Zwei flohen aus dem Kuckucksnest:
Kassie fasste die Pistole mit zwei schweißfeuchten Händen und schoss auf den riesigen Wolf, der ihr am nächsten stand. Die Kugel traf das Tier in den Kopf, doch der Wolf würdigte den Treffer mit keiner Geste, nicht einmal einem Blinzeln. Das Einschussloch schloss sich sofort wieder, als hätte Kassie auf Rauch gefeuert.
Sie drückte nochmals ab, die Pistole klickte. Ihre Munition war leer.
"Mo ... Mo, wir müssen etwas tun!", rief sie. Langsam kratzte die Angst an ihrer Schutzhülle aus Zorn. Kassie steckte die Pistole ein und sah sich nach einem Fluchtweg um. Mortimer war inzwischen genau wie sie wieder auf die Füße gekommen, doch sie wurden von den Wölfen eingekreist, vier auf der einen, drei auf der anderen Seite, vor dem Ausgang.
Mo hielt ihr Handgelenk umklammert. Sie standen Rücken an Rücken, deshalb spürte Kassie, wie er zitterte. Auch ihr Herz raste.
"Wir dürfen keine Angst haben", flüsterte sie, aber leider ließ sich ihr Körper nicht davon überzeugen. Die Wölfe rückten knurrend vor. Dann sprang der vorderste auf Kassie zu.
Das Rattern eines Maschinengewehrs zerriss den Flur und tauchte die Dunkelheit in unzählige Lichtblitze. Der Wolf wurde in der Luft durchsiebt und fiel in Wolken und Fetzen auf den Boden. Die Fetzen verwandelten sich in schwarze Flüssigkeit, die entgegen der Schwerkraft die Wände hinauf floss.
Zwei kleine Scheinwerfer blendeten Kassie. Sie konnte so gerade die Umriss des Enthinderers sehen, der im Gang stand.
"Blaze!", jubelte sie und zog Mo auf den Rollstuhl zu, der immer noch auf die Wölfe feuerte. Die riesigen Tiere wurden zu Pfützen, zogen sich zurück und bildeten sich dann neu.
Kassie war am Rollstuhl angekommen, doch Blaze war nicht dort. Der Sitz des Enthinderers war leer.
Sie sprangen gerade noch rechtzeitig zur Seite, als der mechanische Rollstuhl einen plötzlichen Sprung machte und in die Masse der Wölfe donnerte. Jaulen und Knurren erfüllte den Gang - der tobende Kampf lag jetzt zwischen Kassie und dem Ausgang.
"Er ist nicht hier", rief Mo ihr zu.
Kassie nickte. Einen Moment wollte sie einfach auf den Boden sinken und aufgeben.
Mo zog an ihrem Arm. "Wir müssen hier raus!"
Kassie nickte wieder und folgte ihm, auf den Kampf zu.
Der Enthinderer machte Sprünge und eckige Drehungen und feuerte dabei konstant auf die Wölfe, die ihn in wildem Tanz umkreisten. Wieder und wieder wurden sie vom Dauerfeuer zerfetzt, doch auch der Enthinderer hatte schwere Wunden davon getragen. Die Zähne der Wölfe hatten seine Metallverkleidung ausgerissen und Drähte bloßgelegt.
Mo zog den Kopf ein und sprintete vorwärts, als er eine Lücke erspähte. Kassie zerrte er hinter sich her. Sie hatte panische Angst, doch sie richtete ihre Augen auf das helle Licht des Ausgangs und lief, was ihre Beine hergaben.
Vorbei an springenden Wölfen, durch den Kugelhagel. Einem Wolf kamen sie so nah, dass sie ihn hätten berühren können, während sie mit der anderen Schulter an der Wand entlang schrammten. Die Rute des riesigen Tiers fegte Kassie über das Gesicht.
Doch die Wölfe beachteten sie nicht.
Mo und Kassie stolperten durch den Ausgang und auf das Tor zu. Mit einem Sprung war Mo an dem Gitter und kletterte hinauf. Kassie war geistesgegenwärtig genug, ihre Jacke auszuziehen und Mo zu reichen, damit er sie über den Stacheldraht weiter oben legen konnte. Mo setzte sich rittlings auf den Zaun und reichte ihr eine Hand. Kassie sprang, erwischte seine Hand und rutschte im nächsten Moment nach oben, als Mo sich auf die andere Seite fallen ließ.
Sie schürfte sich die Haut an dem Zaun auf. Dornen des Stacheldrahtes drangen noch durch die Jacke an ihre Arme und Brust, und Kassie spürte Stöße, die ihr blaue Flecken beschaffen würden - aber all das war egal, als sie endlich auf das Gras jenseits des Zauns fiel. Sie rappelte sich auf und half Mo auf die Beine, der unter ihr begraben gewesen war.
In Haus stotterte das Feuer des Enthinderers und verstummte dann in einem metallischen Todesröcheln. Bedrückt sahen die Freunde zum Asylum.
"Was war das denn?", keuchte Mo.
"Was? Der Enthinderer?"
Mortimer nickte. "Es sah aus, als hätte er uns geholfen - ohne gesteuert zu werden."
Kassie zuckte mit den Schultern. "Vielleicht hat sich irgendwas von der Steuerung verklemmt, als Blaze gegen die Wand gefahren ist."
Sie verstummte. Die Schwärze jenseits der Spitaltür bewegte sich, dann trat ein Wolf aus der Öffnung. Schon folgte der nächste.
Die sieben Wölfe fixierten sie mit glühenden Augen und trotteten auf sie zu.
Mo und Kassie wichen nach hinten zurück.
Der erste Wolf stieß mit dem Kopf gegen den Zaun und ging einfach hindurch.
"Ich hab keine Angst vor euch", flüsterte Kassie und versuchte, ihren Mut zu finden. Die Wölfe waren doch nichts weiter als Rauch, den Beweis dafür hatte sie nun schon mehrfach gesehen.
"Wir müssen hier weg", drängte Mo und die Panik in seiner Stimme war nicht zu überhören. Kassie zog ihn weiter nach hinten, doch da erstreckte sich nur offenes Land ohne jede Versteckmöglichkeit.
Doch, ein Detail gab es: Ein langer, schwarzer Wagen fuhr gemütlich auf das Irrenhaus zu.
"Ifrit und Asmodai!", rief sie aus. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich freuen könnte, die Dämonen zu sehen.
"Los, Mo: Zum Wagen!"