Wie lange hatte ich auf diesen Moment nur gewartet? In ein Tierheim zu gehen und mir eine süße, kleine Mieze auszusuchen, war schon so lange ein Traum gewesen, dass ich niemals gedacht hätte, er würde Wirklichkeit werden. Aber jetzt stand ich da, mit einer Mitarbeiterin des Tierheims, und vor uns lag eine Reihe von ganz vielen geräumigen Käfigen. Natürlich hatte ich mich vor meinem Besuch mit dem Personal in Verbindung gesetzt und schonmal alle wichtigen Daten erfragt. Wenn ich mich heute für einen Stubentiger entscheiden konnte, dann würde ich ihn in den nächsten Woche abholen kommen können. „Oh, die sind alle so süß!” ich konnte mich gar nicht an den hübschen Tieren sattsehen. „Wissen sie, was sie suchen? Also eher eine jüngere, oder ältere Katze?” fragte die Pflegerin, welche mich begleitete. „Lieber eine Ältere. Ich würde lieber einen gemütlichen Stubentiger haben, der nicht so ein großes Bedürfnis nach spielen hat, das ist nicht so meins. Eigentlich will ich nur nicht alleine wohnen, also suche ich nach einem netten Mitbewohner, oder einer netten Mitbewohnerin, die mich nicht zulabert.” scherzte ich und sie lachte. Na dann, unsere älteren Katzen, die schon länger hier sind, sind noch ein paar Käfige weiter untergebracht. Vielleicht finden sie da ja was passendes?” schlug sie vor und ich nickte, bevor ich ihr zu den anderen Räumen folgte.
„Was ist mit ihr? Sie sieht nett aus!” ich beugte mich an der Glasscheibe zu einer Katze nach unten, welche mich nur anstarrte und dabei ziemlich abwertend aussah. „Oder der hier, der sieht nett aus!” direkt neben der schwarz-weißen Katze war ein grauer Kater untergebracht, welcher aussah, als hätte er die perfekten Vorraussetzungen für einen Mitbewohner von mir. Er war fett, faul und flauschig. Alle drei F´s, die ich an einem Kater schätzte. „Ich weiß nicht ob das wirklich das richtige ist. Außerdem vermitteln wir Caruso nur zusammen mit Simba. Die beiden sind Freunde, seit dem ersten Tag als Simba hier angekommen ist, und wir möchten sie nicht trennen.” erklärte sie mir und ich musste anfangen zu grinsen. „Ach was, ich kann mit zwei Katzen leben!”. In meinem innersten musste ich lachen, weil mein erster Gedanke natürlich war, das sie ein schwules Katzenpaar waren, was wirklich die absolute Form von Niedlichkeit war. Und der nächste war, dass ich ihre Namen ändern würde! So wollte doch keiner heißen! „Kann ich zu ihnen rein?” bat ich und die Pflegerin sperrte mir die Türe auf, ging dann mit mir hinein und schloss sie hinter uns schnell wieder. „Oh, du bist aber ein Süßer!” ein anderer Kater, das war dann wohl Simba, war sofort losgesprintet, als er gesehen hatte, das die Tür offen war. Und er ließ sich auch sofort von mir auf den Arm nehmen und schnurrte dort wohlig, als ich anfing seinen Hals zu kraulen. „Oh Gott, er ist wirklich süß! Mag Caruso es auch, wenn man ihn streichelt?” wollte ich wissen und die Frau nickte. „Ja, er liebt es. Aber wenn er Zuneigung will, dann holt er sie sie sich, also er kommt dann von selbst.” erklärte sie und ich ließ Simba wieder auf den Boden. „Ich würde die beiden gerne mitnehmen!” erklärte ich dann und sie zog überrascht eine Augenbraue nach oben. „Sind sie sich sicher? Das ist eine ziemlich spontane und schnelle Entscheidung, finden sie nicht?” sie schien nicht ganz überzeugt davon zu sein. „Nein, ich hab schon alles was sie brauchen und die Beiden passen sicher ganz hervorragend zu mir!” beteuerte ich und sie schüttelte den Kopf. „Na gut, wenn sie sich da so sicher sind. Wir nehmen sie im schlimmsten Fall natürlich auch wieder hier auf, aber es ist besser, wenn man sich über die Verantwortung eines Tieres klar wird, bevor man es sich zulegt!” belehrte sie mich und ich hätte ihr am liebsten den Zeigefinger auf die Lippen gelegt. Ich wusste, wie viel Verantwortung es brauchte, um ein Tier bei sich aufzunehmen, sie musste mir nicht auch noch damit in den Ohren liegen! „Ich bin mir absolut sicher, dass das die Katzen sind, die ich für den Rest ihres Lebens glücklich machen möchte.” erklärte ich und schob sie dann zur Seite, um Simba noch ein weiteres Mal auf den Arm zu nehmen und ausgiebig zu kraulen. „Machen sie den Papierkram?”.
