»Hast Du Kunde von Alanel?«
»Nein, noch nicht. Ich vermute, dass er auf Umwegen ist.«
Es klopfte und ein Wächter betrat das Gemach. Er sah erst zu Ly'an und nickte, dann zu Ma'rit und schenkte ihm die gleiche Ehrerbietung.
»Botschaft von Erebor und der Umgrenzung, Herrin.«
Verwundert tauschten sie Blicke und erhoben sich zeitgleich. »Sprich«, bat Ly'an. »Ma'rit genießt als Wachtmeister und Bruder mein vollstes Vertrauen.«
Es war unnötig, dies auszusprechen, wo ein jeder im Hain ebendies wusste und Ma'rit unter den Wächtern als Freund galt.
»Herrin, ihr kennt um das Unbehagen innerhalb der Umgrenzung?«
»Natürlich, sie befindet sich dem äußeren Bann am Nächsten.«
Der Überbringer nickte zustimmend und seine Stimme wurde fester. Stolz erklang in seinen Worten. »Erebor erstarkt. Er wart noch nie so Grün wie augenblicklich. Eine zweite Blüte erstrahlt und die Umgrenzung gewinnt an Substanz.«
Beide, Wachtmeister und Oberhaupt wechselten hoffnungsvolle Blicke. Ma'rit schob sich ohne Umschweife an seiner Schwester vorbei und eilte davon. »Bleib bei ihr«, orderte er an.
»Die Umgrenzung wird stabiler?«
»Ja Herrin. Der Schutz Erebors kommt zu Kräften wie schon lange nicht mehr und das unwohle Gefühl am Rande des Hains schwächt spürbar ab.«
Aus allen Winkeln des Weilers traten Männer, Frauen und Kinder hervor. Langsam und bedacht aber sie kamen. Niemand sprach ein Wort auch nicht Veit, der sie als Erstes bemerkte. Leise weinte er vor Glück und Freude. Einige bedeckt mit dem Staub und Schmutz der vergangenen Jahreswenden, andere wiederum sauber und ausgeruht, als begannen sie ihr Tagwerk.
»Simon«, flüsterte er. »Simon, sie sind wieder da ... Alle.« Er wippte erregt umher und stupste wiederholt Si'mons Seite, bis er endlich aufsah und sich vor Schrecken an seiner eingeatmeten Luft verschluckte. Wulff erbleichte, als eine Hand sich auf seine Schulter legte und er die Person hinter sich erkannte. Sie nickte lächelnd und sah hinüber zu ihrem Erlöser.
Eine leicht untersetzte Frau, vermutlich um die vierzig Sommer, trat näher und hob andächtig ihre rechte Hand. Sie ging aufrecht und zeigte nur angedeutete Fältchen, die sich um ihre Augen schmiegten. Sie blieb etwa um eine Halblänge vor den beiden Jungen stehen und schien nur ihn zu sehen.
Er hielt nach wie vor Mithrodin fest umschlossen. Ihre Finger zeichneten die Züge seines Antlitzes nach. »Jünger, durchaus auch ohne Bart, ja. Das Rüstzeugs nicht am Platz und die Schultern noch schmal. Dennoch besteht kein Zweifel.« Sie nickte, ihre Lippen begannen zu beben und tränen rannen ihr übers Gesicht. »Er ist gekommen. So seht doch, Kilian unser König ist gekommen, um uns erneut zu führen.« Ungeachtet kniete sie nieder und nestelte an seiner Hose. »Er ist gekommen«, wiederholte sie.
Wolff trat vor und hielt die blutverschmierte Hand voraus. »Ich vergoss sein Blut, auch wenn es das des Sohnes ist. Sohn unseres aller König, meines Freundes.« Er nickte unentwegt bei seinen Worten. »Seine Hinterlassenschaft sei dein Erbe. Prinz Simon, träger Mithrodins.«
Noch bevor er sich wie seine Vorrednerin niederknien konnte, ergriff Si'mon seine Hand und hielt sie umklammert. »Veit, ein Eimer mit Wasser, schnell.«
Er ersparte sich lange Erklärungen und deutete hinab. »Es ist mein Blut Wolff. Wir können es als Waffe gegen diesen vermaledeiten Bann einsetzen.« Wiedererwartend verstand er nicht, wusch sich dennoch gehorsam die Hand. »Du bist der Erbe unseres verstorbenen Königs. Du kommst nicht umhin und trägst sein Schwert. Stell dich deinem Erbe ...« Leise fügte er anbei. »... bitte.«
»Ich habe eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt. Ich weiß nicht, welche Bürde damit auf meinen Schultern lastet, Wolff.«
»Mit deiner Erlaubnis und meiner Hilfe ...« er trat zurück. »... wirst du es erfahren.«
»Was habt ihr vor?«
Die Umstehenden beobachteten aufmerksam das Treiben ihres Anführers. Jene Frau, die ihm vor nicht all zu langer Zeit die Hand auf die Schulter legte, hielt Veit im Arm und lächelte.
»Leute hört mir zu. Kilian unser König fiel vor vielen Jahreswenden im letzten Gefecht im ›Tiefwald‹. Ich selbst trug seine Überreste zu Grabe. Etliche von uns wussten über die Liebschaft mit der Prinzessin der Lynken.« Er zeigte direkt auf Si'mon. »Dies ist Simon. Sohn Lyans, Oberhaupt der Lynken und Sohn Kilians unseres Königs. Er ist erwachsen und unser währender Schlaf fand ein Ende.« Er atmete tief ein, ballte die rechte zur Faust und hob sie hoch in die Luft. Si'mon ahnte, was folgen würde und schloss die Augen.
»Lang lebe der König! Lang lebe Simon!«
Eine wogende Brandung schlug sich über ihm zusammen. Aus unzähligen Mündern erscholl derselbe Ruf. »Lang lebe der König! Lang lebe Simon!«
In seinem Geiste formte sich wieder diese weibliche Stimme. »Auf das dein Reich wachse.«