Velaa starrt auf das Chaos, das sich auf dem Hof entfaltet. Ich zappele wieder in Comodos' Griff, Jecri flucht herzhaft, während er seine Geige aufsammelt, Ziaz schreit kläglich in ihrem Käfig, Kento verbarrikadiert rumpelnd die Tür der Kathedrale. Von Misa ist keine Spur zu sehen.
Velaa schnappt nach Luft: „Kian! Was haben Sie getan?“
Comodos versteckt mich hinter seinem Rücken wie ein Junge schuldbewusst gestohlene Kekse versteckt. Nur, dass diese Kekse nach seinen Beinen schnappen.
„Ahhahaha. Velaa!“, sagt Jecri und breitet die Arme aus wie zu einer Umarmung: „Wie geht es dir?“
Velaa lässt einen Schlüssel im Schloss des Zaunes einklicken und stößt das Tor auf. Jecri spannt die Arme an. Ich sehe, wie er langsam die Geige und Bogen erhebt. Mein Fell kribbelt - offenbar beschwört Jecri neue Magie herauf.
Ich habe Angst um Velaa und Misa, und die verhindert, dass ich mich verwandele und sie warne. Wunderbare Ironie. Aber statt zu rufen, belle ich laut.
Comodos tritt mir in die Rippen, aber es ist zu spät - Jecri greift an. Ein Blitz zuckt von den Saiten auf Velaa zu und Velaa reißt eine Hand mit einem Amulett hoch. Der Angriff wird zurückgeworfen und trifft beinahe Jecri. Der rettet sich in letzter Sekunde mit einem Hechtsprung zur Seite. Der Blitz schlägt in die Kapelle ein und entzündet innerhalb von Sekunden helles Feuer.
Comodos lockert seinen Griff und ich robbe über den Boden fort. Comodos verwandelt sich und springt auf Velaa zu. Sie weicht ihm aus, aber schon wendet der Liger. Sie hat keine Chance! Doch die Politikerin ist auf ihren Stöckelschuhen verflucht schnell.
Velaa rennt über den Hof und dicht an mir vorbei. Sekunden später folgt Comodos mit donnernden Pfoten. Ich strecke ein Bein aus und bringe den Liger ins Straucheln. Velaa erhält ein paar Sekunden Vorsprung. Sie rennt um das Gebäude. Comodos will ihr folgen, doch plötzlich schwingt die Flügeltür der Kapelle auf und trifft den breiten Ligerkopf mit voller Wucht. Ein metallisches Klingeln ertönt.
Kento hat sich von Innen mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür geworfen. Comodos sackt in sich zusammen und bleibt reglos liegen.
Jecri empfängt Kento mit einem wütenden Brüllen. Er schleudert einen weiteren Blitz, aus einem misstönenden Klang seiner Geige, dem Kento durch eine Hechtrolle ausweicht. Jecri verfehlt Comodos nur um Millimeter. Trotzdem zuckt der Liger zusammen. Kurz vor seinen Schnurrhaaren bilden sich kleine Flämmchen. Aber der Liger bleibt bewusstlos liegen.
Jecri schleudert einen weiteren Blitz auf Kento, doch Velaa wirft ihm das Amulett an der Kette zu. Kento wehrt die Angriffe von Jecri ab und schleudert sie auf ihn zurück. Jecri schleudert Angriff um Angriff. Kento kann sie spiegeln und bald zucken tausende von Blitzen durch den Innenhof, mit musikalischer Untermalung, die man nur als Folter bezeichnen kann. Ich rolle mich eng zusammen, um nicht getroffen zu werden.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich das aus den Blitzen entstandene Feuer auf Comodos zu bewegt. Der Liger ist bewusstlos - er wird bei lebendigem Leib verbrennen!
Ich zögere, aber meine Menschlichkeit siegt. Ich nehme meine letzte Kraft zusammen und ziehe Comodos an den Schultern aus der Gefahrenzone. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass er mich beobachtet. Als ich jedoch auf sein Gesicht starre, sind beide Augen geschlossen. Er ist nicht bei Bewusstsein, verdammt! Wie sollte er mich da beobachten?
Trotzdem schleppe ich mich ein paar Schritte von ihm weg. Ich bin zu erschöpft, um noch mehr zu tun. Immer noch zucken Blitze überall wie ein tödlicher Regen.
Inzwischen kämpfen Velaa und Kento gemeinsam mit dem Amulett. Doch Jecri hat sie vor dem brennenden Gebäude in eine Art Sackgasse gedrängt. Sie können nur noch durch die Türen in die brennende Kapelle fliehen. Ich versuche, zu ihnen zu gelangen, aber überall brennt es. Da höre ich eine Katze schreien - Ziaz ist ja immer noch eingesperrt!
Ich krieche irgendwie zu der Stelle, wo der Käfig im hohen Gras versteckt ist und kriege mit zitternden Fingern den Mechanismus auf. Dann packt mich ein Hustenanfall. Ich habe zu viel Rauch eingeatmet. Ziaz schießt an mir vorbei. Der Lärm auf dem Vorplatz hört plötzlich auf – jedenfalls verstummt das Geigenspiel. Schwarze Punkt tanzen vor meinen Augen und ich kann nichts sehen. Etwas schlägt dumpf gegen die Wand der Kapelle, nur ein Stück entfernt. Es klang nach einem Körper. Als ich aufsehe, liegt Kento bewusstlos neben der Tür. Velaa kommt, verfolgt von Jecri, auf den Bewusstlosen zugelaufen, hebt ihn unter den Armen an und zieht ihn durch die Flügeltür. Blitze zucken überall. Der Geigenspieler stampft vor Wut kochend auf die Tür zu, um Velaa und Kento vollständig zu zerstören.
Das Gewicht auf meinem Bein ist zu schwer. Ich kann mich nicht rühren. Jecri ignoriert mich und folgt Velaa und Kento ins Innere der Kapelle.
Doch als er durch die Tür gehen will, fällt plötzlich ein Engel vom Himmel.