Nachdem Varyny nach ihrer Niederlage im zweiten Krieg des Grauens um die Hälfte zugunsten der neuen menschlichen Königreiche dezimiert wurde, sollte es niemals mehr seine einstige Herrlichkeit erreichen. Gebrochen und unfähig sich wieder in die Luft zu erheben, träumt der Adler alleine von den Zeiten Lorechos und Firejlls und hofft darauf, dass sich diese erneut erheben.
Aus "Eine Geschichte der Reiche Anthars"
Heled beugte sich über die Karte und tippte auf einen Punkt etwas südlich des Wintergebirges. Um ihn herum standen Assur, Togorma und Hul, Heleds besten Männer. Der vernarbte Oleoner stützte sich auf seinen Anderthalbhänder, der absolut untypisch für einen Kavallerist war und selbst für eine gewöhnliche Klinge zu klobig und unhandlich war, zu Assur jedoch perfekt passte. Togorma war ein mürrischer und kluger Bauernsohn gewesen, der allzu kritisch gegenüber der Regierung gewesen war und deshalb vor die Wahl der Hinrichtung oder die Armee gestellt worden war. Er hatte sich für die zweite Möglichkeit entscheiden und vermochte es wie kein anderer, die Stärken seiner Männer perfekt auszunutzen. Huls Vater war ein in Ungnade gefallener niederer Adeliger gewesen, dessen jüngster Sohn sein Leben nur hatte retten können, indem er sich der Armee angeschlossen hatte und somit auf seinen Erbanspruch verzichtete. Er war beliebt bei den Männern, ihr Fürsprecher, kannte ihre Sorgen genau und vermochte es sie genau dazu zu bringen, was sie machen sollten, weshalb er auch die Aufsicht über die Rekruten übernommen hatte.
Ihnen allen vertraute Heled und sie alle waren auf ihre Art gute Männer.
„Hier befindet sich ein Trockental, durch welche die Straße von Anil führt, über die Havinon will. Ein Pfad führt von ihr nach Nordosten in das Wintergebirge, allerdings wird dieser weiter nördlich von einem Bach durchschnitten, der jetzt ziemlich viel Wasser führen müsste. Wenn einige Männer sich im diesen Pfad verstecken werden, wäre es sicherlich sinnvoll, den Bach umzuleiten, um sie auf uns zu zutreiben. Im Süden oberhalb des Tales befinden sich Kieferwälder und große Felsen, wo sich Bogenschützen sehr gut verbergen können. Weiter westlich steigt das Tal an, um auf die Höhe der Umgebung zu kommen. Ein sehr geeigneter Platz für einen Kavallerieangriff.
„Ihr vermutet also, dass sie von drei Seiten angreifen werden?“, fragte Hul, obwohl er die Antwort schon kannte.
„Die Kavallerie von vorne, Bogenschützen aus dem Süden und Infanterie von Norden aus dem Pfad. Togorma, Ihr werdet Euch um die Kavallerie kümmern, Assur um die Bogenschützen und Hul wird mit den Rekruten den Bach umleiten.“.
Die drei Männer nickten und begannen ihrerseits Pläne aufzustellen. Die Planung ihrer Angriffe überließ Heled seinen Männern, sie wussten am besten wie sie ihre Männer einsetzen würden und so war es am besten.
„Ihr plant einen weiteren Kampf ein, Heled?“. Havinon sah ihnen über die Schulter auf die Karte und sah dann den Rittmeister an.
Dieser stand auf, klopfte sich den Schnee vom Mantel und bedeutete dem Herzog ihn außer Hörweite zu folgen.
„Diese Männer vom Oststrom waren nicht dazu da, uns zu besiegen. Sie sollten uns allein schwächen. Das hat mich die ganze Zeit schon gestört. Sie hatten viel zu wenige Männer, um ernsthaft zu hoffen, uns zu besiegen. Anfangs dachte ich noch, dass sie sich aufgeteilt hätten und weitere Truppen an anderen Orten auf uns warteten, doch haben meine Späher nichts dergleichen gesehen.“.
