Eine Hand legte sich von hinten auf Delavars Schulter. Es war Arion, der sich zum Überdruss Eldarils an die Seite seines Onkels gesellte und ihm ins Ohr hauchte. »Sie sind erneut auf Suche. Bisher ohne Spur.«
Der Schwertmann des Hains nickte kaum merklich. Er musste Zeit gewinnen. Mit mahnendem Finger nährte er sich den Neuankömmlingen. Er versuchte alles an Hohn in seine Stimme zu legen, was er erübrigen konnte. »Spricht der Verräter und Feigling. Du und deine Begleiter wart es doch, die sich unverhohlen abwanden, kaum das wir Erebors Hain betraten. Weiteren Flüchtenden wolltet ihr helfen. Niemand fand mehr den Weg in die schützende Umarmung. Geflohen seid ihr, weil ihr dachtet, beim Haus der Schwingenreiter sicherer zu sein.«
Gelassen und amüsiert beobachteten El'arion und Kenhan die wirren Anschuldigungen. Beide verschränkten gleichmütig die Hände auf ihren Sättel.
»Das reicht Delavar. Bist du von Sinnen?« Ermahnte Ly'an die sich erschrocken an ihrem eigenem Atem verschluckte.
Es war El'arion hingegen, Oberhaupt des Hauses der Schwingenreiter, der lächelnd auf den Schwertmeister herabsah und Ly'an mit einem zuvor wissenden Lächeln beruhigte. Es stand außer Frage, dass er keinem einzigen der vorgeworfenen Worte Glauben schenkte. »Lasst Gut sein, Herrin. Dank Alanel wissen wir um die Ränke, die um euch gesponnen wurden. Auch haben wir Kenntnis um etwaige Mutmaßungen, die sich wacker halten. Ihr habt getan, was eine gerechte Herrscherin nur tun konnte. Was dich jedoch betrifft, Delavar ... muss ich dich enttäuschen. Während du es warst, der sich hier im Schutze Erebors in Sicherheit wiegte, fielen wir der grauen Lähmung anheim. Abermals war es Alanel, der uns erlöste und die Schmach des Verrates behob. Er war es, der die Lebensader des Urbaumes zu seinem Kind heilte.« Bewusst ließ er Si'mon unbedacht und ebenso zu erwähnen, wie Alanel es vollbrachte, das geschändete Mal zu heilen.
Der Schwertmeister verzog die Brauen und sah von Ly'an zurück zu El'arion. »Was ...«
»Ja Delavar, was.« Begann El'arion erneut und viel ihm harsch ins Wort. »Ebendies ist dem Schein nach die präzise Frage. Ob du jedoch in jenen bitterbösen Ränken involviert bist, bleibt eine Vermutung, bis du sie selbst gestehst oder bewiesen werden kann.«
Vorsichtig und bedächtig zog Delavar sein Schwert blank. Arion tat es ihm gleich. Seine Augen zuckten unstet zu allen erdenklichen Seiten. Er war nervös und sein Blick sprach die Angst aus, die seine Lippen nicht zu formen wagten.
»Ist es Mut oder Dummheit? So war es doch Ly'an, die das ungeborene Kind aus dem sterbenden Leib schnitt und als ihr eigenes aufzog.«
Erschrocken weiteten sich Delavars Augen und sah sich Hilfe suchend um. Niemand wagte einzuschreiten, war das Gefolge Ly'ans zu überzählig. Sein Ansinnen stand auf Messersschneide.
»Ganz recht. Eldaril ist nicht die Tochter Ly'ans sonder das leibliche Kind Elesil und Lorions, die eigenst von Lynka bestimmten Nachfolger seiner Hinterlassenschaft.«
Der Anführer der Lynkas hob belehrend die Hand und streckte sie Delavar zur Faust geballt entgegen. »Herrin Ly'an. Ich Kenhan, engster Berater und Schwertführer Lynkas beanspruche den Platz als Schwertmeister an eurer Seite. Ihr wähltet gut, als Delavar stellvertretend meinen Posten antrat und meine Aufgaben übernahm. Nun jedoch bin ich gekommen, um ihn von seinen Pflichten zu erlösen. So bestimmte es eure Mutter, Lynke selbst.«
Ly'an kannte die Regelung und die einhergehenden Folgen. Als sie Delavar als Schwertmeister berief, gewährte sie allen Lynkas Bleiberecht und folgte dem letzten Wunsch ihrer geliebten Lebensspenderin. Den abgelegenen Häusern oblag eigenes Recht, Lynkas in ihrem Hain willkommen zu heißen und hatte keine Bewandtnis zum Entscheid des Oberhauptes von Erebors Hain. Sie musste dem Gesuch stattgeben. Zum Eingeständnis nickte sie und beobachtete aus dem Augenwinkel die vor Wut pulsierenden Schläfen ihres vormaligen Schwertmannes. Ma'rit hingegen kämpfte sichtlich mit Schadenfreude, seine Augen funkelten vor Häme.
»So sei es denn. Nehmt euren angestammten Platz als Schwertmeister neben mir ein. Ich und alle Bewohner Erebors Hains danken Delavar, für seine steten Dienste.«
Es war offensichtlich und schiere Absicht, dem Mann die Treue nicht anzuerkennen. Die Etikette verlangte Entbundene mit dem Geheiß des Gelöbnisses von ihrem Auftrag zu lösen, sie hingegen verschwieg dies. Gemeinhin unterstellte sie ihm somit der Untreue.
»Solange die Schuld Delavars nicht erwiesen ist, darf er sich eingeschränkt bewegen. Ich verweise ihn und seine treuen Gefährten jedoch in die äußeren Bereiche. Der Zutritt zum Urbaum wie auch des Ratshauses bleibt ihm nur auf Gesuch gestattet. Ähnlich tat er es jenen gleich, die seinen Sinnen Untreue hegten. Ich verneige mein Haupt und schwöre Blutstreue vor dem Erben Lynkas.«
Er zog einen Dolch, in dessen polierten Glanz sich die Strahlen der Sonne brachen. »Eldaril, nimm mein Blut als Beweis meiner Treue.« Er schnitt sich in die linke Innenhandfläche und Balte dieser zur Faust.
»Ich nehme deine Gabe entgegen und akzeptiere deinen Schwur. Solange die Vereinigung nicht vollzogen wurde, berufe dich zu meinem Schwertführer.« Eldaril trat vor und Kenhan hob seine gespreizte Hand vor ihren Kopf. Eine schräg verlaufende Blutlinie zierte ihre Stirn.
»So beschreiten wir weiterhin den Weg der Vereinigung.«
Delavar schnaubte und schubste Arion voran. Die angetretenen Reiter saßen ab und die Menge vermischte sich. El'arion und Ly'an jedoch vernahmen trotz der Freude auch jene, die sich auf die Seite Delavars und seinem Ziehsohn schlugen.