Ich hasse Paketboten. Ja, wirklich. Ich hasse sie. Mein Freund würde mich hier am liebsten Korrigieren. „Hass ist ein viel zu großes Wort dafür“, würde er sagen. Er hat recht. Aber zu sagen: Ich hasse Paketboten ist einfacher, als zu sagen: Ich kann Paketboten nicht besonders gut leiden. Außerdem wäre diese Aussage eine deutliche Untertreibung. Ich hasse sie wirklich. Aber sie haben auch etwas gutes an sich. Neben all dem was mich an ihnen stört. Ich komme später zu diesen Dingen. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Sie haben auch etwas gutes. Man lernt seine Nachbarn kennen.
Ich bin sonst nämlich wirklich nicht der Typ, der sich für seine Nachbarn interessiert. Ich bin eben kein Herr Krause, der sich ein Kissen auf sein Fensterbrett legt, um sich beim Glotzen besser mit den Ellenbogen abstützen zu können. Und ich bin keine Frau Meier, welche immer penibel darauf achtet, dass die Haustür abends angeschlossen wird und das Treppenhaus immer sauber ist. Ich bin einfach nur Cosimo. Der freundliche Nachbar, der immer alle Pakete annimmt. Schuld eigen, würde meine Mutter sagen. „Du bist ja auch immer zu hause.“ Und irgendwie hat sie ja recht damit. Ich bin immer zuhause und das wissen die Paketboten mittlerweile auch. Ich muss zum Arbeiten halt nicht vor die Tür und das kommt mir sehr gelegen. Keine nervigen Kollegen und keine seltsamen Begegnungen im Treppenhaus mit Frau Müller, die einem sofort neugierig über die Schulter sieht, wenn man den Briefkasten lehrt. Naja, ab und an eben doch, weil ich ja immerhin ab und an mal einkaufen muss und die Versanddienstleister verhältnismäßig teuer finde. Ich bin jedenfalls selbst schuld an der Sache mit den Paketboten. Außerdem wohne ich im Erdgeschoss und es scheinen immer nur Leute etwas zu bestellen, die ganz oben wohnen. Da hat der Paketbote natürlich keine Lust hoch zu latschen. Also wird lieber gleich bei mir geklingelt. Die denken sich: „Der ist ja eh da. Die da oben nicht. Und ich hab auch keine Lust auf Treppensteigen.“ Faules Pack. Denken die, ich höre nicht, dass die nur bei mir klingeln?
Letztens erst, da klingelte wieder einmal so ein Paketbote. Selbstverständlich direkt bei mir. Warum auch nicht. Ich öffnete die Tür und der ausländische Paketmann fragte: „Können annehmen für oben?“ Ich antwortete etwas genervt, da ich von ihm beim Tippen gestört worden war: „Haben sie oben überhaupt geklingelt?“, und er antwortete erbost: „Immer ich klingeln! Ich nicht so einer der nicht tun.“ Ich hatte den Mann wohl auf dem falschen Fuß erwischt, also sagte ich: „Das glaub ich Ihnen ja. Ich wollte Ihnen nicht auf die Füße treten.“ Raten sie was er antwortete. Na los, raten sie schon! Sie kommen schon drauf. Richtig. Er erwiderte doch tatsächlich: „Nein, nein! Keine Füße.“ Ich musste mir wirklich das Lachen verkneifen. Zumindest erklärte das, warum die Paketboten nie oben bei meinen Nachbar klingelten, obwohl diese offensichtlich zuhause waren. Ich nahm ihm das Päckchen ab, unterschrieb und wünschte dem eher unfreundlichen Mann noch einen angenehmen Tag. Wenn ich mit Menschen umgehen musste, dann wollte ich wenigstens freundlich sein.
Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass der Umgang mit ihnen sehr viel leichter damit wird. Zumindest meistens. Trotzdem konnte ich mit Menschen nicht viel anfangen. Sie stressten mich schon mit ihrer bloßen Existenz. Ich konnte mit ihnen umgehen, ja, aber ich fühlte mich durch sie gestresst und gelegentlich auch bedroht, obwohl sie nur fies guckten. Dass das nicht normal ist, ist mir ja klar, doch so war es halt schon immer.