Der Besuch im Tierheim war super verlaufen, auch wenn mich seit dem Moment, in welchem mein Auto aus dem Parkplatz gerollt war, die Zweifel plagten, ob ich vielleicht wirklich ein bisschen zu schnell und überstürzt gehandelt hatte. Aber ich liebte Katzen und die Beiden waren doch perfekt für mich, oder nicht? Eine WG von drei schwulen Dudes? Das hörte sich doch perfekt an! Und mir konnte es ja eigentlich egal sein, was die blöde Tante von meiner Wahl hielt. Wenn ich mich nur nicht so leicht verunsichern lassen würde! Aber langsam musste ich wieder klare Gedanken in meinen Kopf bringen, denn eigentlich wollte ich wieder zurück an die Uni und in der Bibliothek dort ein bisschen lernen. Zwar war mir der Stoff den wir gerade machten viel zu leicht, aber
ich konnte ja auch vorlernen. Und das war das einzige, was ich im Moment konnte, denn mir war sehr langweilig. Serien zu schauen hatte sich auf Dauer nicht als mein bestes Hobby geeignet und irgendwie konnte ich im Moment kaum lesen. Mich interessierte das ganze Zeug nicht. Wohingegen mich eine lange Enzyklopädie über die größten Kunstwerke der Architektur ziemlich unterhielten und ich in letzter Zeit nichts lieber tat als die Biographien von bedeutenden Architekten zu lesen. Irgendwie machte es mir fast mehr Spaß, diese Bücher zu studieren, als selbst zu zeichnen.
Was hatte ich auch besseres zu tun? Richtig, bis meine Kätzchen endlich bei mir einziehen würden, gar nichts, Sicher würde es viel mehr Spaß machen, Serien auf der Couch liegend zu schauen, wenn dabei zwei kleine Fellbälle neben mir wären.
Als ich die Bibliothek betrat, schlug mir erstmal die warme Luft entgegen. Es war für Oktober schon sehr kalt geworden! Und ich war es absolut nicht gewohnt zu laufen, weil ich dort, wo ich aufgewachsen war, nicht einfach irgendwohin laufen konnte. Es war viel zu weit gewesen. Aber hier in der Großstadt ging das tatsächlich ganz gut. Auch wenn es, wie gesagt, sehr kalt war und ich oftmals das Gefühl hatte, meine Finger würden abfrieren, wenn ich sie auch nur eine Sekunde lang der kalten Luft aussetzen musste.
„Du schon wieder hier? Du hast wohl auch nichts besseres zu tun, was?” der Bibliothekar begrüßte mich freundlich und gab mir einen Kleiderbügel, damit ich meine Jacke an der Garderobe aufhängen konnte. „Nicht wirklich. Ich bekomme bald zwei Katzen, dann wirst du mich nicht mehr so oft zu Gesicht bekommen!” erzählte ich und er schien sofort interessiert zu sein. „Katzen? Die sind super, ich hab auch eine, aber die ist etwas eigen. Wie sind sie denn so?”.
„Sie sind extrem flauschig und die eine ist wirklich zutraulich! Hab sie heute aber das erste Mal gesehen. Ich meine, wenn es liebe auf den ersten Blick ist, kann man doch kaum etwas falsch machen, oder?” lachte ich und er stimmte mit ein.
„Nein, kann man nicht! Du musst mir unbedingt Mal ein paar Bilder von ihnen zeigen!”.
„Du kannst auch einfach vorbeikommen, dann kannst du sie live und in Action erleben. Auch wenn ich kaum glaube, das es da viel Action geben wird. Es sind einfach nur Stubentiger.”.
„Ich würde sie mir wirklich gern Mal anschauen! Man kann sich ja was ausmachen, oder? Jetzt musst du mich aber kurz entschuldigen, ich muss diese Bücher einsortieren!” er hob einen Stapel hoch und zwinkerte mir dann zu, bevor er zwischen den Regalen verschwand. Ja, Marik war wirklich ein hübscher Mann. Und ich hatte sowas wie ein Date mit ihm, war das nicht klasse?
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich mich endlich gemütlich hinsetzen und in meinem Buch stöbern konnte. Tatsächlich war es gar nicht so einfach, einen guten Platz zum lesen hier zu finden. Die meisten Stühle waren extrem unbequem und ich mochte es nicht, an den Tischen zu sitzen, während ich las. Also hatte ich es mir irgendwann einfach angewöhnt, in der Regalreihe zu sitzen, die niemals jemand betrat. Hier lagerten vor allem alte Bücher und zwar welche, die nicht wirklich den Standards dieser Universität gerecht wurden. Aber trotzdem wollte sie niemand wegwerfen. Auch wenn Marik sich schon oft darüber beschwert hatte.
