Am Tor:
Die Gegner drängten wie wild auf sie ein. Es waren Wahnsinnige, und dennoch bluteten sie wie Menschen. Luca wurde schlecht von dem Lärm und dem Gestank nach Blut. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, als wolle dort ein kräftiger Schmied ein besonders widerspenstiges Eisen schmieden.
Samstag und Mira kämpften Rücken an Rücken. Luca stand mit dem Rücken zu den kalten Streben des Tores. Er würde hier sterben. Es gab keine Möglichkeit, diesen Zaun zu überqueren.
Auf der anderen Seite, nur einen Steinwurf entfernt, stand ein einzelner Wagen, eine dunkelrote Limousine. Der Fahrer lehnte mit dem Rücken zu ihnen an der Fahrertür und beachtete ihren Todeskampf nicht. Luca war sich sicher, wenn der Mann seine Zigarette fertig hatte, würde er einfach in den Wagen steigen und geradeaus davon fahren, um sich nie wieder umzudrehen.
Er schrie um Hilfe, aber der Mann reagierte nicht.
Sie waren allein. So nah am Ausgang!
Er erlangte eine kurze Atempause, als die sechs Überlebenden alle zusammen trafen und sich gemeinsam gegen die Feinde wehrten. Es war Niemand gestorben, aber alle waren verletzt. Es waren bisher nur kleine Schnitte und Stichverletzungen, Kratzer und blaue Flecken und ausgerissene Haare, doch lange würden sie nicht mehr aushalten.
"Wir müssen da rüber!", rief Amy mit sturer Verzweiflung.
"Es geht nicht!", jammerte Eve den Tränen nah. Sie schien in Blut gebadet zu sein.
Samstag zögerte: "Wo ist Wild Child?"
"Tot", sagte Amy tonlos.
"Dann gehen wir jetzt."
Sie sahen den jungen Mann entgeistert an. Sah er eine Leiter oder sowas, wofür sie blind waren? Oder war vielleicht Samstag blind?
Er gab sein Messer Mira, stellte sich mit dem Rücken an den Zaun, beugte die Knie leicht und legte die Hände ineinander.
Eine Räuberleiter, erkannte Luca. Samstag sah ihn an: "Du zuerst."
Während die anderen fluchend ihre Anstrengungen verdoppelten, sich gegen die Feinde zu wehren, setzte Luca den ersten Fuß in Samstags Hände und stützte sich auf den Schultern des Mannes ab. Samstag trug sein Gewicht problemlos.
"Du bleibst auf dem Zaun sitzen, okay?", sagte Samstag: "Hilfst den Mädchen rüber und am Ende mir."
"Verstanden", keuchte Luca und streckte sich. Er konnte gerade die obere Strebe des Zaunes fassen.
"Zieh dich hoch!", brüllte Samstag.
Luca hatte wenig Kraft in den Armen. Er war ein Läufer, kein Kraftmensch. Samstag drückte seinen Fuß nach oben, und endlich konnte Luca das freie Bein über den Zaun schwingen. Er quetschte sich ein paar empfindliche Körperteile, aber endlich balancierte er auf dem schmalen Zaun, die Füße hingen zu beiden Seiten nach unten.
Er sah, wie schlimm es wirklich um ihre kleine Gruppe stand. Jetzt kämpften nur noch vier von ihnen. Gegen eine Masse, die hunderte sein könnten.
"Sami!", rief Samstag. Samira gab ihren Platz an der Front auf und kletterte auf Samstags Hände, dann auf seine Schultern. Luca beugte sich hinab und zog am Arm der Frau. Sie hievte sich aus eigener Kraft so weit hoch, bis ihr Bauch auf dem Zaun lag. Luca half ihr, sich zu drehen, damit sie nicht mit dem Kopf voran auf die andere Seite fiel.
Sie landete in Sicherheit. Die Aktentasche trug sie immer noch bei sich. Aber Luca sah, dass das Leder zerrissen war.
Samira reichte ihr Messer durch den Zaun. Samstag gab es an Eve weiter und tippte Amy auf die Schultern: "Jetzt du."
Während Luca seiner Freundin auf die sichere Seite half, wo sie von Samira aufgefangen wurde, bemerkte er eine seltsame Bewegung in der Masse der Angreifer. Am anderen Ende des Platzes teilte sich die Menge, wie Wasser, das einem Schiff Platz machte. Luca konnte im Dämmerlicht nichts Besonderes erkennen, aber er merkte, wie sich plötzlich sämtliche Härchen auf seinem Körper aufstellten.
Was auch immer da kam, es weckte tiefsitzende Instinkte und Ängste. Es war nichts Gutes.
