In Liams Zelle:
Es herrschte eine seltsame Atmosphäre in dem kleinen, trostlosen Raum. Die Wände, früher einmal weiß, waren inzwischen grau angelaufen. Liam sah feuchte Spuren von Wasser auf der Tapete. Auf dem Boden waren die Metallfüße des Bettes tief in den Boden gegraben. Die Krater erinnerten ihn an verzweifelte Fluchtversuche, in denen den Gefangenen nicht einmal ein Löffel gegeben wurde, um zu graben und sie es verzweifelt mit ihren Betten versucht hatten.
Wie, um seine düsteren Gedanken zu unterstreichen, ertönte ein ferner Schrei. Kein Schmerzensschrei, nur ein lauter Ruf, ein Kreischen, von einem Mensch ausgestoßen, aber er erinnerte Liam an einen Vogel oder Affen.
Der Wasserhahn tropfte und ließ sich nicht abstellen. Es roch muffig und feucht in dem kleinen Zimmer. Als Liam den Metallschrank öffnete - nicht in der Absicht, seine Tasche auszupacken, das tat er schon seit einigen Tagen nicht mehr - sondern um dessen Größe zu erforschen, fand er den Kopf einer Plastikpuppe im obersten Fach. Auf Augenhöhe starrte ihn der Kopf mit einem aufgerissenen Auge an. Das Plastik war schwarz verfärbt und von Brandblasen entstellt. Liam warf die Tür wieder ins Schloss. Er wollte sie abriegeln, doch es gab kein Schloss. Sein Rücken kribbelte. Er stellte sich vor, wie der Kopf mit dem einen Auge ihn beobachtete, ihn durch die Tür hindurch anstarrte. Er zitterte. Seine Hände waren schweißnass. Er traute sich nicht, die Tür wieder zu öffnen, geschweige denn, den Kopf daraus zu nehmen und wegzuwerfen. Also nahm er den Schrank und drehte ihn um, sodass die Tür an der Wand war. Er hörte es im Inneren kullern. Der Kopf rollte im obersten Fach herum. Eine Schreckensvision zeigte Liam, wie der enthaarte Kopf aus dem Schrank ausbrach und ihn durch die weißen Gänge draußen verfolgte.
"Nein", flüsterte er, "Das wäre verrückt. So etwas passiert nicht."
Er hielt inne, als er merkte, dass er Selbstgespräche führte. Wurde er jetzt verrückt? War er es vielleicht schon und hatte sich die Ereignisse der letzten Tage nur eingebildet? Die Vorstellung war, nur für einen Moment, tröstlich und verlockend. Dann besann Liam sich und strich sich über die Stirn. "Es war nur ein Puppenkopf, herrgottnochmal!", fluchte er, drehte den Schrank wieder um und riss die Tür auf.
Der Kopf war fort.
"Was schreist du so?", fragte Amy, die erschrocken die Tür aufgerissen hatte. Liam saß zitternd auf dem Bett und konnte sich nicht rühren.Er konnte nur eine Hand ausstrecken und wortlos auf den Puppenkopf deuten, der unter dem tropfenden Wasserhahn im Spülstein lag.
"Was für ein mieser Witz", meinte Amy kopfschüttelnd, nahm den Kopf und ließ ihn hinter ihrem Rücken verschwinden. Liam konnte nicht aufatmen. Der Kopf war immer noch da, nur, dass er ihn jetzt nicht sehen konnte.
"Ich werfe ihn weg, okay?", fragte Amy: "Und dann komme ich wieder."
"Verbrenn es", flüsterte Liam leise.
Amy nickte: "Ich sorge dafür, dass er kaputt ist."
Sie blieb lange fort. Als sie zurückkam, hatte Liam sich ein wenig beruhigt. Seine Finger zitterten noch immer, aber inzwischen kam ihm seine Reaktion ein wenig albern vor. Aber er wusste noch immer nicht, wie sich der Kopf so plötzlich hatte bewegen können. Wurde er verrückt?
Amy drückte seine Schulter: "Alles in Ordnung, Liam?"
Er sah zu ihr auf. Er war unendlich dankbar dafür, dass sie bei ihm war. Amy war wie eine große Schwester. Er konnte sich immer auf sie verlassen.
"D-Danke", hauchte er.
Amy setzte sich neben ihn: "Das war bestimmt nur ein Scherz von den Veranstaltern. Ich habe die Puppe in den größten Mülleimer gefunden. Sie wird spätestens Morgen abgeholt und verbrannt, okay?"
Liam nickte.
"Wo-woher wussten d-die das?", er hatte seit seiner Kindheit Angst vor Puppen, ohne erklären zu können, woher die Furcht stammte.
"Sie wissen viel über uns"; meinte Amy besorgt: "Vielleicht kennen sie auch unsere Ängste."
Liam widersprach nicht.