„Hey, was machst du hier? Und wer bist du?” ein junger Mann, etwa in meinem Alter, hatte sich zu mir gestellt und schaute mich ziemlich skeptisch an. Er war bestimmt Jurastudent, so wie er aussah. Und anscheinend auch einer, der relativ viel Geld hatte, sonst kaufte man sich einfach nicht die Klamotten, die er trug. Es sah hässlich aus. Alle Markenklamotten sahen irgendwie scheiße aus. „Ich sitze hier, und wenn es dir nicht passt, solltest du lernen, damit zu leben.” gab ich zurück, bevor ich mich wieder in mein Buch vertiefte. „Hast du Geld dabei?” wollte er wissen. „Jap, aber ich verleihe keines, also verzeih dich endlich, du nervst. „Ich will mir ja keine leihen, ich will dir was verkaufen.” er hielt mir einen kleinen Beutel hin, in welchem sich etwas grünliches befand. „Du willst mir Gras verkaufen? Warum sollte ich das annehmen?” ich war ziemlich irritiert, das er mir plötzlich einfach so dieses Angebot machte. Immerhin war es ja nicht so, das man Gras immer in der Bibliothek der Uni kaufte, oder? Ich hatte mir zumindest immer vorgestellt, dazu in eine dunkle Gasse zu gehen und dort erstmal zusammengeschlagen zu werden. „Weil du es noch nie probiert hast und neugierig bist, wie es so ist?” riet er und irgendwie war das schon wahr. Es reizte mich, diese Droge auszuprobieren. Das machte ja auch nicht jeder, oder?
Außerdem war es Mal was neues. Alkohol und Zigaretten konnte man einfach so kaufen, aber Gras normalerweise nicht. „Ok, wie viel würdest du für das da wollen?” ich zeigte auf den Beutel und nahm mein Portmonee aus der Hosentasche. „Dreißig.” antwortete er und ich schüttelte nur den Kopf. „Fünfundzwanzig, ich muss es nicht haben.”.
„Achtundzwanzig.” er gab nicht nach.
„Fünfundzwanzig, oder verpiss dich.” ich hielt ihm das Geld hin und er nahm es dann doch an und warf mir das kleine Tütchen hin. „Nett mit der Geschäfte zu machen!” sagte ich noch leise mehr zu mir selbst, als er schon wieder wegging. War er wirklich nur zu mir gekommen, um mir das Gras anzudrehen? Wow, das war ja Mal armselig, wie schlecht es wohl sein musste, wenn er es sonst nicht losbekam?
„Wer war das, wenn ich fragen darf?” Luna ließ sich neben mich fallen. „Geht dich das etwa was an?” gab ich zurück und sie zuckte mit den Schultern. „Da wir ja offiziell sowas wie Freunde sind, ja, irgendwie schon!”.
„Nur um das klarzustellen, wir sind keine Freunde, ich brauche nur jemanden, der mitschreibt wenn ich nicht da bin, sodass ich alles habe, klar?” stellte ich das klar und sie nickte.
„Klar, kannst du mir jetzt trotzdem sagen, was der Typ von dir wollte, oder was ihr hier, zwischen den am wenigsten besuchten Bücherregalen getrieben habt? Mit Betonung auf ´getrieben´!” sie zwinkerte mir zu und ich schlug ihr gegen die Schulter.
„Wir haben nichts getrieben, er hat mir nur ein bisschen Gras angeboten und ich hab ihm dafür fünfundzwanzig Euro gegeben, keine große Sache!”.
„Das ist eine große Sache! Hör auf, das alles immer kleinzureden!” wurde ich geschimpft und sie riss mir das Tütchen aus der Hand und stopfte es in meine Hosentasche.
„Außerdem solltest du nicht einfach damit in der Hand dasitzen, was wenn dich jemand damit erwischt? Dann bist du dran, mein lieber!” fügte sie dann noch hinzu.
Luna war gar nicht so schlimm, wie ich am Anfang gedacht hatte. Sie hasste Menschen doch, und ließ das, so wie ich, sehr gerne an diesen aus. Wir hatten uns in den letzten Wochen sehr gut miteinander abgefunden, nachdem sie sich, nur um mich zu provozieren, direkt neben mich gesetzt hatte. Ob ich das toll fand? Ganz sicher nicht, aber was sollte ich tun, ich konnte ihr ja nicht vorschreiben wo sie zu sitzen hatte, oder?
„Wie lief es eigentlich im Tierheim?” fing sie ein neues Thema an und ich seufzte genervt auf.
