Mitternacht:
"Luca!", rief Amy und stürzte nach vorne, um das Gesicht des dürren Jungen zwischen beide Hände zu nehmen und ihn kritisch zu mustern.
"Wusste doch, dass ihr mich findet!", meinte Luca grinsend, doch Liam konnte die Schwäche in seiner Stimme hören. "Maya hatte uns eingesperrt." Amy zog Luca auf die Beine, während Fay von Mira in eine feste Umarmung geschlossen wurde.
Wild Child drehte sich zu ihnen um: "Habt ihr sie? Los, wir dürfen keine Zeit verlieren!"
Samstag nickte: "Wir sind noch nicht außer Gefahr. Wenn wir uns beeilen, können wir aus dem Hotel entkommen."
Niemand widersprach. Es war wohl Keiner von ihnen erpicht darauf, weiter an der Tour teilzunehmen.
Geschlossen trat die Gruppe auf den Gang. Sie entkamen durch die gleiche Tür nach draußen, durch die sie das Gebäude zuvor betreten hatten. Samstag huschte voraus, die fünf Mädchen nahmen Amy, Luca, Eve, Milo, Dimitri, Samira und Liam in ihre Mitte. Sie hatten die Taschenlampen ausgeschaltet und hielten sich in den dunkelsten Schatten, die sie im Sternenlicht finden konnten. Es war kalt, aber wenigstens regnete es nicht. Der Geruch des Regens und des nassen Grases hing jedoch noch in der Luft.
Sie umrundeten das Hotel Blair, indem sie durch die Vorgärten der ebenerdigen Zimmer schlichen und über Zäune kletterten. Liam atmete erleichtert aus, als sie die Auffahrt betraten.
Doch Dimitri hielt an: "Meine Sachen sind noch auf dem Zimmer."
Samstag drehte sich zu ihnen um. Die fünf Mädchen richteten sich auf und spähten in alle Richtungen wie Rehe, die nach Raubtieren wittern.
"Wir haben keine Zeit, unsere Sachen zu holen. Man wird uns sicher schon suchen."
Liam dachte an seinen Raketenrucksack. Er würde ihn vermissen. Dennoch, er kam sich vor, als ob sie aus einem Gefängnis fliehen würden. Da würde er nichts riskieren, nur, um eine alte Erinnerung und ein paar Unterhosen zu retten.
"Ich kann nicht ohne meine Tasche gehen!", protestierte Dimitri, und zu ihrer Überraschung stimmte Samira ihm zu: "Wenigstens die Aktentasche brauchen wir. Sie ist bereits gepackt, aber wir können sie nicht zurücklassen!"
Soweit Liam das in dem schwachen Licht erkennen konnte, wirkte Samstag alles andere als begeistert. Das Ganze drohte, zu einer Diskussion auszuarten, doch eine weitere Stimme mischte sich ein.
"Wer redet denn hier von Zurücklassen? Einen kleinen Nachtspaziergang kann man doch auch ohne Tasche machen."
Grelles Licht blitze auf, als ein Flutscheinwerfer über ihnen am Gebäude anging. Die Gruppe musste geblendet die Augen schließen. Als Liam wieder etwas sah, erkannte er Maya, die zwischen ihnen und der Freiheit stand. Mehrere Bedienstete des Hotels standen hinter ihr, die Gesichter voll grimmiger Entschlossenheit.
Die fünf Mädchen hatten alle ihre Messer gezückt und ihre Positionen außerhalb der Gruppe beibehalten. Jetzt war Liam dankbar für die Waffen, denn die Fünf bildeten einen schützenden Ring um sie. Und sie sahen kampfbereit aus.
"Wir gehen", sagte Samstag mit fester Stimme und funkelte Maya an. Die braunhaarige Frau lachte. bevor sie mit eisiger Stimme sagte: "Ihr geht zurück auf euer Zimmer. Jetzt!"
"Niemals!", schrie Samstag und ballte die Fäuste.
Maya machte eine kurze Handbewegung, als würde sie jemandem ein Zeichen geben. So plötzlich, wie es angegangen war, erlosch das blendende Licht. Liam fand sich in völliger Dunkelheit wider. Er hörte Geräusche und spürte einen Windzug, als würde jemand sehr nah an ihm vorbei gehen. Noch bevor er Zeit hatte, in Panik zu geraten, war das Licht wieder an. Doch diesmal waren die Messer aus den Händen der fünf Mädchen verschwunden und sie standen mit leeren Händen da. Die Messer waren jetzt in den Händen der Männer und Frauen in weiß-blauen Uniformen.
Liam zitterte. Samstag knurrte und zischte: "Miststück!"
Maya lächelte breit und falsch: "Danke für das Kompliment. Und jetzt Marsch."
Mit fünf Messern, die auf sie gerichtet waren, blieb der Gruppe keine andere Wahl. Schweigend ließen sie sich zurück auf ihre Zimmer führen. Liam spürte, wie seine Angst wuchs und auf seine Lunge drückte. Er keuchte, obwohl sie nicht schnell gingen. Amy legte ihm schwesterlich eine Hand auf die Schulter und schenkte ihm einen "Es wird alles gut"-Blick. Liam konnte ihr nicht glauben.
Auf ihren Zimmern waren die zwei Türen zum Wohnzimmer abgeschlossen. Sie mussten sich in der Mitte des Raumes auf den Boden knien. Maya deutete auf Liam: "Du, feiger Junge. Ja. Nimm deinen Freunden ihre Karten und Handys ab. Alle."
Liam schluckte und stand mit weichen Knien auf. Alle starrten ihn an. Er sollte jetzt irgendetwas Kluges tun, vielleicht die Messer an sich bringen oder fliehen. Aber weit würde er nicht kommen. Mit zitternden Fingern nahm er nacheinander Amy, Luca, Eve und Milo die Karten und Mobiltelefone ab, dann Dimitri und Samira, dann Samstag und den fünf Mädchen. Samstag lächelte ihm schief zu. Liam konnte nicht reagieren.
"Bring sie her", verlangte Maya.
Liam trug die Gegenstände zu der jungen Frau. Im Gehen warf er einen Blick auf die Karte von Samstag. Etwas ließ ihn stutzen: Der Name. Es stand nicht Samstag auf der Karte, sondern Jonathan Bell. Vorsichtig verschob Liam die Karte und spähte auf die Karte darunter, die Wild Child gehört hatte. Sarah M- weiter kam er nicht, denn er stand vor Maya und sie riss ihm die Karten aus der Hand und zusätzlich das Band von seinem Hals. Liam wich erschrocken zurück. Für einen Moment hatte er die Situation völlig vergessen.
"Gut", sagte Maya: "Morgen früh werdet ihr abgeholt. Eure Taschen sind bereits im Foyer eingeschlossen. Nach dem Frühstück wird jemand kommen und euch aus dem Zimmer lassen."
Mit ihren 13 Schlüsselkarten verließ Maya den Raum. Die Uniformierten folgten, dann fiel die Tür ins Schloss und Liam hörte ein Piepsen, als das Zimmer abgeschlossen wurde.
Sie saßen im Dunkeln, bis Tee-jo ihre Taschenlampe einschaltete.
"Tja", sagte Samstag, der überhaupt nicht Samstag hieß: "Das war jetzt nicht geplant."
"Shit", murmelte Milo, "Was geht hier vor?"