Wunderland:
Auf dem platten Land vor ihnen erschien schließlich ein neues Tor. Kassie erkannte schon von Weitem, dass die beiden Pfosten offenbar aus überdimensionalen Zuckerstangen bestanden. Doch im Näherkommen wurde sie sich immer sicherer, dass es echte Zuckerstangen waren, keine Nachbildungen aus Plastik.
Das Tor selbst bestand aus weißem Gitter, möglicherweise sogar Zuckerkristalle. Wie von Geisterhand öffneten sich die Türen und die Limousine rollte hindurch.
Schlagartig erklang das Kreischen und Singen unzähliger Vögel, Plätschern, Rauschen von Wind in Baumwipfeln und andere, schwerer zuzuordnende Geräusche: Blubbern wie von Lava und etwas, das wie fernes, schrilles Gelächter klang.
Unzählige Farben bombardierten ihre Augen.
Die Limousine fuhr einen breiten Weg entlang, der sich einen Berg hinauf schlängelte. Am Wegesrand war eine weiße Linie aus Zuckerguss gezogen worden, der Weg selbst bestand allem Anschein nach aus bunten Streuseln statt aus Kies. Statt Bäumen wurde die Straße von Zuckerstangen, großen Lollies und bunten Gewächsen gesäumt, Gewächsen, von deren Ästen Süßigkeiten wie Obst hingen. Es gab süße Äpfel, Schokolade und Kassie entdeckte auch einen Baum mit Teebeuteln. Flüsse verschiedenster Farben durchzogen das Land: Milch und Kakao, Cola und ähnliche Getränke, sowie Flüssigkeiten, die Sirups sein mussten, oder Erdbeermilch. Selbst die Wolken am Himmel schienen aus Zuckerwatte zu sein, schlimmer noch, manche flogen so tief, dass man mühelos hinauf klettern könnte.
Es gab dunkelbraune Flecken im bunten Gras, blubbernde Quellen heißer Schokolade. Anderswo gab es riesige Haufen von Bonbons, die wie Geröll herum lagen. Kassies Magen zog sich vor Hunger zusammen. Obwohl sie noch wusste, dass man in diesen seltsamen Welten nichts essen musste - man konnte durchaus.
Sie warf einen Blick zu Mo.
"Wir sind in Charlies Schokoladenfabrik angekommen", flüsterte er entgeistert.
Kassie nickte. Dieses Land war der Traum eines jeden Kindes. Welche teuflischen Ideen mochten Asmodai und Ifrit hier für sie haben?
Die Limousine hielt auf der Kuppe des sanften Hügels. Ifrit stand auf und riss die Türen ihrer Kabine auf.
"Aussteigen."
Kassie, Mo und Karo stiegen aus.
"Na los, alle", schnaubte Ifrit.
"Ich auch?!", fragte Max, der offenbar aus allen Wolken fiel.
"Wird's bald?", knurrte Ifrit.
Schweigsam krabbelte auch Max nach draußen. Kassie bemerkte, dass er die Schultern hochzog wie ein Kind, das eine Ohrfeige erwartete.
Ifrit ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. "Geht einfach geradeaus", wies sie die Gruppe schlecht gelaunt an. "Wie immer: Ihr habt bis Morgen."
Damit knallte sie die Tür zu. Der Motor startete und die Limousine rollte davon.
Max sah ihr sehnsüchtig nach, bis Mo ihn in den Schwitzkasten zog.
"Also gut, du sagst uns jetzt sofort, was uns hier erwartet!"
"He, lass mich los!", Max zappelte und schaffte es, sich aus dem Griff zu winden, worauf er Mo auf den Boden schubste. "Ich hab auch keine Ahnung, was in dieser Welt los ist."
"Du lügst doch!", Kassie baute sich vor ihm auf.
"Selbst wenn - ich schulde euch nichts!", gab Max wütend zurück.
"Tust du nicht? Wir stecken nur hier fest, weil wir versucht haben, dich und Karo zu retten! Blaze ist nur deshalb tot!"
Kassie wollte sich auf Max stürzen, aber Mortimer, der inzwischen wieder auf den Beinen war, hielt sie fest. "Nicht."
"Beruhigt euch!", jetzt schritt auch Karo ein. "Max sagt wirklich die Wahrheit. Ich weiß, dass sie ihn nicht in alles eingeweiht haben. Asmodai sagte mir, dass sie Max testen wollen."
"Du wusstest, dass sie mich hier aussetzen würden? Mit den beiden Arschgeigen?", brüllte Max Karo an.
"Ja, und selbst wenn ich gedurft hätte, hätte ich es dir nicht gesagt." Karo funkelte Max an. "Du bist ein furchtbarer Mensch, Max."
Erstaunlicherweise nahm Max die Beleidigung mit Gelassenheit.
"Wir sollten uns alle beruhigen", sagte Mo jetzt und sah dabei Kassie an. "Wenn wir uns streiten, führt das zu nichts. Dann verpassen wir nur unser Taxi."
Kassie hob eine Augenbraue und warf ihm den Du-hast-angefangen-mit-Streiten-Blick zu.
Mo zuckte mit den Schultern auf eine Ja-aber-ich-hab-aus-meinen-Fehlern-gelernt-Weise.