Glücklicher weise begegnete ich in meinem Alltag nicht sehr vielen Leuten. Das war der Vorteil, wenn man von zuhause aus arbeiten konnte. Was mein Beruf ist, fragt ihr euch jetzt sicherlich. Nun ja, ich bin Autor von Fantasyromanen. Nicht, dass das jemals ein großer Wunsch von mir gewesen wäre vom Schreiben zu leben, aber es hat sich halt so ergeben und das sehr früh. Ich war 18 als ich mich spontan und ohne großes Grübeln bei einem Verlag bewarb und prompt angenommen wurde. Nach meiner Ausbildung zum Buchhändler musste ich mir dann nicht mal einen Job suchen, da die Einnahmen meiner Bücher ausreichten um davon zu leben. Gerade so allerdings. Miete, Strom, Lebenshaltungskosten, all das war drin. Mehr aber nicht. Ab und an mal ein Buch, das konnte ich mir leisten. Und das brauchte ich auch. Für mein Seelenheil. Mehr war aber absolut nicht drin und so lernte ich ein Sparfuchs zu sein.
Der Paketbote brachte also keine Pakete für mich, sondern nur für meine Nachbarn. Ich selbst bestellte nämlich bis heute nicht über das Internet, oder den Katalog. Damals noch, um Versandkosten zu sparen, heute nur noch aus Gewohnheit. Ja, ich bin ein absolutes Gewohnheitstier. Ich habe mich schon immer schwer damit getan neue Dinge auszuprobieren. An diesem Tag nahm ich also wieder einmal ein Paket für einen Nachbarn an. Als ich auf den Namen auf dem Päckchen schaute fiel mir auf, dass es sich um den neuen Mieter handelte. Ich hatte noch nicht viel von ihm zu Gesicht bekommen.
Bei seinem Einzug, der besonders Lautstark von statten ging, hatte ich durch den Türspion einen Blick auf den jungen Mann erhaschen können. Er hatte rotblondes Haar, welches er wild in alle Richtungen gestylt hatte und trug zerschlissene Jeans. Natürlich durften bei diesem Look die guten alten Chucks nicht fehlen. Seine
Vergangenheit war ihm wohl noch nicht ganz vergangen. Die Überbleibsel aus alten Punkzeiten waren noch zu erahnen. Es lebe die Freiheit, oder so. Ich hatte keine Ahnung von diesem seltsamen Lebensstil. Einmal Punk, immer Punk, hieß es doch. Anfangs hatte ich noch die Hoffnung gehabt, mein neuer Nachbar nahm sich diesen Spruch nicht zu sehr zu Herzen, doch diese Hoffnung war spätestens dann verflogen, als laute Musik durchs ganze Haus schallte.
Nun würde ich diesen Typen wohl persönlich zu Gesicht bekommen. Paketbote sei Dank. Ich weiß schon, warum ich keine Paketboten mag. Am Abend klingelte es dann an der Tür. Ich hatte gerade frisch geduscht und öffnete daher nur mit einem Handtuch bekleidet und mit nassem Haar die Wohnungstür. Längst hatte ich das Paket vergessen. Vor mir stand mein neuer Nachbar von ganz oben. Er musterte mich kurz. Seine Augen glitten über meinen durchtrainierten Oberkörper. Sein darauffolgendes Grinsen konnte man durchaus als lüstern bezeichnen.
„Bitte?“, sagte ich unwirsch.
„Ähm. Mein Paket“, meinte er. „Es wurde bei ihnen abgegeben. Ich warte schon ewig darauf. Da sind Bücher drin die ich schon lange haben wollte.“ Ich stutzte. Der Typ las? Ernsthaft? Bei seinem Aussehen hätte ich jetzt wirklich nicht auf eine Leseratte getippt. Ich flitzte ins Wohnzimmer, schnappte mir das Paket und brachte es ihm.
Ich übergab es meinem Nachbarn und fragte dann doch neugierig: „Was sind es denn für Bücher?“ Verlegen kratzte der junge Mann sich im Nacken.
„Es sind... Es ist homoerotische Literatur“, gab er dann kleinlaut zu, so als wäre es etwas, für das man sich schämen müsste. Ich lächelte schmutzig.
„Vielleicht kannst du sie mir ja mal ausborgen?“, fragte ich keck. Irgendwie gefiel es mir meinen neuen Nachbarn ins Schwitzen zu bringen. Der Mann schluckte.
„Sicher“, antwortete er dann. „Ich bring sie dir, wenn ich durch bin.“
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