„Du weißt schon, das ich hier bin, um zu lesen und du dich auch über WhatsApp erkundigen kannst, wenn es dir so wichtig ist?”.
„Wenn du auf irgendeiner Messanger App auch noch öfter als alle vier Wochen online wärst, könnte ich das schon tun, aber so hab ich ja nur die Möglichkeit, dich hier abzufangen. Also, wie war es. Hast du schon eine kleine Vorauswahl getroffen?” hakte sie nach.
„Ich habe sogar schon eine genaue Auswahl getroffen! Es werden zwei Kater, die unzertrennlich sind. Ich dachte, das würde ganz gut zu mir passen.” scherzte ich.
„Ja, nur das du mit diesem Gesicht niemals jemanden finden wirst, damit ihr sein könnt wie die beiden Katzen.”.
„Du kannst mir ja deinen Chirurgen empfehlen. Der hat ja bei deiner Hackfresse schon gute Arbeit geleistet, nicht?” gab ich genauso böse zurück, wie sie.
„Und wie heißen die Beiden?” lenkte sie auf ein anderes Thema um.
„Du hast gerade zugegeben, dass ich gewonnen habe, gefällt mir. Sie heißen noch Simba und Caruso, aber das wird nicht lange so bleiben. Ich denke im Moment noch über Namen nach, die mir besser gefallen. Hoffentlich sind Katzen da nicht wählerisch.”.
„Ich will euch beide ja nicht bei eurem Plausch stören, aber wir sind hier in einer Bücherei und wenn der Bibliothekar nicht mitredet, sind laute Gespräche nicht erwünscht.”
ermahnte Marik uns und ich schüttelte nur den Kopf. „Ach komm schon! Dann beteilige dich an unserer Unterhaltung und wirf ein paar gute Namen für Katzen in die Runde!” schlug ich vor.
„Also mir für meinen Teil gefallen die Namen, die sie haben.” gab er zurück und wurde sogleich von Luna unterbrochen.
„Wie bitte? Wow, du bist echt das allerletzte! Wie kann man die Namen nur toll finden? Das ist doch gar nichts außergewöhnliches!”.
„Ja, Luna hat recht, wir brauchen was außergewöhnliches für meine beiden schwulen Katzen!” stimmte ich ihr zu und Marik schüttelte nur den Kopf.
„Ach was! Das ist doch blöd! Was habt irh denn dann so für Vorstellungen?”.
„Also ich fände John und Jeffrey ganz gut. Oder J.W. und J.”.
„Ja! Das hört sich nach was besser am an als Caruso und Simba!” stimmte Luna mir sofort zu und ich rollte nur ein weiteres Mal mit den Augen.
„Du musst mir nicht sagen, das sie besser sind, als die anderen, das weiß ich schon lange selbst, klar?” schimpfte ich sie.
„Hast du heute etwa deine Tage?” wollte sie von mir wissen, aber ich schüttelte den Kopf.
„Nein, hab ich nicht, du kannst von mir aus ja gerne Mal nachsehen!” schlug ich vor.
„Hey, warum streitet ihr denn jetzt? Laufen eure Gespräche immer so schnell aus dem Ruder?” Marik schaute mich besorgt an.
„Ja, tut es, tut mir leid, aber ich habe einfach keine Lust, mich heute mit irgendwem zu unterhalten, Ich will eigentlich nur noch heim, das Gras rauchen, was ich gerade gekauft hab und dann geht es ab ins Bett, du kannst dir nicht vorstellen, wie ermüdend die Uni ist.” gab ich zurück und stand dann auf, während ich mein Buch, welches ich gerade noch gelesen hatte, auf Mariks Schoß fallen ließ. „Räum es bitte für mich auf, ich hab keine Lust mehr, mich mit euch zu unterhalten.” ich atmete tief durch und ging mit langen und großen Schritten zurück zur Eingangstür. Man, wieso musste das denn jetzt auf einmal kommen? Schlechte Lauen kickte gerade Mal wieder richtig in meinen Arsch!
Während ich noch auf dem Weg nach Hause war, spielte ich mit dem Tütchen, welches ich in meine Jackentasche verlagert hatte, weil ich es dort sicher nicht verlieren würde. Irgendwie wollte ich mein Geld zurückbekommen. Es war doch nicht mehr so reizvoll, wie es mir am Anfang erschienen war. Irgendwie so gar nicht mehr. Waren Drogen nicht eigentlich schlecht für mich? In der Schule hatte man mir das zumindest immer so gesagt. Aber irgendwie hatten trotzdem alle aus meiner Klasse schonmal was geraucht. Und es war immer ich gewesen, der nur so getan hatte, als hätte er schonmal, nur um nicht noch mehr ausgegrenzt zu werden, als er es eh schon wurde.