Über ihnen kreischte ein Habicht und wenig später flog er pfeilschnell zu Boden, um sich mit einer Maus in den Fängen wieder zu erheben. Der Himmel verdüsterte sich und Regenwolken verdeckten die Sonne. Einzelne Tropfen tränkten den Boden und vertrieben den Schnee, der die letzten Tage noch hier regiert hatte.
„Was mich ebenfalls gestört hatte, war der Gedanke, dass sie Herzog Beera schaden wollten. Nur weil ein einzelner Adeliger rebelliert, sagt das nichts über seinen Herrn aus. Doch wer auch immer diesen Angriff befohlen hat, ist nicht nur daran interessiert, Beera einen Überfall auf Euch anzuhängen, sondern auch noch eine Verbündung mit den Zwillingsreichen. Wir haben die Grenze überquert, doch das schenkt uns nicht mehr Sicherheit. Denn unsere wirkliche Vernichtung soll in einem Tal weiter westlich von hier geschehen, vermutlich werden sie sowohl Flaggen der Zwillingsreiche bei sich tragen, als auch die einiger Vasallen von Herzog Beera. Irgendjemandem gefällt Euer Bündnis mit den Zwillingsreichen nicht. Und ich gedenke, ihm zuvor zu kommen.“.
Havinon legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Ihr macht das schon, Rittmeister.“.
„Das werde ich. Die Frage ist nur, welchen Preis wir dafür zahlen werden.“.
Die Ilos-Sümpfe rochen nach Moder, Feuchtigkeit und nasser Erde. Alte und krumme Bäume streckten ihre kahlen weit verzweigten Äste dem Himmel entgegen, der grau und wolkenverhangen war. Einige Krähen krächzten und erhoben sich in den Himmel, als sie die Löwin wahrnahmen, die langsam und bedächtig den Pfad entlang schritt, den der Lauf der Zeit in die Sümpfe gegraben hatte. Einst sollte es hier Sumpfgeister gegeben haben, als man diese Gegend noch als Isirdis-Sümpfe bezeichnet hatte, doch war diese Zeit lange vorbei. Heute rankten sich nur noch Mythen um diese Zeit, die man nur als das goldene Zeitalter Anthars genannt hatte. Eine Zeit, in der in Ikantjey noch Ascarna die Große regiert hatte. Diese Zeiten waren lange vorbei und jetzt regierten ihre Ururenkel über Ikantjey und die Enkel ihres Bruders über Bocrovney.
Dann sah Hadassa das Ziel ihrer Reise. Zwischen knorrigen Bäumen versteckte sich ein Blockhaus. Es war klein, jedoch stabil und vor jeglichem Sturm sicher, hinter dem Haus hatte jemand in mühevoller Arbeit einen Garten angelegt. Ein Vogel schrie und aus klugen ockerfarbenen Augen beobachtete sie ein Adler. Das braune Gefieder glänzte und als er die Flügel ausbreitete, verstand Hadassa erneut, warum man dieses Tier den König Varynys nannte.
Die Königin der Wüsten neigte den Kopf vor dem König der Wälder und murmelte einen Gruß.
Die Tür des Blockhauses öffnete sich und eine Hersora trat heraus. Sie musterte die Löwin, dann lachte sie.
„Hadassa! Lange ist es her.“.
Die besagte Löwin wechselte in die Gestalt einer Frau und umarmte Kilchre.
„Du bist stärker und größer geworden, Hadassa.“, stellte die Hersora nach einer Musterung fest.
„Du auch.“, gab die Sphinx das Lob zurück, dann überdeckte der Ernst jedoch die Freude über das Wiedersehen. „Ich brauche dein Wissen und deine Hilfe, Kilchre.“.
Die Hersora nickte. Es war keine Zeit für unnötige Fragen.
