Die Anmeldung
Luca erwachte davon, dass ihm jemand auf die Schulter tippte. Er blinzelte verschlafen und bemerkte, dass der Bus zum Stillstand gekommen war. Als er sich dem Besitzer des Fingers zu wandte, sah er in die blauen Augen von einem der fünf Mädchen.
„Entschuldigung“, sagte das Mädchen zaghaft: „Wir sind da.“
Luca streckte sich und unterdrückte ein Gähnen: „Was? Schon?“
Er sprang auf, als er merkte, dass außer ihnen Niemand mehr im Bus war: „Wo sind die anderen?“
„Sie warten draußen“, sagte das Mädchen und ging voraus.
„Warte – ähm – danke, dass du mich geweckt hast!“, rief Luca und stolperte hinterher.
„Fay“, sagte das blonde Mädchen: „Ich heiße Fay.“
„Danke, Fay“, sagte Luca ruhiger, als er bei ihr angekommen war. Dann traten sie gemeinsam hinaus in den kalten Regen.
Amy kam ihm bereits entgegen: „Luca, du Schlafmütze! Wir hätten dich beinahe vergessen!“
„Ich gehe dann mal“, verabschiedete sich Fay und ging mit leichten Schritten zu ihrer Gruppe zurück. Luca blickte dem Mädchen verträumt hinterher und beobachtete, wie ihre langen, blonden Haare vom Wind zerzaust wurden. Sie sah aus wie ein Engel, mit langen, glatten Haaren, nur in Schwarz gekleidet. Die Jacke und Hose erinnerten an einen förmlichen Anzug.
Lucas versonnenes Lächeln schwand, als Amy vor seiner Nase schnippte: „Hier spielt die Musik!“
„Oh. Sorry“, sagte Luca und riss sich zusammen: „Wo sind meine Sachen?“
„Da vorne. Kommst du jetzt mit unter das Dach oder bleibst du im Regen stehen?“, fragte Amy. Offenbar hatte er ihre Frage zuvor verpasst. Nach einem letzten Blick auf Fay stolperte Luca hinter Amy her zum Rest ihrer Gruppe.
„Ich glaube, da sind Geräusch“, verkündete ihnen Liam, der sich mit einem Ohr an die Tür gelehnt hatte und angestrengt lauschte.
Milo hatte Evelyn in eine Umarmung gezogen, um sich und sie zu wärmen: „Hoffentlich holt uns bald jemand, bevor wir uns noch erkälten!“
Wie als Antwort schwang plötzlich die Tür auf. Der kleine Liam stolperte zurück und sah sich plötzlich einem hochgewachsenen Mann in rotem Anzug entgegen.
Der Mann hob einen Zylinder an: „Willkommen … Todgeweihte!“
Die Jugendlichen wichen zurück, bis ihnen kalte Regentropfen auf die Köpfe fielen.
„Tretet ein … wenn ihr es wagt!“
Der Mann zog sich in das düstere Innere zurück. Nachdem er nervös geschluckt hatte, machte Luca den ersten Schritt in das grünliche Dämmerlicht. Amy raufte knurrend seine Taschen mit zusammen und trug sie ihm hinterher.
Im Eingangsbereich war es dunkel, doch durch Ritzen und dünne Stellen an den Wänden sickerte Licht. Die Wände waren aus Plastik und einem großen Maul nachempfunden, inklusive gelblicher Zähne und fauligem Zahnfleisch. Das Ambiente schien aus Plastik zu sein, durch welches an einigen Stellen Licht hindurch schimmerte. Von irgendwo her erklang Schmatzen.
Eine fleischige Zunge, die sich in der Mitte des Raumes aufbäumte, diente als Anmeldetheke. Der Mann im roten Anzug stand bereits dahinter und erwartete grinsend, dass sie näher traten.
„Gruppenname?“, fragte er in geheimnisvollem Flüstern, als wollte er ein schlafendes Monster nicht aufwecken.
„Hell-Hopping-Tour“, antwortete Amy für Luca, als dieser den Blick abwesend über die Zähne am Rand des Raumes und an der unebenen Decke wandern ließ.
Der Mann im roten Anzug kicherte: „Mutig seid ihr, zweifellos. Mutige Narren.“
Er schrieb etwas auf eine Liste und stellte dann eine graue Kiste auf den von nachgebildeten Geschmacksnerven übersäten Tresen. In der Kiste befanden sich mehrere Stoffbänder mit kleinen Ausweisen daran.
„Zieht diese an … und betretet euren Untergang“, sagte der Mann.