Ja, meine Schulzeit war der blanke Horror für mich, auch wenn es für Außenstehende sicher nicht so aussah. Vor allem nicht, weil ich eigentlich ein guter Schüler war. Aber eben ein sehr einsamer und trauriger. Es tat mir wirklich nicht gut, in der Schule gewesen zu sein. Und ich verstand manchmal wirklich nicht, warum ich auf einmal wieder studieren wollte, wo ich doch einen netten Beruf gefunden hatte. Man, konnte ich eigentlich jemals mit mir selbst einig sein? Das würde meine Lebensqualität sicher verbessern! Wenigstens konnte niemand meine Gedanken lesen. Die würden doch alle denken, ich wäre verrückt!
Wieder zu Hause angekommen dachte ich einen ganz kurzen Moment darüber nach, meine Schwester anzurufen und ihr von diesem Tag zu erzählen, aber so wie ich sie kannte, würde sie mich nur wieder für etwas verurteilen, für das ich nichts konnte, also ließ ich es lieber und legte mich auf die Couch, von welcher aus ich den Katzenbaum anstarrte, welchen ich vorgestern ganz alleine eingekauft und aufgebaut hatte. Wenn ich mir nur jemals Mühe in Beziehungen gegeben hätte, könnte ich es im Leben so viel leichter haben. Eine Frechheit, dass ich das nicht getan hatte und bis heute singel geblieben war. Und Jungfrau. Gott war das schlimm!
Irgendwie hatte ich aber auch keine Lust auf Sex. So gut wie die meisten immer sagten, würde er sowieso nicht sein. Ich wusste, das er wehtun würde, und das sowieso das meiste was ich in der homoerotischen Literatur gelesen hatte, totaler Bullshit war. Denn da hatten die immer total spontanen Sex, was in Wirklichkeit einfach nicht funktionierte, weil der Sex zwischen zwei Männern immer mindestens eine halbe Stunde davor geplant sein musste. Und das sich irgendjemand bei einem Campingtrip zwischendurch Mal schnell an einer frischen Bergquelle den Darm ausspühlt, konnte man doch vergessen, oder? Wenn nicht, würde ich das zumindest ziemlich eklig finden. Stelle man sich doch vor, man trinkt von ner frischen Bergquelle, und die ist gar nich mehr so frisch! Ihgit.
Wie war ich jetzt eigentlich nochmal darauf gekommen? Holy, irgendwas stimmt doch nicht mit mir! Natürlich nicht, ich redete ja auch die ganze Zeit in der ersten Person mit mir selbst. Das tat bestimmt nicht jeder!
Während ich im Bett lag, musste ich noch immer an die Bergquelle denken. Und auch an das erste Mal, als ich erfahren hatte, was ´cleaning out´ eigentlich bedeutete und wie wichtig es war. Damals hatte ich immer davon geträumt, Sex mit dem Team unserer Fußballmannschaft zu haben. Er war in meiner Klasse und er sah einfach aus wie ein junger Gott. Leider unerreichbar für einen Jungen, und vor allem für einen, der damals ein mehr als nur Außenseiter war. Irgendwie hatte ich mich oft gefühlt wie ein Verstoßener, und das wurde nur besser, wenn ich nach Hause kam. Die Schule war ein Ort des Unbehagens. Dort fühlte man sich nicht wohl. Ganz und gar nicht.
„Hast du dich wieder abgeregt? Alles Ok bei dir soweit?” Luna hatte mir gleich die Hand auf die Schulter gelegt, als sie sich neben mich gesetzt hatte. „Ja, es ist schon wieder gut. Ich hatte gestern nur so einen schlechten Tag. Obwohl auch nicht. Ach, du weißt bestimmt wie das ist!” heulte ich mich bei ihr aus. „Ja. Ich weiß. Depressionen kicken wieder, huh?”.
Ich hatte keine Depressionen, zumindest keine, die festgestellt wurden. Und die wollte ich auch nicht haben. Vieles davon sah ich eher als Modeerscheinung in der heutigen Jugend und früher hatte ich mich für meine schlechten Gefühle geschämt, weil ich auf gar keinen Fall ein Teil dieser Leute sein wollte. Aber wie sollte man seine Gefühle schon abschalten? War das möglich?
„Freust du dich schon auf deine Katzen? Hast du überhaupt schon alle Sachen für sie eingekauft?” Luna setzte sich wieder zu mir an einen kleinen Tisch und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, mir fehlt noch eine zweite Transportboy, weil ich ja eigentlich nur mit einer Katze gerechnet hatte. Und beide in eine zu quetschen geht ja nicht, dann würden sie mir die beiden nicht mitgeben, da kannst du drauf wetten!”.