Sie öffnete die Tür zu dem Blockhaus und winkte Hadassa hinein, die ihr sogleich folgte. In der Mitte der Hütte stand ein großer Tisch, verziert mit Tintenklecksen und Bücherstapeln. An einer Seite waren durch Vorhänge abgetrennt zwei Betten, neben der jeweils eine Truhe stand. In einem Kamin brannte ein wärmendes Feuer und Kilchre warf zwei weitere Holzscheite in die Glut. Doch mehr als genug gab es Bücher. Überall türmten sich Stapel. Dick und dünn, als Bücher gebunden und Pergamentrollen, dunkel verfärbt vom Alter. Kichre räumte Bücherstapel zur Seite und bedeutete Hadassa sich zu setzen.
„Also, was ist los?“.
„Ich habe einen toten Sphinx gefunden, der sich nicht in Sand aufgelöst hat.“.
„Wo?“. Das mochte Hadassa an Kilchre. Sie war praktisch veranlagt und glaubte ihr sofort.
„Im Norden der Haretruq.“.
„Hm.“. Kilchre stützte das Gesicht in die Hände und blickte nachdenklich in die Ferne.
Doch die einsetzende Stille wurde von Stimmen zerstört, die von draußen herein schallten. Hadassa sprang auf, doch die Hersora legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Die Tür öffnete sich und herein kam ein Hersor, in der einen Hand einen Hasen, in der anderen einen Bogen trug. Seine Kleidung war einfach und zweckmäßig. Ein Wollhemd, darüber einen Mantel und eine Hose aus geschmeidigem Leder. Von seinem dunklen Haar waren die vorderen Strähnen eingeflochten und Perlen und winzige Steine klimperten bei jedem Schritt. Seine Flügel waren groß und kräftig, mit dunklem Gefieder und einer hellen Unterseite. An seiner rechten Hand glitzerten Dutzende von Ringen aus allen möglichen Metallen und verziert mit Edelsteinen.
Neben ihnen stand ein junger Hersor, den Menschen im Alter zwischen vier und fünf einschätzen würden. Er sah aus wie der Hersor neben ihm, nur, dass er nicht dessen Körpergröße und Flügelspannweite erreichte. Auch in sein Haar waren Perlen eingeflochten, doch waren sie deutlich weniger und an seiner rechten Hand glitzerten allein drei Ringe.
„Da hat man sich hundert Jahre nicht gesehen und dann hast du dir gleich einen Mann und Kind eingefangen.“, murmelte sie und sah Kilchre überrascht an.
Diese schnaubte nur und meinte: „Für dich mögen hundert Menschenjahre ja nur zwei Jahreszeiten sein, aber für uns sind es immerhin neun.“. Sie deutete auf den Hersor. „Das ist mein Mann Alechos und dies ist mein Sohn Mendechos.“. Hadassa begrüßte die beiden Hersor kurz, dann setzten sich die beiden an den Tisch zurück, während Alechos den Hasen vor der Hütte ausnahm und Mendechos in einem Buch las.
„Es sind immer noch zu wenige Teile.“, murmelte Kilchre mehr zu sich selbst, als zu Hadassa.
Sie sah zu ihrem Gegenüber und meinte dann: „Ich habe so etwas schon vermutet, irgendwann musste es ja geschehen.“.
„Weißt du, was mit dem Jungen geschehen ist?“.
Die Hersora wiegte den Kopf.
„Ich habe eine Vermutung, allerdings müsste ich um diese zu überprüfen nach Telach.“.
„Telach?“. Hadassa starrte sie überrascht an. Sie hatte keine Ahnung, was Kilchre in einer der östlichen arthergischen Städte zu finden glaubte.
„Wie du weißt, sind bei uns einige Bücher verboten, deshalb musste ich einige besondere Exemplare in Sicherheit bringen.“. Sie seufzte. „Dies tat ich in Telach. Ich führe eine Korrespondenz mit Herzog Havinon. Wir sind schon seit einiger Zeit an einer Sache dran. Er hat einige sehr gute Bücher, die noch nicht fertig übersetzt sind und die uns sicherlich weiter helfen würden. Erst vor einigen Wochen schrieb er mir, dass er ein Werk über Ascarna, die Große, von Narichre Tanide gefunden hat.“.
„Wie sollte ein Buch über Ascarna uns weiter helfen?“.