Jeder aus der Gruppe griff sich eines der roten oder grünen Bänder und streifte sie über den Kopf. Luca betrachtete die Schrift auf dem Ausweis:
Hell-Hopping-Tour
Opfer 3
Als sie fertig waren, öffnete sich automatisch eine Tür im hinteren Teil des Rachens. Während sie unter einem glänzenden Zäpfchen hindurch gingen, erklang ein lautes Schlucken aus einem versteckten Lautsprecher. Luca hatte wirklich das Gefühl, dieses seltsame Hotel habe ihn soeben verschlungen. Der Eindruck wurde nicht besser dadurch, dass sie sich nun in einem engen, speiseröhrenförmigen Gang befanden.
Der Mann im Anzug war ihnen lautlos gefolgt und drängte sich nun durch die Gruppe hindurch: „Als erstes zeige ich euch eure Zimmer.“
Die Gruppe folgte ihrem Führer zum Ende des Ganges, durch eine weiteres Tür und in einen kleinen Zwischenraum, dessen Wände mit gelbem Schleim bedeckt schienen. Das Mann öffnete eine der drei Türen in diesem Gang und sie gelangten in einen schwarzen Flur, von dem auf jeder Seite zehn Türen abgingen.
Ihr Führer wies auf die Linke Seite: „Dort liegen die Mädchenschlafsäle, rechts die der Jungen. Die Mädchen haben zwei Vierer-Schlafzimmer, die Jungen eines. Wer von Ihnen ist Herr Metschda?“
Dimitri trat vor und hob eine Hand: „Ich.“
„Gut, kommen Sie mit. Ihr anderen seht neben den Türschildern, wie die Zimmer verteilt sind.“
Als die beiden Männer gingen, starrten ihnen die Zurückgebliebenen hinterher.
„Wir haben getrennte Zimmer?“, fragte Evelyn an Milo gewandt.
„Ist ja nur für eine Nacht“, tröstete er sie.
Evelyn wirkte dennoch nicht froh darüber, sich von ihren Freunden zu trennen – Sitten hin oder her. Als sie die Zimmerverteilung las, wurde sie noch blasser: „Amy? Wir sind nicht zusammen!“
Auch die fünf Begleiterinnen von Samstag, sowie Samira und Amy lasen sich die kleinen Zettel durch. Luca war froh, dass nicht von Milo und Liam getrennt werden konnte, da sich – außer Dimitri – nur vier Jungen in der Gruppe befanden.
„Wo geht Dimitri hin?“, fragte er leise.
„Er hat ein Einzelzimmer gebucht“, antwortete ihm Samira, obwohl er absichtlich so leise gesprochen hatte, dass sie ihn nicht hörte.
„Okay“, sagte Luca eingeschüchtert und öffnete die Tür zum Jungenzimmer.
Der Raum dahinter war blau und schwarz. Die Wände waren mit einer nächtlichen Szene bemalt: Ein schwarzes Schloss in düsteren Bergen, die von hohen Tannenwäldern umgeben waren. Darüber ein fast schwarzer Nachthimmel, nur von wenigen Sternen und einem Vollmond erhellt. Schon auf den ersten Blick sah Luca Fledermäuse, Wölfe, Irrlichter und tausend andere Details in den schummrigen Wäldern.
Vier Betten waren in dem Raum, zwei Doppelbetten. Luca sprang auf das Bett der Tür am nächsten zu: „Ich schlafe oben!“
Liam warf seine Tasche an Luca vorbei: „Reserviert!“
Luca fluchte, denn seine Tasche war immer noch in der Hand von Amy. Als er mit seinem Koffer zurück in das Zimmer kam, hatten Liam und Samstag bereits die hohen Plätze für sich gesichert, Milo den Platz unter Liam eingenommen und Luca musste unter Samstag Stellung beziehen.
Abgesehen von den vier Betten gab es noch vier dunkel gestrichene Schränke und einen kleinen Tisch mit vier Stühlen in der Mitte des Raumes. Die Schränke bedeckten die ganze hintere Wand, die Doppelbetten umrahmten die Tür am Eingang und der Tisch stand ein wenig nah vor den Schränken. Auf der linken Seite, neben Milo und Liam, führte eine kleine Tür in ein Badezimmer. Luca ließ seine Tasche auf das Bett fallen und betrachtete die Tür nachdenklich, die, wenn sie geöffnet wurde, sicherlich gegen sein Bett schlagen würde.
Samstag grinste vom Hochbett herunter: „Vermutlich sollen wir jetzt unsere Tasche auspacken. Hat da irgendwer Lust zu?“
„Nein“, brummte Luca, Milo schüttelte den Kopf. Liam sah ihre Reaktionen und schwieg.
„Gut, dann lasst uns was spielen! Wer kennt Black Stories?“, Samstag zog ein kleines Kartenspiel aus der vorderen Tasche seines Rucksacks.