„Sollen wir nach der Uni noch gemeinsam wo hingehen, wo du dir eine kaufen kannst? Dann können wir auch gleich über die Sache von gestern reden.” schlug sie vor.
„Nein, ich will nicht mehr über gestern reden. Lieber erzählst du mir von dem schwulen Cousin, dem du mich vorstellen möchtest.” ich atmete tief ein und aus und konnte die Funken in Lunas Augen springen sehen. Sie wollte mich schon ewig diesem einen Typen vorstellen, aber ich hatte nein gesagt.
„Ja! Ich wusste, du würdest eines Tages nachgeben!” sie nahm ihr Handy heraus, um ihm wahrscheinlich sofort zu schreiben.
„Hey, wie gehts dir? Brauchst schon wieder was?” der Typ von neulich aus der Bücherei kam zu uns rüber, wurde aber sofort von Luna angepöbelt. „Geh weg, du bist nicht gut für Samuel!” verlangte sie.
„Ach was, ist schon gut. Nein, ich brauche im Moment nichts, aber wenn du mir deine Handynummer gibst, schreib ich dir das nächste Mal, ist das ok?” schlug ich vor und er hielt mir einen Zettel hin.
„Ich hatte gehofft, du fragst. Und solltest du Mal nicht genug Geld haben, ich nehm auch andere Formen der Bezahlung an, nur das dus weißt!” er zwinkerte mir zu und ich war kurz davor, zu lächeln, aber irgendwie war das nicht ich typisch genug.
„Danke, aber im Gegensatz zu dir muss ich mir nichts durch illegales Zeugs dazuverdienen.” gab ich zurück und drehte mich wieder zu Luna.
„Also wegen heute Nachmittag, ich hätte schon Lust, mit dir noch ein bisschen shoppen zu gehen.” führte ich unser Gespräch fort um dem komischen Typen, der anscheinend Erik hieß, so stand es zumindest auf dem Papierfetzen mit seiner Nummer, zu signalisieren das er gehen sollte.
„Spinner.” war das einzige, was dieser noch sagte, bevor er scih endlich aus dem Staub machte.
„Gott, ich habe schon lange niemanden mehr getroffen, der mich so genervt hat!! schimpfte ich und Luna lachte. „Ach was, du übertreibst jetzt Mal wieder!” wurde ich geschimpft.
„Wie bitte? Du hast ihn doch auch angesehen, als würdest du dir ein Loch wünschen, das sich unter ihm auftut und ihn mit Haut und Haaren frisst!”.
„Ich glaube du hast da gerade ein paar Sprichwörter vertauscht und gemischt und dabei ist nichts gutes rausgekommen!” Luna tätschelte sanft meinen Arm.
„Aber du bist ja auch schon alt genug, das sich so langsam das Alzheimer einstellen kann, nicht?”.
„Ich verstehe nicht, warum ich mit dir befreundet bin, du bist eine blöde Kuh und bitte geh dich selbst ficken, danke.” gab ich nur zurück, ein besserer Konter fiel mir gerade nicht ein. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf einen jungen Typen gerichtet, der mit unserem Professor sprach und nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, gaben sie sich noch einen schnellen Kuss, dann verschwand der Mann. Was war das gerade?
„Du hast das auch gesehen, und ich hab mir das nicht nur eingebildet, oder?” fragte ich an Luna gewandt.
„Auf gar keinen Fall. Ich denke, da bezahlt jemand für seinen Sex!” sie trommelte mit ihren Fingern auf dem Tisch herum und ich schüttelte nur den Kopf.
„Das kann doch nicht sein! Ich meine, unser Professor? So viele Schwule kann es hier doch gar nicht geben! Sowas passiert normalerweise
nur in diesen schlechten Büchern, in denen jeder Charakter irgendwie schwul war, oder?
„Also eigentlich ist statistisch gesehen jeder zehnte Schwul. Also wäre es nicht so unwahrscheinlich das es an unserer Uni neben dir noch ein paar dieser Spezies gibt.”.
„Ja, weil Schwule auch eine eigene Spezies sind. Du Vollhonk!” ich konnte nur den Kopf über ihren blöden Kommentar schütteln, aber sie fand sich anscheinend extrem lustig und hatte angefangen, laut zu lachen.
„Jetzt reichts schon wieder, Luna.” ich rollte mit den Augen und packte dann meine Tasche zusammen. Je schneller ich wieder im Unterricht war, desto schneller war ich auch wieder draußen. Oder so. Und ja, das machte Sinn!
„Lauf nicht weg! Bitte! Du bist doch kein Reh, das ich verscheucht habe! Sam!” meine ´Freundin´, wie sie sich selbst nannte, rannte mir beinahe hinterher, als ich mit schnellen Schritten das Gelände verließ und mich in Richtung Stadtinneres begab.