Hadassa hatte für Bücher nicht viel übrig, auch wenn sie für eine Sphinx relativ gut lesen konnte, wobei es jedoch am Schreiben haperte.
„Die meisten Fehler von Menschen geschahen schon zuvor und genauso wiederholen sich die meisten Dinge. Ich bezweifle, dass du irgendjemanden finden wirst, der dir sagen kann, wer diesen Jungen tötete. Dies können allein die Autoren der Vergangenheit und auf ihre Spuren müssen wir uns zurückbegeben.“.
Hadassa zuckte mit den Schultern. „Ich werde dir da nur keine große Hilfe sein können.“.
„Das werden wir sehen.“. Kilchre stand auf und öffnete die Tür. Sie pfiff und streckte den Arm aus. Pfeilschnell schoss der Adler heran und fand seinen Platz auf dem Arm der Hersora.
„Tiad, nicht wahr?“.
Kilchre nickte und strich Tiad über das Gefieder. Sie ließ ihn auf einem Bücherstapel sitzen und griff nach Papier und Feder. Eilig reihte sie Schriftzeichen hinter einander, pustete die Tinte trocken und band die Nachricht dann an das Bein des Adlers.
Sie nahm den Adler erneut auf ihren Arm und flüsterte: „Flieg, Tiad, bring Havinon meine Nachricht.“.
Kilchre schloss die Tür wieder und sperrte die Kälte aus.
„Ich werde warten, bis ich eine Antwort bekommen habe.“.
„Du hast einem Menschen von meinem Fund berichtet?!“.
„Sicherlich.“. Kilchre zuckte nur mit den Schultern. „Immerhin ist es seine Bibliothek, in der wir Antworten zu finden hoffen. Außerdem sind längst nicht alle Menschen so schlecht, wie ihr Sphinxe immer glaubt.“.
Hadassa schnaubte ungläubig. Bis jetzt hatte sie noch keinen Menschen kennen gelernt, der sie vom Gegenteil hatte überzeugen können. Und sie war weit herumgekommen und hatte selbst Artherg und die Zwergenreiche durchreist.
„Wie lange wird es dauern, bis die Antwort uns erreicht?“.
„Einen halben Monat mindestens, vielleicht auch einen ganzen. Je nachdem wo Havinon sich momentan aufhält.“.
„So lange werde ich mich bestimmt nicht in einer winzigen Hütte und in einem kalten und schrecklichen Sumpf aufhalten.“.
Sie sprang auf, umarmte Kilchre schnell, öffnete die Tür und meinte dann: „In einem halben Monat bin ich wieder da.“.
Sie winkte Alechos zu, der vor der Hütte Holz hackte, verwandelte sich in eine Löwin und jagte davon. Sie musste wieder die Hitze der Wüsten atmen, den Kies unter ihren Pfoten spüren und das brackige Wasser der halb vertrockneten Tümpel trinken. Die Wälder waren nichts für sie.
Steile Felsen ragten zu beiden Seiten des Tales auf. Der Lauf des Flusses hatte sich tief in das Gestein gegraben, doch nun hatte er einen anderen Weg genommen und dieses Tal zurückgelassen. Die Kutsche des Herzogs und seiner Tochter bewegte sich nur langsam von der Stelle. Geschmolzener Schnee und Regen hatten den Untergrund zu einer Matschfläche werden lassen. An einigen Stellen blühten die ersten Schneeglöckchen und selbst einige Buschwindröschen trauten sich schon aus dem Bauch der Erde.
Die Pferde versuchten hier und da das erste Gras zu erhaschen, doch hielten ihre Reiter sie zurück. Heled ritt an der Spitze der Kolonne, neben ihm Herzog Havinon, dessen Scheckhengst noch unruhiger war als sonst. Sie waren in den Schatten der Felswände getaucht und nur wenige Sonnenstrahlen vermochten es den Grund des Tales zu erreichen. Rechts von ihnen waren die Felsen flacher und weniger hoch als die steilen Hänge an ihrer linken. Hier konnten Männer gut hochklettern und einige Ziegenpfade schlängelten sich oberhalb von ihnen entlang.
