Leute – sind nichts für mich.
Ich sitze im Fitnessstudio im Schweiße meines Leistungsunvermögens, hechle mit trockenem Mund wie eine trächtige Seekuh kurz vor dem Schlupf. Ich quäle mich freiwillig an der „Good Girl – Bad Girl“ Maschine - im fachlichen Terminus Adduktoren Trainer. In solchen Situationen bin ich ganz bei mir und nur für mich da. Ablenkung mag ich gar nicht. Bin kein freundlicher Konversationsduellant. Und ich rede unter fremden Menschen nicht viel, auf meiner Zunge ist in der Regel ein Bleiziegel vernietet, dessen Arretierung nur unter Hochprozentigem erodiert. Aber eben nicht im Inquisitionstempel unter Unbekannten, dazu noch ohne Klimaanlage. Dabei hätte ich mir so gern eine Klimaanlage gewünscht, denn bei der Hitze, die dort ansässig ist, rutsche ich permanent auf mir selber aus. Nun, Fenster auf und den ganzen Geräuschmulm von Draußen nach Drinnen lassen muss genügen! Ich versuch die Außenkulisse wegzublenden. Nee, da konzentriere mich nur auf mein eigenes Martyrium. Das ist dann so, als würde ich Handstand auf dem Berliner Fernsehturm machen und dabei noch versuchen in der Springerpresse was Geistreiches zu lesen. Über Kopf! Mit umgedrehtem Hirn! Und dem klaren Wissen, das ich gar keinen Handstand kann. Aber egal.
Draußen schallen Sirenen durch die Häuserschluchten der Megametropole. Mir ist das ziemlich Latte, mein Blick hängt durch das offene Fenster in den Wolken fest. Noch10, noch 9 … übersäuerte Muskulatur in den Spatzenwaden verursacht wackelpuddingartiges Zittern. Ein Hektoliter Wasser strullt in Kaskaden aus meinem Kopf und erspart der Putzfrau nachher das Eimerschleppen. Noch 8, noch 7…
„Is wieder was los da auf der Straße. Fahren ja alle immer wie die Ochsen!“ – weiß der Kollege neben mir und erwartet Bestätigung.
Ich rutsche ab und falle vom Fernsehturm. Na warte!
„Kann auch sein, ne Katze is aus dem 8. Stock gefallen, ner Oma auf den Kopp, die kommt ins arthritische Trudeln, verliert die Kontrolle über ihren Kassenmercedes, das Ding kippt auf die Straße unter nen Schulbus, der Fahrer reißt den Lenker rum, die Jolle zielt auf ne Gruppe chinesischer Fotografen und zack! Irgendwas is immer los. Wer kann das schon so genau sagen?“
„Ähhh …“ Er versucht sich in seinen persönlichen Konzentrationsmodus zu retten. Damit hat er ganz sicher nicht gerechnet. Aber ist es mein Fehler, dass ich seine Annahme nicht bestätige? Warum eigentlich wollen immer alle ihre eigenen und unbegründeten Meinungen von Anderen an den persönlichen und ziemlich beschränkten Horizont genagelt haben? Warum verwechseln so viele Gehirnverwalter Meinungen mit Fakten? Verstehen Menschen nicht, dass es auf Alles und Jedes mannigfaltige Blickwinkel geben kann? Dass Schwarz/Weiß – Sichten pure Selbstschutzprodukte sind, einfach weil es die bequemste Art ist, sich nicht mit Dingen auseinandersetzen zu müssen? Aber die Wahrheit ist nun mal keine rosa Plüschdecke zum einkuscheln und über die Augen ziehen, wenn´s windig und kalt wird. Na warte Freundchen, so leicht entkommst du mir nicht!
„Oder neulich, steh ich an der Ampel in der Albrechtstrasse, gucke aus dem Fenster und sehe ne verträumte und nicht zwingend vorzeigbare Frau, die gerade ihre Hose runterzieht und auf den Bürgersteig kackt. Morgens um 9.00 und geformt! Aber Sie wissen ja, irgendwas is immer los.“
Hat sich übrigens tatsächlich so zugetragen. Sie hat 2 Müllsäcke voller gammliger Kleidung auf den Gehweg gekippt, ist 5 Schritte zurückgetreten, hat die Hosen fallen lassen und rums da hockt Sie. Mit leerem Blick glotzt sie zu mir ins Auto und ich zurück. Niemand verzieht die Mine, wir sind beide Clint Eastwood! Frühstück gerade durch und raus mit dem Ballast. Was willste machen?, Was muss das muss. Hat durch die geschlossenen Fenster gemüffelt wie nasse Hundeleiche! Also der Wäscheberg, vermutlich ... im besten Fall, hoffentlich! Klimaanlage – auch nicht immer eine Gnade, stelle ich ernüchternd fest.
Das was meine Nase penetriert, hat ein Eigenleben, und einen Namen, Thilo oder so. Wer weiß! Erinnert mich an die Turnmatte im Sportunterricht der Unterstufe.