„Du hast mich nur genervt, das ist alles.” gab ich zurück, als sie endlich zu mir aufgeholt hatte, weil ich an einer Ampel auf grün warten musste.
„Ach, das ist doch nicht so dramatisch gewesen! Du bist ja eine richtige kleine Dramaqueen, huh?” neckte sie mich und ich musste ein weiteres mal die Augen überdrehen.
„Nein, bin ich nicht. Ich bin keine Dramaqueen. Und auch sonst keine Queen. Wenn du das nochmal sagst, werde ich dich ab jetzt nur noch Bear nennen, und wenn du es nicht verstehst, dann google es!” schrie ich sie lachend an.
„Ich muss es nicht googeln, ich kenne mich mit der ganzen Schwulenszene wahrscheinlich besser aus als du, du kleiner Motherfucker!” schrie sie im selben Ton zurück und ich konnte nicht anders, als laut loszulachen. Alle Leute, welche sich im Umkreis von 200m um uns befanden, schauten uns an, als wären wir geisteskranke, die sich gerade mit ihrer eigenen Kacke beworfen hatten. Aber das war ok. Zumindest hatten wir unseren Spaß gehabt.
„Komm schon, gib mir deine Hand und wir gehen in das nächstgelegene Zoogeschäft!” ich streckte meinen Arm aus und kaum hatte Luna mir ihre Hand gegeben, zog ich sie hinter mir her über die Straße.
„Du kleines, Biest!” schimpfte sie und versuchte sich loszureißen, aber ich zog sie einfach immer weiter hinter mir her.
„Lass mich los, oder ich schwöre bei Gott, ich werde nach Hilfe rufen!” drohte sie mir und auf das Risiko, mich in irgendwas zu verwickeln, das ich nicht wollte, konnte ich nicht eingehen. Das letzte Mal als mein Vater mich von einer Polizeistation abholen musste, war er unheimlich sauer gewesen, auch wenn ich nur als Zeuge aussagen musste und es nur um eine kleine Schlägerei ging. Wie würde er reagieren, wenn er wegen mir bis nach Frankfurt fahren müsste, nur um mich aus etwas rauszuholen, was nur ein Scherz war? Das wollte ich eigentlich gar nicht wissen! Also ließ ich Luna lieber wieder los.
„Danke, du kannst ja anscheinend doch, wenn du nur willst.” sie tätschelte meinen Kopf und ich hätte ihr am liebsten die Hand abgerissen.
„Hör auf meine Haare anzufassen!” beschwerte ich mich und schlug die Hand weg. Welcher Junge konnte es schon leiden, wenn man ihm ständig in den Haaren herumfummelte? Richtig, keiner!
Obwohl ich manchmal schon an einen starken Mann denken musste, welcher hinter mir kniete und meine Haare gepackt hatte, während er mich daran nach hinten zog und auf mein jammern nur mit noch härteren…
„Sam! Hör auf ein Tagträumen zu versinken!” Luna hatte mir vor dem Gesicht herumgefuchtelt, gerade noch rechtzeitig, sodass ich nicht gegen einen Briefkasten lief.
„Wenn du aufhören würdest, die heißen Fantasien wegzuwinken und anstatt dessen lieber mit dem nicht ganz frischen Quellwasser angefangen hättest, wäre mir das auch lieber gewesen, aber wir können es uns nicht aussuchen!” ich musste lachen und sie verstand gerade kein Wort, weil das wirklich nur für mich lustig war.
„Du bist wirklich ein verdammt komischer Mensch und noch dazu ein Idiot, weißt du das, Sam?”.
„Ja, du erinnerst mich ja immer so nett an meine Macken, danke dir!” gab ich zurück und blieb dann ruckartig vor einem Rewe stehen. „Warte kurz hier, ich muss was kaufen!”. Ja, denn mir war gerade wieder eingefallen, dass ich noch immer Drehpapier für Zigaretten brauchte, um mein Gras zu rauchen. Zwar war ich mir noch immer nicht sicher, ob ich das wirklich wollte, aber wenn ich mich Mal spontan in einem emotionalen Zusammenbruch dazu entscheiden würde, wäre ich meinem Vergangenheits-Ich sicher dankbar!
Hoffentlich machte es Luna nichts aus, auf mich zu warten! Ach, ich mache doch nur Scherze, als würde ich einen fick auf ihre Gefühle geben!
„Darf ich ihren Ausweis sehen?” bat die Kassiererin mich, aber ich war ihr schon einen Schritt voraus und hatte ihn schon in der Hand. In meinem gesamten Leben hatte ich noch nie irgendetwas kaufen können, ohne meinen Ausweis vorzuzeigen. Im Moment war das noch frustrierend, aber meiner Mutter zufolge würde ich mich in zehn Jahren darüber freuen, wenn man mich nach ihm fragen würde.
