er war wie erstarrt.
„Wer hat dir das angetan?", fragte er zwar leise, doch mit einer bedrohlichen Stimme.
„Ein Mann." War alle Information, die sie ihm mitteilen konnte. „Jemand, der wollte dass ich gestand, damit man mich offiziell dafür hinrichten kann, was ich getan habe. Scheinbar hat er es nicht ohne Geständnis fertig gebracht mich hinrichten zu lassen", sagte sie leise. „Er hat es mir oft genug vorgebetet."
Auch wenn Kadens Wut unermesslich schien, so konnte er doch nicht anders, als den zitternden Unterton ihrer Stimme zu vernehmen. Seine Gesichtszüge entspannten sich, als er mitleidig ihren Hinterkopf musterte.
Nach einem tiefen Atemzug rutschte er ein wenig näher zu ihr, um ihren Rücken vorsichtig an seine Brust zuziehen und sie so im Arm zu halten.
„Ich werde ihn finden", versprach er, wobei es mehr wie ein Fakt klang.
Sezuna nickte schwach und unterdrückte den schmerzhaften Laut, denn so gern sie Kaden in ihrem Rücken hatte, dieser tat verdammt weh!
Schließlich schob Kaden sie ein Stück von sich und erhob sich aus dem Bett. Sezuna bekam Panik, dass er sie alleine ließ, doch Kaden trat auf sie zu. „Kannst du ins Bad laufen?", fragte er. Er würde ihre Wunden säubern müssen.
„Ich... denke schon", murmelte Sezuna und schob ihr Bein aus dem Bett. Es fiel ihr schwerer, als erwartet und ihre Beine trugen sie noch nicht richtig.