Die hatte auch schon so einige Leben abgegolten. Generationen von Bettnässern haben da ihre Sekrete drin verewigt. War alles bei, Ringerschweiß, Pipi, Kettenfett, Rotz, Blut, Pflaumenmus, Straßendreck, ranzige Schuhcreme, Tränen und ein paar Liter Erdbeermilch. War ein mörderisch großes, graues und schweres Teil, musste immer die halbe Klasse ran, um sie zu bezwingen. Und sie war gegenüber allen Aromen tolerant. Und nach Stundenschluss wurde sie gemeinschaftlich zusammengerollt und triefend versifft unter den Fenstern abgelagert. So hatte die einfallende Sonne alle Zeit der Welt eine großartige Melange zu kreieren. Ach ja, wenn jemand aus der Reihe geschlagen ist, haben wir ihn darin eingerollt und über die Sommerferien für 8 Wochen drin vergessen! Nur dass ihr mal ne Vorstellung habt, was so ne Matte kann! Wer nicht spurt, muss dran lecken!
Und eben so schnuppert der Klamottenberg der Hockenden und Kackenden. Ich denke noch, wie bist Du den drauf, brutzelst da ganz unbeteiligt dein Zelluloseabfallprodukt unters Publikum und steckst mit dem Nischel wer weiß wo? Aber ich sach nix, ich weiß ja, was es bedeutet aus dem Konzentrationsmodus gerissen zu werden!
Gut, ich lenke ab, zurück zu meinem Banknachbarn. Er ist erstaunlich schnell fertig mit seinen Übungen, nimmt kopfschüttelnd Abstand und quasselt jetzt eine Frau voll, die angestrengt lächelt. Viel Glück! Ich gucke wieder in die Wolken. Noch 10, noch 9 ….
Fäkalgeschichten funktionieren nur unter Freunden, sie sind die einfachste Variante um die Stimmung zu lockern, klappt immer. Geschlechterübergreifend.
Aber unter Fremden? Nun, es kommt ganz auf die Absicht an! Wie vor ein paar Wochen auf einem randgeriatrischen Open Air geschehen. War ne tolle Veranstaltung, hab mich auch endlich mal wieder jung gefühlt. Weil der Altersdurchschnitt wohl so 10 Jahre über meinem lag. Hatte therapeutische Wirkung zu sehen, wie Leute mit Rollatoren über die Wiese gegurkt sind und Sauerstoffflaschen wie Joints leer gezogen wurden, sich alte Krampfadermatronen um die 70 mit Federn und Blumenschmuck im Haar auf den Acker kauerten und sich mit gichtigen Händen vor die zahnlosen Münder kloppten, um pseudoindianische Schlachtrufe zu imitieren. Aus der Zeit gefallene Hippies – gibt´s wirklich noch! Ohne Mist! Und dort säuselte und knuddelte ne ordentlich angeschlagene Dame, nuschelnde 54 Jahre, mit nem Kopf zum Fische fangen, in meinem Bart herum. Auch so was, worauf ich gar nicht kann, is wie beim Autofahren die Türen aufreißen, nur um mal zu gucken, ob´s geht. So ne Unsitte! Als es endgültig reichte, sagte ich folgendes;
„Hab heute so viel Bier gesoffen, werd ich morgen mächtig und häufig Dünnschiss ins Dixi zementieren. Wenn Dir auch danach ist, such Dir nen Pott am anderen Ende vom Zeltplatz! Neben mir willste dann nich hocken!“ Was soll ich sagen? Funktioniert! 5 Minuten später ist sie kotzen gerannt! Hat die Wahrheit nicht vertragen.
Häufiger bin ich aber überfordert in Punkto Zwischenmenschlichkeit, zum Beispiel als ein Mitgefangener in eben jenem Fitnessstudio mir sein Wischphone unter die Nase klemmte, mir ein Portrait von Travis Fimmel alias Ragnar Lodbrok präsentierte und meinte frappierende Ähnlichkeiten auszumachen. Von Fidel Castro, über Che bis Bud Spencer war ich schon alles. Einmal sogar Steven Segal, wegen meiner eigenwilligen Unfrisur. Sind so Vergleiche, bei denen die Leute sich dann aussuchen können, ob sie ne Handkante wollen, oder einfach nur ne blanke Faust auf den Kopf. Aber das jetzt? Warum? Hat der ne polnische Raubkopie gesehen? Hat der seine Rechnung beim Optiker nicht bezahlt? Und vor allem, warum macht der das in der Umkleide – in Unterwäsche!? Was will der eigentlich? Kennen wir uns? So was verwirrt mich und zurrt den Bleiziegel mal so richtig fest. Richtig, richtig fest!
Oder als ich mit lieben Kolleginnen essen war. Die besäuseln und bezirzen den vor Panik erstarrten Kellner auf so unbeschreiblich direkte Art und Weise, dass er mir schon leid tat. Der Ärmste war deutlich desorientiert, aufgrund so viel femininer Offenherzigkeit. Wollten mit gemeinschaftlichem Gegacker und orkanartigem Lärmpegel an sein Beinkleid, oder so. Am besten nackt mit ner brennenden Kerze in seiner Rille und Schlagsahne und der ganze Zinnober. Aber was weiß ich denn schon, wie Frauen zum Erfolg kommen. Keine Ahnung was, wie und ob Frauen denken, aber wenn´s klappt, bitte schön.
…. Nee, tut´s nicht, als ich pinkeln gehe, steckt mir der Kellner seine Telefonnummer zu! Für mich! Bleiziegel im Quadrat!
Es ist nicht immer leicht, im Geiste bei sich selbst zu sein, wenn die Umwelt unaufhörlich mit Ablenkungen daherkommt, als würden garstige Menschen ständig ihren Müll über den Gartenzaun pfeffern. Das ist ungezogen, aber machen kannste auch nichts. Deshalb bleibt es wohl dabei – Leute sind nichts für mich!