Heled nickte Havinon zu, als er den Einschnitt rechts von ihnen sah, der den Pfad andeutete, den die Rekruten zu fluten hatten. Hoffentlich hatten sie nicht versagt.
Doch anscheinend hatten sie ihre Aufgabe erfüllt, denn leise Flüche erklangen, die sich langsam aber sicher in Verzweifelung wanden, als sie erkannten, dass der Wasserpegel nur noch anstieg. Auf den Befehl des Rittmeisters hin stellten sich einige Bogenschützen auf und zielten auf den Pfad, aus dem nun einige klitschnasse Männer stürzten, verfolgt von einer Wasserwelle. Diese schwappte über die Hufe der Pferde, verteilte sich aber auf eine zu große Fläche, um Schaden anzurichten. Blut färbte das Wasser rot und Pfeile ragten aus den Leichen der Männer. Auch über ihnen erklangen Schwerter und einige Pfeile regneten auf sie herab, ohne großen Schaden anzurichten.
„Formieren.“, schrie Heled und seine dunkle Stimme erreichte jeden seiner Männer. „Speere nach vorne.“.
Aus der Kutsche stieg Alsra von Scheeru, gekleidet in Hosen anstatt eines Kleides. Heled befahl einem seiner Männer, sie vor sich in den Sattel zu nehmen, während Alsras Hund um sie herum jagte. Ein weiterer Mann kümmerte sich um ihre Magd.
Dann donnerten die Pferdehufe über die Erde, Wasser, Schweiß und Blut verklebte das Fell der Tiere, während sie das steigende Tal hinaufjagten. Ihnen entgegen rannte eine weitere Wand von Pferden. Kettenhemden glänzten, Schwerter klirrten und über ihnen erhoben sich die beiden Throne der Zwillingsreiche im Wind, sowie einige weitere Wappen von kleineren Fürstentümern aus Alak.
Pfeile regneten auf sie hinab und Pferde überschlugen sich mitten im Lauf, schleuderten ihre Reiter durch die Luft oder begruben sie unter sich und behinderten die nachkommenden Pferde.
Dann prallten die beiden Reihen aufeinander. Speer traf in Fleisch, durchbohrte Kettenhemden und Schwerter trennten Glieder ab. Gestürzte Reiter kämpften zu Fuß weiter und hieben nach den Beinen der Pferde. Einige Tiere stiegen und ihre Schreie füllten das Tal mit Schmerz. Auch Heleds Stute Malèhlti erhob sich in die Luft, war jedoch zum Glück unverletzt.
Inmitten des Kampfes erblickte der Rittmeister Alsra den Säbel ihres Beschützers ergriffen mit einem Gegner fechtend. Sie tat dies allein mit dem Mut der Verzweifelung, doch schlug sie sich erstaunlich gut, wenn man bedachte, dass sie eine Prinzessin war und körperliche Arbeit nicht kannte.
Dennoch entschloss sich Heled ihr zur Hilfe zu kommen, Havinon würde die Unversehrtheit seiner Tochter wohl lieber sein, als ein getöteter Gegner. Immerhin hatte sie auf ihrer baldigen Hochzeit hübsch auszusehen.
Ihr Gegner hatte noch nicht einmal Zeit sich umzudrehen, da spaltete ein Säbel seinen Kopf. Der Mann klatschte in das Wasser, das sich vom vielen Blut rot verfärbt hatte. Heled hob das Mädchen vor sich in den Sattel, ließ ihr jedoch den Säbel. Ein wenig Selbstwert würde ihr sicherlich nicht schaden.
Togormas berittene Bogenschützen ritten von vorne auf sie zu, es war für sie unmöglich ihre Waffen einzusetzen, wo überall Zweikämpfe ausgebrochen waren.
„Netter Kampf.“. Togorma grinste Heled an und drehte sich zu seinen Männern um, um ihnen zu befehlen, ihren Kameraden zur Hilfe zu eilen.
„Ein guter Ort für einen Hinterhalt.“, erklärte er und sein Rittmeister wusste ganz genau wie die Antwort lautete.
„Allerdings waren wir besser.“.
