Aufgewühlt schlug er mit der Faust gegen die Haustür, klingelte Sturm und lehnte die Stirn an das kalte Glas des Eingangs, bis Risha ihm mit gehetzten Ausdruck öffnete. Ihre Mimik wechselte von Wut zu Verwirrung, sobald sie ihn erkannte und irritiert sah sie an ihm vorbei.
„Josh?‟, fragte sie entgeistert und runzelte die Stirn, „Was ist los?‟ Sie musste seine Hektik bemerkt haben, denn ihr Misstrauen wich augenblicklich tiefer Sorge.
„Ich ähm …‟, stammelte Dorian und versuchte die erdrückenden Farben ihrer Umgebung zu ignorieren, „Ich muss zu Dorian.‟
Risha sah ihn schräg an und schüttelte entschuldigend den Kopf, „Es tut mir Leid mein Lieber, aber Dorian ist nicht da, um ehrlich zu sein dachte ich er sei bei dir.‟ Sie sah nachdenklich zu Boden, hob aber den Blick und lächelte ihn mütterlich an, „Komm rein, du siehst aus, als könntest du ein paar Waffeln vertragen. Nora freut sich bestimmt dich zu sehen.‟ Sie trat einladend einen Schritt bei Seite und Josh schob sich an ihr vorbei auf den Treppenabsatz.
„So gut das auch klingt, nein danke‟, ihm schauderte allein bei dem Gedanken an die hektische Energie seiner Cousine, „Ich meinte auch eigentlich, dass ich in sein Zimmer muss. Wir haben uns verabredet, aber er hat etwas vergessen und mich gebeten es ihm mitzubringen.‟ Er war selbst überrascht, wie leicht ihm die Lüge fiel. Das Dorian nicht da war verwunderte ihn, aber womöglich war er es doch und Risha hatte sich lediglich geirrt. Sein Cousin verließ zu absurden Zeiten das Haus, es war schwer den Überblick über seine An- und Abwesenheit zu behalten.‟
„Tu dir keinen Zwang an‟; lächelte Risha und rieb ihm aufmunternd die Schulter, er zuckte bei der Berührung zusammen, „Wenn du ihn siehst, sag ihm, dass er pünktlich zu Hause sein soll, ja? Wenigstens einen Abend in der Woche soll die Familie zusammen essen.‟
„Klar mach ich‟, murmelte Josh und stolperte die Stufen hinauf.
Erleichtert schloss er Dorians Zimmertür und lehnte sich mit geschlossenen Augen dagegen. „Dorian?‟; murmelte er verwundert und sah sich im leeren Zimmer um. Kleider hingen aus den herausgerissenen Boxen seiner Kommode, sein Bettzeug war vollkommen zerwühlt und der Inhalt der Schreibtischschubladen lag verstreut auf dem Boden. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch das Gewirr aus Stiften, Scheren und Papierkugeln zu Dorians Schreibtisch. Eine Wasserlache breitet sich über das schwarze Glas aus und Joshs Verwirrung wurde mit jeder Sekunde größer.
Das Zimmer seines Cousins sah aus wie ein Schlachtfeld, es gab sicher Gebiete, die von Naturkatastrophen geprägt und dennoch aufgeräumter waren. Er wandte sich von der Pfütze ab und sah sich suchend im Raum um. Sein Blick schweifte über das Chaos, suchte nach einem Anzeichen, wo Dorian sein könnte und blieb am Nachttisch hängen. Er schob die Unordnung mit dem Fuß beiseite und trat beinahe in die Spitze eines Zirkels, bevor er sich bücken und unter den niedrigen Tisch langen konnte.
Mit tief gerunzelter Stirn richtete er sich auf und starrte lange Zeit auf das Smartphone in seiner Hand, über dessen verschmierten Display sich zahllose Risse zogen. Er ließ sich verstört auf die Bettkante sinken und entsperrte zögerlich den Bildschirm. Breit grinsend erschienen Dorian und er in voller Paintballmontur auf dem Hintergrund und er fühlte wie ihm bei dem Bild das Herz in die Knie sackte.
Unsicher öffnete er die Nachrichten seines Cousins und sah seine eigenen an oberster Stelle. Darunter folgten SMS seiner Mutter, von Mädchen, die er als verschiedene Tieremoji eingespeichert hatte und Namen, die er höchstens aus Erzählungen kannte. Mit schlechtem Gewissen überflog er die Texte, in der Hoffnung, ein Anzeichen auf eine Verabredung zu finden. Viele von Dorians Kontakten wollten sich mit ihm treffen, aber er hatte keinem der süßen Tiergesichter zugesagt.
