So unwahrscheinlich es ihm auch schien, er konnte nirgends Spuren von Gewalt oder feindlichem Eindringen erspähen. Er kannte den Hain, das Haus der Schwingenreiter, die er einst so oft besuchte.
Sie pflegten hoch oben in den Wipfeln der kräftigsten Bäume zu leben. Niemand der Angehörigen würde eine Behausung auf dem Boden errichten. Wenn sie sich auf festem Grund bewegten oder ruhten, dann in luftigen Baldachinen, die ihnen freien Blick zu jedweder Himmelsrichtung gewährten.
Obgleich die Nacht unaufhaltsam voranschritt, wusste Alanel, dass die Lähmung ihm nichts mehr anhaben konnte. Erebors Macht übertrug sich und ein ähnlicher Schutz erwuchs auch an diesem Ort. Sein Unbehagen glich jenem, den er aus der Umgrenzung kannte. Der Urbaum würde das Grau von hier vertreiben, so wie er es aus seinem zuhause fernhielt. Sein Zuhause ... seltsam. Obwohl Lynkas Blut in seinen Adern pulsierte, fühlte er sich den Lynken um ein vielfaches näher.
Der Spross des Urbaums sah ihm nahezu gleich. Der Stamm nicht so wuchtig und die Krone so ausladend, aber überdeutlich aus demselben Holz.
Er zog beide, ihm übergebenen, Röhrchen hervor und rollte sie in der Hand. Sein Blick streifte die schmalen Tongefäße. »Das eine für den Baum, das andere fürs Volk.«
»Schwärmt aus und durchsucht die Häuser.«
Ohne Fragen zu stellen und sich gegenseitig abzustimmen gingen sie zu Werke. Kylion hingegen war seines eigenen Weges bestimmt. Zielgerichtet und ohne Umschweife hielt er auf einen eingefallenen Flachbau zu. Sein Voranschreiten war bedächtig und er schien mit jedem Schritt zu hadern.
Si'mon vermutete, dass dies dereinst sein Heim gewesen sein musste, und hoffte inständig, dass in den Trümmern nicht anderes fand als Unrat.
Kylion stand vor dem einstigen Zugang und stützte sich mit beiden Händen vorn übergebeugt am gebliebenen Rahmen ab. Sein Kopf senkte sich und man sah überdeutlich seine Erleichterung. Er blickte sich um und ein wissender Ausdruck erschien in seinen Augen. Ein Glanz, der von Hoffnung zeugte.
Die Männer kamen zusammen und berichteten von leer stehenden bis hin zu vollkommen unbrauchbaren Gebäuden. Sie fanden weder erstarrte Körper noch Überreste Verstorbener.
»Dort drüben Herr, das große halb zerfallene Bauwerk. Dies scheint einmal eine Lagerstätte oder so gewesen zu sein. Der hintere Teil ist noch nutzbar. Dort drinnen ist es trocken und windgeschützt.«
»Gut. Geh mit den Männern voraus Gerald. Ich werde mit Kylion das nahe Umland in Augenschein nehmen. Wir sind in Kürze zurück.«
Kaum außer Hörweite der Übrigen musterte Kylion seinen König. »Was habt ihr vor«, verlangte er zu erfahren.
»Ihr könnt euch verstellen, auch gern verstecken. Aber euer Körper, ebenso eure Augen sprechen eine andere Sprache. Ihr wisst, wo sie sind.«
Er nickte und eine schwere Last fiel von seinen Schultern. »Ihr habt Recht und ich euch unterschätzt. Ihr werdet eurem Volk ein guter König werden.«
»Wo sind sie?«
Anstatt zu antworten, zeigte Kylion in Richtung der Hänge und hob winkend den Kopf. Si'mon verstand nicht und strengte sich an zu erblicken, worauf sein Gefährte ihn aufmerksam machen wollte.
Ein Baum und ein paar Findlinge. Dort sollen sie sein?
Kylion nickte, als Si'mon ihn fragend ansah.
»Die gesamte Hochebene besteht aus hartem sandigen Gestein. Die Väter unserer Großväter, vermutlich sogar bereits deren Väter hegten enge Freundschaftsbeziehungen zu dem kleinen Volk. Von ihnen lernten sie, den Stein nutzgerecht zu formen. Sie begannen eine Zuflucht zu bauen. Eine zuhause unter dem Zuhause.«
Si'mons Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Dann sind die wenigen Gehöfte wie auch dieser Weiler nichts als Gaukelei?«
Kylion nickte. »Die Hochebenen boten so vielen Leuten eine Heimat. Niemad würde jemals glauben, dass all diese Leute wahrhaftig hier oben leben würden.«