Naja, wenn ich in zehn Jahren aussah wie mein Vater damals, dann würde mich ganz sicher niemand jemals mehr nach meinem Pass fragen. Mein Vater sah mit zweiunddreißig aus, als wäre er fünfzig und hatte auch schon die ersten Haare verloren, was schon auf die heutige Glatze schließen ließ. Das wollte ich allerdings nicht, ich wollte meine Haare noch behalten, deshalb war ich froh, das ich zumindest die Haarfarbe meiner Mutter, braun bekommen hatte, vielleicht hatte ich ja mit dem Rest, der mit Haaren zu tun hatte, das selbe Glück. Oder vielleicht auch einfach nicht und ich musst vor meinem zweiunddreißigsten Geburtstag heiraten, denn sonst würde ich niemals jemanden abbekommen. Außer ich wartete dann wieder zehn Jahre, dann hatten die anderen Männer vielleicht auch das Problem.
„Sir, sie können ihren Ausweis schon wieder nehmen?” die Kassiererin stupste mich leicht am Arm an und in meinem Kopf fiel ich langsam nach hinten um und zersprang in tausende von Teilen. Alle begannen Panik zu schieben und auf einmal brach ein Auto durch die Glasscheibe des Schaufensters und der ganze Raum ging in Flammen auf. In Wirklichkeit nahm ich meinen Pass und das Wechselgeld, steckte die Papierchen in meine Tasche und ging wieder nach draußen zu Luna, welche mich mit einem genervten Stöhnen empfing.
„Gott, du kannst mich doch nicht so lange warten lassen! Was fällt dir denn ein? Müsstest du dich normalerweise nicht wie ein Gentleman benehmen?” verärgert gab sie mir einen Klaps gegen die Stirn und schaute dann auf meine Hände.
„Was hast du denn überhaupt gekauft, das so wichtig war?” fragte sie und ich zuckte nur mit den Schultern.
„Ist nichts besonders, nur ein paar Gummis, wer weiß schon, was in der nächsten Zeit passiert? Ich hab Marik und diesen Typen, dessen Handynummer ich habe, und deinen Cousin! Vielleicht werde ich ja in der nächsten Zeit irgendwann entjungfert. Und dann kann es immer so weit sein.” erklärte ich und sie schüttelte den Kopf.
„Du hast Zigarettenpapier gekauft, oder?” fragte sie und ich verstand die Welt nicht mehr.
„Was? Wie kommst du darauf? Woher weißt du das?”.
„Du würdest niemals Gummis im Laden kaufen, ich weiß zwar, das du ein wirklich perverser Typ bist, aber dabei würdest du dich viel zu sehr schämen! Und was solltest du bitte sonst kaufen?” sie zog eine Augenbraue nach oben. Gut das meine Mutter diesen Fraueninstinkt anscheinen nicht so sehr hatte wie Luna, sonst wäre ich wohl einige Male mit Alkohol erwischt worden.
„Gib zu, das ich einfach nur gut bin!” verlangte sie, aber ich schüttelte nur den Kopf. „Nee, niemals!” weigerte ich mich.
„Also, wir haben hier große und kleine, bunte und einfarbige, geflochten und aus Plastik, was darf es denn sein?” fragte die Verkäuferin und ich zeigte auf eine ganz normale, graue Transportbox. „Die? Aber die mit Korb würde ihrer Katze vielleicht besser gefallen!” warf die Frau ein, aber bevor ich irgendetwas böses sagen konnte, übernahm das Luna schon für mich:
„Wenn du Katze irgendwelche Beschwerden äußert, kommen wir zurück und nehmen die geflochtene. Ich verspreche es ihnen!” sie zwinkerte der Frau zu, welche nur einen Schritt zurücktrat, bevor sie sich umdrehte und anderen Kunden widmete.
„Was für eine dumme Schlampe. Ich hasse Menschen so sehr.” sie schüttelte nur den Kopf und ich musste lachen.
„Weißt du was, du hast doch bald Geburtstag, ich weiß ganz genau was ich dir schenken werde, und du wirst es lieben, glaub mir!” sagte ich zu ihr, während sie nur den Kopf schüttelte.
„Du kannst gar kein so tolles Geschenk für mich finden, als das ich vor Freude in die Luft springen würde!”.
„Challenge Accepted!”.
Mein Plan stand schon. Ich wusste ganz genau, was ich ihr kaufen würde, und sie würde sich so freuen, als hätte sie einen Heiratsantrag bekommen, da war ich mir absolut sicher!