„Nägel, eine Röhre und ganz viele kleine Körner“, murmele ich vor mich hin, damit ich nichts von meiner Liste vergesse. Wo ich die drei Zutaten finden soll, weiß ich noch nicht so genau, doch ich bin fest entschlossen, die gesamte Stadt abzusuchen, bis ich fündig geworden bin.
Tatsächlich erweist sich der erste Teil der Suche als sehr einfach, denn in einer müllverseuchten Seitengasse finde ich ein geriffeltes, langes Rohr, das mir für mein Vorhaben perfekt erscheint. Ich verstecke es hinter einer Mülltonne und folge meiner Nase, die mich zielstrebig zu einem Menschenhaus führt, aus dem es nach rohem Fisch riecht.
Ich untersuche die Seitengasse auch hier mit professioneller Neugier nach vergessenen Fischen und werde erstaunlicherweise fündig, denn mir fallen einige harte, weiße Körner auf, die hier herumliegen und offenbar ausgeschüttet wurden. Ich muss nicht lange suchen, bis ich einen ganzen Beutel von dem Zeug finde. Triumphierend grinsend nehme ich auch diesen auf und trage ihn in mein Versteck.
Na ja, Hunger habe ich immer noch.
Mit schwindender Zuversicht mache ich mich auf die Suche nach Futter und den Nägeln, die für mein Vorhaben noch fehlen. Ein paar Nägel staube ich auf einer Baustelle ab, doch sie werden nicht reichen. Hungrig lenke ich meine Schritte zu den Weinfeldern am Stadtrand. Ob ich wohl ein köstliches Kaninchen finden werde? Mit läuft schon bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammen.
Dann allerdings durchbricht lautes Klopfen meine Gedanken. Ich halte inne und lausche. Der Lärm kommt aus dem Bereich der Olivenhaine. Ob ich nachsehen sollte?
Mit einem leisen Seufzen gebe ich meiner Neugier nach und folge den Geräuschen durch den lichten Wald. Mein Magen knurrt unwillig – Beute werde ich hier wohl nicht mehr finden, bei dem Lärm!
Dann allerdings steigt mir auch noch der verführerische Geruch nach Gebäck in die Nase und meine Pfoten werden ganz von selbst schneller. Wer immer da hämmert, er oder sie hat auch ein paar leckere Zimtschnecken aus dem Ofen geholt.
Ich brauche derartig motiviert nicht sehr lange, um eine kleine Hütte verborgen im Hain zu erreichen.
„Greox, reich mir mal bitte die Dachpfanne da!“
Ich erstarre. Das ist doch die Stimme meines guten, alten, ziegenköpfigen Freundes! Zwei Schritte weiter und ich luge um einen Busch, nur, um zu sehen, wie der Ziegenköpfige auf einer Leiter steht und Dachpfannen an das Dach einer kleinen, gemütlichen Hütte nagelt.
Ganz genau, nagelt! Und auf dem Fenster direkt vor der Leiter steht ein Teller mit Zimtschnecken zum Abkühlen! Mir läuft auf der Stelle das Wasser im Maul zusammen.
Ein weiterer Faun, diesmal mit menschlichem Kopf, kommt aus der Hütte und reicht dem Arbeitenden die gewünschte Dachpfanne an. „Bitte sehr. Aber eigentlich bin ich mit Xox angeln.“
„Schon gut, Bruder, ich rufe nicht noch einmal“, sagt der Ziegenköpfige seufzend und Greox geht wieder.
Auf lautlosen Pfoten schleiche ich vorwärts. Die Nägel befinden sich praktischerweise in einem Eimer an der Leiter, es braucht nur einen beherzten Sprung und ich umfasse den Griff mit den Zähnen.
„Was zur Unterwelt?!“, schreit der Faun, als die Leiter plötzlich von einem grauen Wolf getroffen wird und ins Schwanken gerät. Besagter Wolf läuft allerdings direkt weiter, schnappt sich zwei Zimtschnecken und prescht bereits wieder in den Wald, noch bevor die Leiter auf dem Boden aufschlägt, und lange bevor Greox und sein Sohn Xox um das Haus herumgerannt sind, um zu erfahren, was der Lärm zu bedeuten hat.
Ich schmatze im Rennen genüsslich, wenn auch der Griff des Nageleimers zugegebenermaßen etwas beim Kauen stört.