„Ach, ja.“. Togorma schob seine gespaltene Oberlippe vor und kicherte leise. „Das hatte ich ja fast vergessen.“.
Heled beließ es bei einem anerkennenden Nicken und beugte sich stattdessen zu Alsra.
„Ihr habt gut gekämpft, meine Dame.“.
„War ja auch keiner da, der es an meiner Stelle hätte tun können.“. Es lag kein Vorwurf sondern ein Lächeln in ihrer Stimme. Wie schon so oft zuvor stellte Heled fest, dass er dieses Mädchen mochte.
„Anscheinend hattet Ihr auch keine Hilfe nötig.“.
Alsra grinste und sah ihrem Vater entgegen, dessen Hengst vor jeder Kleinigkeit scheute.
Havinon tat so, als ob er das fremde Blut an der Kleidung seiner Tochter und den Säbel in ihrer Hand nicht bemerkt hatte und nickte Heled freundlich zu.
„Ihr hattet Recht mit Eurer Vermutung. Einer von ihnen hat tatsächlich die Frechheit besessen, Herzog Beeras Wappen zu tragen.“.
Heled zuckte mit den Schultern. Ihm war es relativ egal unter welchem Wappen ein Mann kämpfte, solange er nur zwischen Freund und Feind zu unterscheiden wusste.
„Nun dann wollen wir hoffen, dass sie sich das nächste Mal hüten werden, uns anzugreifen.“, meinte er nur und lenkte Malèhlti zurück, um die Verletzten zu bergen und alles für einen Weitermarsch vorzubereiten.
Nach acht weiteren Tagen lag ihr Ziel in greifbarer Nähe. Bis auf zwei versuchte Raubüberfälle, bei denen die Räuber jedoch bald geflüchtet waren, nachdem sie die Größe ihrer erwählten Beute erkannt hatte, war die Reise entspannt gewesen.
Nun atmeten die Männer erleichtert auf, als sie den Goldenen Fluss erkannten. Heled wusste nicht genau wie sie es erfahren hatten, doch in der Zwischenzeit wusste jeder, dass Zwillingsstadt ihr Ziel war. Selbst Alsra hatte die Kutsche verlassen und die Männer hatten sie bereitwillig in ihre Reihen aufgenommen. Sie lachten mit ihr, teilten ihr Essen mit ihr und hatten sogar versucht, ihr Unterricht im Schwertkampf zu geben, bis Herzog Havinon eingeschritten war. Der junge Soldat Maharai dagegen war ein Glückspilz, da sich Alsras hübsche Zofe wohl dazu entschlossen hatte, mit ihm das Lager zu teilen. Was sie sich dabei erhoffte, vermochte Heled nicht zu sagen, doch war die Laune der Männer, seitdem die beiden Frauen bei ihnen am Feuer saßen, entspannter geworden, so dass er nichts dagegen unternahm.
Nun strömte an ihnen die entfesselte Macht des Goldenen Flusses nach Osten vorbei und bewies seine Macht.
„Wo werden wir ihn überqueren?“, fragte ein Rekrut seinem Nebenmann, doch einer von Heleds Veteranen unterbrach ihn: „Dummkopf, hast du noch nie davon gehört, dass Zwillingsstadt sich zu beiden Seiten des Flusses erstreckt und somit auch Brücken besitzt?“.
Heled lauschte der Diskussion seiner Männer mit der Spur eines Lächelns im Gesicht, auch wenn seine Augen unberührt und kalt blieben.
„Weiter.“, befahl er und das Schwadron formierte sich wieder, um dem Fluss nach Westen zu folgen.
Doch auf einmal ertönte ein Schrei, der nicht in diese Natur zu passen schien. Heled sah in den Himmel und erkannte einen prächtigen Ader, der über ihnen kreiste. Dann stürzte er herab und landete auf Havinons ausgestreckten Arm. Es war ein schönes Tier, der jedoch ziemlich zerrupft aussah. Sein Gefieder war zerzaust und von Blut verklebt, einige Federn fehlten. An einem Bein hing noch ein Stückchen Band.