"Luca!", schrie eine Stimme. Er sah nach unten und entdeckte Eve, die zu klein war, um die obere Kante des Zauns zu erreichen. In ihrem Blick lag Angst.
Er packte ihre Handgelenke und zog. Samstag drückte von unten und Eve flog ihm entgegen. Er packte ihre Seite. Für einen Moment fiel sie wieder zurück und er drohte, hinterher zu fallen. Doch Samstag fing Eves Bein ab und stieß sie nochmals nach oben.
Diesmal schafften sie es gemeinsam, das Mädchen erst auf und dann über den Zaun zu bringen. Sie machte tatsächlich einen Köpper, doch bevor sie sich den Kopf aufschlug, fingen Samira und Amy sie auf.
Jetzt waren nur noch Samstag und Mira geblieben. Luca sah, wie der seltsame Keil in der Menge immer näher kam.
"Los!", rief Samstag. Lange konnten die beiden nicht mehr durchhalten.
Doch Mira überraschte Luca, indem sie einen kleinen Platz freikämpfte. Für einige Sekunden bewegte sie sich blitzschnell und trieb alle Angreifer zurück.
Sie drehte sich um und sprintete über das kurze, freigewordene Stück auf Samstag zu. Sie setzte den ersten Fuß in seine Hände, den zweiten auf seine Schultern und schwang sich elegant über den Zaun, ohne Lucas Hilfe zu brauchen.
Samstag drehte sich um und streckte die Hand aus. Luca beugte sich zu ihm herab.
Er sah, wie der Keil in der Menge auf sie zuraste, schneller als irgendein lebendiges Wesen. Samstag sprang und ihre Hände trafen sich, packten den anderen am Handgelenk. Ein Ruck ging durch Lucas Schulter, als Samstags Gewicht an ihm hing. Er versuchte, den Mann hochzuziehen, doch dazu fehlte ihm die Kraft. Er spürte, dass er rutschte.
Hände packten sein Bein. Es war Mira, die ihn mit beiden Armen festhielt. Amy streckte die Arme durch das Gitter und drückte Samstag nach oben, während die Clowns auf den Wehrlosen eindrangen und ihn festhalten wollten. Und das unsichtbare Wesen kam näher. Luca sah bewegte Schwärze, eine große Gestalt, wie ein Pferd oder ein riesiger Wolf.
Samstag kletterte an Lucas Arm hoch wie an einem Seil. Die Finger des Mannes bohrten sich in Lucas Haut, doch er biss die Zähne zusammen. Mit einer Anstrengung, die stechende Schmerzen durch seinen Rücken jagte, warf sich Luca zur anderen Seite.
Er zog Samstag hinter sich her. Als er in die wartenden Hände seiner Freunde fiel, blieb der Mann am Zaun hängen, doch Samstag warf sich mit einer Rolle über das Hindernis.
Er fiel auf Luca und rollte weiter. Robbend oder stolpernd bewegte sich die Gruppe vom Zaun weg.
Auf der anderen Seite stieß etwas Großes, Schwarzes gegen das Metall. Das Tor knirschte und donnerte, die Stäbe verbogen sich, doch es hielt stand. Das Wesen war so dunkel, dass Luca keine Konturen ausmachen konnte. Es schien, als habe die Nacht selbst sie angegriffen.
Keuchend kroch er weiter rückwärts, bevor er endlich aufstand. Er hatte Seitenstiche. So ziemlich jeder Teil seines Körpers fühlte sich geprellt an.
Die anderen sahen nicht besser aus. Sie stolperten atemlos zu der wartenden Limousine, deren Fahrer sie mit einer hochgezogenen Braue musterte.
"So viele habe ich eigentlich nicht erwartet", er öffnete die Tür und ließ sie in das trockene Innere. Luca ließ sich auf einen der hellbraunen Ledersitze fallen.
Es fühlte sich so seltsam an, noch am Leben zu sein. Die anderen quetschten sich zu ihm. Das Innere war vielleicht für zwei, drei Leute gedacht gewesen, aber die Sitze waren geräumig genug, um auch die doppelte Menge zu beherbergen. Dicht an dicht saß die keuchende Gruppe da. Langsam malte sich Verstehen auf den Gesichtern.
Sie hatten überlebt.
Für einen Moment ergriff eine unwahrscheinliche Hoffnung von Luca Besitz. Vielleicht waren die Tode der anderen nur Teil der Show gewesen. Vielleicht würden Liam und Milo und alle anderen im letzten Hotel auf sie warten.
"Happy Halloween", sagte ihr Fahrer, der sich, durch eine Trennscheibe verborgen, auf seinen Sitz fallen ließ. Der Motor sprang schnurrend an, dann glitt die Limousine vorwärts.
Luca fühlte sich vor Erleichterung den Tränen nah.