Fanfahren erklangen und riefen Zuschauer wie Prüflinge aufs Feld. Es war nicht irgendeines, es war jenes, welches sie seit Anbeginn ihrer Zeiten auf der Landmasse Ereban nutzten, um Jünglinge in den Reihen der Erwachsenen aufzunehmen. Auf dem Feld zeigten sie ihr gelerntes und sammelten sich, um die Reifeprüfungen abzuhalten.
Auch wenn Geburten in ihren Reihen seit der Flucht stetig abnahmen, blieb es ungeachtet dessen ein freudiges Erlebnis. Es lag nicht am Fehlen Liebender, nein dass ganz gewiss nicht. Das Volk der Lynken hatte bemessen an menschlichen Generationen, beinahe unendlich Zeit die Kunst der Liebe und Innigkeit zu vervollkommnen. Sie kannten und bedienten sich aller möglichen Variationen zärtlicher Positionen und Berührungen. Es fehlte die Verbundenheit und die allgegenwärtige Kraft Gayas, den Lenden die Frucht des Lebens zu spenden.
Während der Reifeprüfungen wurde nicht zwischen männlichen oder weiblichen Probanden unterschieden, alle durchliefen dieselben Leistungsnachweise. Ringen, Fährtenlesen, Reiten, schießen mit Pfeil und Bogen und schlussendlich den Tanz der Schwerter.
Abseits des Geländes, welches sich in einem kleinen Seitental befand, lagen verdeckt und in die Optik der Natur angepasst Ma'rit und weitere sieben Begleiter in den Sträuchern. Obwohl aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, ließen sie sich dieses Ereignis nicht nehmen.
»Sag, du hast doch nur einen im Blick, oder?«
Angesprochener erwiderte und griente breit. »Zwei, nicht einen.« Nach nur wenigen Herzschlägen verbesserte er seine Worte und seine Worte klangen harscher als noch eben. »Drei, um genau zu sein.« Mit dem Kinn deutete er nach vorn. »Schau.«
»Mhm. Si'mon und Ly'an - zwei.« Der Glanz in dessen Augen verlor sich, als er den Sinn der Verbesserung erahnte. »Delavar. Das ist nicht dein Ernst.«
Er verzog die Mundwinkel und knabberte an der rechten Innenwange. Sein Blick verfinsterte sich. »Ist es, Alanel. Ich traue ihm nicht weiter, als mein Arm reicht. Er ist der Garant für die bevorstehenden Wiederholungen der Chroniken unserer Linien. Es wird sich wiederholen, verlass dich darauf.«
Alanel stockte, schluckte schwer und musterte Ma'rit. Obwohl Alanel in der Linie der Lynka geboren wurde, verfolgte er das Sinnen der seinen nicht und empfand wie zahlreiche andere. Letzten Endes waren sie eins und sollten dies auch wieder sein.
Lynken wie Lynkas galten einst als geeintes Volk. Sie lebten mit den Gewohnheiten der Natur und blieben in ihren Wäldern, die sie hegten und pflegten. Obgleich sie in natureingebundene Häuser auf dem Erdboden wohnten, schätzten viele von ihnen das Leben in den Wipfeln der höchsten Bäume. Stege und Brücken verbanden eingearbeitete Plattformen untereinander, sodass ein jeder, ohne zuvor den Fuß auf den Grund setzen zu müssen, die Gegenüberliegende erreichen konnte. An den kräftigsten Stämmen schlängelten sich treppenartige Aufgänge empor und boten den Zutritt ins Reich der Höhe.
Das Volk der Lynken, durchgängig schlanker Natur, erreichte eine Körperlänge von nahezu einer Länge. Gegenüber der menschlichen Rasse überragten die männlichen der ihren diese um bis zu einer Haupteslänge. Die weiblichen Lynken hingegen waren mit der Größe der Menschen vergleichbar.
Sie trainierten hinlänglich und mühevoll, gleichwohl beschenkt mit einer katzenhaften Behändigkeit. Nackt betrachtet, so wie sie das Licht der Welt erblickten, wuchsen bis auf ihrem Haupt keinerlei Haare, sodass Gesicht und Brust der maskulinen Gattung die eines Knaben glich. Die Evolution verhielt sich bei beiden Geschlechtern jedoch in einem gleich - beiderlei Scham blieb die Behaarung ebenso fern.
Aus jenem Grunde befanden weibliche wie männliche Lynken, bis auf wenige Ausnahmen, es als Schick, ihren Haarschmuck bis auf die Schultern wachsen zu lassen. Ihre Haarfarbe schwankte zwischen silbrig Grau und allerlei Brauntönen. Lynken und Lynkas unterschied von jeher nichts, sie waren obwohl einander getrennt, eins. Dennoch, sie spürten, wessen Blut in ihren Adern pulsierte und als sichtliches Merkmal entschieden die Lynken, eine Silbenpause in ihren Namen zu tragen.
Si'mon durchlief jegliche Leistungsbewertungen mit eher durchschnittlichem Ergebnis, bis auf eine vollkommen vermasselte. In die Jägerschaft würde der Junge niemals aufgenommen werden können, da sein Talent überall zu suchen war, keineswegs in der des Bogenschießens. Er hielt diesen wie den Pfeil zwar in die angestrebte Richtung, jedoch bekam er kein einziges Geschoss ins Ziel. Lautstark wurde er belacht gar von einigen wenigen als Schande bezeichnet.
Der fünfte Versuch, seine letzte Chance einen Treffer zu erzielen, scheiterte kläglich.
Bedingt der unkonzentrierten Haltung zitterte der Bogen dermaßen, dass er verriss und die vorschnellende Sehne seine rechte Wange peitschte. Nebst hässlichen Striemen hinterließ sie eine blutende Wunde.
Delavar drängte sich unachtsam vor und schimpfte. Gleiches war man von dem Mann gewohnt und so war es nicht verwunderlich, dass er seine tägliche Tirade abhielt. »Nichts, aber auch rein gar nichts hast Du gelernt. Nicht einmal die einfachste Handhabung mit dem Bogen. Ein Gegenstand, mit dem unser Volk seit jeher den Umgang pflegt.« Bewusst richtete sich sein Blick zu Ly'an und tadelte so nicht nur ihn. »Nicht nur dein Wuchs beschämt uns, auch deine Haltung. Bastard.« Letzteres Wort betonte er lauthals und wusste, dass es einer offenen Provokation gleichkam.
Si'mon wendete sich geschlagen zum Gehen und bereitete sich auf letztplatzierte Prüfung vor, jene, die Ma'rit nachhaltig ersehnte. Er wusste, dass sein Schützling bei einigen Erprobungen deutlich hätte besser bestehen können, wären seine Gedanken nicht auf Umwegen.
Alanel stupste ihn an und deutete mit der flach ausgestreckten rechten Hand voraus. »Das schaut nach Ärger aus. Er muss gegen Arion antreten.«
»Dennoch, er wird den Sieg davon tragen.«
»Dein Selbstbewusstsein möchte ich haben. Der Junge ist nicht bei der Sache.«
»Mhm«, Ma'rit knurrte und verzog abwertend die Mundwinkel. »Er hat es nicht leicht.«
Delavar, berufener Schwertmeister und somit rechte Hand des Oberhauptes aller Lynken und Lynkas, drängte sich an den Rand des abgegrenzten Bereiches und nickte seinem Vetter und Ziehsohn zu. Dessen Augen verengten sich zu schlitzen und sprühten vor Zorn. Er fixierte Si'mon mit unsagbaren Blicken. Hohn, abgrundtiefe Ablehnung, gar Hass spiegelten sich in ihnen deutlichst wieder.