Was mache ich nur? fragte sich Josh und sah sich im chaotischen Zimmer um. Ich sitze hier, allein, und lesen die privaten Nachrichten meines Cousins ohne dessen Zustimmung, beantwortete er sich selbst die Frage, Und aus welchem Grund? Wegen eines zerwühlten Zimmers, der Tatsache, dass er nicht da ist oder meinem Hang zur Paranoia? Meine Mutter hatte Recht, wir müssen tatsächlich ein ernstes Gespräch über Privatsphäre führen.
Er wollte das Handy bei Seite legen, als ihm der Unterorder im Textverzeichnis auffiel. Die Neugier besiegte Joshs Gewissen und er öffnete ihn zögernd. Er war gesperrt, aber Josh musste grinsen, als er den richtige Pin nach nur zwei Versuchen herausfand. Die Zahlen seines Wunschkennzeichens, von dem Dorian bereits seit Monaten erzählte.
Als sich der Ordner öffnete fiel ihm das Lachen von den Lippen und seine Augen weiteten sich vor Unglauben. An die dreißig, unbekannte Nummern und ihre Nachrichten wurden geladen. Die Meisten von ihnen schickten seit Tagen, oder gar Wochen keine SMS, aber den obersten konnte man wie eine Abwandlung von Familien im Brennpunkt lesen.
Hasserfüllte Texte, Beleidigungen und wie Dorian sagen würde, leere Drohungen. Josh konnte nicht erkennen wer die unbekannte Nummer war, aber wie er vermutete war es ein Kunde, der über seine Echoauszeit nicht erfreut schien.
Er überflog die Nachrichten, wobei er ein paar neue, kreative Schimpfwörter lernte und blieb an der letzten Nachricht von Dorian hängen. Sein Cousin schlug vor sich am üblichen Platz- zu treffen, um dem Unbekannten einige Flaschen Echo zu verkaufen, die er noch auf Lager hätte. Josh schnaubte zornig und sah sich im Chaos um, seinen Respekt an denjenigen, der es schaffte hier drinnen etwas wiederzufinden und verfluchte Dorian leise.
Nicht nur, dass sein Cousin sein Versprechen brach, ihm vor jeder Dummheit Bescheid zu geben, er missachtete auch die Pause und hatte seinen eigenen Vorrat an Erinnerungen verheimlicht.
Josh machte ein Screenshot von der Adresse, die er in den ersten SMS des Verlaufes fand und schickte ihn an sein eigenes Telefon. Entschlossen stand er auf und steckte Dorians Handy mit seinem eigenen in die Jackentasche.
Risha kam ihm verwundert entgegen, während er die Treppen hinunter sprang. „Das hat ja lange gedauert. Hast du gefunden was du gesucht hast?‟
„Ja hab ich, auch wenn sein Zimmer ein einziges Schlachtfeld ist‟, antwortete Josh milde lächelnd und zog das Handy seines Cousins aus der Tasche. Seine Tante lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wie konnte er es nur vergessen? Er legt es doch sonst nie aus der Hand.‟ Dorian zuckte ahnungslos mit den Schultern und schob sich ungeduldig an ihr vorbei durch die Tür.
„Ich muss jetzt los, danke, dass ich rein durfte.‟
„Vergiss nicht Dorian meine Nachricht zu übermitteln‟, rief Risha ihm nach, während er die Straße hinab joggte. Er musste sich beeilen, wenn er noch rechtzeitig den Bus in die Stadt erwischen wollte.
Auf dem Weg drehten sich seine Gedanken einzig um Dorians Leichtsinnigkeit. Wie konnte er nur so dumm und hinterlistig sein, sich allein mit einem Kunden zu treffen, ohne ihm zuvor eine Nachricht zu schicken?
Und wie konnte es sein, dass Dorian sein Handy vergaß? Risha hatte Recht, er legte es nie aus der Hand, selbst im Schlaf lag es direkt neben seinem Ohr und auch ins Badezimmer nahm er es mit. Dass er es achtlos unter den Nachttisch geworfen hatte besorgte ihn.
Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn und er beschleunigte seine Schritte. Irgendetwas war vorgefallen und es lag in Joshs Hand es herauszufinden.