Tanzen. Als ich klein war, wollte ich nichts lieber lernen. Jedes kleine Mädchen in LaKitan hat die alten Tänze gelernt.
Nicht so ich. Mutter meinte, von dem Preis einer einzigen Tanzstunde könnte man die gesamten Ruinen einen Tag lang ernähren. Das war mir damals herzlich egal, doch Mutter war nicht zu erweichen. Ich habe versucht, Paps zu überreden, dass ich heimlich Tanzstunden nehmen dürfte. Er wurde wütend und hat mich für eine Stunde in mein Zimmer gesperrt. Damit war das Tanzen für mich erledigt. Ich wurde älter, und als ich auf die höhere Schule kam, wurde es schließlich unwichtig.
Ich habe niemals tanzen gelernt. Trotzdem bewegen sich meine Füße und Arme von allein. Soweit ich das beurteilen kann, tanze ich richtig, einen perfekten, altertümlichen Hochzeitstanz. Mein Kleid schlägt um meine Knie und meine Schuhe trommeln rhythmisch auf den Steinboden. Drehung, Sprung und Knicks.
Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie davon abhalten. Doch ich habe keine Kontrolle über meine Gliedmaßen. Es ist ein furchtbares Gefühl.
Ich sehe Paps. Er starrt mich an, und Tränen stehen in seinen Augen. Er hat den Widerstand aufgegeben. Ich sehe, wie geschwächt er ist. Jecri hat ihn schon über einen Tag in seiner Gewalt. Und Paps ist verletzt. Seine Hand ist verbunden, und Blut durchtränkt den weißen Verband.
Die Hände und Füße sind ihm so eng verschnürt, dass das Blut nicht richtig fließen kann. An seiner unverletzten Hand sind die Fingernägel tiefblau angelaufen. Die Füße kann ich nicht sehen. Paps trägt noch immer seine schwarzen Straßenschuhe und sein weißes Hemd, das zerknittert ist. Er ist erschöpft. Wer weiß, was Jecri ihm alles angetan hat! Ich könnte ihn umbringen für das, was dieser Mistkerl meiner Familie angetan hat.
Obwohl - ich sähe es lieber, wenn er in ein Gefängnis kommt. Ich habe schon einen Menschen verletzt. Und das will ich nie wieder tun! Selbst heute noch wache ich nachts manchmal auf und sehe den niedergeschlagenen Einbrecher vor mir.
Jetzt werde ich auch von der Erinnerung an diesen Tanz geweckt werden - und werde Wolf mit mir wecken. Es tut mir leid, dass ich ihn immer wieder um den Schlaf bringe. Aber ich wünsche mir auch, dass es wieder so sein wird. Mitten in der Nacht aufwachen und Wolf neben mir fühlen.
Also muss ich Jecri verletzten und gefangen nehmen. Theoretisch wäre es so einfach! Jecri trägt einen Zierdegen an der Seite, ein dünnes Metall, eigentlich nur ein langes Messer. Wenn ich tanzte, komme ich immer wieder in Reichweite. Ich müsste nur eine Hand ausstrecken und könnte den Griff fassen! Jecri beachtet mich in keinster Weise.
Weil er weiß, dass seine Macht mich handlungsunfähig macht. In meinen Ohren klingen Geigenklänge. Die Musik fesselt mich so, wie Comodos meinen Vater gefesselt hat.
Mein Wille ist eingesperrt, der Käfig ist mein Körper. Ich muss jeden von Jecris Befehlen ausführen. Ich werde tanzen, bis ich tot umfalle, wenn er mir keinen anderen Befehl gibt. Ich sehe mich selbst vor mir, wie ich mit blutenden Füßen noch immer hier tanze, vielleicht vor Paps, während Jecri friedlich schläft oder längst mit Comodos die Höhle verlassen hat.
Ich höre Wolf. Er ruft nach mir. Er hat Angst, er hat Schmerzen. Comodos hat meinen lieben Wolf gefangen. Es gab niemals Hoffnung, dass ein kleiner Hund gegen einen Liger bestehen kann. Ich wünschte, ich könnte ihm helfen. Mich losreißen, Jecri erschlagen, Paps befreien. Doch ich kann nichts tun, außer tanzen. So sehr ich mich auch gegen Jecris Zauber auflehne, ich habe keine Kraft gegen ihn. Als wollte ich eine glatte Hauswand hinauf rennen.
Drehung, Sprung und Knicks. "Du kannst aufhören, Misa."
Auf der Stelle bleibe ich stehen, neben Jecri. Ich keuche. Meine Beine brennen. Aber ich stehe starr da, emotionslos. Comodos trägt Wolf in mein Sichtfeld. Wie ein Kätzchen hängt er da, am ausgestreckten Arm des dunkelhäutigen Menschen mit der blonden Mähne. Jecri grinst breit und schüttelt den Kopf: „War das Kätzchen zu groß für dich, kleiner Hund?“
Comodos grinst. Er verstärkt seinen Griff und Wolf winselt.