Zufrieden mit meiner Leistung bringe ich meine Beute (abgesehen von den Zimtschnecken, die haben sich nicht halten können) zur Wikiobiblika. Die guckt erstaunt, als ich in dem Gebäude aufkreuze.
„Schon zurück?“
„Ja, war ganz einfach!“ Ich lade den Eimer Nägel, das Rohr und die Packung Reis ab.
„Das schon“, meint die Wikiothek. „Aber nach dem, was du mir über deine bisherigen Abenteuer erzählt hattest, hätte ich damit gerechnet, dass du vorher noch stundenlanges Sidequesting betreibst!“
„Um der Sterne Willen!“, rufe ich aus. „Ich habe nur noch diesen Tag, um es regnen zu lassen, heute Abend breche ich doch auf!“
„Schon gut, schon gut!“ Die Wikiothek winkt ab. „Lass uns den Regenmacher basteln!“
Meine alte Freundin verschließt ein Ende des Rohrs mit Klarsichtfolie und einem Gummiband, dann hämmert sie die Nägel in sehr engem Abstand in das Rohr, sodass im Inneren eine spiralförmige Treppe entsteht, die ein ein Zentimeter großes Wesen entlanggehen könnte. Die Abstände zwischen den „Stufen“ – also Nägeln – sind dabei kleiner als die Reiskörner dick sind. Die Körner werden schließlich in das Rohr gefüllt und verursachen das charakteristische Regengeräusch, wenn sie über die Nageltreppe rutschen. Dann wird auch das andere Ende des Rohrs verschlossen, und fertig!
Stolz betrachte ich das Werk, das die Wikiobiblika geschaffen hat. „Toll!“
„Du sagtest, du hast keine Zeit zu verlieren, richtig?“
Ich denke an die arme, ausgehungerte Katze in der Fluchgasse und nicke.
Die Wikiothek dreht das Rohr um und das laute Rauschen eines herbstlichen Platzregens füllt die weiße Halle. Ich lege die Ohren an, denn das Geräusch ist wirklich laut. Und es will überhaupt nicht enden – bis alle Reiskörner zum Stillstand gekommen sind, dauert es ganze zweieinhalb Minuten!
Schließlich fallen die Körner aber nur noch vereinzelt, und der Platzregen kommt zum Erliegen, stottert und verstummt.
Dröhnende Stille breitet sich aus, bis ein Donnerschlag das Glas der Decke klirren lässt. Ich hebe den Blick und kann eindrucksvoll beobachten, wie sich sturmgraue Wolken am Himmel zusammenziehen. Schlagartig wird die Sonne am eigentlich blauen Himmel von gefräßigen, schwarzen Regenwolken verschluckt. Blitze zucken und ein weiterer Donner erklingt, der ein kleines bisschen wie das erleichterte Seufzen klingt, wenn man nach stundenlangem Einhalten endlich die Blase entleeren kann.
Der Regen folgt auf einen Schlag, als würde ein ganzes Meer aus dem Himmel stürzen. Ich kann den Schatten der Wassermassen sehen, die aus den Wolken stürzen. Als hätte jemand einen Lichtschalter umgelegt, ist es mit einem Mal dunkel, dann prasselt der Regen ohrenbetäubend laut auf die Kuppel der Halle und im nächsten Moment fließen Bäche über das Glas, als würden wir uns nicht länger an der Luft sondern wie Atlantis auf dem Meeresgrund befinden.
„Huch, das ist ein unerwartet starker Regenmacher“, sagt die Wikiobiblika. Ich blinzele und schlucke. Ein Baum trudelt, vom Sturm mitgerissen, über der Halle dahin. Ich schlucke, als ich draußen wildes Heulen und Gelächter höre: „Freeeeiii! Ich bin freeeeiiiii!“
„Das klang verdächtig nach der Katze, die ich gesehen habe.“
„Bist du dir ganz sicher, dass das eine normale Katze war?“, fragt die Wikiothek, während wir ein Hochhaus betrachten, das sich im heftigen Wind beugt.
„Ich finde, die Frage kommt jetzt ein bisschen zu spät!“, entgegne ich patzig. „Du hättest auch mal vorher daran denken können!“
„Ich hatte deinem Urteil vertraut!“, knurrt die Wikiothek mit Blick in den Himmel, der sich gibt, als wolle er die nächste Sintflut einleiten. „Hoffen wir, dass das hier in ein paar Tagen überstanden ist, und nicht wieder vierzig Nächte dauert.“