Havinon fluchte leise, während er dem Adler beruhigend über das Gefieder strich. Er winkte Heled zu sich und die beiden entfernten sich von der Gruppe, die ihnen neugierig hinterher sah. Doch wurden ihre Worte von den tosenden Massen des Wassers verschluckt, das unweit von ihnen entlang strömte
„Dies ist der Adler einer Hersora.“, stellte Heled fest und bemerkte ebenfalls die Sorge, die das Gesicht des Herzogs kennzeichnete. Dieser Auftrag wurde immer interessanter.
„Ja.“, flüsterte Havinon, das Gesicht immer noch von Entsetzen verzehrt. „Ihr Name ist Tiad.“.
Er sah den Rittmeister an und schien mit diesem Blick Heleds tiefsten Geheimnisse aufsaugen zu wollen, doch dieser wandte sich ab.
„Würdet Ihr mir nach Varyny folgen, nachdem wir meine Tochter sicher nach Zwillingsstadt geleitet haben?“. Seine Stimme war wie erstarrt.
„Ich habe mit meinen Männern geschworen, Euch zu beschützen.“, entgegnete der Krieger, „Und diesen Eid gedenke ich zu erfüllen.“.
„Ihr habt mich falsch verstanden, Heled. Ich möchte, dass Ihr allein mich begleitet und das Kommando über Euer Schwadron einem anderen Mann übertragt.“.
Es wurde noch interessanter. Diese Angelegenheit schien dem Herzog noch gefährlicher zu sein, als die Vermählung seiner Tochter, da er alleine Heled an seiner Seite wissen wollte. Warum vertraute der Herzog ihm nur? Weil er keine andere Wahl hatte? Dabei würde sein zukünftiger Schwiegersohn ihm doch sicherlich Männer zum Schutz seiner Sicherheit überlassen.
Heled betrachtete den Adler und in dessen Augen fand er etwas, dass ihn „Ja“ antworten ließ. Vielleicht war es der unausgesprochene Schmerz in den Augen des Tieres oder der ungebrochene Stolz, der Tiad trotz der Verletzungen stark und mächtig erscheinen ließ. Wer wusste es schon?
Heled wusste alleine, dass er ja antwortete und dass der Herzog seine Antwort schweigend zur Kenntnis nahm.
Über den Laufe des Tages begegneten ihnen immer Menschen, die Karren hinter sich herzogen oder Schweine -, Ziegen -, oder Schafsherden vor sich hertrieben. Fruchtbare Felder erstreckten sich an ihrem Weg, auch wenn sie jetzt verlassen dalagen und teilweise noch von Schnee bedeckt waren.
Zwillingsstadt hatte nichts mit den Städten Arthergs gemein. Statt mächtigen Mauern aus Stein, gab es Erdwälle mit hölzernen Palisaden, statt Häusern aus Stein oder Ziegeln gab es Holzhäuser. Und dennoch besaß auch diese Stadt eine gewisse Schönheit, die man erst nach einer gewissen Zeit entdeckte.
Sie lag gewiss nicht in dem Dreck und den Extrementen auf den Straßen, der Armut, die aus den Gesichtern der Kinder blickte, die mit nackten Füßen an ihnen vorbei rannten. Sie lag in der Freundlichkeit der Menschen. Die Menschen starrten sie zwar an und betrachteten staunend die fremden Wappen, doch grüßten sie und die Kinder lachten sie an. Aus ihren Hütten mochte Armut und ein Leben gezeichnet von Entbehren und Kargheit klingen, doch in ihren Augen lag eine ungebrochene Lebensfreude.
Heled mochte diese Stadt und er mochte die Zwillingsreiche und war froh, dass Havinon dieses Königreich gewählt hatte, um ihm die Hand seiner Tochter anzubieten. Ein wenig Glück hatten sie wahrlich nötig, auch wenn dieses nur in der drohenden Gefahr durch Arthergs Heere bestand, die nun durch eine Heirat gebannt wurde.
Die Freude der Menschen war ansteckend und so lag am Ende selbst auf Heleds Gesicht ein winziges Lächeln.
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