Im Hotel Blair:
"Wir müssen reden", flüsterte Liam zu Milo, der gemeinsam mit Eve auf deren Bett hockte, die Arme um Evelyn geschlungen und den Kopf auf ihren Haaren abgelegt.
Liam deutete mit dem Kopf zu Seite, wo Luca und Amy bereits auf seinem Bett saßen. Milo und Eve folgten ihm in die Ecke des Raumes, nah an der Tür, aber für Samstag, die fünf Mädchen, Dimitri und Samira nicht einzusehen.
Liam hatte für sich einen Stuhl hinzugezogen, die anderen vier machten es sich auf seinem Bett bequem. Etwas unfair, fand Liam, aber es gab Wichtigeres, um das er sich kümmern musste.
Die vier anderen sahen ihn fragend an.
"Mir ist was aufgefallen", begann er, "als ich die Karten eingesammelt habe."
"Ja?", fragte Amy.
Niemand unterbrach Liam, während er von den fremden Namen auf den Karten von Samstag und Wild Child erzählte.
Als er fertig war, tauschten die anderen Blicke.
"Ich hatte auch nicht geglaubt, dass Wild Child ihr echter Name ist", meinte Eve: "Vielleicht sind es Spitznamen."
"Ja, aber Samstag?", fragte Milo und unterstützte Liam damit: "Warum sollte er uns nicht sagen, dass es ein Spitzname ist?"
"Vielleicht sind sie einfach so", meinte Amy: "Und halten das für selbstverständlich. Aber, Liam, ich gebe dir recht. Seltsam ist es schon. Und das erklärt, warum sie so nervös waren, als wir die Karten bekommen haben."
"Sie sind sowieso seltsam", flüsterte Eve, immerhin war die Gruppe in dem gleichen Zimmer: "Ich meine, sie wussten von den Abhörgeräten und alles. Sie haben Waffen dabei!"
"Sie sind -", setzte Luca an und unterbrach sich. Liam, der glaubte, Samstag hätte sie überrascht, sah sich erschrocken um, doch da war Niemand.
"Was, Luca?", fragte Amy.
"Nichts", brummte der Dürre und schob seine Brille zurecht: "Du übertreibst, Liam. Wirst du jetzt auch noch paranoid?"
Sprachlos öffnete und schloss Liam den Mund. Luca stand auf und rempelte ihn fast an, als er ging. Der große Junge sah noch einmal zurück: "Ich sage ihnen nichts, falls ihr deswegen Angst kriegt. Aber es hat doch keinen Sinn, dass ihr jetzt anfangt, in Fay und den anderen die Bösen zu sehen!"
Damit ging Luca und ließ vier verdutzte Freunde zurück.
"Seht ihr das auch so?", fragte Liam ängstlich.
"Nein. Ich bin dankbar, dass du es uns erzählt hast", sagte Amy und sah Luca nach: "Wir werden erst einmal abwarten. Vielleicht gibt es eine logische Erklärung."
Liam seufzte und ließ sich auf sein Bett fallen, dort, wo eben noch Luca neben Amy gesessen hatte.
Luca saß jetzt bei Samstag und den fünf Mädchen. Mira verteilte Black Stories.
Sie wurden nicht viel später abgeholt. Es war morgen und Liams Magen knurrte. Aber der Frühstücksraum war verschlossen, als sie daran vorbei geführt wurden. Maja und ein paar andere Angestellte führten sie vor das Hotel, als seien sie Schwerverbrecher. Draußen warteten zwei Kutschen mit großen, schwarzen Pferden davor.
Die altmodischen Kutschen waren ebenfalls dunkel. Auf dem Kutschbock saßen jeweils zwei Männer in Ledermänteln und mit breitkrempigen Hüten, sodass sie kaum etwas von deren Gesichtern sehen konnten. Es regnete schon wieder, deshalb war Liam froh, dass die Kutschen ein Dach hatten. Auf den dunklen Türen stand mit goldenen Lettern die Aufschrift: "Villa Diodati".
"Oh", machte Amy, als sei ihr etwas eingefallen, doch sie sprach nicht weiter.
"Einmal sechs und einmal sieben Personen pro Kutsche", befahl Maja.
Luca ging mit Samstags Gruppe, also stiegen Samira und Dimitri und Liam und den anderen. Im Inneren der Kutsche waren die Sitze mit roten Polstern bezogen. Kruzifixe hingen in den Fenstern. Samira schnüffelte, griff hinter ihren Sitz und zog die Hand mit mehreren Knollen Knoblauch wieder zurück. Mit säuerlicher Miene warf sie die aus dem Fenster, aber Maja bückte sich mit einem Lächeln und warf die Knollen zurück.
"Deswegen stinkt es hier so", murmelte Liam, der eigentlich Dimitri und dessen eigenartigen Körpergeruch im Verdacht gehabt hatte.
"Villa Diodati", flüsterte Amy, "ist der Ort, wo Mary Shelley "Frankenstein" geschrieben hat. Außerdem wurde dort der erste Vampirroman geschrieben, "Carmilla". Noch nie gehört?"
"Nein, Bücherratte", meinte Milo mit einem müden Lächeln: "Dann wissen wir, was uns erwartet?"
Amy sah aus dem Fenster auf den Regen, der die Scheibe herunter lief: "Hoffentlich."